Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18.10.2004

OVG NRW: anspruch auf bewilligung, unterkunftskosten, vermieter, erlass, wohnwagen, getrenntleben, grundstück, augenschein, anzeichen, aufenthalt

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 B 839/04
Datum:
18.10.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 B 839/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 5 L 421/04
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Münster vom 30. März 2004 geändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom
26. März 2004 bis zum 31. Oktober 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt
einschließlich eines Drittels der Unterkunftskosten auf der Grundlage
eines regelsatzbemessenen Bedarfs von 236,80 Euro und ohne
Anrechnung eines auf ihren Ehemann Peter Schneider zurückgehenden
Überschussanteils zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens
beider Rechtszüge.
Gründe:
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Der Antrag der Antragstellerin,
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den angefochtenen Beschluss zu ändern und den Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr "ab dem Monat März 2004 80 % des
Regelsatzes für Alleinlebende ohne Anrechnung von Unterhaltsleistungen zu
gewähren",
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hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Insoweit ist überwiegend
wahrscheinlich, dass ein Hilfeanspruch besteht (Anordnungsanspruch) und dass es im
gegenwärtigen Zeitpunkt aus den in § 123 Abs. 1 VwGO aufgeführten besonderen
Gründen notwendig ist, dem Begehren der Antragstellerin sofort zu entsprechen
(Anordnungsgrund).
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Das Begehren der Antragstellerin kann nicht dahin ausgelegt werden, dass sie den von
ihr geltend gemachten Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in dem Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes insgesamt nur in der Höhe sichern will, die rechnerisch
80 v.H. des Regelsatzes eines Haushaltsvorstands (236,80 EUR) entspricht. Ihrem
Vorbringen ist vielmehr zu entnehmen, dass sie die Leistungseinschränkungen, die der
Antragsgegner erstmals durch Bescheid vom 17. Dezember 2003 gegenüber den bis
dahin erfolgten Bewilligungen mit Wirkung vom 1. Januar 2004 an vorgenommen hat
(Bewilligung nur noch des Regelsatzes für Haushaltsangehörige in Höhe von 237 EUR
und Anrechnung eines "Überschussanteil(s) von T. , Q. " in Höhe von 102,82 EUR)
möglichst vollständig beseitigt sehen will. Mit ihrem eingeschränkten Antrag trägt die
Antragstellerin lediglich der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung der
Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen Rechnung, die regelsatzmäßige
Leistungen bei einem erwachsenen Hilfesuchenden eben grundsätzlich nur in Höhe
von 80 v.H. des maßgeblichen Regelsatzes als sicherungsfähig ansieht. Dass die
Antragstellerin darüber hinaus Abstriche etwa an dem ihr vom Antragsgegner
bewilligten Unterkunftskostenanteil hinnehmen will, kann nicht angenommen werden.
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Auch die Rechtsprechung des Senats zum Anordnungsgrund bei Unterkunftskosten
kann nicht dazu führen, dass die im vorliegenden Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes durchsetzbare Leistung der Höhe nach auf 80 v.H. des Regelsatzes
eines Haushaltsvorstands begrenzt ist. Nach dieser Rechtsprechung setzt der Erlass
einer einstweiligen Anordnung auf laufende unterkunftsbezogene Sozialhilfeleistungen
im Rahmen des Anordnungsgrundes zwar einen Mietrückstand voraus, dessen weiteres
Anwachsen den Vermieter spätestens im nachfolgenden Monat zur Kündigung des
Mietverhältnisses berechtigen würde (vgl. jetzt § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 569
Abs. 3 BGB, früher § 554 BGB),
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. März 2000 - 16 B 308/00 -, FEVS 52, 24 = NJW
2000, 2523 = NWVBl. 2000, 392, und zuvor schon Beschluss vom 12. Dezember 1994 -
8 B 2650/94 - , NWVBl. 1995, 140,
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wofür vorliegend nichts dargetan ist. Einem Hilfesuchenden, der - wie ausweislich der
bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Kontoauszüge für Mai und Juni 2003 die
Antragstellerin - zu Beginn des Monats jeweils die Miete an seinen Vermieter überweist,
kann jedoch hinsichtlich der regelsatzmäßigen Leistungen für den Rest des Monats
nicht entgegengehalten werden, er hätte ja - solange der Mietrückstand die Höhe von
zwei Monatsmieten nicht erreicht - dem Vermieter die Unterkunftskosten schuldig
bleiben können.
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Vor dem Hintergrund der Tatsachenwürdigung im Beschluss des Verwaltungsgerichts
Münster vom 29. Mai 2000 - 5 L 504/00 - und im seinerzeitigen Widerspruchsbescheid
des Antragsgegners vom 2. Juni 2000, in denen jeweils ein Getrenntleben der
Ehegatten zugrunde gelegt worden war, geht der Senat bei der im vorliegenden
Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung auch gegenwärtig davon aus, dass die
Antragstellerin einen Anspruch auf Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§
11 Abs. 1, 12 Abs. 1 BSHG im streitigen Umfang glaubhaft gemacht hat, d.h. sich
Einkommen oder Vermögen ihres Ehemannes nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG nicht
zuzurechnen lassen braucht. Der Senat verkennt nicht, dass die damalige, ein
Getrenntleben der Ehegatten annehmende Würdigung schon wegen des eingetretenen
Zeitablaufs und möglicherweise auch angesichts anderer Umstände
überprüfungsbedürftig ist. Die verstrichene Zeit allein rechtfertigt es indes ebenso wenig
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wie die mit Mängeln behaftete bisherige Sachverhaltsaufklärung des Antragsgegners,
nunmehr von anderen tatsächlichen Verhältnissen auszugehen als im Jahre 2000.
Angreifbar und wenig überzeugend erscheint insbesondere die Durchführung bzw. die
Darstellung der Ortsbesichtigung vom 10. November 2003. Obwohl in den Gründen des
Beschlusses des Verwaltungsgerichts Münster vom 29. Mai 2000 dem Umstand nicht
unerhebliches Gewicht zugemessen worden ist, dass der Ehemann der Antragstellerin
auch einen auf dem Grundstück stehenden Wohnwagen mit Kühlschrank und
Kochgelegenheit genutzt haben könne, geht der Vermerk vom 10. November 2003 -
anders allerdings der Bescheid vom 7. Januar 2004, der jedoch seinerseits mit späteren
Feststellungen und auch den von der Antragstellerin vorgelegten Fotos in Widerspruch
steht - mit keinem Wort darauf ein, ob der Wohnwagen auch noch an diesem Tag auf
dem Grundstück stand und genutzt wurde.
Dass die Gartenlaube - wie in dem Vermerk behauptet - unisoliert und nicht mit Strom
ausgerüstet ist, wird durch die von der Antragstellerin zu den Akten gereichten Bilder in
Frage gestellt, die u.a. einen jeweils in Betrieb befindlichen Personal- Computer und
einen Fernsehapparat zeigen. Gegen fehlenden Strom spricht nicht zuletzt auch die
Feststellung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 29. Mai 2000, zur
Ausstattung der Gartenlaube gehörten ein Fernsehgerät und eine Kaffeemaschine.
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Die Räumlichkeiten der Antragstellerin selbst sind am 10. November 2003 offenbar gar
nicht in Augenschein genommen worden. In diesem Zusammenhang gewinnt
Bedeutung, dass bei dem späteren, wohl ebenfalls unangemeldeten Hausbesuch vom
3. März 2004 ausweislich des darüber gefertigten Vermerks "keine Anzeichen
vorhanden (waren), die auf einen dauerhaften Aufenthalt des Q. T. hindeuteten" und
etwa das Bett im Schlafzimmer nur mit Bettzeug für eine Person ausgestattet gewesen
ist.
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Insgesamt spricht Überwiegendes dafür, dass "nunmehr seit weiteren vier Jahren die
Wohnsituation sich nicht verändert hat", wie es denn auch in einem weiteren internen
Vermerk vom 25. November 2003 in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners
heißt.
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Die Beschwerde ist allerdings zurückzuweisen, soweit die Antragstellerin Hilfe zum
Lebensunterhalt auch für die Zeit vor Eingang ihres Antrags auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung am 26. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht, d.h. für den
gesamten Monat März 2004, begehrt. Das Anordnungsverfahren dient nach seinem
Sinn und Zweck der Abwendung gegenwärtig drohender wesentlicher Nachteile und
bietet Regelungsmöglichkeiten deshalb grundsätzlich nur für unaufschiebbare, nicht
bereits in der Vergangenheit liegende Notlagen. Dementsprechend ist nach der
ständigen Rechtsprechung der mit sozialhilferechtlichen Streitverfahren befassten
Senate des Oberverwaltungsgerichts das Bestehen streitiger Sozialhilfeansprüche, die
sich auf einen Zeitraum vor Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung beziehen, vom Gericht erst in einem Klageverfahren zu überprüfen. Gründe,
die ausnahmsweise eine einstweiligen Anordnung zur Sicherung von Ansprüchen für
einen vor Antragstellung bei Gericht liegenden Zeitraum notwendig erscheinen lassen,
hat die Antragstellerin weder dargetan noch glaubhaft gemacht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 und 188 Satz
2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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