Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.08.2007

OVG NRW: politische verfolgung, auskunft, genfer konvention, bundesamt für migration, treu und glauben, wahrscheinlichkeit, amnesty international, persönliche freiheit, europäische union

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 A 994/05.A
Datum:
31.08.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 A 994/05.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 20 K 9903/02.A
Tenor:
Das angegriffene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Kläger sind nach eigenen Angaben türkische Staatsangehörige kurdischer Volks-
und yezidischer Religionszugehörigkeit.
2
Der am 01.09.1966 geborene Kläger zu 1. und seine Ehefrau, die am 01.09.1971
geborene Klägerin zu 2. stammen aus B. L. im Kreis W. . Die 1996, 1998 und 2000
geborenen Kläger zu 3. bis 5. sind ihre gemeinsamen Kinder.
3
Die Kläger reisten nach eigenen Angaben ohne Personalpapiere am 09. oder
10.09.2002 auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein.
4
Am 13.09.2002 beantragten die Kläger die Anerkennung als Asylberechtigte. Zur
Begründung trugen die Kläger zu 1. und 2. bei ihrer persönlichen Anhörung am
16.09.2002 vor, dass sie als Yeziden in der Türkei von der moslemischen Bevölkerung
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unterdrückt worden seien und ihre religiösen Bräuche nicht hätten ausüben können. Der
Kläger zu 1. gab des Weiteren an, dass er am 21.03. 2002 bei einer Feier des Newroz-
Festes für drei Tage festgenommen und dann durch Hilfe eines eingeschalteten
Rechtsanwaltes wieder frei gekommen sei. Ein weiteres Mal sei er am 15.08.2002
anlässlich der Feier des Jahrestages des PKK-Kampfes festgenommen und für sechs
Tage auf die Polizeiwache nach V. verbracht worden. Man habe ihn dort geschlagen,
gefoltert und aufgefordert, für die Sicherheitskräfte als Spitzel zu arbeiten. Er habe sich
dann schließlich bereit erklärt, innerhalb eines Monats Informationen zu liefern, damit er
frei gelassen würde. Anschließend seien ihm und auch seinen Familienangehörigen die
Personalausweise abgenommen worden.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (seinerzeit: Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) - im Folgenden: Bundesamt - lehnte die
Asylanträge mit Bescheid vom 12.11.2002 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG (heute: § 60 Abs. 1 AufenthG) und Abschiebungshindernisse
nach § 53 AuslG (heute: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) nicht vorliegen. Zugleich wurden
die Kläger unter Fristsetzung aufgefordert, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
zu verlassen, ihnen wurde die Abschiebung in die Türkei angedroht.
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Die Kläger haben rechtzeitig Klage erhoben und zur Begründung ihr bisheriges
Vorbringen unter Auseinandersetzung mit den Ausführungen in dem Bescheid des
Bundesamtes wiederholt und vertieft. Entgegen der Auffassung des Bundesamtes seien
bei der Anhörung der Kläger zu 1. und 2. keine unauflösbaren Widersprüche
aufgetreten, wobei zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin zu 2. Analphabetin sei.
Völlig unzutreffend sei die Auffassung des Bundesamtes, sie, die Kläger, hätten nicht
glaubhaft gemacht, dass sie aktiv der Religionsgruppe der Yeziden angehörten. Der
Kläger zu 1. sei bei seiner Anhörung davon ausgegangen, dass seine diesbezüglichen
Angaben für eine Glaubhaftmachung ausgereicht hätten; irgendwelche Nachfragen
seien unter Verletzung der Aufklärungspflicht der Beklagten nicht erfolgt.
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Die Kläger haben beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 12.11.2002 zu verpflichten, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach §
60 AufenthG vorliegen.
9
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
11
Mit dem angegriffenen Urteil vom 27. Januar 2005 hat das Verwaltungsgericht die
Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass hinsichtlich der Kläger die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Im Übrigen hat das
Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt, eine Anerkennung als Asylberechtigte scheitere daran, dass die Kläger eine
Einreise auf dem Luftweg nicht hätten beweisen können. Die Voraussetzungen des § 60
Abs. 1 AufenthG lägen vor, weil die Kläger als glaubensgebundene Yeziden in der
Türkei einer mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt seien.
12
Auf den Antrag der Beklagten hat das Gericht mit Beschluss vom 16. März 2007 die
Berufung zugelassen. Die Beklagte trägt unter Berufung auf die aktuelle
13
Rechtsprechung des Senats vor, Yeziden seien in der Türkei nicht mehr
gruppenverfolgt.
Die Beklagte beantragt,
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das angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
15
Die Kläger beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tragen vor, sie seien aus der Türkei vorverfolgt ausgereist, und sie seien im Falle der
Rückkehr dorthin vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher.
18
Die Erkenntnisse und Unterlagen, auf die die Beteiligten im Berufungsverfahren mit der
Ladungsverfügung vom 19. Juni 2007 sowie mit Schreiben vom 3. August 2007
hingewiesen worden sind, sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht
worden.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs verwiesen.
20
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21
Die vom Gericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten
ist begründet.
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Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
nach §§ 3, 5 Abs. 1, 31 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes i.d.F. des am 28. August
2007 in Kraft getretenen Gesetztes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union (BGBl. I, S. 1970, 1995 ff.) Ebenso wenig haben sie
Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG vorliegen.
23
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist an die Stelle der Feststellung der
Voraussetzungen des Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 1
AufenthG getreten. Sie ist zu gewähren, wenn der Ausländer in dem Staat, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist (§ 3
AsylVfG). Ob die Kläger den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt sind,
prüft der Senat hinsichtlich der Türkei, weil die Kläger türkische Staatsangehörige sind.
24
I. Die Kläger sind in der Türkei weder unter dem Gesichtspunkt einer
Individualverfolgung (Ia.) noch dem einer Gruppenverfolgung (Ib.) den Bedrohungen
nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt.
25
Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder
wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der Anwendungsbereich dieser
Vorschrift umfasst den des Art. 16a Abs. 1 GG,
26
zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, DVBl. 1992,
843; zur Deckungsgleichheit von Art. 16a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem
Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1993 - 9 C
50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 (503); Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ
1994, 497 (498 ff.),
27
und geht darüber hinaus, indem - nach Maßgabe des § 28 AsylVfG - auch selbst
geschaffene Nachfluchtgründe und gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung
durch nichtstaatliche Akteure, etwa in Bürgerkriegssituationen, in denen es an
staatlichen Strukturen fehlt, ein Abschiebungsverbot begründen. Ferner stellt § 60 Abs.
1 Satz 3 AufenthG klar, dass eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn Anknüpfungspunkt allein das
Geschlecht ist.
28
Vgl. Huber, Das Zuwanderungsgesetz, NVwZ 2005, 1 (6, 10).
29
Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der seit dem 28. August 2007 geltenden
Fassung sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Art. 4 Abs. 4
sowie die Art. 7 bis 10 der sog. Qualifikationsrichtlinie ergänzend anzuwenden.
30
Mit Blick darauf geht der Senat im Rahmen des streitigen
Abschiebungsschutzbegehrens - vorbehaltlich der oben dargestellten Besonderheiten -
von denjenigen Grundsätzen aus, die für die Auslegung des Art. 16a Abs. 1 GG gelten.
31
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (333
ff.); zur Deckungsgleichheit von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem
Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1993 - 9 C
50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 ff.; Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994,
497 ff, zur Vorgängervorschrift § 51 Abs. 1 AuslG.
32
Nach Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Eine Verfolgung ist
dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische
Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare
Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer
Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzen.
33
BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315
(333 ff.).
34
Die Rechtsverletzung, aus der der Asylbewerber seine Asylberechtigung herleitet, muss
ihm gezielt, d.h. gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale zugefügt worden
sein. Hieran fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen
Zustände in seinem Herkunftsstaat zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen,
Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner
Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen.
35
BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315
(335) m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (204 f.).
36
Die in diesem Sinne gezielt zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein,
die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt,
so dass der davon Betroffene gezwungen war, in begründeter Furcht vor einer
ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.
37
Das Grundrecht auf Asyl dient dem Schutz vor staatlicher politischer Verfolgung.
Verfolgungsmaßnahmen Dritter können deshalb nur dann einen Asylanspruch
begründen, wenn sie dem Staat zurechenbar sind (zu den Besonderheiten im Rahmen
des § 60 Abs. 1 AufenthG vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c) AufenthG). Eine asylrechtlich
relevante Verantwortlichkeit des Staates für Verfolgungsmaßnahmen Dritter ist
anzunehmen, wenn der Staat von Dritten begangene Rechtsverletzungen tatenlos
hinnimmt oder nur verbal missbilligt, ohne effektiv zum Schutz der Betroffenen
einzuschreiten, obwohl ihm die hierfür erforderlichen Machtmittel zur Verfügung stehen
(mittelbar staatliche Verfolgung).
38
BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341 (358);
Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, BVerfGE 76, 143 (169); BVerwG,
Urteil vom 22. April 1986 - 9 C 318.85 u.a. -, BVerwGE 74, 160 (162 f.); Urteil vom 15.
Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 (143); Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -,
BVerwGE 88, 367 (371); Urteil vom 19. Mai 1992- ) C 21.91 -; Beschluss vom 24. März
1995 - 9 B 747.94 -; Urteil vom 19. April 1994 - 9 C 462.93 -, NVwZ 1994, 1121.
39
Auch staatliche Maßnahmen, die der Rechtsordnung des Herkunftsstaates
widersprechen, sind dem Staat zurechenbar, sofern es sich nicht nur um vereinzelte
Exzesstaten von Amtswaltern handelt. Es bedarf allerdings verlässlicher Erkenntnisse,
die auf bloße Einzelexzesse hindeuten; anderenfalls bleibt das Handeln seiner
Sicherheitsorgane dem Staat zurechenbar.
40
BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 2003 - 2 BvR 134/01 -, DVBl 2003, 1260, im Anschluss
an BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315
(352).
41
Die Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG setzt voraus, dass dem Betroffenen in
eigener Person politische Verfolgung droht. Diese Gefahr eigener politischer Verfolgung
des Asylbewerbers kann sich auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben,
wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit
ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und
Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung).
42
BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 (231);
BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1989 - 9 C 33.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 105;
Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (202 f.).
43
Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist zunächst, dass die
festgestellten asylrechtsrelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in
Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende asylerhebliche Merkmal
treffen. Denkbar ist sowohl eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung
begründende Gruppenmerkmal - etwa die Volkszugehörigkeit - als auch eine
Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zu Grunde liegt. Dies kann etwa der Fall sein,
wenn sich die Verfolgung zwar eigentlich gegen eine tatsächlich oder vermeintlich
separatistische Überzeugung richtet, der Staat aber einer ethnisch definierten
44
Bevölkerungsgruppe pauschal eine Nähe zu separatistischen Aktivitäten oder gar
generell deren Unterstützung unterstellt. Ein solcher pauschaler Verdacht kann eine
"Separatismus-Verfolgung" je nach den Umständen des Falles als "ethnische"
Gruppenverfolgung erscheinen lassen.
BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 - 2 BvR 1638/93 -, InfAuslR 1994, 105 (108);
BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (205); Urteil vom 30.
April 1996 - 9 C 170.95 -, BVerwGE 101, 123 (125).
45
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt darüber hinaus eine bestimmte
Verfolgungsdichte voraus.
46
BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 (142 f.); Urteil vom 5.
Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (204 ff.); Urteil vom 30. April 1996 - 9 C
170.95 -, BVerwGE 101, 123 (125).
47
Für die Feststellung der erforderlichen Verfolgungsdichte ist die Gefahr einer so großen
Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich,
dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder
um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen
vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden
Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so
ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden
Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle
Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung,
die von Dritten ausgeht, und einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung sind
hinsichtlich der erforderlichen "Verfolgungsdichte" im Grundsatz gleich.
48
BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (203 f.); Urteil vom 19.
April 1994 - 9 C 462.93 -, Buchholz 402.25 AsylVfG § 1 Nr. 169; BVerfG, Beschluss vom
11. Mai 1993 - 2 BvR 2245/92 -, InfAuslR 1993, 304 (306).
49
Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung
rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe
der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung "zahlreicher" oder
"häufiger" Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich
für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist,
kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in
Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht
als Bedrohung der Gruppe darstellt.
50
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (206), Beschluss
vom 22. Mai 1996 - 9 B 136/96 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 186.
51
Dieser Maßstab für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung, der die Anzahl der
Verfolgungsschläge in Relation zur Größe der jeweils in Rede stehenden Gruppe
setzen, trägt unterschiedlichen Gruppenstärken Rechnung. Er gilt deshalb nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch für kleine und sehr kleine
Gruppen,
52
vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Mai 1996 - BVerwG 9 B 136.96 - und vom 23.
53
Dezember 2002 - 1 B 42/02 - .
Bei einer vergleichsweise kleinen Gruppe (z.B. noch etwa 1 300 syrisch- orthodoxen
Christen im Tur Abdin) kann die Feststellung, dass bestimmte Übergriffe "an der
Tagesordnung" seien, im Zusammenhang mit der Feststellung einer Vielzahl von
Drangsalierungen und Verbrechen in Form von Überfällen, Viehdiebstählen,
Erpressungen, Entführungen bis hin zu Raub und Mord auch ohne weitere
Quantifizierung der Verfolgungsschläge ausreichend sein, um die erforderliche Nähe
der Gefahr für jedes einzelne Gruppenmitglied zu bejahen,
54
vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 1996, a.a.O.
55
Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter besteht nur dann, wenn der
Asylsuchende geltend machen kann, dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung
- § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - bei einer Rückkehr in sein Heimatland von politischer
Verfolgung bedroht wäre, wenn ihm also zu diesem Zeitpunkt die Rückkehr in die
Heimat nicht zugemutet werden kann. Für die danach anzustellende Prognose gelten
unterschiedliche Maßstäbe je nach dem, ob der Asylsuchende seinen Heimatstaat auf
der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen
hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im
erstgenannten Fall ist Asyl schon dann zu gewähren, wenn der Asylsuchende bei einer
Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (sog.
herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Hat der Asylsuchende sein Heimatland
jedoch unverfolgt verlassen, so kann sein Asylanerkennungsbegehren nach Art. 16a
Abs. 1 GG nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen
Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
56
BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 (360);
Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (344 ff.); BVerwG,
Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391.
57
Die danach in jedem Falle anzustellenden Zukunftsprognose darf sich nicht darauf
beschränken, die Lage im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt wie in einer
Momentaufnahme festzuhalten und allein auf das abzustellen, was gegenwärtig
geschieht oder als unmittelbar bevorstehend erkennbar ist. Asylrechtlichen Schutzes
bedarf nicht nur, wem im maßgeblichen Zeitpunkt gegenwärtig oder unmittelbar
bevorstehend politische Verfolgung droht. Asylrechtlichen Schutzes bedarf vielmehr
auch, wer mit gegen ihn gerichteten asylerheblichen Maßnahmen in absehbarer Zeit
rechnen muss.
58
Vgl. BVerwG, Urteile vom 31. März 1981 - 9 C 237.80 -, 27. April 1982 - 9 C 308.81 -,
Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nrn. 27 und 37, 23. Juni 1989 - 9 C 51/88 -.
59
Die bloße Möglichkeit allerdings, dass sich die politischen Verhältnisse in weiterer
Zukunft verändern können und der Asylbewerber dann vielleicht verfolgt wird, vermag
einen Asylanspruch nicht zu begründen.
60
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1982, a.a.O.
61
Die vorgenannten Prognosemaßstäbe gelten auch für die Beurteilung, ob ein
Asylsuchender politisch Verfolgter im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG ist.
62
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391.
63
Dies vorausgesetzt geht der Senat davon aus, dass die Kläger als glaubensgebundene
Yeziden bei ihrer Ausreise im Jahre 2002 entsprechend der auf diese Zeit bezogenen
Rechtsprechung in der Türkei einer Gruppenverfolgung unterlagen. Deshalb ist der
herabgestufte Prognosemaßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit zu Grunde zu
legen. In Anwendung dieses Maßstabs und unter Auswertung des zur Verfügung
stehenden Erkenntnismaterials geht der Senat davon aus, dass die Kläger im Falle
einer Ausreise in die Türkei sowohl vor einer erneuten Individualverfolgung als auch vor
einer mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit als
Yeziden hinreichend sicher sind.
64
An die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung sind wegen der schon
einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen zu stellen. Es muss mehr als nur
überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Asylsuchende im Heimatstaat vor
Verfolgungsmaßnahmen sicher ist. Andererseits braucht die Gefahr des Eintritts
politischer Verfolgungsmaßnahmen nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu werden, so dass jeder auch nur geringe Zweifel
an der Sicherheit des Asylsuchenden vor politischer Verfolgung seinem Begehren zum
Erfolg verhelfen müsste. Lassen sich aber ernsthafte Bedenken nicht ausräumen, so
wirken sie sich nach diesen Maßstäben zugunsten des Asylbewerbers aus und führen
zu seiner Anerkennung.
65
Vgl. BVerwG, Urteile vom 31. März 1981 - 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr.
27 und vom 18. Februar 1997 - 9 C 9/96 - BVerwGE 104, 97 ff.
66
Diese im bestehenden Recht geltenden Grundsätze entsprechen im Ergebnis der
Regelung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie zur Bedeutung von Vorverfolgung,
die nach Maßgabe von § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG aktueller Fassung für die
Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, ergänzend
anzuwenden ist.
67
Vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 184.
68
Hiervon ausgehend ist im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen
Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eine
dementsprechende Verfolgungslage weder unter dem Aspekt der Individual- noch dem
der Gruppenverfolgung gegeben.
69
Ia. Eine Individualverfolgung droht den Klägern - dies ist allein in Betracht zu ziehen -
nicht in Anknüpfung an die vom Kläger zu 1. behaupteten Verhaftungen im Jahre 2002.
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Der Vortrag des Klägers zu 1. zu dem nach seiner Behauptung für die Ausreise
ursächlichen Vorfall ist in wesentlichen Punkten widersprüchlich und deshalb
unglaubhaft. Die widersprüchlichen Angaben beziehen sich schon auf den Zeitpunkt
und die Dauer der geltend gemachten Verhaftung. Im Rahmen der Anhörung vor dem
Bundesamt am 16. September 2002 hat der Kläger zu 1. erklärt, er sei am 16. August
2002 festgenommen worden und nach 6 Tagen Haft am 22. August 2002 freigelassen
worden, am nächsten Tag, dem 23. August 2002 habe er dann mit seiner Familie den
Heimatort verlassen und sei über Istanbul nach Deutschland geflohen. In der
71
mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er dagegen erklärt, er sei am 15. August
2002 festgenommen und für fünf Tage in Gewahrsam gehalten worden. Am Tag nach
seiner Freilassung sei er geflohen. Auf Frage hat er ergänzend ausgeführt, er könne
sich an das Datum der Festnahme so gut erinnern, weil man derartige Vorfälle nicht
vergesse, er sei ja damals gefoltert worden. Außerdem habe er die Daten in ein
Büchlein eingetragen, das er zuhause habe. Auf Vorhalt, er habe vor dem Bundesamt
von einer Inhaftierung für 6 Tage gesprochen, hat der Kläger zu 1. eine derartige
Aussage in Abrede gestellt. Als Grund für seine Verhaftung hat der Kläger vor dem
Bundesamt angegeben, er habe am 15. August 2002 mit anderen Kurden in W. auf
einem großen Platz den Jahrestag des Beginns des PKK-Krieges gegen die Türkei
gefeiert. Als Spezialeinheiten der türkischen Sicherheitskräfte erschienen seien, sei er
nach Hause geflohen, seine Freunde seien festgenommen worden. Am nächsten Tag
sei dann auch er festgenommen worden. Diese Kausalkette (Demonstration -
Verhaftung der Freunde - eigene Verhaftung) hat der Kläger vor dem Bundesamt auf die
Frage nach der (zweiten) Verhaftung sogleich angegeben. In der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat ist er auf die Demonstration am 15. August 2002 erst nach
mehrfachem Nachfragen zu sprechen gekommen. Selbst auf den Vorhalt, er habe vor
dem Bundesamt ein Geschehen geschildert, das der Festnahme am 15. August 2002
vorangegangen sei, hat er lediglich geantwortet, er wisse nicht, was gemeint sei.
Nachdem der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat schließlich
erklärt hatte, er habe am 15. August 2002 gefeiert und sei dann nach Hause gegangen,
deshalb sei er ja verhaftet worden, hat er hinzugefügt, er habe noch eine konkrete
Erinnerung an das damalige Fest. Diese Einlassungen sind unglaubhaft: Es ist nicht
nachvollziehbar, dass der Kläger zu 1. sich an ein derart einscheidendes Erlebnis wie
die Ursache für die ausreisekausale Verhaftung in der mündlichen Verhandlung erst auf
mehrfache Nachfrage erinnert hat. Dies gilt erst Recht, wenn er entsprechend seiner
Bekundung noch eine konkrete Erinnerung an das Fest haben will. Für die
Unglaubhaftigkeit des Vorbringens sprechen auch die Abweichungen hinsichtlich der
Verhaftungsdauer, zumal der Kläger diesen Widerspruch auch auf Vorhalt nicht
auszuräumen vermochte. Weitere Widersprüche sowohl in der Schilderung des Klägers
zu 1. als auch gegenüber den Angaben der Klägerin zu 2. betreffen das Erscheinen der
Polizisten am Morgen des 16. August 2002. Vor dem Bundesamt hat der Kläger
angegeben, die Polizisten seien morgens etwa um halb sechs erschienen, er habe sich
mit seiner Frau und den Kindern im Schlafzimmer aufgehalten. In der Anhörung vor dem
Senat hat er bekundet, die Familienangehörigen hätten geschlafen, als Ankunftszeit der
Polizisten aber gegen drei Uhr oder drei Uhr dreißig benannt. Auf Frage hat er diese
Zeitangabe dann dahin relativiert, er könne sich nicht genau festlegen. Dagegen hat die
Klägerin zu 2. vor dem Bundesamt erklärt, sie hätten sich im Wohnzimmer befunden, als
die Polizisten gekommen seien, sie habe gerade Tee kochen und das Essen
vorbereiten wollen. Ein weiterer gravierender Widerspruch betrifft die angebliche
Wegnahme der Pässe der Kläger zu 2. bis 5. Vor dem Bundesamt hat der Kläger sich
hierzu dahin eingelassen, nach seiner Freilassung hätten ihn Polizisten nach Hause
gefahren und dort auch die Ausweise seiner Frau und seiner Kinder weggenommen. In
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er demgegenüber angegeben, die
Polizisten seien nicht ausgestiegen und hätten auch mit seiner Familie nicht
gesprochen. Unglaubhaft ist der Vortrag des Klägers zu 1. auch insoweit, als er
angegeben hat, die Sicherheitsbehörden hätten ihn nach der vorgetäuschten
Bereitschaft, mit ihnen zu kooperieren, "als ihren eigenen Angehörigen angesehen" und
mit einem speziellen Fahrzeug nach Hause zurückgebracht. Es ist nicht
nachvollziehbar, dass die Sicherheitsbehörden den Kläger zu 1. unter derart auffälligen
Umständen transportiert haben, obwohl er sich - wenn auch zum Schein - zu einer
geheimen Zusammenarbeit verpflichtet haben will. Ebenso ist es nicht nachvollziehbar,
dass die Sicherheitsbehörden dem Kläger zu 1. auf der einen Seite den
Personalausweis abgenommen, ihm aber auf der anderen Seite eine Karte ausgestellt
haben sollen, mit der er sich überall frei bewegen konnte und die er auch bei der Flucht
benutzt haben will. Aufgrund einer Gesamtwürdigung der aufgetretenen Widersprüche
und Ungereimtheiten und des persönlichen Eindrucks vom Aussageverhalten der
Kläger zu 1. und 2. in der mündlichen Verhandlung ist der Senat zu der Überzeugung
gelangt, dass die Kläger zur Verbesserung ihrer Position im Asylverfahren eine
konstruierte, nicht der Wahrheit entsprechende Geschichte präsentiert haben. Der
Kläger zu 1. wirkte bei seiner Aussage eher unbeteiligt und emotionslos. Er schaute -
ohne Blickkontakt - auf einen imaginären, vor ihm befindlichen Punkt und erweckte den
Eindruck, als bedürfe er gesteigerter Konzentration, um ein erlerntes
Verfolgungsschicksal zu schildern. Ob die behauptet erste Festnahme der Wahrheit
entspricht, kann auf sich beruhen, weil nicht ersichtlich ist, dass daraus einer
individuelle Rückkehrgefährdung resultieren könnte. Der Kläger zu 1. ist aus der ersten
Haft nach eigenen Angaben nach Einschaltung eines Rechtsanwalts entlassen worden,
und es soll sich bis zu der zweiten - unglaubhaften - Verhaftung nichts besonderes
ereignet haben.
Ib. Zur Frage der Gruppenverfolgung von glaubensgebundenen Yeziden in der Türkei
hat der Senat in seiner Grundsatzentscheidung vom 14. Februar 2006 - 15 A 2119/02. A
-, ZAR 2006, 215 (Leitsatz) ausgeführt:
72
Das erkennende Gericht ist seit Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts
davon ausgegangen, dass ihren Glauben praktizierende Yeziden in ihren
angestammten Siedlungsgebieten im Südosten der Türkei wegen ihrer
Religionszugehörigkeit einer mittelbaren Gruppenverfolgung durch die muslimische
Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt waren.
73
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Januar 1993 - 25 A 10241/88 -,
74
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, Yeziden seien einer Vielzahl von
Übergriffen wie Mord, Vergewaltigung, Entführung, Raub, Viehdiebstahl sowie
Zerstörung des Eigentums ausgesetzt. Diese Verfolgungsschläge fielen nach ihrer
Intensität und Häufigkeit so dicht und eng gestreut, dass bei objektiver Betrachtung für
jedes Mitglied dieser Gruppe die Furcht begründet sei, selbst ein Opfer solcher
Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Die Übergriffe der Moslems seien dem türkischen
Staat zuzurechnen. Er nehme die asylrelevante Verfolgung der Yeziden hin und
versage den Yeziden den erforderlichen Schutz, obwohl er in der Lage sei, sein
legitimes Gewaltmonopol auch im Südosten der Türkei zu verwirklichen. An dieser
Bewertung hat das Gericht auch im Jahre 2003 noch festgehalten.
75
Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 6. Februar 2003 - 8 A 3059/01.A -
76
Nach erneuter Überprüfung besteht zum jetzigen Zeitpunkt keine beachtliche
Wahrscheinlichkeit, dass Yeziden einer asylerheblichen Gruppenverfolgung in der
Türkei ausgesetzt sind. Soweit die Angehörigen der Gruppe überhaupt von
Verfolgungsschlägen getroffen werden sollten, fallen diese jedenfalls nicht mehr so
dicht und eng gestreut, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet ist, in
eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden.
77
Nach den oben aufgeführten Grundsätzen gilt dieser Maßstab auch für kleine und sehr
kleine Gruppen und damit auch für die Gruppe der Yeziden in der Südosttürkei. Dabei
kann offen bleiben, ob die in Rede stehende Gruppe entsprechend der unter Beweis
gestellten Behauptung der Klägerin nur aus 363 Personen besteht,
78
vgl. Auskunft des Yezidischen Forums e.V. vom 30. Oktober 2005 an RA Walliczek: 363
Personen (Stand 15.01.2005),
79
oder ob von ca. 2000 Personen auszugehen ist.
80
vgl. AA, Bericht vom 11. November über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in
der Türkei - Stand: Anfang November 2005 -.
81
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob - wie die Klägerin meint - die Maßstäbe für
das Vorliegen einer Gruppenverfolgung bei extrem kleinen Gruppen, die nicht mehr als
Gruppe wahrgenommen werden, zu modifizieren sind. Denn es kann keine Rede davon
sein, dass eine Verfolgung der Yeziden in der Türkei deshalb nicht mehr stattfände, weil
es dort derzeit keine Gruppenmitglieder mehr gäbe. Vielmehr werden nach dem Vortrag
der Klägerin in den traditionellen Siedlungsgebieten 20 Dörfer von Yeziden bewohnt,
wobei in elf Dörfern immerhin jeweils mehr als zehn Yeziden leben. Kommt es deshalb
nicht entscheidungserheblich darauf an, ob lediglich noch 363 Yeziden in der Türkei
leben, war der darauf bezogene Beweisantrag der Klägerin abzulehnen. Es sei
allerdings angemerkt, dass die Richtigkeit der Angaben des Yezidischen Forums
hinsichtlich der Anzahl der Gruppenmitglieder zweifelhaft sind. Sie vermitteln zwar den
Eindruck einer präzisen Feststellung der exakten Personenzahl, benennen hierfür aber
keine Quellen. Hierzu hätte um so mehr Anlass bestanden, weil das Yezidische Forum
e.V. in einem Schreiben vom 8.8.2004 an Rechtsanwalt O. aus P. die Zahl der in der
Türkei lebenden Yeziden noch mit maximal 150 angegeben hat. Jedenfalls aber handelt
es sich bei den in der Türkei lebenden Yeziden - seien es 363, seien es ca. 2000 - um
eine vergleichsweise kleine Gruppe im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts.
82
Derzeit hat sich die Situation der Yeziden im Vergleich zu den Jahren zwischen 1980
und 2000 beruhigt.
83
Vgl. Auskunft des Yezidischen Forums e.V. vom 3. Februar 2006 an Rechtsanwalt X. .
84
Nach der aktuellen Erkenntnislage sind in den letzten Jahren allenfalls vereinzelte
religiös motivierte Verfolgungsmaßnahmen gegen in der Türkei verbliebene Yeziden
festzustellen.
85
Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes sind in den traditionellen
Siedlungsgebieten der Yeziden im Südosten der Türkei seit mehreren Jahren keine
religiös motivierten Übergriffe von Moslems gegen Yeziden bekannt geworden. (Vgl.
AA, Bericht vom 11. November über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Türkei - Stand: Anfang November 2005 -, S. 20 f.; AA, Bericht vom 3. Mai 2005 über die
asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei - Stand: Februar 2005 -, S. 16; AA,
Bericht vom 19. Mai 2004 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei -
Stand: April 2004 -, AA, Auskunft vom 20. Januar 2006 an OVG Sachsen - Anhalt ).
Diese Angaben stützen sich u.a. auf Befragungen einzelner Yeziden im Südosten der
Türkei: So hat ein am 27. Juli 2003 durchgeführter Besuch von Vertretern der Deutschen
86
Botschaft in Ankara in einem Dorf in der Provinz Batman bei einem Gespräch mit aus
Deutschland zurückgekehrten Yeziden ergeben, dass es dort seit der Rückkehr keine
Schwierigkeiten mit den in den Nachbardörfern lebenden Moslems gegeben hat.
Vgl. AA, Auskunft an VG Braunschweig vom 3. Februar 2004
87
Nach der vorgenannten Auskunft hat des Weiteren ein "maßgeblicher Yezidenführer" in
C. /Batman Vertretern der Deutschen Botschaft erklärt, in der Region um Batman gebe
es noch ca. 17 bis 18 Yezidendörfer, bei denen es sich sowohl um Dörfer mit reiner
Yezidenbevölkerung als auch um Dörfer mit gemischt muslimisch-yezidischer
Bevökerung handele. In den letzten Jahren habe sich das Verhältnis zwischen den
Religionsgruppen erheblich verbessert. In den Kreisen C. , Batman und Bismil - nach
der oben zitierten Auskunft des Yezidischen Forums e.V. vom 30. Oktober 2005 waren
am Stichtag 15.1.2005 immerhin knapp 30 % (102) aller Yeziden im Kreis C. wohnhaft -
habe es in jüngerer Zeit keine Übergriffe gegen Yeziden gegeben. Gleichlautend hat der
Dorfvorsteher des Yezidendorfs C. /Kreis W. /Provinz Sanliurfa - im Kreis W. waren nach
der genannten Auskunft ca. 50 % aller Yeziden wohnhaft - am 22.Juli 2003 gegenüber
Vertretern der Deutschen Botschaft angegeben, eine Vertreibung der in dieser Region
lebenden Yeziden bzw. Übergriffe seitens muslimischer Dorfbewohner habe es nicht
gegeben. Es gebe auch keine Schwierigkeiten mit muslimischen Nachbarn.
88
Vgl. AA, Auskunft an VG Braunschweig vom 3. Februar 2004
89
Es besteht kein Grund daran zu zweifeln, dass die in den vorgenannten Auskünften des
Auswärtigen Amtes erwähnten Erklärungen von in der Türkei lebenden Yeziden in der
zitierten Form abgegeben worden sind , zumal das Auswärtige Amt die Situation der
Yeziden in der Vergangenheit durchaus kritisch gesehen und eine asylerhebliche
Gruppenverfolgung der Yeziden angenommen hat. Ebensowenig besteht Anlass zu der
Annahme, die zitierten Erklärungen seien inhaltlich unzutreffend. Soweit in der zitierten
Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. Februar 2004 von einem "maßgeblichen
Yezidenführer" die Rede ist, handelt es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung,
sondern um eine Bewertung der Bedeutung der Person innerhalb der Gruppe der
Yeziden durch das Bundesamt. Deshalb war der in der mündlichen Verhandlung
gestellte Beweisantrag, mit dem die Funktion als "maßgeblicher Yezidenführer" in
Zweifel gezogen wird, abzulehnen, zumal der Senat unterstellt, dass es keine
"amtlichen" Sprecher oder Vertreter innerhalb der Yezidischen Religionsgemeinschaft
gibt. Bedenken gegen die inhaltliche Richtigkeit der Erklärungen des "maßgeblichen
Yezidenführers" werden hierdurch aber nicht begründet. Sie ergeben sich auch nicht
aus der Auskunft des Yezidischen Forums vom 3. Februar 2006 an Rechtsanwalt X. ,
wonach es in letzter Zeit mehrfach Übergriffe auf Yeziden gegeben haben soll. Von
diesen Übergriffen werden lediglich vier nach Ort, Zeit und den betroffenen Personen
näher konkretisiert. Im Übrigen wird pauschal - ohne irgendwelche weiteren
Einzelheiten - auf weitere Fälle vergleichbarer Art Bezug genommen, denen
nachgegangen werde. Drei der näher konkretisierten Übergriffe sollen sich 2004,
Anfang 2005 und im Oktober 2005 ereignet haben, also nach dem Zeitpunkt, zu dem die
vom Auswärtigen Amt zitierten Yeziden ihre Erklärungen abgegeben haben. Lediglich
der vierte Übergriff soll bereits vorher, nämlich 2002 stattgefunden haben. Er wird aber
in Zusammenhang mit der Stadt O1. gebracht, auf die sich die Erklärungen der vom
Auswärtigen Amt zitierten Yeziden nicht beziehen. Der Senat kann für das vorliegende
Verfahren unterstellen, dass die vier konkretisierten Vorfälle stattgefunden haben, denn
diese Vorfälle sind nicht entscheidungserheblich. Auch wenn sie asylrelevant sein
90
sollten, wofür bislang keine Anhaltspunkte bestehen, lägen jedenfalls keine so dicht und
eng gestreuten Verfolgungsschläge vor, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht
begründet wäre, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden. Hierbei ist zu
berücksichtigen, dass der gravierendste Vorfall, der Mord an den Angehörigen der
Sheikkaste Sheredin Sancar und seiner schwangeren Ehefrau, im März 2002 erfolgt
sein soll und damit fast vier Jahre zurückliegt. Für die Bewertung der derzeitigen
Gefährdungssituation der Gruppenangehörigen hat er deshalb nur relativ geringe
Bedeutung. Es bleiben damit im Wesentlichen drei Verfolgungsfälle aus den Jahren
2004 und 2005, wobei den Verfolgten in einem Fall schwere Verletzungen zugefügt
worden sein sollen, es in einem weiteren Fall zur gewaltsamen Wegnahme der halben
Ernte gekommen sein und es im letzten Fall bei massiven Drohungen geblieben sein
soll. Auch im Hinblick auf die - unterstellte - relativ geringe Anzahl von 363
Gruppenangehörigen ist damit die für die Annahme einer Gruppenverfolgung
vorausgesetzte Verfolgungsdichte - ungeachtet der Frage, inwieweit etwaige
Verfolgungsschläge dem türkischen Staat überhaupt zugerechnet werden können -
ersichtlich nicht gegeben. Der Senat konnte deshalb den in der mündlichen
Verhandlung in Anknüpfung an die Beweisankündigungen im Schriftsatz vom 3.
Februar 2006 gestellten Beweisantrag der Klägerin mit der Beweisbehauptung, es habe
in den letzten drei Jahren in der Südosttürkei mindestens neun schwerwiegende
asylrelevante Übergriffe seitens der Moslems auf Yeziden aus religiösen Gründen
gegeben, ablehnen, weil die vorstehend abgehandelten vier Fälle nicht
entscheidungserheblich sind und es sich in den weitergehenden fünf Fällen um einen
Ausforschungsbeweisantrag handelte. Hierbei hat der Senat zu Gunsten der Klägerin
unterstellt, dass die angesprochenen neun Fälle die vier abgehandelten Fälle
einschließen, die in der Anlage zum Schriftsatz vom 3. Februar 2006 (Auskunft des
Yezidischen Forums vom 3. Februar 2006 an RA X. ) konkretisiert worden sind. Wie
oben ausgeführt fehlt es hinsichtlich der weiteren fünf Fälle an jeglichen
konkretisierenden Angaben und damit an tatsächlichen Grundlagen für die unter Beweis
gestellten Tatsachenbehauptungen. Für deren Wahrheitsgehalt sprach damit nicht
wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Dies galt um so mehr, als auch nach der
Auskunft des Yezidischen Forums bislang lediglich Hinweise vorliegen sollen, denen
weiter nachgegangen werde. Es kam hinzu, dass auch die vier näher konkretisierten
Fälle, mit denen die weiteren Fälle vergleichbar sein sollen, keine Asylrelevanz
erkennen ließen. Von daher lag hinsichtlich der fünf weiteren Fälle ein unzulässiger
Ausforschungsbeweis vor. Dem steht nicht entgegen, dass das Gericht bis 2003 von
einer Gruppenverfolgung der Yeziden in der Südosttürkei ausgegangen ist. Allein dieser
Umstand führt nicht dazu, dass für den Wahrheitsgehalt der pauschal auf die letzten drei
Jahre bezogenen Behauptung (weiterer) fünf asylrelevanter Übergriffe bereits eine zur
Beweiserhebung verpflichtende Wahrscheinlichkeit bestünde.
Unterstellt der Senat die oben genannten vier Vorfälle als asylrelevant, so wird dadurch
die Aussagekraft der oben zitierten Auskünfte des Auswärtigen Amtes, wonach in den
letzten Jahren keine religiös motivierten Übergriffe von Moslems gegen Yeziden
bekannt geworden seien, nicht in dem Sinne relativiert, dass den Auskünften keine
Bedeutung mehr zukäme. Vielmehr hat es im Hinblick auf die dem Auswärtigen Amt
eröffneten Erkenntnismöglichkeiten nach wie vor Gewicht, wenn diesem
dementsprechende Übergriffe nicht bekannt geworden sind. Von den vorliegenden
Erkenntnissen ausgehend ist es auszuschließen, dass auch in jüngerer Zeit gleichwohl
asylerhebliche Verfolgungsschläge von einer eine Gruppenverfolgung begründenden
Verfolgungsdichte gegen Yeziden erfolgt sein könnten und lediglich nicht bekannt
geworden wären. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Beobachtungstätigkeit
91
der zahlreichen in der Türkei tätigen Menschenrechtsorganisationen, die inzwischen
ungehindert arbeiten können,
vgl. AA, Lagebericht vom 11. November 2205, S. 8 f.,
92
und denen ein dementsprechendes Verfolgungsgeschehen nicht verborgen geblieben
sein könnte, zumal auch die verschiedenen Organisationen der Yeziden im Ausland ein
erhebliches Interesse an der Veröffentlichung derartiger Vorfälle hätten. Es kommt
hinzu, dass es sich bei den in der Vergangenheit zu beobachtenden Übergriffen der
muslimischen Mehrheitsbevölkerung um öffentlich wahrnehmbare Gewaltakte gehandelt
hat und keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Verfolgung nunmehr im
Verborgenen, unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfinden könnte. Hiergegen spricht
auch, dass der türkische Staat erkennbar bemüht ist, die Voraussetzungen für eine
Aufnahme in die Europäische Union gerade auch in Bezug auf die Wahrung der
Menschenrechte zu erfüllen und in Verfolgung dieses Zieles bereits eine Vielzahl von
Verfassungs- und Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht hat. Soweit die Klägerin
zur Begründung ihrer Klage Bezug nimmt auf Passagen aus dem Fortschrittsbericht der
EU-Kommission vom 9. November 2005 sowie dem Bericht der Schweizerischen
Flüchtlingshilfe vom 18. Mai 2005 - Türkei - ist nicht ersichtlich, dass sich diese
unmittelbar auf Yeziden und diesen zugefügte oder drohende asylerhebliche Nachteile
beziehen.
93
Von einem Zusammenhang zwischen der Beruhigung der Situation in der Region im
Vergleich zu früheren Jahren und der internationalen Debatte um die EU- Mitgliedschaft
der Türkei geht auch das Yezidische Forum in seiner Auskunft vom 3. Februar 2006 an
Rechtsanwalt X. aus.
94
Im Rahmen dieses Bestrebens sind die türkischen Staatsorgane zunehmend bereit und
in der Lage, verfolgte Minderheiten und auch die Yeziden gegen Übergriffe Dritter zu
schützen. Dies wird belegt durch einen Rechtsstreit, der Ende 2001 vor dem
erstinstanzlichen Zivilgericht Batman anhängig war. Hierbei haben fünf Yeziden die
Rückgabe ihrer Häuser erstritten, die nach ihrem Wegzug von Moslems in Besitz
genommen worden waren.
95
Vgl. AA, Auskunft an VG Braunschweig vom 3. Februar 2004
96
Im Jahre 2004 hat die türkische Armee das von Dorfschützern besetzte yezidische Dorf
Magara im Landkreis Sirnak-Idil geräumt und den zurückgekehrten yezidischen
Eigentümern übergeben.
97
Vgl. Neubeginn in assyrischen Dörfern der Südosttürkei, NZZ 2004, S. 6 ff.; Die Yeziden
kehren heute in ihre Dörfer zurück, Özgür Politika, 15.10.2004; Endlich bekommen die
Yeziden ihr Dorf zurück !, Özgür Politika, 16.10.2004
98
In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass der Provinzgouverneur von
Batman nach einem Bericht von CNN Türk Yeziden besucht hat, die in das Dorf
Kumgecit zurückgekehrt sind. Hierbei hat er den Yeziden Hilfe zugesagt und dem
Landrat von C. hierzu Anweisungen erteilt.
99
Vgl. AA, Bericht an BAMF vom 26. Oktober 2005.
100
Dieses allgemeine Klima der deutlichen Entspannung der Situation der Yeziden in der
Türkei wird schließlich bestätigt dadurch, dass es in C. mittlerweile einen Yezidenverein
gibt unter dem Vorsitz eines früher in Deutschland lebenden Yeziden, der u.a. bei der
Beerdigung von im Ausland verstorbenen Yeziden Unterstützung leistet und auch
rückkehrwilligen Yeziden behilflich ist.
101
Vgl. AA, Bericht an BAMF vom 26. Oktober 2005.
102
Nach alledem ist nicht nur derzeit eine asylerhebliche Gruppenverfolgung der Yeziden
in der Türkei zu verneinen, sondern es ist auch in absehbarer Zeit nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit mit einer derartigen Gruppenverfolgung zu rechnen. Ob die Situation
sich ändern würde, wenn eine Vielzahl von yezidischen Asylbewerbern in relativ kurzer
Zeit in die Türkei zurückkehren sollte, braucht der Senat derzeit nicht zu entscheiden,
weil die Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG allein an der Sach- und Rechtslage
im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auszurichten ist. Die bloße Möglichkeit, dass
sich die politischen Verhältnisse in weiterer Zukunft verändern können und der
Asylbewerber dann vielleicht verfolgt wird, vermag einen Asylanspruch nicht zu
begründen.
103
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1982, a.a.O.; S.-H. OVG, Urteil vom 29. September
2005, a.a.O.
104
Insoweit ändern auch zu beobachtende Tendenzen einer zunehmenden Islamisierung
derzeit nichts an der getroffenen Verfolgungsprognose. Die vorgenannten tatsächlichen
Feststellungen sind ausreichend, um die Gefahr politischer Verfolgung der Klägerin
zuverlässig einschätzen zu können, so das eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht
erforderlich war.
105
Die Frage, ob einer bestimmten Gruppe von Menschen insbesondere wegen ihres
Volkstums, ihrer Rasse oder Religion politische Verfolgung droht, ist nicht nur eine
tatsächliche Feststellung, sondern zugleich auch das Ergebnis einer aufgrund
festgestellter Tatsachen erfolgten rechtlichen Würdigung. Die Bildung der dafür
notwendigen richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO setzt nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine ausreichende
Erforschung des Sachverhalts voraus. Was dabei die hier zur Rede stehende
Gefahrenprognose einer Gruppenverfolgung angeht, so verlangt ihre Erstellung wegen
der Vielzahl von Ungewissheiten über die asylrelevante Entwicklung in einem
ausländischen Staat eine sachgerechte, der jeweiligen Materie angemessene und
methodisch einwandfreie Erarbeitung ihrer tatsächlichen Grundlagen. Dazu gehört nach
übereinstimmender Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und
Bundesverwaltungsgericht, dass - soweit und solange es im Asylrecht keine speziellen
gesetzlichen Beweisregeln oder ein besonderes Beweisverfahren gibt - die
Tatsachengerichte bei der Feststellung vor allem von Wortlaut, Inhalt und praktischer
Handhabung ausländischer Strafvorschriften sowie bei der Feststellung sonstiger
genereller Tatsachen besondere Aufklärungspflichten haben, durch die sie gehalten
sind, alle möglichen und verfügbaren Erkenntnisquellen auszuschöpfen, um zu einer
verlässlichen Beurteilung der Frage einer möglichen Gruppenverfolgung zu kommen.
106
Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 1990 - 9 C 91.89 - , BVerwGE 85, 92, 93 f.
107
Hiervon ausgehend brauchte der Senat keine weiteren Erkenntnisquellen zur
108
Beurteilung der Verfolgungsgefahr von Yeziden auszuschöpfen, insbesondere kein
Sachverständigengutachten einzuholen. Denn der Senat konnte seine Prognose auf der
Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel ausreichend bilden. Diese zahlreichen
Erkenntnismittel aus unterschiedlichen Quellen liefern ein aussagekräftiges und
homogenes Bild der Situation der Yeziden in der Türkei; dass die vorliegenden
Erkenntnisse fehlerhaft wären, ist nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sind auch dann nicht gegeben, wenn in
der Türkei yezidische Gemeinden sowie die für die Murids zuständigen Sheiks bzw. Pirs
nicht oder nur eingeschränkt vorhandensein sollten. Zwar kann sich eine die Asyl- oder
Flüchtlingsanerkennung rechtfertigende Verfolgung nicht nur aus Eingriffen in Leib,
Leben oder persönliche Freiheit des Betroffenen ergeben, sondern auch aus Eingriffen
in andere Rechtsgüter wie die Religionsfreiheit, wenn sie nach ihrer Intensität und
Schwere die Menschenwürde verletzen. Dies ist der Fall, wenn die Eingriffe ein solches
Gewicht erhalten, dass sie in den elementaren Bereich eingreifen, den der Einzelne
unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde wie nach internationalem Standard als so
genanntes religiöses Existenzminimum zu seinem Leben- und Bestehen können als
sittliche Person benötigt.
109
Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 C 9/03 -, BVerwGE 120, 16 ff.
110
Eine asylerhebliche Verletzung des religiösen Existenzminimums droht der Klägerin im
Falle der Rückkehr in die Türkei nicht. Dabei verkennt der Senat nicht die Bedeutung,
die der religiösen Betreuung durch einen Sheikh und einen Pir für ein funktionierendes
Gemeindeleben der Yeziden zukommt. Nicht jede Beeinträchtigung eines
funktionierenden Gemeindelebens führt jedoch bereits zu einer Verletzung des
religiösen Existenzminimums. Zur Überzeugung des Senats schließt auch für
glaubensgebundene Yeziden das Fehlen ausreichender priesterlicher Betreuung und
das Leben ohne eine funktionierende Gemeinde die Religionsausübung in ihrem
Kernbereich nicht ohne weiteres aus. Besondere Umstände, aus denen sich im
vorliegenden Fall eine dementsprechende Rechtsverletzung ergeben könnte, sind nicht
ersichtlich. Unabhängig davon läge eine Verletzung des religiösen Existenzminimums
nur dann vor, wenn die Religionsausübung in ihrem unverzichtbaren Kern durch
staatliche oder dem Staat zurechenbare Eingriffe unmöglich gemacht würde.
111
Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 C 9/03 -, BVerwGE 120, 16 ff.
112
Unter diesem Gesichtspunkt ist der Heimatstaat also nicht zur Gewährleistung einer
bestimmten religiösen Infrastruktur verpflichtet. Die von der Klägerin geltend gemachten
religiösen Beeinträchtigungen beruhen nicht auf staatlichen oder dem Staat
zurechenbaren Eingriffen, sondern sind lediglich tatsächliche Folge der vergleichsweise
geringen Zahl von in der Türkei lebenden Yeziden.
113
Vgl. S.-H. OVG, Urteil vom 29. September 2005 - 1 LB 38/04 -.
114
Liegt damit eine mittelbare Gruppenverfolgung der Klägerin in den angestammten
Siedlungsgebieten der Yeziden in der Südosttürkei nicht vor, so kommt es auf das
Bestehen einer inländischen Fluchtalternative nicht an.
115
Aus den vorstehenden Ausführungen, an denen der Senat unter Berücksichtigung der
aktuellen Erkenntnislage festhält, ergibt sich nicht lediglich, dass eine
116
Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist, sondern auch, dass Yeziden vor einer Gruppenverfolgung in der
Türkei mit mehr als nur überwiegender Wahrscheinlichkeit hinreichend sicher sind. An
dieser Verfolgungssicherheit bestehen keine ernsthaften Zweifel.
Die jüngsten Lageberichte des Auswärtigen Amtes,
117
vgl. AA, Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 11.
Januar 2007 - Stand: Dezember 2006 - und vom 27. Juli 2006 - Stand: Juni 2006 - ,
118
bestätigen, dass nach Angaben von Vertretern der Yeziden in ihren Siedlungsgebieten
im Südosten der Türkei seit mehreren Jahren keine religiös motivierten Übergriffe von
Muslimen gegen Yeziden bekannt geworden seien. Allerdings - so dass Auswärtige Amt
- bestehen noch Probleme bei der Wiedereintragung von Eigentumsrechten an
Grundstücken. Diese Einschätzung wird von der Europäischen Kommission geteilt. Ihr
sind keine Fälle der Verletzung der Religionsfreiheit von Yeziden bekannt. Es gebe
jedoch Berichte über die Beschlagnahme des Besitzes von Yeziden in einigen
Regionen, insbesondere in Islamköy (Magara), durch Dorfschützer.
119
Antwort der Europäischen Kommission vom 9. Juni 2006 auf die schriftliche Anfrage von
Uca vom 20. April 2006
120
Auch des Yezidische Forum e.V.,
121
vgl. Stellungnahme vom 4. Juli 2006,
122
sieht Probleme bei der Durchsetzung von Eigentumsrechten als Kernpunkt von
Auseinandersetzungen zwischen Yeziden und Muslimen an.
123
Die Beruhigung der Situation der Yeziden im Vergleich zu den Jahren zwischen 1980
und 2000,
124
vgl. Auskunft des Yezidischen Forums e.V. vom 3. Februar 2006 an Rechtsanwalt X. ,
125
hat sich nach alledem bis heute fortgesetzt. Dies wird durch einen Bericht der Zeitschrift
Aksiyon vom April 2006 unterstrichen.
126
Vgl. zu dessen Inhalt AA an Nieders.OVG vom 26.1.2007.
127
Danach haben in der Zeit von 2001 bis 2006 siebentausend Yeziden in der Türkei
Immobilien erworben oder bereits vorhandene restauriert. In dem Bericht wird erwähnt,
dass sich Yeziden auf eine Rückkehr in die Türkei vorbereiten. Ein Yezide R.C, aus
dem Dorf Z. bei C. habe der Zeitung gegenüber angegeben, dass zusammen mit seiner
Familie insgesamt 15 Familien zurückgekehrt seien und dass sie alle sehr froh über die
Rückkehr seien. Der Ingenieur I.B., ein bekannter Yezide aus C. , habe erklärt, dass es
keine Probleme gebe und dass alle Einwohner einträchtig zusammen lebten. Der
Zeitschrift zufolge sei B.Ö. vor ca. 5 bis 6 Jahren aus Deutschland zurück gekehrt und
habe sich seinerzeit für ca. 2 Mio. DM in W. ein 3.000 Hektar großes Grundstück
gekauft, auf dem er ein großes Haus mit Schwimmbad gebaut habe. Nach dem
angegebenen Bericht des AA hat der Dorfvorsteher des Dorfes V1. in C. in seiner
Presseerklärung zur Eröffnung des Yeziden-Hauses im Juli 2004 erwähnt, das
128
insgesamt 25 yezidische Familien in die Dörfer Z. , P1. , V1. im Kreis C. /Provinz
Batman zurückgekehrt seien.
Die deutliche Entspannung der Situation ändert allerdings nichts daran, dass
Auseinandersetzungen zwischen Yeziden und Teilen der moslemischen Bevölkerung
stattfinden. Diese Auseinandersetzungen sind aber - abgesehen von der Frage schon
nach deren asylerheblicher Intensität - nur dann asylrelevant, wenn sie zum Einen an
ein asylerhebliches Merkmal anknüpfen und es zum Anderen an der Schutzfähigkeit
oder -willigkeit des türkischen Staates fehlt. Hinsichtlich der Übergriffe, die in den
Stellungnahmen des Yezidischen Forums e.V. vom 4. Juli 2006 und 20. März 2007 und
von Baris an das OVG Sachsen-Anhalt vom 17. April 2006 aufgeführt sind, fehlt es
nahezu durchgängig an Anhaltspunkten dafür, dass sie an asylerhebliche Merkmale
anknüpfen. Die Stellungnahmen des Yezidischen Forums e.V. vom 4. Juli 2006 und 20.
März 2007 listen 11 Fälle auf, in denen es in den Jahren zwischen 2002 und 2006 zu
Verfolgungsmaßnahmen gekommen sein soll. Vier dieser Fälle sind bereits im
Senatsurteil vom 16. Februar 2006 berücksichtigt und auf einen entsprechenden
Beweisantrag dort zu Gunsten der Klägerin als asylerheblich unterstellt worden (Mord
an Sheredin Sancar sowie drei Fälle aus 2004 und 2005, Nrn. 11 sowie 3, 6 und 9 der
Stellungnahme des Yezidischen Forums e.V. vom 4. Juli 2006). Nach näherer Prüfung
im Rahmen des vorliegenden Verfahrens lassen allerdings die Fälle 3, 6 und 9 keinen
asylrelevanten Hintergrund erkennen. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die
geschilderten Übergriffe durch Moslems waren keine asylerheblichen Merkmale,
insbesondere nicht die Religionszugehörigkeit der Betroffenen, sondern ein Streit um
die Herausgabe eines Grundstücks, den Wiederaufbau eines Dorfes bzw. um
Ansprüche auf den Ertrag eines Grundstücks. Die Fälle 10 und 11 betreffen mehr als 5
Jahre zurückliegende Geschehnisse aus März und Juli 2002, die schon wegen des
Zeitablaufs für die Bewertung der derzeitigen Gefährdungssituation der
Gruppenangehörigen nur relativ geringe Bedeutung haben. Es kommt hinzu, dass auch
bei Fall 10 keine Asylrelevanz erkennbar ist, weil die erwähnte Bedrohung anlässlich
der Registrierung von Grundbesitz erfolgt ist. Fragen des Landbesitzes waren
schließlich Anknüpfungspunkt auch für die Fälle 2 (Magara),
129
vgl. Antwort der Europäischen Kommission vom 9. Juni 2006 auf die schriftliche Anfrage
von Uca vom 20. April 2006,
130
und 5. Die Fälle 7 und 8 betreffen ebenfalls keine politisch motivierten
Verfolgungsmaßnahmen. Der erwähnte Überfall auf A. im Stadtzentrum von W. (Fall 8)
lässt keinen asylrelevanten Hintergrund erkennen. Er geht vielmehr auf
Mietstreitigkeiten im Zusammenhang mit einem Haus des A. zurück.
131
Vgl. Auskunft des Azad Baris an OVG Sachsen-Anhalt vom 17. April 2006 sowie AA,
Auskunft an OVG Niedersachsen vom 26. Januar 2007.
132
Angesichts dieser insoweit übereinstimmenden Auskünfte vermag die Stellungnahme
des Yezidischen Forums e.V. vom 20. März 2007, A. verfüge über kein Mietshaus, nicht
zu überzeugen. Der ebenfalls geschilderte Überfall auf B. (Fall 7) beruht nach den
eigenen Ausführungen des Dorfvorstehers von B. auf der Weigerung des B1. C1. , des
Neffen des Opfers, einer moslemischen Familie im Rahmen eines in Deutschland
betriebenen Asylverfahrens zu bescheinigen, dass sie Yeziden seien.
133
In diesem Sinne auch Auskunft des B1. C1. an OVG Sachsen-Anhalt vom 17. April
134
2006.
Der Überfall stellt sich damit als privater Racheakt, nicht aber als Ausdruck mittelbarer
politischer Verfolgung dar. Bei den Fällen 1 und 4 sind Akte politischer Verfolgung
ebenfalls nicht erkennbar, weil keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass diese -
unterstellten - Übergriffe an asylerhebliche Merkmale anknüpfen. Die für die Annahme
einer Gruppenverfolgung vorausgesetzte Verfolgungsdichte ist bei Unterstellung der
Asylerheblichkeit des Falles 11 jedenfalls auch gegenwärtig nicht gegeben, zumal auch
das Yezidische Forum nicht mehr lediglich von 363 Yeziden in der Türkei ausgeht,
sondern (Stand 30.3.2006) von 524.
135
Die Abweichung gegenüber der frühren Angabe soll auf einen Additionsfehler sowie auf
die versehentliche Nichtberücksichtigung des Dorfes B. beruhen: Stellungnahme des
Yezidischen Forums e.V. vom 4. Juli 2006
136
Soweit die von C1. geschilderten Übergriffe in den Provinzen V. , Batman, Mardin und
Diarbakir nicht bereits in den oben genannten Stellungnahmen des Yezidischen Forums
aufgeführt worden sind, gilt Folgendes:
137
Der deutsche Staatsangehörige T.Ö. hat nach Angaben von C1. über eine eintägige
Festnahme in W. im Sommer 2005 durch die türkischen Sicherheitsbehörden berichtet,
bei der er in Bezug auf seine Glaubenzugehörigkeit Misshandlungen und
Diskriminierungen ausgesetzt gewesen sei. Ferner habe man ihm die Auflage einer
Ausreise aus dem Gebiet auferlegt und ihn unter anderem gegen Bestechung
freigelassen. Der Senat geht zu Gunsten der Kläger davon aus, dass dieser Vorfall an
die Religionszugehörigkeit anknüpft und die Schwelle des Asylerheblichen übersteigt
und unterstellt ihn folglich als asylrelevant. Die Voraussetzungen einer
Gruppenverfolgung sind damit aber nicht gegeben. Bei den übrigen Vorfällen in der
Provinz V. ist nicht ersichtlich, dass sie an asylerhebliche Merkmale anknüpfen (zur
Zerstörung yezidischer Religionsstätten siehe unten). Soweit von der Entführung und
Zwangsislamisierung einer Yezidin in der Provinz Batman im Jahre 2005 berichtet wird,
wird der Vorwurf erhoben, die Behörden seien weiterhin untätig geblieben. Der
Schilderung ist aber nicht einmal zu entnehmen, dass die Behörden eingeschaltet
worden wären. Von daher ist nicht erkennbar, dass der türkische Staat zur
Schutzgewährung nicht in der Lage oder willens gewesen wäre. Eine Asylrelevanz der
von C1. als "spektakulärste(r) von allen Fällen" bezeichneten Vorgänge um das Dorf
Magara (Fall Nr. 2 der Stellungnahme des Yezidischen Forums e.V. vom 4. Juli 2006) ist
nicht erkennbar. Auch bei den weiteren von C1. geschilderten Übergriffen ist eine
Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale und eine Schutzunfähigkeit oder -unwilligkeit
des türkischen Staates in keiner Weise erkennbar. Es spricht insbesondere nichts für die
Annahme, die Religionszugehörigkeit der jeweiligen Opfer habe eine erhebliche Rolle
gespielt. Dem Gutachten von C1. liegt der Beweisbeschluss des
Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. Dezember 2005 zu
Grunde, nach dessen Nr. 4 Beweis erhoben werden sollte über die Frage, ob die
Yeziden in der Türkei wegen ihres Glaubens Übergriffen und/oder Diskriminierungen
seitens der moslemischen Bevölkerung ausgesetzt sind. Dem Gutachter war damit
bekannt, dass bei etwaigen Übergriffen die Frage der Anknüpfung an die Religion
besondere Bedeutung zukam. Dementsprechend hat der Gutachter in Einzelfällen
(Provinz V. - Übergriff auf T.Ö.; Provinz Batman - Zwangsislamisation; Zerstörung von
heiligen Stätten) religiöse Bezüge angesprochen. Dass es diese in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle nicht getan hat, lässt deshalb nur den Schluss zu, dass religiöse
138
Bezüge insoweit entweder nicht gegeben waren oder der Gutachter dazu jedenfalls
keine Angaben machen konnte.
Die deutliche Entspannung der Situation der Yeziden in der Türkei wird auch nicht in
Frage gestellt durch die im am 14. August 2007 im Irak verübte Anschlagserie im
kurdischen Nordirak, der eine Vielzahl von Yeziden zum Opfer gefallen sind. Die
etwaige Verfolgung und mangelnde Schutzgewährung einer bestimmten
Bevölkerungsgruppe in einem Staat rechtfertigen nicht die Vermutung eines
ebensolchen Verhaltens in einem anderen Staat.
139
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2006 - 1 B 128/05 -.
140
Dies gilt auch im vorliegenden Fall, zumal die jeweiligen Verhältnisse erhebliche
Unterschiede aufweisen. Im Bergland Sinjar, in dem die Anschläge verübte wurden, lebt
die weltweit größte yezidisch-kurdische Gemeinschaft mit bis zu 400.000 Angehörigen,
und im politisch destabilisierten Irak herrschen bürgerkriegsartige Verhältnisse.
141
Die in den Stellungnahmen des Yezidischen Forums e.V. vom 4. Juli 2006 und von C1.
vom 17. April 2006 erwähnten Zerstörungen yezidischer Heiligtümer sind - unabhängig
von der Frage staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit - schon nicht asylrelevant, weil
sie das religiöse Existenzminimum nicht verletzen. Geschützt ist insoweit nur der - auch
als "forum internum" bezeichnete - unverzichtbare und unentziehbare Kern der
Privatsphäre des glaubenden Menschen. Er umfasst die religiöse Überzeugung als
solche und die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher
Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter
sich wissen darf.
142
Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004, a.a.O.
143
Zu dem dergestalt geschützten Bereich gehört nicht die Existenz und Unversehrtheit von
Heiligtümern.
144
Nichts anderes gilt im Ergebnis unter Berücksichtigung des § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG
i.V.m. Art. 10 Abs. 1 lit. b der Qualifikationsrichtlinie.
145
Aus Anlass des vorliegenden Falles braucht der Senat den Umfang des Schutzes der
Religionsfreiheit i.S.v. Art. 10 Abs. 1 lit. b der Qualifikationsrichtlinie nicht abschließend
zu bestimmen. Geht man zu Gunsten der Klägerin davon aus, es sei über den auf der
nationalen Ebene der Bundesrepublik Deutschland gewährten Schutz des sog.
religiösen Existenzminimums hinausgehend auch die öffentliche Glaubensbetätigung
geschützt,
146
Vgl. Nds.OVG, Urt. vom 19. März 2007, a.a.O. m.w.N.,
147
so ist eine relevante Beeinträchtigung der so verstandenen Religionsfreiheit jedenfalls
nur bei schwerwiegenden Eingriffen gegeben (Art. 9 Abs. 1 lit. a der
Qualifikationsrichtlinie).
148
Vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 7. März 2007 - 3 Q 166/06 -; Nds. OVG, Urt. vom 19.
März 2007, a.a.O.
149
Die Gefahr derartiger Eingriffe ist auszuschließen, weil die religiösen Rituale der
Yeziden nicht vor den Augen von - aus deren Sicht - Ungläubigen praktiziert werden
dürfen. Yeziden üben ihre Religion daher nicht in einer öffentlichen, auch
Andersgläubigen zugänglichen Weise, insbesondere nicht in äußeren religiösen
Handlungen, sondern im Privatbereich aus. Dort werden z. B. auch das Morgen- und
Abendgebet abgehalten. Gotteshäuser gibt es ebenso wenig wie eigenständige
Gebetsräume in anderen Baulichkeiten. Das Yezidentum spielt sich also vorwiegend im
Bewusstseins- und Gefühlsbereich ab und ist deshalb sogar als Geheimorganisation
bezeichnet worden.
150
Vgl. Gutachten von amnesty international vom 16.8.2005; OVG des Saarlandes, Beschl.
v. 5.3.2007 - 3 A 12/07- .
151
Hiervon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass die Zerstörung der o.g. Heiligtümer einen
erheblichen Eingriff in die Religionsfreiheit der Klägerin darstellt, zumal sie weder zum
Hauptheiligtum der Yeziden noch zu den bedeutendsten kleineren Heiligtümern zählen.
152
Vgl. Düchting, Die Kinder des Engel Pfau - Religion und Geschichte der kurdischen
Yezidi -, S. 475 ff.
153
Auch im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte für eine im vorliegenden
Zusammenhang erhebliche Verletzung der Religionsfreiheit. Die von der Klägerin
geltend gemachte fehlende Sicherung des religiösen Existenzminimums einschließlich
der behaupteten Mängel hinsichtlich der Betreuung durch den zuständigen Sheikh und
Pir sowie des Gemeindelebens sind - wie der Senat bereits in seiner zitierten
Entscheidung vom 14. Februar 2006 ausgeführt hat - lediglich Folge der geringen Zahl
der in der Türkei verbliebenen Yeziden. Das religiöse Existenzminimum ist aber nicht
schon dann verletzt, wenn die religiösen Vorschriften deshalb nicht mehr eingehalten
werden können, weil die tatsächlichen Gegebenheiten hierfür nicht mehr bestehen.
154
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. November 1990 - 2 BvR 832/90 u.a. -.
155
Inwieweit diese Gegebenheiten auf eine für zurückliegende Zeiträume anzunehmende
Gruppenverfolgung zurückzuführen sind, ist hier unerheblich.
156
Auch unter Berücksichtigung der vorgenannten Stellungnahmen des Yezidischen
Forums sowie von C1. bestehen nach wie vor keine Zweifel daran, dass die in den
Auskünften des Auswärtigen Amtes erwähnten Erklärungen von in der Türkei lebenden
Yeziden in der zitierten Form abgegeben worden und in asylrelevanter Hinsicht
inhaltlich unzutreffend sind. Der als asylrelevant unterstellte Vorfall aus April 2006 in O1.
(Fall Nr. 1 der Aufstellung des Yezidischen Forums e.V.) ändert daran schon deshalb
nichts, weil sich die Erklärungen der vom Auswärtigen Amt zitierten Yeziden nicht auf
diese Stadt beziehen. Der schriftlichen Erklärung des Dorfvorstehers des Yezidendorfes
C. vom 17. April 2006,
157
vgl. Anhang zur Stellungnahme des Yezidischen Forums vom 4. Juli 2006,
158
ist ebenfalls nicht zu entnehmen, dass das Auswärtige Amt,
159
vgl. AA, Auskunft an VG Braunschweig vom 3. Februar 2004,
160
seine Äußerungen unzutreffend wiedergegeben hätte. Denn der Dorfvorsteher macht in
der genannten schriftlichen Erklärung nicht geltend, falsch zitiert worden zu sein,
sondern führt unabhängig von seinen damaligen Einlassungen aus, die yezidische
Bevölkerung sei als eine religiöse Minderheit jetzt wie zuvor von Angehörigen
moslemischer Stämme verschiedenen Verfolgungen ausgesetzt. Die von ihm in diesem
Zusammenhang angeführten Beispielsfälle betreffen aber gerade keine politisch
motivierten Verfolgungsmaßnahmen und geben deshalb keinen auch keinen Anlass zu
der Annahme, die vom Bundesamt wiedergegebenen Erklärungen seien in
asylrelevanter Weise inhaltlich unzutreffend.
161
Soweit sich die Kläger zur Stützung ihres Begehrens auf das Urteil des OVG Rheinland-
Pfalz vom 5. Juni 2007 - 10 A 11576/06 - berufen, ist darauf hinzuweisen, dass dieses
eine andere Konstellation, nämlich einen Widerruf nach § 73 AsylVfG betraf. Überdies
hat das OVG Rheinland-Pfalz maßgebliche Bedeutung dem - hier nicht gegebenen -
Umstand beigemessen, dass die Kläger bei Rückkehr in ihr Heimatdorf oder die
Kreisstadt ihrer Heimatregion dem Einfluss der Großgrundbesitzerfamilie C. ausgesetzt
seien, der nach Ansicht des OVG Rheinland Pfalz bereits bei der Vertreibung der Kläger
eine entscheidende Rolle zugekommen sein soll.
162
Anhaltspunkte dafür, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG
vorliegen - auf deren Feststellung bezieht sich das Begehren der Kläger bei
sinnorientierter Auslegung ebenfalls - werden von den Klägern nicht benannt und sind
auch nicht ersichtlich.
163
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG, der
Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
164
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
165
166