Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.05.2009
OVG NRW: aufenthaltserlaubnis, duldung, abweisung, feiertag, zahl, bindungswirkung, volljährigkeit, auflage, abschaffung, asylverfahren
Oberverwaltungsgericht NRW, 18 E 347/09
Datum:
11.05.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 E 347/09
Schlagworte:
Duldungszeiten Anrechnung Niederlassungserlaubnis
Normen:
AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 102 Abs. 2
Leitsätze:
Duldungszeiten bis zum 1.1.2005 können gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG
i.V.m. § 102 Abs. 2 AufenthG angerechnet werden, wenn bereits am
1.1.2005 die Voraussetzungen für die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt gegeben waren und diese
bis zur Erteilung ununterbrochen vorgelegen haben. (Bestätigung von
OVG NRW, Beschluss vom 4.9.2008 - 18 E 428/08 -).
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; die Kosten des
Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe:
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Dabei muss der Frage nicht nachgegangen werden,
ob dem Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Beschwerde
gewährt werden kann. Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls den Antrag auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die beabsichtigte
Rechtsverfolgung bis zum Ende des erstinstanzlichen Verfahrens keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg bot, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO. Der Senat verweist hierzu auf
seinen den Beteiligten bekannten Beschluss vom 4. September 2008 - 18 E 428/08 - in
der gleichen Sache, mit dem die Beschwerde gegen die erstmalige Versagung von
Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zurückgewiesen worden war und
von dem abzurücken kein Anlass besteht.
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Angemerkt sei mit Blick auf das Beschwerdevorbringen ergänzend nur Folgendes:
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Das Vorbringen des Klägers, allein das Gegebensein schwieriger, nicht ausreichend
geklärter Rechtsfragen gebiete die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, greift nicht
durch, denn solche Rechtsfragen stellen sich vorliegend nicht. Die Auffassung des
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Klägers, die Anrechnung von Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 gemäß § 102
Abs. 2 AufenthG sei auch dann möglich, wenn die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis -
wie hier - erst im Jahre 2007 erfolgt ist und zudem zwischenzeitlich nach dem 1. Januar
2005 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechts- bzw. bestandskräftig abgelehnt
worden ist, wird auch weiterhin - zu Recht - nicht vertreten.
Vgl. ergänzend zu den im o.g. Beschluss benannten Stimmen VG
Darmstadt, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 7 E 1457/07 - sowie
Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblatt, § 26 Rn. 22 und Fränkel in HK-
AuslR, 2008, § 26 Rn. 26, die in Anwendung von § 85 AufenthG (lediglich)
Unterbrechungen von bis zu einem Jahr für die Anrechnung von
Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 als unschädlich ansehen.
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Wenn auch im Zusammenhang mit Ansprüchen nach § 26 Abs. 4 AufenthG in anderen
Fällen schwierige, grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfragen zu beantworten sein
mögen, so waren doch die sich im Falle des Klägers konkret stellenden Fragen bis zum
Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens ohne Weiteres so zu beantworten, dass ein
Klageerfolg ausgeschlossen war. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit
der Anrechnung von Zeiten nach § 85 AufenthG, auf die der Kläger selbst verweist.
Selbst wenn man diese Vorschrift anwenden wollte, könnten ihm Duldungszeiten vor
dem 1. Januar 2005 nicht angerechnet werden. Nach § 85 AufenthG können lediglich
Unterbrechungen bis zu einem Jahr außer Betracht bleiben. Nachdem dem Kläger erst
im Jahre 2007 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, ist die in seinem Fall zu
überwindende Unterbrechung jedoch deutlich größer als ein Jahr.
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Klarstellend weist der Senat mit Blick auf den Vorwurf der Beschwerde, er argumentiere
widersprüchlich, des Weiteren auf Folgendes hin: Für die Berücksichtigung von
Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 ist aus den im Beschluss vom 4.
September 2008 dargelegten Gründen ein Zusammenhang zwischen den
Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 und der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis
erforderlich, der gegeben ist, wenn bereits am 1. Januar 2005 die Voraussetzungen für
die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gegeben waren und
sie seitdem bis zur Erteilung weiterhin vorgelegen haben. Hingegen ist ein lückenloser
Übergang von Duldung zu Aufenthaltserlaubnis nicht zu verlangen. Zwar scheint hierfür
die Verwendung des Begriffs "seit" in § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu sprechen, mit dem
regelmäßig ein ununterbrochener Zeitraum gekennzeichnet wird. Dieser Begriff wird
indessen nur im Zusammenhang mit der Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis
gebraucht. Gegen die Übertragung dieses Erfordernisses auch auf die anrechenbaren
Zeiten spricht zunächst, dass ein lückenloser Übergang für die ebenfalls anrechenbare
Zeit von Asylverfahren gemäß § 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG soweit ersichtlich nicht
verlangt wird.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1997 - 1 C 15.96 -, Buchholz 402.240 § 35
Abs. 1 Satz 2 AuslG 1990 Nr. 2 und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
13. Oktober 1995 - 13 S 628/95 -, InfAuslR 1996, 205, zur im wesentlichen
gleichlautenden Bestimmung des § 35 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1990; ferner VG
Darmstadt, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 7 E 1457/07 -; Hailbronner,
a.a.O., § 26 Rn. 21; Fränkel in HK-AuslR, 2008, § 26 Rn. 26.
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Forderte man für die Anrechnung von Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 einen
nahtlosen Übergang von Duldung zu Aufenthaltserlaubnis,
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so VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Mai 2008 - 11 S 942/08 -,
AuAS 2008, 134,
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bliebe der Anwendungsbereich der Anrechnungsvorschrift im Hinblick auf Duldungen
zudem gering. Erfasst würden dann lediglich zwei Fallgestaltungen, von denen die erste
der Intention des Gesetzgebers nicht gerecht wird und die zweite nur theoretischer Art
ohne praktische Bedeutung ist:
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Es handelte sich erstens um Fälle, in denen die Betreffenden vor Inkrafttreten des
AufenthG bereits Aufenthaltstitel innehatten, die unter dem AufenthG als
Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen fortgalten, und denen nahtlos Zeiten
vorausgingen, in denen die Betreffenden geduldet waren. Damit würde allerdings der
Gesetzesintention nicht entsprochen. Rechnung getragen werden sollte nämlich dem
Umstand, dass vielfach vor Geltung des AufenthG Ausländern, die nunmehr im Hinblick
auf humanitäre Aufenthaltserlaubnisse anspruchsberechtigt sind, lediglich Duldungen
erteilt werden konnten (Gedanke der möglichst weitgehenden Abschaffung von
Kettenduldungen). Eine Benachteiligung dieser Personen sollte vermieden werden.
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Vgl. BT-Drs. 15/420, S. 100.
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In den Genuss der Anrechnung von Duldungszeiten kämen ferner Personen, die vor
Geltung des AufenthG nur geduldet waren, denen aber eine Duldung unmittelbar mit
dessen Inkrafttreten am 1. Januar 2005 erteilt wurde. Dies dürfte praktisch nicht
vorgekommen sein, weil es sich dabei um einen gesetzlichen Feiertag handelte. Selbst
wenn man aber eine Duldungserteilung am 2. Januar 2005 ausreichen ließe, bliebe die
Zahl der Anwendungsfälle äußerst gering.
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Das für den Kläger aus den Feststellungen des Senats folgende Ergebnis lässt sich
auch nicht mit dem Beschwerdevorbringen dazu in Zweifel ziehen, aus welchen
Gründen es zur Rechts- bzw. Bestandskraft der zwischenzeitlich ergangenen
Versagungsentscheidungen gekommen ist. Für die Feststellung, dass ein
Zusammenhang zwischen den Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 und der
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Falle des Klägers wegen der zwischenzeitlichen
rechts- bzw. bestandskräftigen Ablehnung der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an
ihn nicht besteht, ist dies grundsätzlich ohne Bedeutung. Mit der rechtskräftig
gewordenen Abweisung der bereits auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten
Klage des Klägers mit dem Aktenzeichen 24 K 8873/03 (VG Düsseldorf) durch
Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2005 steht zwischen den Beteiligten verbindlich fest,
dass der Kläger vom Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis seinerzeit nicht
verlangen konnte, § 121 VwGO.
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Vgl. zur Bindungswirkung bei Abweisung von Verpflichtungsklagen
Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 121 Rn. 21a.
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Mithin ist das - im Übrigen sachlich durchaus zweifelhafte - Vorbringen des Klägers
ohne Belang, jener Gerichtsbescheid sei nur deshalb rechtskräftig geworden, weil der
jetzige Prozessbevollmächtigte seinerzeit noch nicht mandatiert gewesen sei. Der
Vortrag, der Kläger habe die weitere Klage mit dem Aktenzeichen 24 K 2554/06 (VG
Düsseldorf) nur deshalb für erledigt erklärt, weil dies Voraussetzung für die Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsanordnung des Innenministeriums des
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Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2006 - 15-39.08.01.3 - gewesen sei, so
dass auf die Bestandskraft des entsprechenden Bescheides nicht abgestellt werden
dürfe, ist jedenfalls vor dem Hintergrund der geschilderten rechtskräftigen
Klageabweisung im Jahre 2005 unerheblich.
Der Umstand, der geeignet ist, nunmehr hinreichende Erfolgsaussichten der Klage zu
begründen, nämlich die Volljährigkeit des Klägers seit dem 5. April 2009,
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vgl. hierzu Senatsbeschluss gleichen Rubrums vom selben Tage - 18 A
462/09 -,
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ist erst nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahren eingetreten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4
ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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