Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 06.07.2009
OVG NRW: wiedereinsetzung in den vorigen stand, öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, duldung, interessenabwägung, genehmigung, herbst, ausbesserung, unmöglichkeit, lagerplatz
Oberverwaltungsgericht NRW, 10 B 617/09
Datum:
06.07.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 B 617/09
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 4 L 293/09
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Der Senat lässt offen, ob die Beschwerde trotz Versäumung der
Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO zulässig ist. Ob der
Antragstellerin gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren
ist, weil sie ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist gehindert war, bedarf
keiner abschließenden Klärung. Denn der Antrag bleibt jedenfalls in der Sache ohne
Erfolg.
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Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat
gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der
angefochtenen Entscheidung, mit der es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die
aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 23. Januar 2009 wiederherzustellen bzw.
anzuordnen.
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Die auf § 61 Abs. 1 BauO NRW gestützte Ordnungsverfügung des Antragsgegners ist
bei der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen
Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens
offensichtlich rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift haben die Bauaufsichtsbehörden unter
anderem bei der Errichtung und der Nutzung baulicher Anlagen darüber zu wachen,
dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. In Wahrnehmung dieser
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Aufgaben haben sie nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu
treffen. Diesen Anforderungen wird die angefochtene Ordnungsverfügung vom 23.
Januar 2009 gerecht. Der Antragsgegner hat das Verbot der Nutzung der gesamten
Hoffläche des Grundstücks B. , O. Straße 6, zu Lagerzwecken und deren Räumung zu
Recht selbständig tragend auf die formelle Illegalität dieser Nutzung gestützt. Dies hat
das Verwaltungsgericht zutreffend bestätigt.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Nutzungsuntersagung in aller Regel - und so
auch hier - ermessensfehlerfrei auf die formelle Illegalität der Nutzung zu stützen. Denn
allein sie begründet bereits ein erhebliches öffentliches Interesse an der sofortigen
Nutzungsuntersagung. Anderenfalls würde der Vorteil, nicht zugelassene Nutzungen bis
zum Eintritt der Bestandskraft einer sie untersagenden Ordnungsverfügung wegen der
aufschiebenden Wirkung der dagegen erhobenen Klage aufnehmen und fortführen zu
können, einen erheblichen Anreiz bieten, dies auch tatsächlich zu tun. Auf diese Weise
würde nicht nur die Ordnungsfunktion des Bauaufsichtsrechts entwertet. Auch der
gesetzestreue Bürger, der die Aufnahme einer genehmigungspflichtigen, aber bislang
nicht genehmigten baulichen Nutzung nur auf der Grundlage einer vollziehbaren
Baugenehmigung verwirklicht, würde gegenüber dem - bewusst oder unbewusst -
rechtswidrig Handelnden ungerechtfertigter Weise benachteiligt.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Januar 2006 - 10 B 2159/05 -; Beschluss vom 12.
Juli 2007 - 7 E 664/07 -, ZfBR 2007, 702, Beschluss vom 11. Februar 2008 - 10 B
1876/07 -; Beschluss vom 06. November 2008 - 10 B 1582/08 -.
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Gleiches gilt für eine Beseitigungsverfügung, wenn diese wie hier ohne nennenswerte
Substanzbeeinträchtigung möglich ist.
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OVG NRW, Beschluss vom 12.1.1998 - 10 B 3025/97 - BauR 1998, 537;
Boeddinghaus/Hahn/ Schulte, BauO für das Land NRW, Kommentar, Loseblatt, Stand:
Mai 2009, § 61 Rn. 176.
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Die Vorschriften der Bauordnung Nordrhein-Westfalen sind auf das Vorhaben
anwendbar. Denn die Antragstellerin hat ihren Betrieb erst im September 2000
aufgenommen. Die (behauptete) Vergleichbarkeit mit dem Vorgängerbetrieb ist ohne
Belang. Die Antragstellerin hat ihn weder übernommen noch fortgeführt, sondern
lediglich ein früheres Betriebsgrundstück gepachtet. Unabhängig davon belegt die von
ihr im Beschwerdeverfahren vorgelegte Zeitungsannonce, dass die Betriebe jedenfalls
nicht identisch sind. Bei dem Vorgängerbetrieb handelte es sich (auch) um ein
Abbruchunternehmen, während die Klägerin nach eigenen Angaben ausschließlich mit
Baustoffen handelt.
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Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die Nutzung der Hoffläche zu
Lagerzwecken ein genehmigungsbedürftiges Vorhaben und nicht nach § 65 Abs. 1 Nr.
26 BauO NRW genehmigungsfrei. Dies ist nach dem vorliegenden Kartenmaterial
schon deshalb der Fall, weil es sich um ein Vorhaben im Außenbereich handelt.
Unabhängig davon ist die Hoffläche mit ca. 1.700 m² deutlich größer als 300 m². Soweit
die Antragstellerin pauschal angibt, nur eine Teilfläche zu nutzen, ist dies hier
unerheblich. Wer sich auf die Genehmigungsfreiheit beruft, muss eine entsprechende
Fläche konkret bezeichnen. Anders wäre beispielsweise nicht feststellbar, ob das
Vorhaben mit Blick auf den Immissionsschutz den Anforderungen entspricht, die durch
öffentliche Vorschriften - auch an genehmigungsfreie - bauliche Anlagen gestellt
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werden. Gleiches gilt hier für Fragen des Grundwasserschutzes.
Vgl. dazu Bayerischer VGH, Beschluss vom 04. August 2004 - 15 CS 04.1648 -, BRS 67
Nr. 204; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, o.a.O. § 65 Rn. 154.
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Für das Vorliegen der damit erforderlichen Baugenehmigung ist die Antragstellerin
selbst darlegungs- und beweispflichtig. Gleiches gilt für eine behauptete Duldung.
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BVerwG, Beschl. Vom 19.2.1988 - 4 B 33.88 -; Urteil vom 23.2.1979 - 4 C 86.76 - , BRS
35 Nr. 206; OVG NRW, Beschluss vom 18.1.2001 - 10 B 1898/00 -, BRS 64 Nr. 161;
Urteil vom 17.1.2008 - 10 A 2795/05 -; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, o.a.O., § 75 Rn.
225.
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Eine Baugenehmigung für ein Lager auf der Hoffläche existiert jedoch offensichtlich
nicht. Die von der Antragstellerin zum Beleg einer Genehmigung oder zumindest
Duldung angeführte Genehmigung einer Einfriedung vom 30. April 1968 gibt hierfür
nichts her. Auch die Betriebsbeschreibung, die diesem Genehmigungsantrag beigefügt
war, lässt eine Nutzung der Hoffläche als Lagerstätte nicht einmal ansatzweise
erkennen.
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Unabhängig davon liegt eine aktive Duldung, also eine unmissverständliche Erklärung
der zuständigen Bauaufsichtsbehörde, ob, in welchem Umfang und gegebenenfalls
über welchen Zeitraum die Duldung der illegalen Zustände erfolgen soll, nicht vor. Die
schlichte - hier einmal zugunsten der Antragstellerin unterstellte - Hinnahme eines
formell illegalen Geschehens hindert die Bauaufsichtsbehörde nicht, eine als
rechtswidrig erkannte Praxis zu beenden und die Herstellung baurechtmäßiger
Zustände zu bewirken.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 1987 - 10 A 29/87 -, BRS 47 Nr. 193; Beschluss
vom 09. April 2009 - 7 B 378/09 -; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, o.a.O., § 61 Rn. 137
m.w.N.
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Eine - wie hier zu Recht - auf die formelle Illegalität gestützte Nutzungsuntersagung
stellte sich vor diesem Hintergrund nur dann als unverhältnismäßig dar, wenn der
erforderliche Bauantrag gestellt und auch nach Auffassung der
Baugenehmigungsbehörde genehmigungsfähig wäre sowie der Erteilung der
Baugenehmigung keine sonstigen Hindernisse entgegen stünden.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Juli 2007 - 7 E 664/07 -, ZfBR 2007, 702; Beschluss
vom 31. Juli 2007 - 10 B 852/07 -; Beschluss vom 06. November 2008 - 10 B 1582/08 -.
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Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin hat vielmehr ausdrücklich
mitgeteilt, aus Kostengründen einen entsprechenden Antrag nicht stellen zu wollen.
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Die Verfügung ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Antragstellerin für
sie keinen Anlass gegeben, sondern die untersagte Nutzung freiwillig aufgegeben
haben will. Zumindest am 22. Januar 2009 hat sie den Hof als Lager genutzt. Ihre
Behauptung, das Material sei nicht für den Betrieb vorgesehen gewesen, sondern habe
nur der Ausbesserung von Schäden auf der Hoffläche gedient, wertet der Senat
aufgrund der vom Antragsgegner bei seiner Ortsbesichtigung am 22. Januar 2009
gefertigten Lichtbilder - Blatt 129 ff. der Beiakte 2 - als widerlegte Schutzbehauptung.
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Angesichts der offensichtlichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung vom 23.
Januar 2009 bedurfte es keiner weitergehenden Interessenabwägung. Diese könnte
jedoch nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin nur zu ihren Lasten ausfallen.
Die von ihr in den Vordergrund gestellte Existenzvernichtung droht nicht. Denn die
Antragstellerin hat nach eigenen Angaben die Nutzung als Lagerstätte bereits im Herbst
2008 aufgegeben, den Betrieb aber fortgeführt. Wenn die Antragstellerin trotzdem
gerade die Unmöglichkeit der Betriebsfortführung als zwingende Folge der
Nutzungsuntersagung in der Interessenabwägung zu ihren Gunsten berücksichtigt
wissen will, widerspricht sie sich selbst und zeigt, dass sie nicht freiwillig auf die illegale
Nutzung als Lagerplatz verzichten will oder kann. Der Antragsgegner hat
demgegenüber in der angefochtenen Verfügung nachvollziehbar dargelegt, dass die
Lagerung unterschiedlicher Stoffe auf der nicht wasserdicht befestigten und in ihrer
Entwässerung ungeklärten Hoffläche Gefahren für Boden und Grundwasser hervorrufen
kann. Solche Gefahren, die auch einem genehmigungsfreien Vorhaben entgegen
gehalten werden können, sind bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht
hinzunehmen, zumal die Antragstellerin nicht beabsichtigt, diesen Zustand im Rahmen
eines Baugenehmigungsverfahrens überprüfen und gegebenenfalls legalisieren zu
lassen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf die §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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