Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.10.2005
OVG NRW: persönliches erscheinen, öffentliches interesse, hauptsache, beschränkung, asylverfahren, härte, behörde, stadt, auflage, ausländerrecht
Oberverwaltungsgericht NRW, 17 B 1516/05
Datum:
12.10.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 B 1516/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 12 L 1362/05
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.250,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den
Rechtsschutzantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
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Dem Erlass der vom Antragsteller erstrebten Regelung - Verpflichtung des
Antragsgegners durch einstweilige Anordnung, ihm zum Zwecke der Vereinbarung
eines Termins zur Eheschließung beim Standesamt I. für ein bis zwei Tage eine
Verlassenserlaubnis zu erteilen, - steht schon das Verbot einer Vorwegnahme der
Hauptsache entgegen. Die Hauptsache vorwegnehmende einstweiligen Anordnungen
kommen mit Blick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf effektiven
Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG, nur in Betracht, wenn ein Abwarten der Entscheidung
in der Hauptsache für den Rechtsschutzsuchenden nach Maßgabe der wesentlichen
Gesichtspunkte seines Einzelfalles schlechthin unzumutbar wäre. Diese
Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
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Allerdings ist die Anmeldung der Eheschließung aus der Sicht des seit Januar 2003
vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers dringlich. Der Antragsgegner will ihn nach
Aufgabe der seit 2004 gehegten Eheschließungsabsicht mit Frau L. abschieben, hält
daran auch nach Unterrichtung über die nunmehr beabsichtigte Eheschließung mit der
türkischen Staatsangehörigen T. B. aus I. fest und hat über das türkische
Generalkonsulat Kenntnis davon erhalten, dass der Antragsteller seit dem 3. August
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2005 über einen gültigen Reisepass verfügt, das bisherige tatsächliche
Abschiebungshindernis mithin weggefallen ist. Der Antragsteller befürchtet hiernach
begründet, dass er sein vordringliches Anliegen, die Ehe so bald wie möglich -
namentlich vor einer Abschiebung - schließen zu können, nicht realisieren kann, wenn
die Eheschließung erst nach einer Entscheidung über die nachgesuchte
Verlassenserlaubnis in einem Hauptsacheverfahren möglich ist. Denn der
Antragsgegner darf den Antragsteller abschieben, solange die Eheschließung nicht
unmittelbar bevorsteht; er darf lediglich nichts unternehmen, was auf eine Verhinderung
der Eheschließung in Deutschland gerichtet ist.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedarf es aber zur Abwendung irreparabler
Nachteile nicht einer die Hauptsache vorwegnehmenden vorläufigen gerichtlichen
Regelung, weil eine Eheschließung an seinem Wohnort L1. möglich ist, wo sich die
Frage nach einer Verlassenserlaubnis nicht stellt. Allein das nachvollziehbare Interesse
an einer großen Hochzeitsfeier in I. in Anwesenheit der dort ansässigen Verwandtschaft
seiner künftigen Ehefrau ist kein ausreichender Grund für eine die Hauptsache
vorwegnehmende gerichtliche Regelung. Im Beschwerdeverfahren ist deswegen nicht
entscheidungserheblich, ob der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer
Verlassenserlaubnis nach § 12 Abs. 5 Satz 2 AufenthG und auf Eheschließung
(wahlweise) am Wohnort seiner Verlobten hat.
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Unabhängig davon benötigt der Antragsteller zur Wahrnehmung von Terminen bei dem
Standesamt in I. ungeachtet der räumlichen Beschränkung seines Aufenthaltes auf das
Stadtgebiet L1. ( § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) keine Verlassenserlaubnis.
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Nach den Regelungen des § 12 Abs. 5 AufenthG, die kein Vorbild im Ausländergesetz
haben und die dem § 58 Abs. 1 und 3 AsylVfG nachgebildet sind, kann die
Ausländerbehörde dem Ausländer das Verlassen des Geltungsbereichs einer
räumlichen Beschränkung erlauben (Satz 1). Sie muss dies tun, wenn daran ein
dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die
Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte darstellen würde (Satz 2). Termine bei
Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, kann
der Ausländer ohne Erlaubnis wahrnehmen (Satz 3). Die zuletzt genannte Vorschrift, auf
die beide Parteien bisher nicht eingegangen sind, ist hier einschlägig.
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In der Kommentarliteratur zu § 58 Abs. 3 AsylVfG ist - soweit ersichtlich - unstreitig, dass
der Behördenbegriff umfassend zu verstehen, namentlich ein Bezug zum Asylverfahren
nicht erforderlich ist. Einigkeit besteht auch darüber, dass eine ausdrückliche
Anordnung des persönlichen Erscheinens durch eine Behörde oder ein Gericht nicht
notwendig, sondern das persönliche Erscheinen stets erforderlich ist, wenn es zur
Verfolgung der Interessen des Ausländers zweckmäßig ist,
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vgl. Remmel in:GK-AsylVfG § 58 RdNr. 10 und § 57 RdNr. 47, Renner, Ausländerrecht,
7. Auflage, § 58 AsylVfG. RdNr. 5 und § 57 AsylVfG RdNr, 10 -11.
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Hiervon gehen auch die Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesinnenministers
zum Aufenthaltsgesetz (Stand 21. Dezember 2004) - Nr. 12.5.3 - aus, die auf eine
objektive Betrachtung als Maßstab für die Notwendigkeit der Anwesenheit bei Behörden
und Gerichten hinweisen und den Behördenbegriff durch Einbeziehung auch von
Botschaften oder Konsulaten ausländischer Staaten weit fassen.
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Hiernach sind keine Gründe ersichtlich, derentwegen für die von den Standesämtern
regelmäßig geforderte persönliche Vorsprache zur Anmeldung bzw. im Vorfeld der
Eheschließung die seit dem 1. Januar 2005 bestehende Erlaubnisfreiheit nach § 12
Abs. 5 Satz 3 AufenthG - die entsprechende Anwendbarkeit von § 58 Abs. 3 AsylVG auf
nicht mehr im Asylverfahren stehende Ausländer war in der Rechtsprechung umstritten -
nicht gelten sollte.
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Überdies hatte der Standesbeamte in I. in der den Prozessbevollmächtigten des
Antragstellers ausgestellten Bescheinigung vom 22. August 2005 mit der Formulierung,
an dem (zunächst) reservierten Termin zur Anmeldung der Eheschließung am 24.
August 2005 "sollte.....eine von der Ausländerbehörde der Stadt L1. ausgestellte
Besuchserlaubnis für das Stadtgebiet I. " vorgelegt werden, das Mitbringen einer
Verlassenserlaubnis lediglich empfohlen, aber damit nicht zugleich zu erkennen
gegeben, dass er die Anmeldung ohne eine solche Erlaubnis nicht entgegennehmen
werde. Jedenfalls nach der mündlichen Versagung der Erlaubnis bei der persönlichen
Vorsprache des Antragstellers im Ausländeramt am 23. August und dem
anschließenden erfolglosen Telefongespräch zwischen seinem
Prozessbevollmächtigten und dem Sachbearbeiter beim Ausländeramt hätte sich dem
Prozessbevollmächtigten zur Vermeidung eines auf Vorwegnahme der Hauptsache
gerichteten einstweiligen Anordnungsverfahren eine Anfrage beim Standesamt
aufdrängen müssen. Dies ist offensichtlich nicht in Erwägung gezogen worden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§
47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
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