Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.08.2010
OVG NRW (psychische krankheit, verschlechterung des gesundheitszustandes, diabetes mellitus, verwaltungsgericht, gutachten, gkg, verhandlung, umfang, gesundheitszustand, richtigkeit)
Oberverwaltungsgericht NRW, 6 A 745/08
Datum:
26.08.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 A 745/08
Schlagworte:
Lehrerin Dienstunfähigkeit Facharzt Amtsarzt Gutachten
Teildienstfähigkeit
Leitsätze:
Erfolgloser Antrag einer Lehrerin auf Zulassung der Berufung, die sich
mit ihrer Klage gegen die Versetzung in den Ruhestand wegen
Dienstunfähigkeit wendet.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des
Verwaltungsgerichts für beide Instanzen jeweils auf die Wertstufe bis
65.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen
Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO.
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Das Verwaltungsgericht hat es ausgehend von dem in der mündlichen Verhandlung
erläuterten amtsärztlichen Gutachten vom 1. August 2005 als gesichert erachtet, dass
die Klägerin wegen ihrer Erkrankungen (u.a. psychische Krankheit mit depressiver und
angstneurotischer Symptomatik, chronisches Schmerzsyndrom, insulinpflichtiger
Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung, Zustand nach zweimaligem Hörsturz), die
sie nicht substantiiert in Abrede gestellt habe, zur Erfüllung ihrer Dienstpflicht als
Realschullehrerin dauernd unfähig ist. Die gutachterliche Einschätzung sei
überzeugend. Die Amtsärztin stelle maßgeblich auf die Gesamtheit und den Verlauf der
Krankheiten ab. Die nachvollziehbare und plausible Beurteilung werde durch die
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vorgelegten privatärztlichen Atteste nicht in Frage gestellt. Der Ansicht der Klägerin, sie
sei lediglich durch die aus ihrer Sicht fürsorgewidrige – weil mit längerer Fahrzeit
verbundene – Abordnung in einen Gesundheitszustand gebracht worden, der zu
krankheitsbedingten Ausfallzeiten geführt habe, sei insbesondere nach der
ausführlichen Anhörung der Amtsärztin nicht zu folgen. Die Amtsärztin habe das bei der
Klägerin vorhandene Krankheits- und Beschwerdebild nachvollziehbar und
widerspruchsfrei als ein solches gewürdigt, das über die durch die konkrete
Fahrbelastung entstehenden gesundheitlichen Probleme hinausgehe und davon
unabhängig sei; die Krankheiten hätten über Jahre hinweg völlig unabhängig von der
Bewältigung einer Fahrstrecke zu erheblichen Ausfällen geführt. Auch die Tatsache,
dass die Amtsärztin im vorangegangenen Gutachten vom 9. Februar 2005 noch keine
Dienstunfähigkeit attestiert, sondern eine Wiedereingliederung empfohlen habe, sei
nicht geeignet, der Beurteilung vom 1. August 2005 die Plausibilität abzusprechen.
Offensichtliche Ungereimtheiten oder Widersprüche zwischen den Gutachten seien
nicht zu erkennen. Bereits damals sei die Amtsärztin sowohl in psychischer als auch in
physischer Hinsicht von einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit ausgegangen. Die
Klägerin habe ferner bei ihrer amtsärztlichen Untersuchung im Juli 2005 eine
Verschlimmerung ihres Beschwerdebildes – auch nach zwischenzeitlicher
Krankschreibung – geschildert. Dass die Amtsärztin nicht erneut ein fachärztliches
Zusatzgutachten eingeholt habe, sei nicht zu beanstanden, da sie auf das
Gesamtkrankheitsbild abgestellt und die psychischen Einschränkungen lediglich als
mitwirkende Faktoren berücksichtigt habe. Die Einholung weiterer fachärztlicher
Gutachten durch das Gericht sei vor dem Hintergrund der überzeugenden und
widerspruchsfreien Ausführungen der Amtsärztin nicht geboten.
Dem hält die Klägerin entgegen, die Fehlzeiten während der Abordnung seien auf die
Fahrzeit und den Umstand zurückzuführen, dass sie ausschließlich zu
Vertretungsunterricht herangezogen worden sei. Das Verwaltungsgericht habe den
maßgeblichen Einfluss der Fahrzeiten auf den Gesundheitszustand (z.B. den dadurch
erhöhten Blutzucker) verkannt und auch die aus der Schwerbehinderung folgenden
Konsequenzen im Falle einer Abordnung nicht bedacht. Die Amtsärztin habe nicht
nachvollziehbar und widerspruchsfrei dargelegt, dass die zusätzlichen Belastungen
durch die Abordnung nicht ursächlich für die Verschlechterung des
Gesundheitszustandes gewesen seien. Sie könne sich auch nicht auf das Gesamtbild
berufen, weil diese Belastungen Auswirkungen darauf gehabt hätten. Die Angaben der
Amtsärztin dazu, ob die physischen oder psychischen Beschwerden ausschlaggebend
seien, seien widersprüchlich und sie habe auch nicht plausibel begründet, warum sie
keine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme eingeholt habe. Das
Verwaltungsgericht habe ferner zu Unrecht angenommen, die Wiedereingliederung sei
ein bloßer Arbeitsversuch gewesen.
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Mit diesem Vorbringen stellt die Klägerin weder die Plausibilität des amtsärztlichen
Gutachtens vom 1. August 2005 noch die Richtigkeit der darauf beruhenden Annahmen
des Verwaltungsgerichts durchgreifend in Frage. Aus den zutreffenden Gründen des
angefochtenen Urteils hält auch der Senat die amtsärztlichen Feststellungen, die die
Gutachterin in der mündlichen Verhandlung ausführlich und nachvollziehbar erläutert
hat, für überzeugend und den Verzicht auf die Einholung eines fachärztlichen
Zusatzgutachtens für vertretbar. Die Annahme der dauernden Dienstunfähigkeit beruht
auf einer Vielzahl von langjährigen und schwerwiegenden psychischen und (teilweise
chronischen) physischen Erkrankungen, die seit Jahren die berufliche
Leistungsfähigkeit der Klägerin in erheblichem Umfang eingeschränkt und zu
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erheblichen, den Schulbetrieb beeinträchtigenden Fehlzeiten geführt haben. Die
gravierende psychische Krankheit "mit depressiver und angstneurotischer Symptomatik,
posttraumatische Belastungsstörung, verminderte psychische Belastbarkeit" lässt sich
auch nicht allein auf Konflikte mit der Schulleiterin in M. zurückführen. Die Klägerin
mag ferner durch den Anfahrtsweg von 40 km sowie das – allein durch den Beginn des
Wiedereingliederungsversuchs mitten im Schuljahr verursachte – ausschließliche
Erteilen von Vertretungsunterricht während der Abordnung nach T. seit Februar
2005 zusätzlich belastet gewesen sein; ursächlich für den zur Annahme der
Dienstunfähigkeit führenden schlechten Gesundheitszustand waren diese
Erschwernisse, wie auch die Amtsärztin in der mündlichen Verhandlung überzeugend
dargelegt hat, aber nicht. Insbesondere ist angesichts des Gesamtbildes der
Erkrankungen nicht davon auszugehen, dass die Klägerin dauerhaft zur
ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Dienstpflichten in der Lage gewesen wäre, wenn sie
wohnortnäher abgeordnet worden wäre und regulären Unterricht hätte erteilen können.
So haben sich die physischen und psychischen Beschwerden auch während der
erneuten Dienstunfähigkeit seit dem 12. Mai 2005 nicht entscheidend gebessert.
Die Bejahung der Dienstunfähigkeit ist ferner ungeachtet des anderslautenden
amtsärztlichen Gutachtens vom 9. Februar 2005 plausibel. Schon darin ging die
Amtsärztin von multiplen Erkrankungen und einer eingeschränkten Belastbarkeit aus.
Dass sie dort noch die dauernde Dienstunfähigkeit verneinte und eine
Wiedereingliederung befürwortete, beruhte offensichtlich vor allem auf den
fachärztlichen Empfehlungen der behandelnden Ärzte der I. L. , in der die
Klägerin vom 31. August bis 23. November 2004 wegen Depressionen stationär
behandelt worden war, der psychiatrischen Gutachterin Dr. F. -I1. sowie des
behandelnden Arztes Dr. X. , die von einer stabilisierten psychischen Situation
ausgegangen waren und eine Wiedereingliederung an einer anderen Schule angeregt
hatten.
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Der Einwand, das Verwaltungsgericht sei, wie schon die Amtsärztin, zu Unrecht der
Frage der Teildienstfähigkeit nicht nachgegangen, begründet ebenfalls keine
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Nach § 46 Abs. 1 LBG
NRW a.F. soll von der Versetzung in den Ruhestand abgesehen werden, wenn der
Beamte unter Beibehaltung seines Amtes (Satz 1) oder in einem anderen Amt (Satz 4)
seine Dienstpflichten noch während mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit
erfüllen kann. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lagen nicht vor. Angesichts des
von der Amtsärztin nachvollziehbar und detailliert gezeichneten Krankheitsbildes, das
einer Tätigkeit als Lehrerin in jedwedem Umfang entgegensteht, bedurfte es auch keiner
besonderen Begründung und Auseinandersetzung damit, warum eine begrenzte
Dienstfähigkeit nicht gegeben ist. Darüber hinaus hat schon der – zur Überzeugung des
Senats nicht allein wegen der Rahmenbedingungen – gescheiterte
Wiedereingliederungsversuch gezeigt, dass die Klägerin auch in zeitlich
eingeschränktem Umfang nicht in der Lage ist, ihre Dienstpflichten zu erfüllen.
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Das Urteil beruht ferner nicht deshalb auf einem Verfahrensmangel im Sinne des § 124
Abs. 2 Nr. 5 VwGO, weil das Verwaltungsgericht den von der Klägerin gestellten
Beweisantrag abgelehnt hat. Der Zulassungsantrag macht nicht ersichtlich, dass die
Ablehnung prozessordnungswidrig wäre. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zutreffend
davon ausgegangen, dass sich aus der überzeugenden und in der mündlichen
Verhandlung weiter erläuterten amtsärztlichen Stellungnahme die Dienstunfähigkeit
ergibt und es daher der von der Klägerin beantragten Beweiserhebung durch die
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Einholung fachärztlicher Sachverständigengutachten nicht bedarf (vgl. § 98 VwGO
i.V.m. § 412 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung und -
änderung beruhen auf den §§ 40, 47 Abs. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 5
Satz 1 Nr. 1 GKG. Nach der geänderten Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat aus Gründen der Rechtseinheit
angeschlossen hat, bestimmt sich der Streitwert in Verfahren, in denen - wie hier - die
Versetzung eines Beamten in den Ruhestand in vollem Umfang und nicht nur wegen
ihres Zeitpunkts angegriffen wird, nach § 52 Abs. 5 Satz 1 GKG; eine Halbierung des
Streitwerts nach § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG verbietet sich.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juli 2009 - 2 B 30.09 -, NVwZ-RR 2009,
823; OVG NRW, Beschluss vom 21. Oktober 2009 - 6 E 1260/09 -, juris.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des
Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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