Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18.10.2006
OVG NRW: russisch, gespräch, anhörung, dialekt, eltern, kasachstan, geschwister, wohnung, nationalität, befragung
Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 3889/04
Datum:
18.10.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 A 3889/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 5 K 2178/03 (26 K 7332/02 VG Köln)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen,
soweit die Erteilung eines Aufnahmebescheides im Streit gestanden hat.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht
erstattungsfähig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
zuvor Sicherheit in der selben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die frühere Klägerin zu 1. und jetzige alleinige Klägerin (im folgenden: Klägerin) ist am
1967 in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Ausweislich einer unter dem 12.
September 1967 ausgestellten Geburtsurkunde ist sie die Tochter des F. C. und der G.
U. , deren Nationalität jeweils mit "deutsch" angegeben ist. In dem ebenfalls
vorgelegten, am 31. Mai 1997 ausgestellten kasachischen Pass der Klägerin ist ihre
deutsche Nationalität eingetragen. Die 1989 bzw. 1992 geborenen früheren Kläger zu 2.
bzw. 3. sind die Kinder der Klägerin und des W. M. , mit dem die Klägerin von 1989 bis
2000 verheiratet war.
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Am 24. März 1999 beantragte die Klägerin durch ihre Schwester J. /J1. L. für sich, ihren
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seinerzeitigen Ehemann W. M. und die früheren Kläger zu 2. und 3. die Aufnahme als
Spätaussiedler. Hierbei gab sie an, deutscher Volkszu- gehörigkeit und im 1983
ausgestellten Inlandspass mit deutscher Nationalität eingetragen gewesen zu sein. Die
deutsche Sprache habe sie im Elternhaus seit ihrer Geburt gesprochen. Erlernt habe sie
sie von ihren Eltern und Großeltern, ferner in der Schule. Russisch habe sie im
Elternhaus erst ab ihrer Schulzeit gesprochen. Jetzt spreche sie zuhause häufig
Deutsch und häufig Russisch; sie verstehe in deutscher Sprache fast alles/alles,
spreche Deutsch so, dass es für ein einfaches Gespräch ausreiche, und schreibe
Deutsch.
Am 5. Januar 2001 unterzog sich die Klägerin in B. einem Sprachtest. Zum
Spracherwerb gab sie zu Beginn ihrer Anhörung an, als Kind Deutsch und Russisch
erlernt zu haben; die deutsche Sprache sei ihr von den Eltern sowie in der 5. bis 8.
Klasse der Schule vermittelt worden. Nach Abhandlung von neun Fragen in deutscher
Sprache befragte die Sprachtesterin die Klägerin lt. Protokoll auf Russisch, weshalb sie
so wenig Deutsch verstehe und spreche. Hierauf antwortete diese: "Meine Vater und
Mutter haben mit uns Kindern zuhause neben Russisch auch Deutsch gesprochen. Aber
wir Kinder haben immer nur in Russisch geantwortet". Die anschließende Frage, ob die
Eltern Dialekt gesprochen hätten, bejahte sie. Sie selbst könne diesen Dialekt aber nicht
sprechen, weil sie ja nur in Russisch gesprochen habe. Als Ergebnis des Sprachtests
wurde vermerkt, dass eine Verständigung zwar möglich gewesen sei; ein Gespräch im
Sinne eines Dialoges sei jedoch nicht zustande gekommen. Ergänzend heißt es unter
Punkt 2.2 zum Sprachvermögen: "Die Antragstellerin verfügt über nur geringe
Deutschkenntnisse. Eine Dialektfärbung ist nicht erkennbar. Frau M1. antwortete auf alle
Fragen nur zögerlich. Sie gab die Antwort stets zuerst auf Russisch und war dann
bemüht das Ganze in Deutsch zu formulieren. Im Ergebnis war eine Verständigung nur
in sehr geringem Umfang möglich. Schon im Eingangsgespräch verstand sie meine
Fragen nach der Anreise, der Zugfahrt sowie ihrer Familie nur mühsam und erst nach
Wiederholung. Ein Gespräch im Sinne eines einfachen Dialogs kam aufgrund des
geringen deutschen Wortschatzes zu keinem Zeitpunkt zustande".
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Mit Bescheid vom 21. Dezember 2001 lehnte das Bundesverwaltungsamt den
Aufnahmeantrag der Klägerin und der früheren Kläger zu 2. und 3. - der den W. M.
betreffende Antrag war im November 2000 zurückgenommen worden - ab und führte zur
Begründung in Bezug auf die Klägerin im wesentlichen aus: Sie erfülle nicht die
Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG, da sie ausweislich des Sprachtests nur
über unzureichende, für ein einfaches Gespräch keineswegs ausreichende deutsche
Sprachkenntnisse verfüge. Aus diesem Grunde fehle es an der erforderlichen familiären
Vermittlung der deutschen Sprache im Elternhaus.
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Gegen den am 16. Januar 2002 abgesendeten Bescheid erhoben die Klägerin und die
früheren Kläger zu 2. und 3. durch ihre Bevollmächtigte am 29. Januar 2002
Widerspruch und machten zur Begründung im Kern geltend: Die Klägerin verstehe den
Dialekt der Russlanddeutschen und sei auch in der Lage, sich im Familienkreis in
diesem Dialekt zu unterhalten.
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Mit Bescheid vom 29. Juli 2002 wies das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch unter
Wiederholung und Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides zurück und
führte ergänzend aus: Die Sprachtester seien so geschult, dass sie "Dialektsprecher"
jederzeit als solche erkennen würden. Ein russlanddeutscher Dialekt sei bei der
Klägerin jedoch nicht feststellbar gewesen. Da die deutsche Sprache in der Regel nur
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mündlich weitergegeben worden sei, sich nicht weiterentwickelt und aufgrund der
besonderen Bedingungen in der ehemaligen Sowjetunion nur im häuslichen Umfeld
erhalten habe, seien die Sprachtester gehalten, überwiegend Fragen aus dem
persönlichen, familiären und häuslichen Bereich sowie zu alltäglichen Themen zu
stellen. Diese Grundsätze seien bei der Vorsprache der Klägerin beachtet worden. Ein
etwa nunmehr beabsichtigtes Erlernen der deutschen Sprache im Rahmen von
Sprachkursen könne dem Aufnahmebegehren nicht zum Erfolg verhelfen, weil das
Gesetz die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache verlange.
Zur Begründung ihrer hiergegen rechtzeitig erhobenen Klage haben die Klägerin und
die früheren Kläger zu 2. und 3. vorgetragen: Die aktuellen Deutschkenntnisse der
Klägerin seien ausreichend. Ihre Schwester und ein Neffe hätten sie im Juni 2004 von
Deutschland aus in Kasachstan angerufen und ihr 30 Fragen auf Deutsch gestellt, die
sie im wesentlichen richtig beantwortet habe; die Einzelheiten ergäben sich aus dem
beigefügten Gesprächsprotokoll. Die deutsche Sprache sei der Klägerin von ihrer Mutter
und ihrer 1953 geborenen Schwester J1. L. vermittelt worden, bei denen jeweils
hervorragende Deutschkenntnisse festgestellt worden seien. Von Bedeutung sei
insoweit auch der 1956 geborene Bruder W1. C1. gewesen.
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Die Klägerin und die früheren Kläger zu 2. und 3. haben beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21. Dezember 2001 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2002 zu verpflichten, der
Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen und die (früheren) Kläger zu 2. und 3. in
diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug genommen
und ergänzend vorgetragen: Nach der bei der Anhörung erfolgten Selbstauskunft der
Klägerin seien deren unzureichende deutsche Sprachkenntnisse und die mangelnde
Fähigkeit, Dialekt zu sprechen, darauf zurückzuführen, dass sie als Kind nur auf
Russisch gesprochen habe. Eine Auswertung der die Geschwister der Klägerin
betreffenden Aufnahmeakten ergebe, dass die drei jüngeren, 1960 (F1. ), 1967
(Klägerin) bzw. 1972 (X. ) geborenen Geschwister über wesentlich schlechtere
Deutschkenntnisse verfügten als die beiden älteren, 1953 (J. bzw. J2. bzw. J1. L1. ) bzw.
1956 (W1. ) geborenen Geschwister. So habe etwa die 1953 geborene Schwester der
Klägerin bei ihrer Einreise fließend Dialekt gesprochen, während der 1972 geborene
Bruder nicht einmal in der Lage gewesen sei, das Datum seines Geburtstages zu
benennen. Dies belege, dass die familiäre Vermittlung von Deutschkenntnissen im
Elternhaus der Klägerin im Laufe der Zeit abgenommen habe.
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In der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2004 hat das Verwaltungsgericht die
Klägerin auf Deutsch zu verschiedenen Themen befragt. U. a. hat die Klägerin dort
angegeben, dass ihre Eltern zuhause Deutsch gesprochen hätten; sie selbst und ihre
Brüder F1. und X1. (X2. ) hätten aber "russisch gesagt". Gut Deutsch sprächen die
(beiden ältesten) Geschwister J2. und W1. , während F1. und sie selbst lediglich etwas
und X1. kein Deutsch sprächen. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Anhörung wird
auf die Wortprotokolle des Verwaltungsgerichts (Beiakte Heft 7) und der Beklagten
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(Beiakte Heft 6) Bezug genommen.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 2. Juli 2004 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte
unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, der Klägerin einen
Aufnahmebescheid zu erteilen, in den die (früheren) Kläger zu 2. und 3. einzubeziehen
seien. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin sich in der mündlichen
Verhandlung in der Lage gezeigt habe, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu
führen, und dass auch keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass sie diese Fähigkeit
nicht familiär erworben habe.
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Nach erfolgter Zulassung der Berufung haben die Klägerin, die die ursprünglich von den
früheren Klägern zu 2. und 3. geltend gemachten Einbeziehungsbegehren mit Blick auf
die Neuregelung des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG aufgegriffen hat, und die Beklagte in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat bezüglich dieser Einbeziehungsbegehren
einen verfahrensbeendenden Vergleich einschließlich einer Kostenregelung getroffen.
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Die Beklagte begründet ihre Berufung in Bezug auf das nach dem Abschluss des
Vergleichs allein verbliebene Aufnahmebegehren der Klägerin wie folgt:
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Die Klägerin habe auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht schon nicht über für ein einfaches Gespräch ausreichende
Deutschkenntnisse verfügt. Bei der dortigen gerichtlichen Anhörung habe weder ein
Gespräch - ein Austausch in Rede und Gegenrede - stattgefunden noch habe sich das
Verwaltungsgericht mit der Klägerin ansatzweise verständigen können. Dies werde
durch die vorgelegten beispielhaften, mit Erläuterungen versehenen Passagen des
Protokolls der gerichtlichen Anhörung zweifelsfrei belegt, das die Beklagte anhand der
aufgenommenen Kassetten von einer des Russischen mächtigen und über eine
langjährige Erfahrung als Sprachtesterin verfügenden Mitarbeiterin und einem
vereidigten Dolmetscher für die russische Sprache habe fertigen lassen. Selbst dort, wo
der Eindruck entstehen könne, dass die Klägerin die nachgefragten Informationen
gegeben habe, zeige eine nähere Betrachtung, dass sie lediglich die Antwortangebote
des Richters aufgegriffen habe, ohne diese immer überhaupt zu verstehen und ohne
tatsächlich eine Information über den Lebenssachverhalt zu geben. Insgesamt gesehen
reichten weder die passiven noch die aktiven Sprachkenntnisse der Klägerin für ein
einfaches Gespräch aus. Dass sie häufig schon die Frage oder den Sinn der Frage nicht
verstanden habe, werde durch die entsprechenden fragenden "Antworten" belegt; die
Klägerin habe insoweit jeweils versucht, zu raten, was gefragt worden sein könnte. Ihre
Antworten hätten sich fast ausnahmslos in einzelnen Wörtern, der Aneinanderreihung
einzelner Wörter mit Pausen oder der Vermischung einzelner Wörter mit russischen
Vokabeln bzw. ganzen russischen Sätzen erschöpft. Nur vereinzelt sei der Klägerin ein
vollständiger Satz in deutscher Sprache gelungen.
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Darüber hinaus hätten die gezeigten - geringen - Sprachkenntnisse der Klägerin ihre
Grundlage nicht in einem familiären, sondern in einem fremdsprachlichen Erwerb. Denn
nach ihren eindeutigen und wiederholten eigenen Angaben bei dem Sprachtest und in
der mündlichen Verhandlung sei sie zwar von ihren Eltern und der Großmutter auch auf
Deutsch angesprochen worden, habe sich selbst im Elternhaus aber ausschließlich der
russischen Sprache bedient. Die im Widerspruch zu diesen Bekundungen stehenden
Angaben der zunächst im Verfahren bevollmächtigten ältesten Schwester der Klägerin
im Aufnahmeantrag und Widerspruch könnten in diesem Zusammenhang nur als
interessengeleitete Einlassung gewertet werden. Denn die noch im
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Widerspruchsverfahren aufgestellte Behauptung der Schwester, die Klägerin verstehe
den Dialekt der Russlanddeutschen und wäre auch in der Lage, sich im Familienkreis in
diesem Dialekt zu unterhalten, habe sich als falsch erwiesen, weil die Klägerin weder
beim Sprachtest noch anläßlich der mündlichen Verhandlung in der Lage gewesen sei,
Antworten im Dialekt oder zumindest mit einer Dialektprägung zu geben. Gerade die
beigezogenen Aufnahmevorgänge der Mutter und Geschwister der Klägerin belegten
den Rückgang der familiären Vermittlung des (dialektgeprägten) Deutschen in der
Familie. Während die Mutter und die Schwester der Klägerin beim Sprachtest bzw. bei
ihrer Einreise fließend bzw. nahezu fließend Deutsch im Dialekt gesprochen hätten und
der 1956 geborene Bruder W1. immerhin noch über für ein einfaches Gespräch
ausreichende deutsche Sprachkenntnisse mit Dialektprägung verfügt habe, hätten sich
schon die Sprachkenntnisse der 1960 geborenen Bruders F1. auf einzelne,
dialektgeprägte Wörter beschränkt. Die Klägerin und ihr jüngerer Bruder X2. (X3. )
verfügten über keinerlei Dialektkenntnisse und hätten angegeben, selbst in der Familie
nur Russisch gesprochen (Klägerin) bzw. Deutsch in der Familie nicht erlernt zu haben
(Bruder).
Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tritt der Berufung entgegen und macht geltend: Sie verfüge - wenn vielleicht auch
nur so eben - über Deutschkenntnisse, die den Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 3
BVFG genügten. Von den ihr bei der gerichtlichen Anhörung gestellten 272 Fragen
habe sie rund 200 vollständig, zumindest richtig, beantwortet. Im übrigen sei eine
wohlwollende Beurteilung schon deshalb angezeigt, weil eine Gesprächssituation, wie
auch das Bundesverwaltungsgericht einräume, im Gerichtssaal nicht zustande komme.
Ferner habe die Klägerin die deutsche Sprache in Kasachstan seit Jahren nicht mehr
pflegen können und sei daher praktisch "aus dem Stand heraus" angehört worden.
Außerdem sei sie zusätzlich nervös gewesen, weil die Befragung aufgrund der zunächst
nicht zustande gekommenen Kassettenaufnahme habe wiederholt werden müssen. Die
aktuellen Sprachkenntnisse seien auch familiär erworben worden. Der Anteil der
familiären Vermittlung an der Vermittlung der deutschen Sprachkenntnisse insgesamt
sei hier mit Blick darauf, dass die Klägerin ihr Deutsch nur aus ihrer - volksdeutschen -
Familie haben könne, keinesfalls nur unwesentlich.
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Das beigeladene Land stellt keinen Antrag. Es teilt die Auffassung der Beklagten, dass
der Klägerin keine für ein einfaches Gespräch ausreichenden Deutschkenntnisse
familiär vermittelt worden seien, und hebt ergänzend hervor: Bereits die erforderlichen
passiven Deutschkenntnisse fehlten. Die Klägerin habe auf einen Teil der ihr in der
verwaltungsgerichtlichen Anhörung gestellten Fragen wohl schon deshalb nur mit
Schweigen reagiert, weil sie die Fragen nicht verstanden habe. Dieser Eindruck werde
durch die Tatsache erhärtet, dass die Klägerin eine Vielzahl der Fragen lediglich mit "ja"
oder "nein" bzw. einem Wort beantwortet, sich bei Nachfrage bzw. weiteren, auf der
Antwort aufbauenden Fragen jedoch herausgestellt habe, dass sie die jeweilige
Ausgangsfrage offensichtlich nicht verstanden habe. Ihr aktiver Wortschatz sei derart
gering, dass sie auch auf jene Fragen, auf die man durchaus mit einem kurzen Satz und
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nicht nur mit einem Wort hätte antworten können, nur sogenannte Ein-Wort-Antworten
gegeben habe. Die gelegentlichen "Mehrwortantworten" hätten keinesfalls die Qualität
von einfachen Sätzen, weil es an jeglicher Satzstruktur im Sinne von Subjekt, Prädikat,
Objekt fehle. Nur eine ganz geringe Anzahl der Antworten könne als kurzer Satz
qualifiziert werden, wobei diese Antworten teilweise nur die Wiederholung der Fragen
darstellten.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zur Ermittlung ihrer
Sprachkompetenz ein weiteres Mal informatorisch angehört; insoweit wird auf die
Sitzungsniederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (6 Hefte) und des von dem VG
Minden übersandten Anhörungsprotokolls nebst Kassetten (Beiakte Heft 7) ergänzend
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klage ist unter entsprechender
Änderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen, weil der allein noch behauptete
Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides an die Klägerin nicht gegeben ist.
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Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Erteilung
eines Aufnahmebescheides sind die §§ 26, 27 Abs. 1 BVFG. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1
BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den
Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im
Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Der
Klägerin steht ein solcher Anspruch nicht zu, weil sie diese Voraussetzungen nicht
erfüllt.
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Spätaussiedler aus dem hier in Rede stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen
Sowjetunion kann nach § 4 Abs. 1 BVFG nur sein, wer deutscher Volkszugehöriger ist.
Da die Klägerin zu 1. nach dem 31. Dezember 1923 geboren ist, ist sie nach § 6 Abs. 2
Satz 1 BVFG deutsche Volkszugehörige, wenn sie von einem deutschen
Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum
Verlassen des Aussiedlungsgebietes durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung
oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem
Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis zum
deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss
bestätigt werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache (§ 6 Abs. 2 Satz
2 BVFG). Diese ist nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung auf
Grund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann (§
6 Abs. 2 Satz 3 BVFG).
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Zwar liegen, wie zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit steht, die
Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG vor, da die Klägerin ausweislich der
vorgelegten, am 12. September 1967 ausgestellten Geburtsurkunde von den dort als
deutsche Volkszugehörige vermerkten Eltern F. C. und G. U. abstammt und in ihrem
kasachischen Pass vom 31. Mai 1997 mit deutscher Nationalität eingetragen ist. Der
Senat hat aber in der mündlichen Verhandlung nicht die Überzeugung gewinnen
können, dass die Klägerin auch die in § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BVFG aufgestellten
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Voraussetzungen erfüllt.
Für die Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, muss sich der
Antragsteller über einfache Lebenssachverhalte aus dem familiären Bereich (z. B.
Kindheit, Schule, Sitten und Gebräuche), über alltägliche Situationen und Bedürfnisse
(Wohnverhältnisse, Einkauf, Freizeit, Reisen, Wetter u. ä.) oder die Ausübung eines
Berufs oder einer Beschäftigung - ohne dass es dabei auf exakte Fachbegriffe ankäme -
unterhalten können. Das vom Gesetz geforderte Gespräch ist eine gegenseitige
sprachliche (also nicht gestische) Verständigung. Dabei ist nicht ausreichend ein nur
punktuelles Sich-verständlich-Machen, wie z. B. die Frage nach dem Bahnhof, oder eine
nur punktuelle Antwort, wie z. B. die Wegweisung zum Bahnhof. Vielmehr setzt ein
Gespräch einen, wenn auch einfachen und begrenzten, Gedankenaustausch zu einem
Thema, also innerhalb eines Gesprächskontextes voraus.
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In formeller Hinsicht genügt den Anforderungen des Gesetzes eine einfache
Gesprächsform. Erforderlich ist zum einen die Fähigkeit zu einem sprachlichen
Austausch über die oben genannten Sachverhalte in grundsätzlich ganzen Sätzen,
wobei begrenzter Wortschatz und einfacher Satzbau genügen und Fehler in Satzbau,
Wortwahl und Aussprache nicht schädlich sind, wenn sie nach Art oder Zahl dem
richtigen Verstehen nicht entgegenstehen. Erforderlich ist zum anderen ein
einigermaßen flüssiger Austausch in Rede und Gegenrede. Ein durch Nichtverstehen
bedingtes Nachfragen, Suchen nach Worten oder stockendes Sprechen, also ein
langsameres Verstehen und Reden als zwischen in Deutschland aufgewachsenen
Personen, steht dem erst entgegen, wenn Rede und Gegenrede so weit oder so oft
auseinanderliegen, dass von einem Gespräch als mündlicher Interaktion nicht mehr
gesprochen werden kann. Nicht ausreichend ist demgemäß das Aneinanderreihen
einzelner Worte ohne Satzstruktur oder insgesamt nur stockende Äußerungen. Der
Antragsteller muss aber weder über einen umfassenden deutschen Wortschatz verfügen
noch in grammatikalisch korrekter Form bzw. ohne gravierende grammatikalische Fehler
sprechen können noch eine deutlich über fremdsprachlich erworbene hinausgehende
Sprachfähigkeit besitzen.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. September 2003
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- 5 C 33.02 -, BVerwGE 119, 6, und - 5 C 11.03 -,
36
DVBl 2004, 448.
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Die Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats hat ergeben,
dass sie heute und damit im - maßgeblichen - Zeitpunkt der Aussiedlung nicht imstande
ist, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Eine nicht unerhebliche Zahl der ihr
gestellten Fragen, die sämtlich einfach formuliert waren und Bereiche des täglichen
Lebens betrafen, hat die Klägerin, wie Rückfragen des Gerichts oder der Kontext der
Befragung belegen, schon nicht verstanden. Beispielhaft seien insoweit die Fragen
angeführt, in welchem Ort sie (bei ihrer Schwester) wohne, welche Torten sie backe, ob
sie zuhause Weihnachten feiere, ob sie manchmal Nachrichten höre oder Zeitung lese,
ob sie zuhause fernsehe und ob ihr Sohn auch - wie seine Schwester - im Kindergarten
gewesen sei. Den Sinngehalt der Frage, was sie im Monat an Miete für ihre Wohnung
zahlen müsse, hat sie - wie ihre entsprechende Nachfrage bei der Dolmetscherin zeigt -
auch nach Umformulierung ("Müssen sie Geld für ihre Wohnung bezahlen?") nicht
einmal ansatzweise erfassen können. Denn sie hat gegenüber der Dolmetscherin auf
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Russisch vermutet, dass sich die Frage darauf beziehe, was sie für ihr (zuvor erfragtes)
monatliches Einkommen kaufen könne.
Ob die Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, schon mit Blick auf
unzureichende passive Kenntnisse des Deutschen zu verneinen ist, mag hier indes
offen bleiben. Denn jedenfalls eine Gesamtbetrachtung der aufgetretenen
Verständnisschwierigkeiten der Klägerin einerseits und des während der Anhörung
durch den Senat gezeigten - unzureichenden - aktiven deutschen Sprachvermögens
andererseits führt zu diesem Ergebnis. Die (mit oder ohne Übersetzungshilfe)
gegebenen Antworten der Klägerin und die ihnen häufiger vorausgegangenen längeren
Pausen haben nämlich nicht erkennen lassen, dass sie die Fähigkeit zu einem
einigermaßen flüssigen, in grundsätzlich ganzen Sätzen erfolgenden Austausch in
Rede und Gegenrede über die in den zitierten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts
aufgeführten Themen besitzt. Als Beleg hierfür können beispielhaft die bereits zu
Beginn der Anhörung erfolgten Befragungen angeführt werden. Die Fragen, wie sie
nach Deutschland gekommen sei, wann sie abgeflogen sei, wann sie wieder
zurückmüsse, von wo sie zurückfliege, wie sie nach Hannover komme und wo sie im
Moment wohne, hat die Klägerin jeweils nur mit einem einzelnen Wort oder mit der
Aneinanderreihung von zwei oder drei Worten beantwortet, also nicht einmal
ansatzweise aus Subjekt, Prädikat und Objekt bestehende Antwortsätze gebildet,
obwohl die Fragen dies ohne weiteres zugelassen hätten. Die sich anschließende
Befragung zu der Wohnung in Kasachstan vermittelt kein abweichendes Bild. Soweit
die Klägerin nunmehr teilweise auch kurze Sätze gebildet hat, waren diese erkennbar
unvollständig und konnte insbesondere von einer einigermaßen flüssigen
Aneinanderreihung derselben nicht die Rede sein. So hat die Klägerin die Frage, wie
groß ihre Wohnung sei, nur antworten können: "Nein, nicht groß, sie ist groß 2 Zimmer,
Küche, Duschbad". Auf die wiederholte Frage, ob sie auch einen Balkon habe, hat sie
lediglich ausgeführt: "Nein, nicht Balkon". Die nachfolgende Frage, ob sie allein in ihrer
Wohnung lebe, hat die Klägerin mit der Äußerung "Nein, ich habe 2 Kinder, einen
Tochter und eine Sohn, zusammen" lediglich scheinbar durch einen ganzen Satz
beantwortet. Denn den erfragten Umstand, dass sie mit ihren Kindern zusammen in der
Wohnung lebe, hat die Klägerin nur mit dem - keinen ganzen Satz darstellenden -
Satzbestandteil "Nein, ..... , zusammen" sprachlich formulieren können. Die nachfolgend
erfragte Information, wo die Klägerin und ihre Kinder in der Wohnung schlafen, konnte
sie ebenfalls nur unzureichend geben. Denn der (fehlerhafte Konjugationen
enthaltenden) Äußerung "Sie hat eine Zimmer. Und wohnt. Sie hat ein Zimmer" konnte
der Gesprächspartner, wie die anschließende Nachfrage des Gericht verdeutlicht,
allenfalls entnehmen, dass die Kinder in einem Zimmer schlafen; dass die Klägerin, wie
anzunehmen ist, eine Schlafgelegenheit im Wohnzimmer hat, hat die Klägerin
offensichtlich nicht mitteilen können.
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Darüber hinaus hat die Klägerin während ihrer Anhörung durch den Senat wiederholt
selbst indirekt zu erkennen gegeben, dass sie nicht befähigt fühlt, die erfragten
einfachen Lebenssachverhalte auf Deutsch darzustellen.
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In etlichen Fällen ist dieser Mangel schon dadurch hervorgetreten, dass die Klägerin im
Verlauf einer auf Deutsch begonnenen Antwort ins Russische verfallen ist, weil sie
offensichtlich zu einer Fortführung der Antwort auf Deutsch nicht in der Lage war, oder
dass sie eine (verstandene) Frage von vornherein nur auf Russisch beantworten konnte.
Ein Beispiel hierfür ist etwa die Reaktion der Klägerin auf die (verstandene) Frage, wo
sie einkaufe, wenn sie bestimmte Lebensmittel benötige. Denn insoweit hat sie -
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offensichtlich in Ermangelung hinreichender eigener aktiver Deutschkenntnisse - der
Dolmetscherin auf Russisch mitgeteilt, dass sie als Verkäuferin arbeite und in dem
Laden alle Lebensmittel mitnehmen könne, die dann mit dem Arbeitslohn verrechnet
würden. Entsprechendes war in Bezug auf die Frage zu beobachten, wie denn jetzt das
Wetter in Kasachstan sei. Hier wollte die Klägerin angeben, dass es (bei ihrer Abreise)
heiß gewesen sei, war dazu aber, wie ihre russischen Ausführungen zeigen, auf
Deutsch nicht in der Lage. Ferner konnte die Klägerin die Freizeitaktivitäten ihrer Kinder,
die sie darstellen wollte, nicht vollständig auf Deutsch schildern. Gravierend ins Gewicht
fällt insoweit schließlich auch, dass die Klägerin die ihr von dem Senat eingeräumte
Möglichkeit, sich mit ihrer im Sitzungssaal anwesenden, gut Deutsch sprechenden
Mutter auf Deutsch zu unterhalten, nicht nutzen konnte, sondern bereits nach dem
zweiten Satz ins Russische wechseln musste.
In mehreren Fällen hat die Klägerin ferner ausdrücklich erklärt, bestimmte einfache
Sachverhalte nicht auf Deutsch schildern zu können. Auf die in russischer Sprache
erfolgte Frage, welche Torten sie denn backe, hat sie ausgeführt, dies wegen der
russischen Bezeichnungen nicht auf Deutsch sagen zu können. Auch hat sie gegenüber
der Dolmetscherin auf Russisch geäußert, es nicht zu schaffen, auf Deutsch zu
erzählen, wie sie Riebelsuppe mache. Außerdem hat sie bekundet, die (ins Russische
übersetzte) Frage, ob es im Dorf deutsche Frauen gebe, nicht in deutschen Worten
beantworten zu können. Schließlich hat sie zu der auf das Brotbacken bezogenen
sinngemäßen Frage ihrer Prozessbevollmächtigten, was sie - die Klägerin - weiter
mache, nachdem der Teig fertig sei ("Und dann?") auf Russisch angegeben, dies nicht
auf Deutsch erzählen zu können. Der mit dieser Angabe zugleich erfolgte Vortrag, zu
einer solchen Schilderung noch in der Pause in der Lage gewesen zu sein, mit dem die
Klägerin sinngemäß eine besondere, mit Leistungseinbußen einhergehende Belastung
in der mündlichen Verhandlung geltend machen will, greift nicht durch. Denn schon aus
dem Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG ist ohne Weiteres ersichtlich, dass im
maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund familiärer Vermittlung und damit jederzeit abrufbar ein
einfaches Gespräch auf Deutsch geführt werden können muss.
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Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 5. September 2005 - 2 A 3233/04 -, m. w. N.
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Die auf dem Ergebnis der Anhörung der Klägerin durch den Senat fußende Bewertung,
die Klägerin sei zu einem gesprächsweisen Austausch über einfache
Lebenssachverhalte jedenfalls deshalb nicht imstande, weil sie (bei schon für sich
genommen problematischen passiven deutschen Sprachkenntnissen) bis auf wenige
Ausnahmen nicht in der Lage gewesen sei, sich zu den erfragten Lebenssachverhalten
in ganzen, ggf. auch fehlerhaften Sätzen zu äußern, wird durch die Auswertung der vor
dem Verwaltungsgericht erfolgten Anhörung der Klägerin nachdrücklich bestätigt.
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Die in jener Anhörung gegebenen Antworten haben, wie den beiden vorliegenden
Wortprotokollen deutlich zu entnehmen ist, in aller Regel lediglich aus einem Wort oder
einzelnen, lediglich aneinandergereihten Worten bestanden. Als Beispiel können etwa
die Antworten dienen, die die Klägerin auf Fragen zu ihrem Garten, zu ihrem vor der
Abreise aus Kasachstan mit der Mutter geführten Telefonat, zu der Art der von ihr
gelesenen deutschen Bücher, zu den Unternehmungen mit ihren Kindern sowie dazu,
ob der Heimatort N. über einen Bahnhof verfügt, gegeben hat.
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Die Kürze der Antworten ist auch keinesfalls immer auf die Art der Fragestellung
zurückzuführen. So hätte die Klägerin etwa auf die Frage, was sie im Garten mache, bei
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entsprechenden Deutschkenntnissen ihre Arbeit im Garten anschaulich schildern
können; sie hat insoweit jedoch - nach wiederholtem Nachfragen - nur bruchstückhaft
und knapp antworten können ("Kraut zupfen"). Dazu befragt, was sie in dem vor ihrer
Abreise aus Kasachstan mit ihrer Mutter geführten Telefonat gesagt habe, hat sie ohne
Hilfestellung keinerlei Gesprächsinhalt angeben können ("Ich gesagt ähhh ..."); auch
diese Frage war indes darauf angelegt bzw. dazu geeignet, die Klägerin zu einer
umfänglicheren Schilderung zu veranlassen. Entsprechendes gilt zum Beispiel auch für
die Fragen, was für Bücher sie lese und was sie mit ihren Kindern unternehme. Auf die
Frage, ob sie zuhause einen Fernseher/TV/Television habe, wäre bei entsprechenden
Sprachkenntnissen als Antwort nicht nur das Wort "Fernsehen" zu erwarten gewesen,
sondern etwa der ganze Satz: "Ja, wir haben einen Fernseher zuhause".
Entsprechendes gilt für die Frage, was sie im Fernsehen gucke. Dass die insoweit allein
gegebene Antwort "Kasachische" völlig unzureichend ist, liegt auf der Hand.
Erschwerend tritt hinzu, dass eine Vielzahl der nur aus einem oder einzelnen, lediglich
aneinandergereihten Worten bestehenden Antworten ganz offensichtlich überhaupt nur
deshalb zustande gekommen ist, weil der anhörende Einzelrichter oder - in Einzelfällen
- der Prozessbevollmächtigte die entsprechenden Worte in der jeweiligen Frage bereits
als Antwort "angeboten" haben und die Klägerin dieses "Angebot" dann angenommen
hat. So finden sich etwa auf Seite 13 des von der Beklagten gefertigten Wortprotokolls
bzw. auf Seite 16 f. des gerichtlichen Wortprotokolls gleich mehrere Beispiele hierfür
("Etwas" - "Etwas"; "Allein" - "Allein"; "Eine kleine Stadt" - "Eine kleine Stadt"). Ein
anderes Beispiel ist die Auskunft der Klägerin dazu, was sie mit ihren Kindern mache.
Hier hat sie zunächst auf Russisch geantwortet ("guljajem" = spazieren gehen), auf die
wiederholte Frage weiterhin nichts auf Deutsch sagen können und schließlich
"Spazieren" geantwortet, nachdem der Richter ihr u. a. dies Wort vorgegeben hatte. Im
übrigen hat die Klägerin bei solchen wiederholenden Antworten nicht einmal immer den
Sinn ihrer Antwort verstanden. Beispielhaft hierfür ist der auf Seite 13 des gerichtlichen
Protokolls und auf Seite 10 des von der Beklagten gefertigten Protokolls
wiedergegebene "Dialog" dazu, wie lange die Kinder der Klägerin Sommerferien haben.
Nachdem sich gezeigt hatte, dass die Klägerin auf die Frage "Wie lange" nicht
antworten konnte, hat der Richter fragend formuliert: "Eine Woche, zwei Wochen". Dies
hat die Klägerin dann mit ihrer Antwort ("zwei Wochen") schlicht aufgegriffen, obwohl
eine solche Auskunft nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten
dazu, dass die Sommerferien in Kasachstan drei Monate dauern, offensichtlich
fehlerhaft war. Exemplarisch ist auch der Dialog zu der Hitze in Kasachstan (Blatt 33
des Protokolls der Beklagten, nur verkürzt wiedergegeben im gerichtlichen Protokoll,
Seite 36). Nachdem der Richter
47
- sprachlich unkorrekt - "Viel heiß" geäußert hatte, hat die Klägerin das Wort "viel" in
ihrer Antwort "Ja, viel" offensichtlich in der Hoffnung wiederholt, dass die Antwort so
schon richtig sein werde.
48
Die Klägerin hat während der gerichtlichen Anhörung im übrigen wiederholt
ausdrücklich eingeräumt, dass sie sich zu den erfragten einfachen Lebenssachverhalten
nicht oder nicht hinreichend auf Deutsch äußern könne. So hat sie - befragt zu dem
Inhalt des mit ihrer Mutter geführten Telefonats - auf Russisch geäußert, das es ihr
schwer falle, zu übersetzen. Auf die ebenfalls einfache Frage danach, wie das Wetter in
Kasachstan im Winter sei, hat sie in russischer Sprache bekundet, es nicht sagen zu
können bzw. nicht zu wissen, wie sie es sagen solle.
49
Das sich aus dem Vorstehenden ergebende mangelnde Vermögen der Klägerin, sich
aufgrund familiärer Vermittlung in einem einfachen Gespräch hinreichend auf Deutsch
auszudrücken, wird durch die wiederholte Verwendung falscher Personalpronomina
("sie" statt "er") in Bezug auf den Schwager, Sohn, Bruder W1. bzw. Vater bestätigt ("Sie
nixte arbeiten"; "Sie lernt kasachisch und englisch"; "sie auch gut sprechen Deutsch"
und "sie ist krank"; "sie gestorben"). Dieser während der verwaltungsgerichtlichen
Anhörung häufiger wiederholte und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
bei auf den Sohn bezogenen Schilderungen aufgetretene (" ..... sie äh, bei Haus ..... , sie
immer bei mir"; "Ja, sie hat eine Freunde, ..... ") Fehler in der Wortwahl wird zwar für sich
genommen noch nicht schädlich sein, weil er wegen des jeweiligen Kontextes noch
nicht dem richtigen Verstehen entgegensteht; als Ausdruck eines durchaus
grundlegenden Mangels im aktiven Wortschatz ist er jedoch geeignet, die bereits
gefundene Bewertung zu bekräftigen.
50
Der Verwertbarkeit des über die verwaltungsgerichtliche Anhörung angefertigten
Protokolls steht nicht entgegen, dass die Klägerin bei dieser Anhörung deshalb
zusätzlich nervös gewesen sein will, weil die Befragung aufgrund eines technischen
Fehlers (teilweise) wiederholt werden musste. Zum einen findet diese Behauptung im
Protokoll, das wiederholt ein Lachen der Klägerin festhält und eine äußerst
wohlwollende Gesprächsführung des Richters dokumentiert, keine Stütze und wird auch
im übrigen von der Klägerin weder belegt noch sonstwie glaubhaft gemacht. Zum
anderen ist, wie bereits in anderem Zusammenhang hervorgehoben, schon aus dem
Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG ohne Weiteres ersichtlich, dass im maßgeblichen
Zeitpunkt aufgrund familiärer Vermittlung und damit jederzeit abrufbar ein einfaches
Gespräch auf Deutsch geführt werden können muss.
51
Der im Jahre 2001 von der Deutschen Botschaft in B. durchgeführte Sprachtest
vermittelt schließlich kein abweichendes, eine andere Beurteilung rechtfertigendes Bild.
Zwar hat die Klägerin insoweit einige ganze Sätze beginnen, diese aber regelmäßig nur
auf Russisch beenden können (z. B: "Am Sonntag ich arbeiten in (weiter in Russ.)").
Außerdem hat sie weder einen Arbeitstag als Brotbäckerin beschreiben noch erklären
können, wie sie den Apfelkuchen gemacht habe. Auffällig ist im übrigen, dass die
Klägerin die Verben jeweils nur im Infinitiv verwenden konnte.
52
Darüber hinaus beruhen die (nach dem Vorstehenden unzureichenden) deutschen
Sprachfähigkeiten der Klägerin auch nicht auf einer hinreichenden familiären
Vermittlung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG. Diese ist dann gegeben, wenn die
familiäre Vermittlung der Grund für die Fähigkeit ist, ein einfaches Gespräch auf Deutsch
zu führen. Für die Zuordnung als deutscher Volkszugehöriger ist bezogen auf die
deutsche Sprache deshalb allein deren familiäre Vermittlung bis zur Fähigkeit, ein
einfaches Gespräch zu führen, maßgeblich.
53
Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2003
54
- 5 C 33.02 -, BVerwGE 119, 6.
55
Nach diesem Urteil beantwortet sich die "Frage nach der Grenzziehung" zwischen dem
Anteil familiär vermittelter Deutschkenntnisse und dem Anteil unschädlich aufgefrischter
oder fremdsprachlich erworbener Sprache ohne weiteres dahingehend, dass die
familiäre Vermittlung der deutschen Sprache ursächlich für die Gesprächsfähigkeit sein
muss.
56
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. August 2005
57
- 5 B 47.05 -.
58
Nach diesen Beurteilungsgrundsätzen liegt eine familiäre Vermittlung vor, wenn nicht
festgestellt werden kann, dass im familiären Bereich eine Vermittlung des Deutschen
nicht oder jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang stattgefunden hat, sondern die
heute vorhandenen Deutschkenntnisse ganz überwiegend auf einem fremdsprachlichen
Erwerb beruhen und keine hinreichende Grundlage mehr in einer bis zum Erreichen der
Selbständigkeit erfolgten Sprachvermittlung haben.
59
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 16. Oktober 2003 - 2 A 4116/02 -, rechtskräftig seit dem Beschluss des BVerwG
vom 20. August 2004 - 5 B
60
2.04 -; OVG NRW, Urteil vom 4. April 2006 - 2 A 2926/04 -.
61
Die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache setzt dabei grundsätzlich voraus, dass
die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte dem Betroffenen deutsche
Sprachkenntnisse in der Zeit von seiner Geburt bis zur Selbständigkeit vermittelt haben.
62
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2000 - 5 C 44.99 -, BVerwGE 112, 112; OVG NRW,
Beschlüsse vom 16. Oktober 2003 - 2 A 4116/02 -, Juris, und vom 30. Mai 2006 - 12 A
2333/04 -.
63
In Anwendung dieser Grundsätze stellen sich jedenfalls die gezeigten - für die Führung
eines einfachen Gesprächs auf Deutsch neben den passiven deutschen
Sprachkenntnissen unverzichtbaren - aktiven deutschen Sprachkenntnisse der Klägerin
nicht als familiär erworben, sondern als auf nachträglichem Spracherwerb beruhend dar.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist nämlich davon auszugehen, dass die
Klägerin, die bereits vor dem Eintritt ihrer Selbständigkeit, nämlich kurz nach
Vollendung des 15. Lebensjahres aus dem Elternhaus fortgezogen war, um in einer
anderen Stadt die zweijährige Berufsschule zu besuchen, in der davor liegenden
Prägephase im Elternhaus selbst kein Deutsch gesprochen hat. Das ergibt sich
maßgeblich schon aus den entsprechenden eindeutigen und wiederholten
Selbstauskünften der Klägerin, die zugleich die von der Schwester der Klägerin zuvor
im Aufnahmeantrag der Klägerin gemachten Angaben zum (umfangreichen) Erwerb der
deutschen Sprache im Elternhaus und von den Großeltern als unglaubhaft erscheinen
lassen. Bei dem in B. durchgeführten Sprachtest hat die Klägerin auf die Frage, weshalb
sie so wenig Deutsch verstehe und spreche, ausdrücklich erklärt, dass die Eltern mit
den Kindern zwar neben Russisch auch Deutsch gesprochen, diese aber immer nur in
Russisch geantwortet hätten. Es kann ausgeschlossen werden, dass diese Äußerung
auf einem Missverständnis oder sprachlichen Schwierigkeiten beruht. Denn der Kontext
ist eindeutig, und die Klägerin ist ausweislich des Sprachtestprotokolls insoweit auf
Russisch befragt worden. Außerdem hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung
vor dem Verwaltungsgericht eine entsprechende Auskunft gegeben und damit ihre
früheren Angaben noch einmal bestätigt. Denn dort hat sie auf die Frage, wie sie als
Kind und ihre Eltern gesprochen hätten, die Antwort begonnen "Zu Hause Vater und
Mutter ... " und, nachdem der Richter diese Antwort fragend fortgeführt hatte (" ... haben
Deutsch gesprochen?"), ausgeführt: "Ja. Sie haben Deutsch gesprochen, aber ich und
64
meine Brüder X1. und F1. sagen russisch". Die nachfolgende Bemerkung des Richters,
mit der dieser "sagen Russisch" wiederholt hat, hat die Klägerin noch einmal mit "ja" als
richtig bestätigt. Der anschließenden Bekundung, manchmal auch Deutsch gesprochen
zu haben, kommt demgegenüber keine Bedeutung zu. Denn zum einen steht diese
Angabe im Widerspruch zu der eindeutigen Erklärung bei dem Sprachtest (" ... Immer
nur ... ") und zu der unmittelbar zuvor erfolgten Bekundung, sie und die beiden
genannten Brüder hätten nur Russisch gesprochen; zum anderen ist sie erkennbar
durch den Richter herbeigeführt worden, nachdem die Klägerin das Thema bereits für
abgeschlossen und die Frage für beantwortet gehalten hatte. Auch der gesteigerte
Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, zu der Mutter
"immer" Deutsch gesprochen zu haben, als sie klein gewesen sei, kann ihr mit Blick auf
die eindeutigen anderslautenden früheren Bekundungen nicht abgenommen werden.
Abgesehen davon würde dieses Vorbringen auch bei seiner Unterstellung als wahr
nicht die Annahme einer nennenswerten familiären Vermittlung der (unzureichenden)
Deutschkenntnisse begründen können. Denn die Klägerin will neben dem Russischen
nur bis zum Alter von 7 oder 8 Jahren und nur zu ihrer Mutter auf Deutsch gesprochen
haben.
Die Feststellung, dass die Klägerin im Elternhaus kein Deutsch gesprochen hat, wird
durch den Umstand bestätigt, dass sie keinen Dialekt spricht. Dass dies so ist, hat die
Klägerin bei ihrer in B. auf Russisch erfolgten Befragung ausdrücklich eingeräumt und
wird durch die gerichtlichen Anhörungen bestätigt, bei denen sie allenfalls leichteste
Anklänge (in der verwaltungsgerichtlichen Anhörung: "schlofen" für "schlafen"; "Ja nu ...
"; in der Anhörung vor dem Senat: "Riebel, Riebelsuppe, Kries") an einen
russlanddeutschen Dialekt gezeigt hat. Denn mit Blick darauf, dass ihre Mutter nach
dem Protokoll des 1997 absolvierten Sprachtests stark dialektgeprägt spricht und auch
der (1991 verstorbene) Vater der Klägerin nach deren in B. gemachten Angaben
Dialektsprecher war, müsste es bei einem nennenswerten sprachlichen Austausch
zwischen Kind und Eltern in deutscher Sprache zu einer deutlichen Dialektprägung
auch der Sprache der Klägerin gekommen sein. Dass diese Schlussfolgerung zutrifft,
ergibt sich daraus, dass die beiden ältesten Geschwister der Klägerin - die fast 14 Jahre
ältere J. und der fast 11 Jahre ältere W1. , die nach der Erklärung der Klägerin in der
mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht den Eltern im Gegensatz zu den
drei jüngsten Kindern offensichtlich nicht (nur) auf Russisch geantwortet hatten - bei
ihren jeweiligen Sprachtests russlanddeutschen Dialekt gesprochen haben. Hinsichtlich
der Schwester J. hat der Sprachtester 1997 festgehalten, dass sie über hervorragende
muttersprachliche Deutschkenntnisse im typisch schwäbischen Dialekt verfüge, und in
Bezug auf W1. ist bei im Vergleich hierzu weniger guten, aber für ein einfaches
Gespräch ausreichenden Deutschkenntnissen im selben Jahr immerhin noch ein
leichter Dialekt festgestellt worden. Diese Ergebnisse und eine Betrachtung der
festgestellten Dialekt- und Sprachkenntnisse der übrigen Geschwister verdeutlichen
außerdem, dass die Vermittlung aktiver Deutschkenntnisse in der Herkunftsfamilie der
Klägerin stetig abgenommen hat. Bereits das drittälteste Kind, nämlich der gegenüber
der Klägerin immer noch um sieben Jahre ältere Bruder F1. , konnte während seines
1997 durchgeführten Sprachtests bei offenbar guten passiven deutschen
Sprachkenntnissen nur noch bruchstückhaft in deutscher Sprache antworten, hat hierbei
aber noch deutlich dialektgeprägte Wörter verwendet. Der gegenüber der Klägerin nur
um vier Jahre jüngere Bruder X2. hingegen hat bei seinem Sprachtest aus dem Jahre
1997 keine und bei einem weiteren Test 1999 so gut wie keine Deutschkenntnisse
zeigen können, und auch eine Dialektprägung ist nicht festgestellt worden. Insoweit
findet auch die Angabe der Klägerin aus der mündlichen Verhandlung vor dem
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Verwaltungsgericht Bestätigung, dass die drei jüngsten Kinder - der 1960 geborene F1. ,
sie selbst und der 1972 geborene X2. (X1. ) - im Elternhaus nur Russisch gesprochen
hätten.
Dass von einer nennenswerten familiären Vermittlung aktiver deutscher
Sprachkenntnisse bei der Klägerin nicht gesprochen werden kann, lässt sich
bestätigend schließlich auch aus den bereits aufgezeigten Unzulänglichkeiten ableiten,
die die Äußerungen der Klägerin in deutscher Sprache prägen. Hätte sie nämlich in
ihrer Prägephase (in nennenswertem Umfang) Deutsch gesprochen, so würde sie
weder - wie in den gerichtlichen Anhörungen geschehen - das Personalpronomen "sie"
in Bezug auf männliche Personen verwenden noch - wie insbesondere im
Sprachtestprotokoll festzustellen - Verben weithin nur im Infinitiv benutzen können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt
sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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