Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.11.2002

OVG NRW: öffentliche bekanntmachung, bach, bebauungsplan, landschaft, gewässer, offensichtlicher mangel, subjektives recht, grundstück, gemeinde, nichtigkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 10A D 69/00.NE
Datum:
20.11.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10a Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10A D 69/00.NE
Tenor:
Der Bebauungsplan Nr. 62 "Industriegebiet W. - Nördlich BAB 30" der
Gemeinde X. ist nichtig.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 62 "Industriegebiet W. -
Nördlich BAB 30" der Antragsgegnerin.
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Der Antragsteller ist Eigentümer des nördlich des Plangebiets gelegenen Grundstücks
Gemarkung X. , Flur 131, Flurstück 901, Am W. Bahnhof 34. Das Grundstück hat eine
Nord-Süd-Ausdehnung von gut 100 m und ist im nördlichen Bereich mit einem
Einfamilienhaus bebaut. Die südliche Grundstücksgrenze liegt etwa 160 m vom
Plangebiet entfernt. Der Abstand zwischen Plangebiet und dem Einfamilienhaus beträgt
gut 240 m. Das Grundstück grenzt im Süden an das Gewässer Nr. 3000, den von
Westen nach Osten fließenden I. bach an.
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Das Plangebiet wird im Süden begrenzt durch die Trasse der Autobahn A 30, im
Westen durch die U. Straße und im Osten durch das Anschlussgleis zum Industriegebiet
W. . Jenseits dieser Eisenbahntrasse ist von der östlich gelegenen Ringstraße aus
allein eine Straßenverkehrsfläche zur Erschließung des Plangebiets festgesetzt. Von
der Trasse der Autobahn aus betrachtet erstreckt sich das Plangebiet in nördlicher
Richtung in einer Tiefe zwischen etwa 230 m im Osten und 300 m im Westen. Im
Gebietsentwicklungsplan ist das Plangebiet als Gewerbe- und
Industrieansiedlungsbereich dargestellt. Das Plangebiet liegt ferner zum
überwiegenden Teil in einem im Jahre 1912 festgesetzten Überschwemmungsgebiet
des I. bach. Die zur Bebauung vorgesehenen Flächen sind ganz überwiegend als
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Industriegebiet mit zweigeschossiger Bebauung, einer GRZ von 0,8 und einer GFZ von
1,6 festgesetzt. Nach den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind im
Industriegebiet Betriebe der Abstandsklassen 1 bis 78 und solche mit ähnlichem
Immissionsgrad unzulässig. Im nordwestlichen Plangebiet ist ein Gewerbegebiet
ausgewiesen, in dem nach den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Betriebe
der Abstandsklassen 1 bis 153 und solche mit ähnlichem Immissionsgrad unzulässig
sind. Der Bebauungsplan enthält ferner textliche Festsetzungen zur Zulässigkeit von
Einzelhandelsbetrieben. Insoweit heißt es unter anderem:
"4. Innerhalb des Industriegebiets sind Einzelhandelsbetriebe unzulässig.
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Hiervon ausgenommen sind nachstehend aufgeführte Betriebe:
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-...
7
- Handel nicht innenstadtrelevanter Branchen (beispielsweise Hobbymärkte, Baumärkte,
Möbelmärkte, Gartencenter),
8
-...
9
- ..."
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Die zur Erschließung festgesetzte Straßenverkehrsfläche setzt östlich des Plangebiets
an der Ringstraße an und verläuft sodann am nördlichen Rand des Industriegebietes.
Etwa auf Höhe der Mitte des Plangebietes mündet die Erschließungsanlage in einen
Wendehammer. Am Nordrand und teilweise am Westrand des Plangebiets ist eine
zwischen 30 und 40 m tiefe öffentliche Grünfläche festgesetzt, in der der Lauf eines
Gewässers, der mittlerweile verlegte W. Mühlenbach, als Wasserfläche ausgewiesen
ist. Die planermöglichten Eingriffe in Natur und Landschaft hat der Plangeber nach dem
sog. Osnabrücker Modell bewertet. Zum Ausgleich dieser Eingriffe enthält zum einen
der Bebauungsplan Pflanzgebote. So ist für notwendige Stellplätze gemäß § 51 BauO
NRW je 5 Pkw- bzw. 3 Lkw-Stellplätze ein großkroniger Laubbaum auf dem
Betriebsgrundstück anzupflanzen. Ferner sind bei Inanspruchnahme der Grundstücke
für die im Bebauungsplan festgesetzte Nutzung mindestens 10 % der
Grundstücksflächen mit standortgerechten heimischen Laubgehölzen zu bepflanzen.
Das nach der Planbegründung verbleibende Ausgleichsdefizit von 75 % soll nach der
Planbegründung auf gemeindeeigenen Flächen außerhalb des Plangebiets beseitigt
werden. Zur Berechnung des Ausgleichsbedarfs sind lediglich die im Planbereich
vorhandenen Biotoptypen festgestellt und bewertet worden. Eine Ermittlung der Fauna
hat nicht stattgefunden. Bei dieser Betrachtung hat der Plangeber eine Fläche von
insgesamt ca. 4,8 ha aus der Eingriffs- und Ausgleichsbilanz ausgeblendet mit der
Begründung, ein Flächenanteil von ca. 3,7 ha für Gewässer einschließlich der Flächen
für die Unterhaltung und Entwicklung, für Grünflächen entlang der nördlichen
Plangebietsgrenze und für Flächen für die Wasserwirtschaft zum Zwecke der
Regenrückhaltung bzw. Regenklärung werde nicht in die Bilanz eingestellt, da hierfür in
den anhängigen wasserwirtschaftlichen Genehmigungsverfahren der Ausgleich in Natur
und Landschaft gesondert erbracht werde. Dies betreffe ebenso eine an der Autobahn
vorhandene - ca. 1,1 ha große - Waldfläche, die separat im Verhältnis 1 : 3 ersetzt
werde.
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Dem Planaufstellungsverfahren lag im Wesentlichen folgende Gewässersituation im
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Planbereich und dessen Umfeld zu Grunde: Nördlich des Plangebiets fließt von Westen
nach Osten der I. bach. Parallel zum I. bach wurde das Plangebiet von Westen nach
Osten vom - heute verlegten - Gewässer Nr. 3600, dem W. N. bach, durchflossen, der
nordöstlich des Plangebiets in den I. bach mündet. Ferner lag am Nordrand des
Plangebietes das Gewässer 3020, der heute verfüllte Markengraben, der nördlich des
Plangebiets in den I. bach mündete.
Das Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans nahm im Wesentlichen folgenden
Verlauf: Am 29. April 1997 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die Einleitung des
Verfahrens zur 24. Änderung des Flächennutzungsplans, der das Plangebiet bislang als
"Flächen für die Land- und Forstwirtschaft" darstellte, und zur Aufstellung des
angefochtenen Bebauungsplanes. Mit Anschreiben vom 14. Juli 1998 wurden die
Träger öffentlicher Belange frühzeitig zu einem Vorentwurf des Bebauungsplans
beteiligt. Das StUA Münster wies darauf hin, dass die vorgesehene Verlegung des W. N.
bach eines wasserrechtlichen Planfeststellungs- bzw. Plangenehmigungsverfahrens
bedürfe. Für den Gewässerabschnitt des I. bach habe das StUA Münster auf der
Grundlage aktueller Daten eine Neuberechnung der zukünftig festzusetzenden
Überschwemmungsgebietsgrenzen vorgenommen. Das Plangebiet liege außerhalb der
nach Überarbeitung der gesamten Gewässerstrecke zu erwartenden Neufestsetzung
des Überschwemmungsgebiets. Die Handwerkskammer Münster regte an, für die als
Gewerbegebiet festgesetzten Flächen den Einzelhandel mit zentrentypischen
Sortimenten auszuschließen. Die Landrätin des Kreises Steinfurt wies u.a. darauf hin,
dass für alle geplanten Vorhaben innerhalb des Überschwemmungsgebietes
entsprechende Genehmigungen nach § 113 des Landeswassergesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen (LWG NRW) erforderlich seien. Die Beschlüsse über die
Einleitung des Verfahrens zur 24. Änderung des Flächennutzungsplans und zur
Aufstellung des angefochtenen Bebauungsplanes wurden am 9. Oktober 1998
ortsüblich bekannt gemacht. Ferner wurde auf eine frühzeitige Bürgerbeteiligung im
Rahmen einer Bürgerversammlung am 21. Oktober 1998 hingewiesen.
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Am 15. Juni 1999 beschloss der Rat der Antragsgegnerin den Entwurf der 24. Änderung
des Flächennutzungsplans, den Vorentwurf des Bebauungsplans Nr. 62 und die
öffentliche Auslegung der vorgenannten Entwürfe in der Zeit vom 12. Juli 1999 bis zum
12. August 1999. Die Beschlüsse wurden am 2. Juli 1999 öffentlich bekannt gemacht. In
der Bekanntmachung hinsichtlich des Bebauungsplans Nr. 62 heißt es:
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"Der Bebauungsplan umfasst Flächen nördlich der Autobahn 30 und westlich der L 584
(U. Straße). Die Abgrenzung des Bebauungsplanbereiches ist in der nachfolgend
abgedruckten Planskizze umrandet dargestellt:"
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Mit Schreiben vom 7. Juli 1999 wurden die Träger öffentlicher Belange beteiligt. Mit
Schreiben vom 22. Juli 1999 beantragte der Bürgermeister der Antragsgegnerin bei der
Landrätin des Kreises Steinfurt die Erteilung einer Ausbaugenehmigung zur Verlegung
des W. N. bach. Dieser sollte nunmehr am West- und Nordrand des Plangebietes
teilweise bis etwa 30 m nördlich des Gewässers Nr. 3020 Markengraben geführt
werden. Das bisherige Gewässerbett des W. N. bach innerhalb des planfestgesetzten
Industriegebietes sollte verfüllt werden. Im Rahmen der Offenlegung des
Bebauungsplans machte u.a. der Antragsteller Anregungen und Bedenken geltend.
Nach Berichten der Osnabrücker Zeitung vom 18. und 20. August 1999 sowie der
Westfälischen Nachrichten vom 19. August 1999 führte eine Neuberechnung des StUA
zum Abflussverhalten des I. bach zu dem Ergebnis, dass etwa 30 % des Plangebiets im
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tatsächlichen Überschwemmungsgebiet lägen. Am 7. September 1999 entschied der
Rat der Antragsgegnerin über die eingegangenen Anregungen und Bedenken. Dabei
führte er u.a. aus, der Antragsgegnerin liege nur eine Berechnung vor, wonach der
Planbereich vom natürlichen Überschwemmungsgebiet nicht betroffen sei. Neuere
Berechnungen des StUA vom Juni 1999 lägen der Antragsgegnerin nicht vor. Diese
Neuberechnung berücksichtige u.a. ein um ca. 20 % geringeres Abflussverhalten des
Gewässers durch naturnahe Unterhaltung und natürliche Gehölzentwicklung und weise
angeblich eine Überschneidung des Überschwemmungsgebiets mit den gemeindlichen
Planungen aus. Die durchgeführten hydraulischen Berechnungen, die im Antrag auf
Umgestaltung und Verlegung der Gewässer im Plangebiet enthalten seien, wiesen
eindeutig aus, dass eine Überflutung des Plangebiets nicht gegeben sei. In derselben
Sitzung beschloss der Rat die 24. Änderung des Flächennutzungsplans, der im
Plangebiet nunmehr gewerbliche Bauflächen darstellt, sowie den Bebauungsplan als
Satzung. Die Änderung des Flächennutzungsplans wurde durch Verfügung der
Bezirksregierung Münster vom 5. November 1999 genehmigt. Am 12. November 1999
wurden die Satzungsbeschlüsse einschließlich der Genehmigung des
Flächennutzungsplans durch die Bezirksregierung Münster öffentlich bekannt gemacht.
Mit Bescheid vom 30. November 1999, geändert durch Nachtragsbescheid vom 18.
Februar 2000, erteilte der Landrat des Kreises Steinfurt die beantragte
Ausbaugenehmigung zur Umlegung des W. N. bach und Verfüllung des früheren
Gewässerbettes. In dem Änderungsantrag der Antragsgegnerin vom 22. Dezember
1999 heißt es u.a.: "Das geplante Industriegebiet befindet sich innerhalb eines
Überschwemmungsgebiets (HQ 100). Durch eine hochwassersichere Anlage des
Gebiets und künftige Flächenversiegelung reduziert sich der natürliche Retentionsraum.
Der Verlust an Retentionsraum ist durch Schaffung von Neuvolumen zu kompensieren
(hydraulischer Ausgleich)". Ferner enthalten die Anlagen zum Änderungsantrag eine
grafische Darstellung des Überschwemmungsgebiets, das danach etwa 30 % des
Plangebiets betrifft. Auf den Bauantrag vom 21. Dezember 1999 erteilte der Landrat des
Kreises Steinfurt der Firma M. Dienstleistungs GmbH & Co. KG mit Bescheid vom 17.
Februar 2000 die Baugenehmigung zum Neubau eines Zentrallagers mit
Verwaltungsgebäude, 233 Pkw- und 40 Lkw-Stellplätzen im planfestgesetzten
Gewerbegebiet sowie im westlichen Teil des planfestgesetzten Industriegebietes. Am
26. Juli 2000 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Münster (2 L 997/00)
die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die erteilte Baugenehmigung. Mit
Beschluss vom 26. September 2000 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Auf den Antrag des Antragstellers ließ
das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (10 B 1576/00) die
Beschwerde gegen den Beschluss zu. Im Ortstermin vom 26. Oktober 2000 erklärten die
Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt. Mit
Widerspruchsbescheid vom 28. September 2001 wies die Bezirksregierung Münster
den Widerspruch des Antragstellers gegen die Baugenehmigung zurück. Daraufhin
erhob der Antragsteller am 30. Oktober 2001 Klage beim Verwaltungsgericht Münster (2
K 2470/01). Zuvor, am 4. Mai 2000, hat der Antragsteller den vorliegenden
Normenkontrollantrag gestellt. Am 10. Mai 2000 hat er einen Antrag nach § 47 Abs. 6
VwGO gestellt (10a B 698/00.NE). Im Anschluss an einen Ortstermin vom 26. Oktober
2001 im Normenkontrolleilverfahren hat der Antragsteller den Antrag nach § 47 Abs. 6
VwGO zurückgenommen.
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Zur Begründung seines Antrages trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor: Der
Normenkontrollantrag sei zulässig. Er - der Antragsteller - sei gemäß § 47 Abs. 2 VwGO
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antragsbefugt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er in abwägungserheblichen
Belangen, nämlich in seinem Interesse, von unzumutbaren Immissionen verschont zu
bleiben, berührt werde. Denn die Entfernung zwischen seinem Grundstück und dem
planfestgesetzten Industriegebiet sowie der nördlich des Industriegebietes geführten
Erschließungsanlage betrage nur etwa 171 m. Im Übrigen habe er seinerzeit im Jahre
1993 sein nördlich gelegenes Grundstück im Vertrauen auf eine Erklärung der
Antragsgegnerin erworben, das heutige Plangebiet werde als Überschwemmungsgebiet
nicht bebaut werden. Der Normenkontrollantrag sei auch in der Sache begründet. Der
Bebauungsplan leide zunächst an formellen Fehlern. Die öffentliche Bekanntmachung
der Offenlegung vom 2. Juli 1999 verfehle die ihr zukommende Anstoßfunktion, weil das
Plangebiet fehlerhaft bezeichnet sei. Das Plangebiet liege nicht, wie es in dessen
Beschreibung heiße, westlich sondern östlich (Unterstreichungen durch den Senat) der
L 584. Dieser Mangel werde auch nicht dadurch beseitigt, dass die Angabe des von der
24. Änderung des Flächennutzungsplans betroffenen Gebiets in derselben
Bekanntmachung zutreffend erfolgt sei, denn es sei nicht zu erwarten, dass der Bürger
den entsprechenden Zusammenhang zwischen der Änderung des Bebauungsplans und
des Flächennutzungsplans herstelle. Ein weiterer formeller Fehler des Bebauungsplans
liege darin, dass dieser nicht ordnungsgemäß ausgelegt worden sei. Entsprechend dem
Hinweis in der öffentlichen Bekanntmachung solle die Einsichtnahme in den Plan u.a.
montags bis mittwochs in der Zeit von 14.00 Uhr bis 15.30 Uhr im Rathaus der
Antragsgegnerin möglich gewesen sein. Tatsächlich sei das Rathaus zu dieser Zeit
aber abgeschlossen gewesen. Zwar befinde sich am Rathaus eine Klingel mit der
Aufschrift: "Besuchszeiten montags bis mittwochs, freitags 8.00 Uhr bis 12.30 Uhr,
donnerstags 8.00 Uhr bis 12.30 Uhr, 14.00 Uhr bis 17.30 Uhr und nach Vereinbarung.
Bei vereinbarter Besuchszeit Türsprechanlage benutzen." Dies verdeutliche, dass das
Rathaus montags bis mittwochs von 14.00 Uhr bis 15.30 Uhr geschlossen sei. Auch auf
mehrfaches Klingeln sei die Rathaustür nicht geöffnet worden. Schließlich sei ein
weiterer Verfahrensfehler deshalb gegeben, weil ihm - dem Antragsteller - die
Aushändigung einer Kopie der Begründung des Bebauungsplans ausdrücklich durch
den zuständigen Sachbearbeiter "nach Rücksprache mit dem Bürgermeister" verweigert
worden sei. Dementsprechend habe er zu den einzelnen Ausgleichsflächen keine
detaillierte Stellungnahme abgeben können. Der Bebauungsplan leide aber auch an
materiellen Fehlern. Ein materieller Fehler resultiere zunächst daraus, dass das
Plangebiet nahezu vollständig innerhalb eines festgesetzten
Überschwemmungsgebiets liege. Bei dem festgesetzten Überschwemmungsgebiet
handele es sich auch um ein tatsächliches Überschwemmungsgebiet. Nach
Erkenntnissen des StUA Münster seien 30 % des Plangebietes noch als tatsächliches
Überschwemmungsgebiet einzustufen. Dies habe der Plangeber verkannt, so dass ein
Abwägungsfehler vorliege. Nach § 32 Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG)
seien Überschwemmungsgebiete in ihrer Funktion als natürliche Rückhalteflächen zu
erhalten. Eine andere Planung sei nur bei Vorliegen überwiegender Gründe des Wohls
der Allgemeinheit zulässig. Derartige Gründe habe die Antragsgegnerin in der
Bebauungsplanbegründung nicht dargelegt. Nach dem Bebauungsplan solle das
Wasser des W. N. bach offenbar in den Markengraben geleitet werden. Unklar bleibe,
ob der Markengraben die zulässige Wassermenge überhaupt aufnehmen könne oder ob
hierdurch die Überschwemmungsgefahr steige. Bereits jetzt trete der I. bach bei starken
Niederschlägen über relativ kurze Zeitspannen über die Ufer und überflute das Areal
zwischen seinem - des Antragstellers - Haus und der Bundesautobahn. Es sei zu
befürchten, dass diese Überschwemmungen durch die Verlegung des W. N. bach
zunähmen. Schließlich sei auch die geplante Versiegelung der Flächen des
Plangebietes zu berücksichtigen, die ebenfalls zu einer Erhöhung der
Überschwemmungsgefahr führe. Ferner habe der Plangeber die von den
planermöglichten Nutzungen hervorgerufenen Geräuschimmissionen unzutreffend
erfasst. Insbesondere sei die Lärmvorbelastung durch die nördlich des Plangebiets
verlaufende Eisenbahnstrecke und die südlich liegende Bundesautobahn
unberücksichtigt geblieben. Unklar sei auch, weshalb im Industriegebiet Betriebe der
Abstandsklassen 1 bis 78 unzulässig seien, während im Gewerbegebiet solche der
Abstandsklassen Nr. 1 bis 153 ausgeschlossen seien. Das Gewerbegebiet reiche nicht
wesentlich näher an die vorhandene Wohnbebauung heran als die übrigen
Planbereiche. Konsequenter wäre es gewesen, im gesamten nördlichen Bereich des
Plangebiets lediglich Betriebe ab Nr. 154 des Abstandserlasses zuzulassen.
Unzutreffend sei die Wohnbebauung des Ortsteils W. dem Außenbereich zugerechnet
worden. Richtigerweise handele es sich hierbei um einen unbeplanten Innenbereich im
Sinne von § 34 BauGB, der als allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO
anzusehen sei. Im Übrigen habe der Plangeber übersehen, dass die Abstandsliste nach
Nr. 2.2.2.7 des Abstandserlasses nur für Planungen im ebenen Gelände gelte. Das
Gelände nördlich von W. sei jedoch ansteigend. Die nördlich des
Bebauungsplanbereiches liegende Wohnbebauung befinde sich daher praktisch in
einer Tallage. Deshalb habe eine einzelfallbezogene Immissionsprognose durch einen
Sachverständigen erstellt werden müssen. Schließlich seien die Lärmimmissionen auf
Grund des Schwerlastverkehrs zum und innerhalb des Bebauungsplanbereiches
offensichtlich vernachlässigt worden. Aus der Begründung des Bebauungsplans gehe
nicht hervor, weshalb die Erschließungsstraße im nördlichen Bereich des Plangebiets
und nicht in dessen südlichem Bereich festgesetzt worden sei. Schließlich sei auch der
planbedingte Eingriff in den Naturhaushalt nicht richtig bewertet worden. Die negativen
Auswirkungen der von dem Industriegebiet ausgehenden Immissionen auf die nördlich
des Plangebiets liegenden Flächen seien völlig unberücksichtigt geblieben. Ebenso sei
übersehen worden, dass durch die vorgenommene Planung ein homogenes, ökologisch
wertvolles Gebiet zerstört werde. Dieser Eingriff könne nicht durch Ausweisung von
sieben einzelnen Ausgleichsflächen kompensiert werden.
Der Antragsteller beantragt,
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den Bebauungsplan Nr. 62 "Industriegebiet W. - nördlich BAB 30" für nichtig zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Antragsgegnerin tritt dem Vorbringen des Antragstellers entgegen und macht im
Wesentlichen geltend:
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Der Normenkontrollantrag sei bereits unzulässig, weil das Grundstück des
Antragstellers so weit vom Plangebiet entfernt liege, dass abwägungserhebliche
Belange nicht berührt sein könnten. Der Antrag sei aber auch unbegründet. Die vom
Antragsteller geltend gemachten formellen Mängel des Bebauungsplans seien nicht
gegeben. Insbesondere habe die öffentliche Bekanntmachung der Offenlegung des
Bebauungsplans vom 2. Juli 1999 die ihr zugedachte Anstoßfunktion erfüllt. Aus der zur
Beschreibung des Plangebiets mit bekannt gemachten Planskizze gehe deutlich hervor,
dass das Plangebiet östlich der L 584 liege. Abgesehen davon sei der Bereich der 24.
Änderung des Flächennutzungsplans in derselben Bekanntmachung auch sprachlich
zutreffend beschrieben worden. Der Antragsteller sei auch nicht gehindert gewesen, den
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Bebauungsplanentwurf zu den angekündigten Zeiten der Auslegung einzusehen. Zwar
sei das Rathaus montags bis mittwochs sowie freitags nachmittags für den allgemeinen
Publikumsverkehr geschlossen. Die an der Rathaustür angebrachte Klingel läute jedoch
in der Zentrale, die nachmittags durchgehend mit zwei Mitarbeiterinnen besetzt sei. Eine
dieser Mitarbeiterinnen sei stets anwesend. Die vorgelegten Monatsjournale dieser
Mitarbeiterinnen verdeutlichten die Anwesenheiten an den Nachmittagen in dem
fraglichen Zeitraum. Abgesehen davon habe der Antragsteller den Entwurf des
Bebauungsplans tatsächlich eingesehen und Einwendungen erhoben. Der
Bebauungsplan leide auch nicht an materiellen Mängeln. Die Standortentscheidung sei
im Bezirksplanungsrat gefallen. Diskutiert worden sei auch ein östlich gelegener
Standort unmittelbar an der BAB 30 Abfahrt Lotte. Dieser sei hinsichtlich zweier
Alternativen untersucht worden. Die eine hätte wegen eines rechtlich festgesetzten und
auch tatsächlich gegebenen Überschwemmungsgebiets, die andere wegen
Waldflächen nicht realisiert werden können. Der räumliche Zuschnitt des Plangebiets
beruhe darauf, dass man neben der Firma M. ursprünglich eine große Osnabrücker
Spedition als weitere Interessentin gehabt habe, die nach Satzungsbeschluss
abgesprungen sei. Für die Planung sprächen die Belange der Wirtschaft einschließlich
des Zieles der Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, § 1 Abs. 5 Satz
2 Nr. 8 BauGB. Der Planbereich stelle einen bevorzugten Standort für Unternehmen dar,
die auf gute Verkehrsanbindungen angewiesen seien, wie z.B. Logistikunternehmen.
Das im Bau befindliche Logistikzentrum der Firma M. mit einem Bauvolumen von 45
Mio. DM solle derzeit rund 60 M. Filialen, später ca. 120 Filialen beliefern. Mit dem Bau
entstünden 150 neue Arbeitsplätze, bei einer Ausdehnung der Belieferung auf 120
Filialen sogar bis zu 250 Arbeitsplätze. Die auf das Jahr 1912 zurückgehende
Festsetzung des Überschwemmungsgebiets entspreche nicht mehr den tatsächlichen
Gegebenheiten. Damals seien die Gewässer innerhalb des betroffenen
Einzugsgebietes des W. N. bach und des I. bach unausgebaut gewesen und seien in
anderen Trassen verlaufen. Nach den Festsetzungen des Bebauungsplans solle der W.
N. bach verlegt werden und in seiner neuen Trasse ein großzügiges Profil erhalten,
welches auch große Wassermengen aufnehmen könne. Überschwemmungen seien
also praktisch ausgeschlossen, zumal der W. N. bach heute so gut wie kein eigenes
Einzugsgebiet mehr habe. Der I. bach führe unmittelbar am Grundstück des
Antragstellers vorbei. Er werde nicht verändert. Die versiegelten Flächen des
Plangebiets entwässerten auch nicht direkt in den I. bach. Das Oberflächenwasser
werde vielmehr einem Regenrückhaltebecken zugeführt, das ausreichend bemessen
sei. Bei der Aufstellung des Bebauungsplans sei keineswegs verkannt worden, dass ein
Teil des neuen Industriegebietes innerhalb des sog. natürlichen
Überschwemmungsgebiets des I. bach liege. In den Abwägungsbeschlüssen sei
lediglich festgestellt worden, dass das neue Industriegebiet erst nach Umgestaltung und
Verlegung der Gewässer im Plangebiet von dem tatsächlichen
Überschwemmungsgebiet nicht mehr betroffen sei. Unzumutbare Immissionen für das
Hausgrundstück des Antragstellers gingen von der planermöglichten Nutzung im
Hinblick auf die gegebenen Entfernungen und die Beschränkungen der zulässigen
Nutzungen nach dem Abstandserlass nicht aus. Zulässig seien danach nur solche
Betriebe, die einen Abstand von 300 m und weniger zur Wohnbebauung haben dürften.
Dieser Abstand sei hier eingehalten. Der Ausschluss von Betrieben der Nr. 1 bis 153
des Abstandserlasses im Gewerbegebiet erkläre sich daraus, dass die vorhandene
Bebauung an der U. Straße bis etwa 200 m an das Baugebiet heranreiche. Die
Erschließungsstraße sei an den nördlichen Rand des Baugebiets gelegt worden, weil
eine Verlegung in den Schutzstreifen der südlich vorbeiführenden Autobahn nicht
möglich gewesen sei und man das Gebiet nicht habe durchschneiden wollen. Der
Plangeber sei auch nicht etwa davon ausgegangen, dass die Wohnbebauung im
Ortsteil W. dem Außenbereich zuzurechnen sei. Vielmehr habe er angenommen, dass
es sich um ein Baugebiet mit dem Charakter eines Mischgebietes handele. Dieses
Gebiet befinde sich auch nicht etwa in einer Tallage. Vielmehr liege es mit dem
Plangebiet praktisch auf einer Höhe. Der planermöglichte Eingriff in Natur und
Landschaft sei angemessen ausgeglichen worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Inhalt des Bebauungsplans Nr. 62
"Industriegebiet W. - nördlich BAB 30", die Planaufstellungsvorgänge betreffend diesen
Bebauungsplan sowie die weiteren zu diesem Verfahren beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Ferner wird verwiesen auf die beigezogenen
Akten der Gerichtsverfahren 10a B 698/00.NE, 2 L 997/00 (VG Münster) und 2 K
2470/01 (VG Münster) sowie die diesen zugehörigen Verwaltungsvorgänge.
25
Entscheidungsgründe:
26
Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
27
Der Normenkontrollantrag ist zulässig, insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt.
28
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann der Normenkontrollantrag u.a. jede natürliche
Person stellen, die geltend macht, durch den Bebauungsplan oder dessen Anwendung
in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. An die
Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach dieser Vorschrift können keine höheren
Anforderungen gestellt werden als an die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Es ist
daher ausreichend, wenn der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt,
die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung
gestellten Bebauungsplan in einem subjektiven Recht verletzt wird.
29
Vgl. BVerwG, Urteile vom 10. März 1998 - 4 CN 6.97 -, BRS 60 Nr. 44, vom 24.
September 1998 - 4 CN 2.98 -, BRS 60 Nr. 46, vom 17. Dezember 1998 - 1 CN 1.98 -,
BVerwGE 108, 182, 184 und vom 17. Mai 2000 - 6 CN 3.99 -.
30
Als solches Recht kommt das Recht auf Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 6
BauGB in Betracht.
31
Das Gebot der Abwägung gibt dem Privaten ein subjektives Recht darauf, dass seine
Belange in der Abwägung ihrem Gewicht entsprechend abgearbeitet werden.
32
Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1998, a.a.O.
33
Die Festsetzungen eines Gewerbegebiets sowie eines Industriegebiets und der
Erschließungsanlage in einer bisher unbebauten Landschaft südlich des Grundstücks
des Antragstellers ermöglichen Immissionen, von denen auch der Antragsteller noch
betroffen sein kann. In der Abwägung hatte der Rat der Antragsgegnerin das private
Interesse des Antragstellers zu berücksichtigen, von solchen Immissionen verschont zu
bleiben. Ferner ermöglicht der angegriffene Bebauungsplan Baumaßnahmen in einem
Gebiet, das nach der Ansicht des Antragstellers und auch nach der im Änderungsantrag
der Antragsgegnerin vom 22. Dezember 1999 im wasserrechtlichen Verfahren zum
Ausdruck gekommenen Auffassung der Antragsgegnerin ein tatsächliches
34
Überschwemmungsgebiet ist. Dieses Überschwemmungsgebiet erfasst auch das
Grundstück des Antragstellers. Nach den Gegebenheiten dieses Falles hat der
Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorgetragen, die es zumindest als
möglich erscheinen lassen, dass seine privaten Belange auch insoweit berührt und
fehlerhaft abgewogen worden sind.
Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.
35
Der Bebauungsplan leidet allerdings weder an den vom Antragsteller geltend
gemachten noch an sonstigen beachtlichen Form- oder Verfahrensmängeln, die ohne
Rüge beachtlich wären.
36
Der öffentlichen Bekanntmachung des Ratsbeschlusses vom 15. Juni 1999 über die
öffentliche Auslegung des Planentwurfs fehlte nicht die notwendige Anstoßfunktion.
Nach § 3 Abs. 2 BauGB sind die Entwürfe der Bauleitpläne mit dem Erläuterungsbericht
oder der Begründung auf die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen (Satz 1). Ort und
Dauer der Auslegung sind mindestens eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu
machen mit dem Hinweis darauf, dass Anregungen während der Auslegungsfrist
vorgebracht werden können (Satz 2). Die Bekanntmachung hat in einer Weise zu
erfolgen, die geeignet ist, dem an der Planung interessierten Bürger sein Interesse an
Information und Beteiligung durch Anregungen (und Bedenken) bewusst zu machen
und dadurch Öffentlichkeit herzustellen. Der Inhalt der Bekanntmachung muss deshalb
so konkret gefasst sein, dass der interessierte Bürger erkennen kann, ob er betroffen ist
und ggfls. Einsicht in die Entwurfsunterlagen nehmen muss, um die konkrete
Beeinträchtigung seiner Belange zu erkunden und notfalls gegen das geplante
Vorhaben Einwendungen zu erheben.
37
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 - 4 C 22.80 -, BRS 42 Nr. 23.
38
Diesen Anforderungen genügt die gerügte öffentliche Bekanntmachung. Sie umfasste
einen Kartenausschnitt, der den Geltungsbereich des Bebauungsplanentwurfs umriss
und dem dessen Lage östlich der L 584 U. Straße unschwer zu entnehmen war. Mit
Blick auf diesen Kartenausschnitt handelt es sich bei der unzutreffenden textlichen
Angabe, das Plangebiet liege westlich der L 584, um eine offensichtliche Unrichtigkeit,
die die notwendige Anstoßfunktion nicht in Frage stellt.
39
Die Auslegung des Planentwurfs verstößt auch nicht gegen § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB,
wonach die Entwürfe der Bauleitpläne auf die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen
sind. Dieser Bestimmung genügt eine einmonatige Auslegung der Planentwürfe, die auf
die Stunden des Publikumsverkehrs beschränkt ist, sofern die Stunden des
Publikumsverkehrs so bemessen sind, dass die Einsichtmöglichkeit nicht unzumutbar
beschränkt wird.
40
Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. Juli 1980 - 4 C 25.78 -, BRS 36 Nr. 22, und vom 13.
September 1985 - 4 C 64.80 -, BRS 44 Nr. 20.
41
Diesen Anforderungen genügte die Auslegung des Planentwurfs montags bis freitags
von 8.00 Uhr bis 12.30 Uhr und donnerstags von 14.00 Uhr bis 17.30 Uhr, so dass es
nicht darauf ankommt, ob - wie der Antragsteller vorträgt - der Plan montags bis
mittwochs von 14.00 Uhr bis 15.30 Uhr nicht einzusehen gewesen sein sollte. Es ist
auch nicht ersichtlich, dass die öffentliche Bekanntmachung vom 2. Juli 1999, nach der
42
die Einsichtnahme auch montags bis mittwochs von 14.00 Uhr bis 17.30 Uhr erfolgen
konnte, falsche oder missbräuchliche Angaben zu den Einsichtsmöglichkeiten enthalten
hat. Die Antragsgegnerin hat hierzu vorgetragen, das Rathaus sei zwar montags bis
mittwochs nachmittags für den allgemeinen Publikumsverkehr geschlossen. An der
Rathaustür befinde sich aber eine Klingel, die in der nachmittags durchgehend mit zwei
Mitarbeiterinnen besetzten Zentrale läute. Die dementsprechenden Arbeitsjournale
dieser Mitarbeiterinnen hat die Antragsgegnerin vorgelegt. Zur näheren
Sachverhaltsaufklärung Anlass gebende Zweifel an der Richtigkeit dieser Darstellung
bestehen nicht, denn die gegenteiligen Angaben des Antragstellers, er habe montags
bis mittwochs nachmittags mehrfach vergeblich geklingelt, sind nicht hinreichend
substantiiert. Es fehlt nämlich an der exakten Benennung der Kalendertage, der
Uhrzeiten und der jeweiligen Dauer der vergeblichen Versuche des Antragstellers, die
Planunterlagen einzusehen.
Schließlich ist der Bebauungsplan auch nicht deshalb verfahrensfehlerhaft zu Stande
gekommen, weil die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach dessen Bekunden eine
Kopie der Planunterlagen nicht zur Verfügung gestellt hat, denn nach § 3 Abs. 2 Satz 1
BauGB ist die Gemeinde lediglich verpflichtet, die Planbegründung öffentlich
auszulegen.
43
Der Bebauungsplan ist aber in materieller Hinsicht fehlerhaft.
44
Die textliche Festsetzung Nr. 4 zweiter Spiegelstrich ist unbestimmt.
45
Das unter dem rechtsstaatlichen Gebot der Bestimmtheit erforderliche Maß der
Konkretisierung von Festsetzungen eines Bebauungsplans richtet sich danach, was
nach den Verhältnissen des Einzelfalls mit Blick auf die konkreten Planungsziele und
örtlichen Verhältnisse für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist
und dem Gebot gerechter Abwägung der konkret berührten privaten und öffentlichen
Belange entspricht.
46
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 1995 - 4 NB 43.93 -, BRS 57 Nr. 22 m.w.N.
47
Diesen Anforderungen an die Bestimmtheit wird die textliche Festsetzung Nr. 4 zweiter
Spiegelstrich des Bebauungsplans nicht gerecht, wo es heißt, "hiervon" (d.h. von der
Unzulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben im Industriegebiet)" sind ausgenommen die
nachstehend aufgeführten Betriebe
48
- Handel nicht innenstadtrelevanter Branchen (beispielsweise Hobbymärkte, Baumärkte,
Möbelmärkte, Gartencenter)".
49
Insoweit ergibt sich zwar aus der Planbegründung (Blatt 2 f.) und dem Beschluss über
die vorgebrachten Bedenken und Anregungen, dass der Begriff "Industriegebiet" nicht
das Industriegebiet im Sinne des § 9 BauNVO meint, sondern den Geltungsbereich des
Bebauungsplans "Industriegebiet W. - Nördlich BAB 30", also auch das planfestgesetzte
Gewerbegebiet einschließt. Unbestimmt ist jedoch der Begriff der nicht
innenstadtrelevanten Branchen. Dies ist für inhaltsgleiche Begriffe bereits mehrfach
entschieden worden.
50
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 3. Juni 2002 - 7a D 92/99.NE - (zentrumrelevantes
Warensortiment), vom 11. Dezember 2001 - 10a D 214/98.NE - (nicht
51
innenstadtrelevanter Einzelhandel); Beschluss vom 1. Oktober 1996 - 10a D 102/96.NE
- (zentrumstypische Einzelhandelsbetriebe), BRS 58 Nr. 33.
Auch der Klammerzusatz der textlichen Festsetzung Nr. 4 zweiter Spiegelstrich
(beispielsweise Hobbymärkte, Baumärkte, Möbelmärkte, Gartencenter) verleiht der
Regelung nicht die erforderliche Bestimmtheit, denn die dort aufgeführten
Einzelhandelssparten sind ersichtlich nicht abschließend, sondern nach ihrer
ausdrücklichen Formulierung lediglich beispielsweise gemeint, so dass nach dem
Willen des Plangebers weitere, nicht hinreichend bestimmte "innenstadtrelevante"
Branchen erfasst werden sollen.
52
Diese Unbestimmtheit führt zur Nichtigkeit des Bebauungsplans insgesamt. Die
Fehlerhaftigkeit einzelner Festsetzungen eines Bebauungsplans hat die Fehlerhaftigkeit
weiterer Planfestsetzungen zur Folge, soweit diese eine den Anforderungen des § 1
BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung nicht bewirken können,
oder nach dem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen des
Plangebers ohne die fehlerhafte Festsetzung nicht getroffen worden wären.
53
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. April 1993 - 4 NB 43.92 -, BRS 55 Nr. 31.
54
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der Umstände des vorliegenden Falles
ist davon auszugehen, dass der Rat der Antragsgegnerin die weiteren
Planfestsetzungen ohne die textliche Festsetzung Nr. 4 zweiter Spiegelstrich nicht
getroffen hätte. Aus der Begründung des Bebauungsplans folgt nämlich, dass der
Plangeber die Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben keineswegs ausnahmslos
ausschließen wollte. Vielmehr sollten nur solche Einzelhandelsbetriebe unzulässig
sein, die in Konkurrenz zu den Einzelhandelsbetrieben im Ortskern treten könnten.
Damit hat der Rat einen grundsätzlichen Ausschluss der Zulässigkeit von
Einzelhandelsbetrieben unabhängig von ihrer "Zentrenrelevanz" gerade nicht gewollt.
Entfällt die textliche Festsetzung Nr. 4 zweiter Spiegelstrich, so ist die vom Plangeber
gewollte differenzierte Nutzungsstruktur des Plangebiets insgesamt in Frage gestellt mit
der Konsequenz der Fehlerhaftigkeit sämtlicher Festsetzungen des Bebauungsplans.
Folge ist die Nichtigkeit des Bebauungsplans, nicht lediglich dessen Unwirksamkeit,
denn die aufgezeigten Mängel berühren die Grundzüge der Planung und können nicht
in einem ergänzenden Verfahren nach § 215a BauGB behoben werden.
55
Der Bebauungsplan leidet weiterhin an einem Abwägungsfehler, soweit es um die
Überplanung des festgesetzten Überschwemmungsgebietes geht. Nach § 1 Abs. 6
BauGB sind bei der Aufstellung von Bauleitplänen die öffentlichen und privaten Belange
gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Zwar ist die Überplanung von
Überschwemmungsgebieten nicht grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, es steht
von vornherein fest, dass die planerischen Festsetzungen wegen des
Überschwemmungsgebiets nicht umgesetzt werden können, weil die nach §§ 112 Satz
3, 113 LWG NRW erforderlichen wasserrechtlichen Genehmigungen für die Herstellung
von Anlagen im Überschwemmungsgebiet nicht erteilt werden dürfen.
56
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. November 2002, - 7a D 35/00.NE; VGH Baden-
Württemberg, Urteil vom 6. Juli 2000 - 8 S 1513/99 -, BRS 63 Nr. 20.
57
Für eine dementsprechende Vollzugsunfähigkeit des Plans bestehen indes keine
Anhaltspunkte. Unabhängig davon muss die nach § 1 Abs. 6 BauGB notwendige
58
Abwägung aber in jedem Fall auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage
als Abwägungsbasis erfolgen. Daran fehlt es hinsichtlich der Überplanung des
Überschwemmungsgebiets. Der Rat der Antragsgegnerin ist zwar zutreffend davon
ausgegangen, der Planbereich sei rechtlich zum überwiegenden Teil als
Überschwemmungsgebiet festgesetzt, jedoch entbehrt seine weitere Annahme, das
Plangebiet sei faktisch kein Überschwemmungsgebiet, der notwendigen
Tatsachengrundlage. Dass der Rat der Antragsgegnerin im Zeitpunkt des
Satzungsbeschlusses von der vorgenannten Annahme ausgegangen ist, folgt aus der
Planbegründung, in der es insoweit heißt: "Der Planbereich liegt derzeit noch
überwiegend innerhalb des gesetzlich festgestellten Überschwemmungsgebiets.
Zwischenzeitlich ist der I. bach ausgebaut worden. Unter Berücksichtigung der
veränderten Leistungsfähigkeit des Gewässers ist in Abstimmung mit den
Wasserbehörden die Überschwemmungsgebietsgrenze überprüft worden, mit dem
Ergebnis, dass der Planbereich hiervon nicht mehr berührt ist." Diese Auffassung kommt
auch in dem Beschluss über die vorgetragenen Anregungen und Bedenken zum
Ausdruck, wenn es dort heißt, die durchgeführten hydrologischen Berechnungen, die im
Antrag der Gemeinde auf Umgestaltung und Verlegung der Gewässer im Plangebiet
enthalten seien, wiesen eindeutig aus, dass eine Überflutung des
Bebauungsplangebietes nicht gegeben sei. Die Richtigkeit dieser die
Abwägungsentscheidung tragenden Annahme ist aber zweifelhaft. Denn bereits vor
Satzungsbeschluss war dem Rat der Antragsgegnerin bekannt geworden, dass nach
neueren Berechnungen des STUA unter Berücksichtigung eines ca. 20 % geringeren
Abflussvermögens des I. bach durch naturnahe Unterhaltung und natürliche
Gehölzentwicklung ca. 30 % des Plangebiets tatsächlich Überschwemmungsgebiet sein
sollten. Neue Berechnungen einer fachkompetenten Behörde durfte der Rat der
Antragsgegnerin nicht unter Hinweis auf die zu einem anderen Ergebnis gelangenden -
älteren - hydraulischen Berechnungen zum Antrag auf Umgestaltung und Verlegung der
Gewässer im Plangebiet von vornherein abtun. Dies gilt umso mehr deshalb, weil dem
Rat der Antragsgegnerin die neueren Berechnungen des STUA bei Satzungsbeschluss
nicht einmal vorlagen und ihre Richtigkeit deshalb auch nicht überprüft werden konnte.
Der Rat der Antragsgegnerin hätte sich deshalb die neueren Berechnungen des StUA
beschaffen, mit deren Ergebnissen auseinander setzen und prüfen müssen, welche
Konsequenzen er daraus für den Bebauungsplan zieht. Dies ist unterblieben.
Dieser Fehler ist nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB auch erheblich. Der Mangel im
Abwägungsvorgang ist erheblich, wenn er offensichtlich und auf das
Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Ein offensichtlicher Mangel ist gegeben,
wenn konkrete Umstände positiv und klar auf einen solchen Mangel hindeuten. Von
Einfluss gewesen ist ein Mangel auf das Abwägungsergebnis, wenn nach konkreter
Betrachtungsweise die Möglichkeit des Einflusses auf das Abwägungsergebnis besteht.
Nicht ausreichend ist hingegen, dass die Entscheidung ohne den Mangel
möglicherweise (theoretisch) anders ausgefallen wäre.
59
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 1995 - 4 NB 43.93 -, BRS 57 Nr. 22.
60
Der Abwägungsmangel ist offensichtlich, denn er ergibt sich deutlich aus dem
Beschluss des Rates der Antragsgegnerin über die eingegangenen Anregungen und
Bedenken sowie der Planbegründung. Der Mangel ist auch auf das
Abwägungsergebnis von Einfluss. Nach Lage der Akten besteht jedenfalls die nicht nur
theoretische Möglichkeit des Einflusses auf das Abwägungsergebnis, weil völlig offen
ist, zu welchem Ergebnis die weitere Aufklärung der Frage geführt hätte, ob das Gebiet
61
tatsächlich Überschwemmungsgebiet ist. Immerhin ist auch die Antragsgegnerin bei
ihrem Änderungsantrag vom 22. Dezember 1999 betreffend die Verlegung u.a. des W.
N. bach davon ausgegangen, dass ca. 30 % des Plangebiets im Überschwemmungsbiet
liegen und durch das Industriegebiet Retentionsraum mit einem Volumen von ca. 15.000
m3 verloren geht. Ob der Rat der Antragsgegnerin die Planfestsetzungen in gleicher
Weise auch für den Fall getroffen hätte, dass sich die Berechnungen des Staatlichen
Umweltamtes als zutreffend erweisen würden, ist zweifelhaft. Immerhin hat der Rat der
Antragsgegnerin die Planfestsetzungen nach abwägender Entscheidung nicht etwa
ausdrücklich auch für diesen Fall getroffen, sondern ist davon ausgegangen, dass ein
tatsächliches Überschwemmungsgebiet gerade nicht vorliegt.
Dieser Abwägungsfehler führt ebenfalls zur Nichtigkeit des Bebauungsplans in seiner
Gesamtheit, denn er berührt die Grundzüge der Planung.
62
Die vom Rat der Antragsgegnerin festgesetzten Ausgleichsmaßnahmen leiden
ebenfalls an Abwägungsfehlern.
63
Nach § 1 a Abs. 2 BauGB ist über die zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft
und deren Ausgleich in der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB zu entscheiden. Danach
waren die zu berücksichtigenden Belange des Naturschutzes und der
Landschaftspflege entsprechend ihrem konkret gegebenen Gewicht zunächst
dahingehend zu prüfen, ob sich die vom Bebauungsplan ermöglichten Eingriffe in Natur
und Landschaft im Planbereich überhaupt rechtfertigen lassen und das
"Integritätsinteresse" von Natur und Landschaft an einem Schutz vor eingriffsbedingten
Beeinträchtigungen aus gewichtigen Gründen zurückgestellt werden kann. In einem
zweiten Schritt war abwägend darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang für
unvermeidbare Beeinträchtigungen Ausgleich und Ersatz zu leisten und damit dem
"Kompensationsinteresse" von Natur und Landschaft Rechnung zu tragen ist. Dabei war
es nicht dem planerischen Belieben der Gemeinde überlassen, ob die Gebote zur
Vermeidung, zum Ausgleich und zum Ersatz von Beeinträchtigungen im Rahmen der
Abwägung zur Geltung kommen. Eine Zurückstellung der Belange von Natur und
Landschaft kommt nur zu Gunsten entsprechend gewichtiger anderer Belange in
Betracht, die von der Gemeinde - wenn sie diese für vorzugswürdig hält - präzise zu
benennen sind. Die Gemeinde hat, auch wenn sie gegenläufige Belange zu Recht als
gewichtig einschätzen darf, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu
tragen. Lässt die Verwirklichung ihrer Planung Eingriffe in Natur und Landschaft
erwarten, so hat sie demgemäß zu prüfen, ob das planerische Ziel auf andere Weise mit
geringerer Eingriffsintensität erreichbar ist.
64
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 1997 - 4 NB 27.96 -, BRS 59 Nr. 8.
65
Diesen Anforderungen genügt die Abwägung der Antragsgegnerin nicht.
66
Es ist bereits zweifelhaft, ob der Rat der Antragsgegnerin das Integritätsinteresse von
Natur und Landschaft in ausreichendem Maße beachtet hat. Die Standortfrage, in deren
Rahmen ein Alternativstandort verworfen worden war, weil dieser ein tatsächliches
Überschwemmungsgebiet betraf, war möglicherweise erneut aufzuwerfen, nachdem die
Hochwasserfreiheit des gewählten Standorts auf Grund der Neuberechnungen des
StUA bereits vor Satzungsbeschluss zumindest zweifelhaft geworden war. Unabhängig
davon ist fraglich, ob der Rat der Antragsgegnerin Planfestsetzungen mit geringerer
Eingriffsintensität ausreichend in den Blick genommen hat.
67
Jedenfalls aber fehlt es für die vom Rat der Antragsgegnerin getroffene Eingriffs- und
Ausgleichsbilanzierung an einer hinreichenden Bestandsaufnahme. Zwar ist ein
bestimmtes Verfahren für die Bewertung von Eingriffen nicht normativ vorgegeben und
es fehlt eine tragfähige allgemein gültige Grundlage für die Bewertung von
Eingriffsfolgen. Deshalb ist eine Eingriffsbewertung letztlich nur auf ihre sachgerechte,
aus naturschutzfachlicher Sicht plausible Begründung zu überprüfen.
68
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. April 1997 - 4 NB 13.97 -, BRS 59 Nr. 10.
69
Davon ausgehend hat der Rat der Antragsgegnerin sich bei seiner Abwägung
hinsichtlich der Eingriffs- und Ausgleichsbilanzierung auf das so genannte Osnabrücker
Modell gestützt, dessen Zugrundelegung als solche auch unbedenklich ist. Das
"Osnabrücker Modell" sieht zwar im Regelfall eine Bestandsaufnahme nur nach
Biotoptypen vor, wie sie die Antragsgegnerin auch vorgenommen hat. In ökologisch
sensiblen Bereichen oder Spezialfällen kann allerdings auch nach dem "Osnabrücker
Modell" nicht auf weiter gehende Gutachten verzichtet werden (vgl. Das
Kompensationsmodell, S. 3). Die vorgenommene Bestandsaufnahme ausschließlich
nach Biotoptypen ist unzureichend, weil sie die im Plangebiet betroffenen Tierarten
vollständig ausgeblendet hat. Der Umfang der Ermittlungspflicht hinsichtlich der im
Plangebiet betroffenen Tier- und Pflanzenarten ist abhängig von der Art der Maßnahme
und den jeweiligen naturräumlichen Gegebenheiten, in die eingegriffen werden soll. Je
typischer die Gebietsstruktur des Eingriffsbereichs, desto eher kann auf typisierende
Merkmale und allgemeine Erfahrungen abgestellt werden.
70
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 1997 - 4 B 177.96 -, BRS 59 Nr. 9; Hess.
VGH, Urteil vom 21. Dezember 2000 - 4 N 2435/00 -, BRS 63 Nr. 226.
71
Das insgesamt ca. 27 ha große Plangebiet ist durch unterschiedliche Biotoptypen
gekennzeichnet, die von Feuchtbrache, Laubwald, Hecken, Grünland, Ackerflächen und
Straßen- und Bahnböschungen bis zu Gewässern reichen. Angesichts der Größe des
Plangebiets und der Verschiedenheit der anzutreffenden Biotoptypen ist ein
vollständiger Verzicht auf die Erfassung der Fauna jedenfalls unvertretbar. Etwa dafür
sprechende Gründe zeigt auch die Planbegründung nicht auf. Vielmehr bestätigen die
eingehenden Untersuchungen auch der im Plangebiet vorhandenen Fauna im Rahmen
des Antrags vom 22. Juli 1999 auf Verlegung u.a. des W. N. bach auch deren
ökologische Beachtlichkeit im Plangebiet. Dort sind mehrere Vogelarten beobachtet
worden, die auf der Roten Liste gefährdeter Vogelarten verzeichnet sind (z.B. Rebhuhn,
Kiebitz, Feldlerche). Nach den Ausführungen in der Umweltverträglichkeitsstudie zum
Antrag auf Verlegung u.a. des W. N. bach vom 22. Juli 1999 können durch das geplante
Industriegebiet Restbestände von Kiebitz und Feldlerche dauerhaft verschwinden.
Ferner wurden im Bereich des W. N. bach zehn Libellenarten nachgewiesen.
72
Aber auch unabhängig davon ist jedenfalls die Bewertung des Untersuchungsraums vor
dem Eingriff fehlerhaft erfolgt. Der Plangeber hat bei der Bewertung des
Untersuchungsraums eine Fläche von ca. 4,8 ha in einer nicht mit dem
Abwägungsgebot zu vereinbarenden Weise ausgeklammert. Zur Begründung hat er
ausgeführt, die Gewässer einschließlich der Flächen für die Unterhaltung und
Entwicklung sowie Grünflächen entlang der nördlichen Plangebietsgrenze sowie die
Flächen für die Wasserwirtschaft zum Zwecke der Regenrückhaltung bzw.
Regenklärung seien nicht in die Bilanzierung eingestellt, da hierfür in den anhängigen
73
wasserwirtschaftlichen Genehmigungsverfahren der Ausgleich in Natur und Landschaft
gesondert erbracht werde. Dies betreffe ebenso die an der Autobahn vorhandene
Waldfläche, die separat im Verhältnis 1 : 3 ersetzt werden solle. Diese Einschätzung ist
nicht vertretbar. Die Einbeziehung der Entscheidung über die Vermeidung und den
Ausgleich der auf Grund der Festsetzungen des Bebauungsplans zu erwartenden
Eingriffe in Natur und Landschaft schon in die planerische Abwägung nach § 1 Abs. 6
BauGB soll zu einem möglichst frühzeitigen Zeitpunkt in einem noch ergebnisoffenen
Stadium die Wahrung der Belange von Natur und Landschaft sicherstellen. Dieser
Verpflichtung darf sich die planende Gemeinde nicht dadurch entziehen, dass sie die im
Rahmen der §§ 1 a Abs. 2 Nr. 2, 1 Abs. 6 BauGB zu treffende Entscheidung über die
planbedingten Eingriffsfolgen ganz oder teilweise zunächst offen hält und auf andere
Verfahren verlagert. Dementsprechend ist auch die Ausklammerung der zur separaten
Ersatzaufforstung vorgesehenen Fläche von ca. 1,1 ha aus der Entscheidung über den
vorzunehmenden Ausgleich im Rahmen der Abwägung fehlerhaft. Sie lässt sich nicht
dadurch rechtfertigen, dass die Forstbehörden nach Angaben der Antragsgegnerin bei
der tatsächlichen Umwandlung von Wald eine Ersatzaufforstung im Verhältnis 1 : 3
fordern. Vielmehr entspricht es gerade dem Grundgedanken der notwendigen
Abwägung der Eingriffsfolgen schon bei der Aufstellung des Bebauungsplans, dass die
etwaige Auswahl einer in Betracht kommenden Ersatzaufforstungsfläche bereits in
diesem Stadium mit der zuständigen Behörde abgestimmt wird. Nichts anderes gilt für
die weiteren Flächen von ca. 3,7 ha und den darauf bezogenen Verweis auf die
wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren. Die auf diesen Flächen verursachten
Eingriffe in Natur und Landschaft waren bereits in der planerischen Abwägung zu
berücksichtigen, weil dies jedenfalls im vorliegenden Fall auf der Ebene des
wasserrechtlichen Verfahrens nicht mehr in ausreichendem Maße möglich war. Insoweit
heißt es auf S. 46 der Umweltverträglichkeitsuntersuchung zum Antrag vom 22. Juli
1999 auf u.a. Verlegung des W. N. bach: "Die Veränderung der Biotopstrukturen im
Planungsraum ist im Aufstellungsverfahren zum B-Plan zu berücksichtigen. Eine
generelle Abwägung der unterschiedlichen Raumansprüche ist in diesem Verfahren
durchzuführen. In einer Bilanzierung sind die ökologischen Wertigkeiten des
bestehenden Zustandes und des Zustandes nach Planung berücksichtigt. Ein ggf.
entstehendes Defizit ist durch entsprechende Kompensationsmaßnahmen
auszugleichen. Die Veränderung der gesamten Biotopstrukturen und deren
Kompensation ist somit nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit, sondern lediglich eine
Beurteilung der Umweltrelevanz, bedingt durch die Veränderung der Gewässer".
Hinsichtlich der umweltrelevanten Auswirkungen der Verlegung der Gewässer wird in
der Umweltverträglichkeitsstudie indes nicht die im Bebauungsplanverfahren
ausgeblendete Fläche von ca. 3,7 ha, sondern nur eine deutlich kleinere Fläche von ca.
1,4 ha in den Blick genommen, nämlich die der ökologisch relevanten, dem Gewässer
zurechenbaren Biotopstrukturen. Das sind bei den bestehenden Gewässern der
Gewässerkörper und der anliegende Uferstreifen, soweit vorhanden. Bei den
Ausweisungen nach Bebauungsplan werden das Gewässer sowie nebenliegende
Bereiche, die als Flächen für die Anpflanzung von Bäumen, Sträuchern und sonstigen
Bepflanzungen gekennzeichnet sind, berücksichtigt. Die Differenzfläche von 2,3 ha ist
weder im Bauleitplanverfahren in die Eingriffs- und Ausgleichsbilanzierung einbezogen
worden, noch im wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren in irgendeiner Weise in
vergleichbarer Hinsicht berücksichtigt worden.
Diese Fehler sind ebenfalls nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB erheblich. Die Fehler sind
nach den Planaufstellungsvorgängen offensichtlich. Sie sind auch auf das
Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, weil nach konkreter Betrachtungsweise die
74
Möglichkeit besteht, dass die Planfestsetzungen bei Vermeidung dieser Mängel anders
ausgefallen wären. Auch diese Abwägungsfehler führen zur Nichtigkeit des
Bebauungsplans in seiner Gesamtheit, denn sie berühren die Grundzüge der Planung.
Weil der Bebauungsplan bereits mehrere zu seiner Nichtigkeit führende Fehler aufweist,
kommt es für die Entscheidung nicht mehr darauf an, ob noch weitere Fehler vorhanden
sind. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob die textliche Festsetzung Nr. 7
hinreichend bestimmt ist, wonach bei Inanspruchnahme der Grundstücke für die im
Bebauungsplan festgesetzte Nutzung mindestens 10 % der Grundstücksflächen mit
standortgerechten heimischen Laubgehölzen zu bepflanzen sind. Bedenken resultieren
insoweit aus fehlenden Vorgaben zur Pflanzdichte etwa durch ein Pflanzschema.
75
Weiterhin braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob der Bebauungsplan auch unter
den vom Antragsteller geltend gemachten Gesichtspunkten der Immissionsbelastung
Fehler aufweist. Insoweit weist der Senat aber zur Vermeidung weiterer gerichtlicher
Auseinandersetzungen auf Folgendes hin:
76
Die Gliederung der industriellen und gewerblichen Bauflächen in Anlehnung an den
Abstandserlass des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des
Landes Nordrhein-Westfalen von 1998 (Abstandserlass) ist unbedenklich.
77
Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO können für Industrie- und Gewerbegebiete
Festsetzungen getroffen werden, die das jeweilige Baugebiet nach der Art der
zulässigen Nutzung bzw. nach der Art der Betriebe und Anlagen sowie deren
besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften gliedern, wenn die allgemeine
Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt und die Gliederung aus
städtebaulichen Gründen gerechtfertigt ist. Zu den besonderen Eigenschaften von
Betrieben und Anlagen, nach denen ein Baugebiet gegliedert werden kann, gehört auch
deren Immissionsverhalten. Das typische Immissionsverhalten von industriellen und
gewerblichen Betrieben und Anlagen und die daraus aus Gründen des
Immissionsschutzes folgenden generellen Abstandserfordernisse dieser Betriebe und
Anlagen im Verhältnis zu Wohngebieten oder Mischgebieten sind in die fach- technisch
begründeten Empfehlungen des Abstandserlasses und der dazu gehörenden
Abstandsliste eingegangen, die der Rat der Antragsgegnerin für die Gliederung der
Flächen herangezogen hat. Die Differenzierungen im Einzelnen sind nicht zu
beanstanden. Dass der Rat der Antragsgegnerin in dem im nordöstlichen Planbereich
gelegenen Gewerbegebiet Betriebe der Abstandsklassen 1 bis 153, im Industriegebiet
aber nur solche der Abstandsklassen 1 bis 78 ausgeschlossen hat, erklärt sich daraus,
dass das Gewerbegebiet eine größere Nähe zu Wohnbebauung aufweist als das
Industriegebiet.
78
Der vom Plangeber vorgegebene Ausschluss von Betrieben der Abstandsklassen 1 bis
78 im Industriegebiet ist sachgerecht und trägt dem Anspruch des Antragstellers auf
Schutz vor Lärmimmissionen Rechnung. Der Antragsteller kann in jedem Fall nur die
Einhaltung der für Mischgebiete geltenden Immissionsrichtwerte von 60 dB(A) tags und
45 dB(A) nachts beanspruchen. Dies gilt unabhängig davon, ob sein Wohngrundstück in
einem Mischgebiet gelegen ist. Denn selbst dann, wenn man zu seinen Gunsten davon
ausgehen wollte, das Grundstück sei in einem allgemeinen Wohngebiet gelegen,
könnte der Antragsteller wegen der Lage seines Grundstücks am Rande zum
Außenbereich nur die Einhaltung der Mischgebietsgrenzwerte verlangen.
79
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1990 - 4 N 6.88 -, BRS 50 Nr. 25.
80
Die Festsetzung der Abstände zur Berücksichtigung des Lärmschutzes nach dem
Abstandserlass basiert demgegenüber sogar auf den deutlich niedrigeren
Immissionsrichtwerten, wie sie in der TA Lärm für reine Wohngebiete ausgewiesen sind
(vgl. Nr. 2.2.1 des Abstandserlasses). Dies steht der Anwendung des Abstandserlasses
indes nicht entgegen. Denn auch zum Schutz von Mischgebieten kann die Abstandsliste
nach Nr. 2.2.2 des Abstandserlasses angewendet werden, wobei allerdings gemäß Nr.
2.2.2 in Verbindung mit Nr. 2.2.5 des Abstandserlasses bei bestimmten Betriebsarten
größere Abstände zugelassen werden können. Der Anwendung des Abstandserlasses
steht auch dessen Nr. 2.2.7 nicht entgegen, wonach die Abstandsliste nur für Planungen
im ebenen Gelände gilt, denn das Gelände zwischen dem Plangebiet und dem Ortsteil
W. ist nach der gegebenen Topografie eben im Verständnis der genannten Regelung
und befindet sich trotz einer geringen Höhendifferenz von wenigen Metern nicht etwa in
einer Tallage. Mit dem Ausscheiden von Betrieben der Abstandsliste Nr. 1 - 78 lässt der
Plangeber Betriebe zu, die nach der Abstandsliste in einem Abstand von 300 m zu
Wohngebäuden errichtet werden dürfen. Nach Nr. 2.2.2.3 des Abstandserlasses ist
dieser Abstand zu messen an der geringsten Entfernung zwischen der Umrisslinie der
emittierenden Anlage und der Begrenzungslinie von Wohngebieten. Unter Umrisslinie
ist die Linie im Grundriss (Vertikalprojektion) der Anlage zu verstehen, die ringsum die
Emissionsquellen umfasst (vgl. Nr. 2.2.2.3 des Abstandserlasses). Legt man dazu den
Abstand zwischen den überbaubaren Flächen des Plangebiets und dem Wohnhaus des
Antragstellers zu Grunde - der südlich davon gelegene Teil des Hausgrundstücks
befindet sich bereits im Außenbereich - so ergibt sich ein Abstand von etwa 290 m.
Diese geringfügige Unterschreitung des Abstands von 300 m ist nach Nr. 2.2.2.3 Satz 4
des Abstandserlasses akzeptabel, zumal die Abstandsliste durchaus planerische
Spielräume lässt, denn sie enthält lediglich Empfehlungen, deren Unterschreitung im
Einzelfall bei sachgerechter Abwägung möglich ist.
81
Vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 17. Oktober 1996 - 7a D 122/94.NE -, BRS 58 Nr. 30.
82
Nicht frei von Bedenken im Hinblick auf die hervorgerufenen Geräuschimmissionen ist
aber die Festsetzung der Haupterschließungsstraße des Plangebiets an dessen
nördlichem Rand. Maßgebend für die zulässigen Immissionen durch diese neu zu
bauende Straße sind die Grenzwerte der 16. BImSchV. Eine prognostische
Abschätzung der zu erwartenden Verkehrsbelastung nach der 16. BImSchV kann
unterbleiben, wenn von vornherein erkennbar ist, das relevante Beeinträchtigungen
durch Verkehrslärm nicht erfolgen können. Ob diese Prognose hier ohne weiteres
angestellt werden kann, ist jedoch fraglich. Zwar beträgt die Entfernung zwischen der
Straße und der Wohnbebauung über 250 m. Die planermöglichte Nutzung des
"Industriegebiets" kann aber, wie die ursprünglich beabsichtigte Ansiedlung nicht nur
eines Zentrallagers der Firma M. , sondern auch einer großen Osnabrücker Spedition
verdeutlicht, mit erheblichem Lkw-Verkehr auch in den Nachtstunden verbunden sein.
Im Hinblick darauf war es möglicherweise geboten, das mögliche Ausmaß der von der
Erschließungsstraße ausgehenden Verkehrslärmimmissionen durch eine
Lärmabschätzung zu bestimmen. Dies betrifft in gleicher Weise die vom Plangeber im
Rahmen der Abwägung zu treffende Entscheidung, ob ggf. unterhalb der Grenzwerte
der 16. BImSchV liegende Lärmbelastungen den Betroffenen ohne weiteres zugemutet
oder ob etwa lärmmindernde Maßnahmen ergriffen werden sollen. Dies gilt in
besonderem Maße deshalb, weil der Bebauungsplan mit Betrieben der Abstandsklasse
5 des Abstandserlasses Betriebe zulässt, deren betriebsbedingte Geräusche -
83
ungeachtet des Kraftfahrzeugverkehrs auf der Erschließungsstraße - erheblich über den
durch das schalltechnische Gutachten vom 5. April 2000 für das M. -Zentrallager
ermittelten Werten von 38 dB(A) nachts und 36 dB(A) tags auf dem Nachbargrundstück
des Antragstellers liegen können.
Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass durchaus sachgerechte Gründe dafür
sprechen, die Erschließungsanlage nicht im südlichen Planbereich unmittelbar neben
der Autobahn festzusetzen. Denn eine solche Verkehrsführung kann insbesondere
nachts Verkehrsgefährdungen für Benutzer der Autobahn verursachen. Fahrzeuge, die
Benutzern der Autobahn auf einer neben dieser verlaufenden Fahrbahn
entgegenkommen, können etwa als Falschfahrer gedeutet werden und gegebenenfalls
zu riskanten Ausweichmanövern verleiten. Dass der Plangeber das Plangebiet durch
eine etwa in deren Mitte verlaufende Erschließung nicht zerschneiden wollte, ist
ebenfalls nachvollziehbar und grundsätzlich nicht zu beanstanden.
84
Ob die planerische Abwägung im Hinblick auf bereits bestehende
Immissionsvorbelastungen (BAB 30, Eisenbahnstrecke Osnabrück-Amsterdam) auf
Bedenken stößt, lässt der Senat offen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
86
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt
sich auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
87
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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