Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.12.2010

OVG NRW (leistungsfähigkeit, beschwerde, widerruf, stand, berufsfreiheit, bahn, eignung, fahrzeug, tätigkeit, nachweis)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 1382/10
Datum:
01.12.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 1382/10
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 6. Oktober 2010 wird auf
Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 40.000,- €
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Senat kann über die Beschwerde der Antragstellerin entscheiden, weil trotz eines
sie betreffenden Antrags der Knappschaft Bahn See auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens das Verfahren nicht gem. § 173 VwGO i. V. m. § 240 ZPO
unterbrochen ist. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin spricht zwar in seinen
Beschwerdeschriftsätzen von einem "vorläufigen Insolvenzverwalter", die Bestellung
eines solchen ist aber, wie die Einsicht in die Insolvenzakten 162 IN 138/10 beim
Amtsgericht Essen ergeben hat, bisher nicht erfolgt. Eine Unterbrechung des
anhängigen Beschwerdeverfahrens ist daher nicht eingetreten. Ein Abwarten bis zum
Abschluss des Insolvenzverfahrens ist ebenfalls nicht geboten, weil dieser weder
zeitlich noch sachlich absehbar ist und eine Rechtfertigung für eine weitere Ausnutzung
erteilter Mietwagen-Genehmigungen bei einem Betrieb, der die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Genehmigungen nicht (mehr) erfüllt, nicht besteht.
2
Die Beschwerde der Antragstellerin, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO im Rahmen der von ihr dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg. Der
angefochtene Beschluss ist in diesem vorgegebenen Prüfungsrahmen nicht zu
beanstanden.
3
Zur Begründung für die Zurückweisung der Beschwerde der Antragstellerin nimmt der
Senat gem. § 122 Abs. 2 VwGO Bezug auf die zutreffenden und überzeugenden Gründe
in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
4
Der vom Antragsgegner am 12. August 2010 nach §§ 25 Abs. 1 Satz 1, 13 Abs. 1 PBefG
verfügte Widerruf der Genehmigungen für den Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen,
dessen sofortige Vollziehung in dem Bescheid und mit weiterer Verfügung vom 17.
5
September 2010 hinreichend begründet wurde, ist schon wegen der fehlenden
Leistungsfähigkeit des Betriebs der Antragstellerin gerechtfertigt. Gem. § 13 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 PBefG i. V. m. § 2 der Berufszugangsverordnung für den
Straßenpersonenverkehr - PBZugV - ist die Leistungsfähigkeit des Betriebes
Genehmigungsvoraussetzung. Die finanzielle Leistungsfähigkeit im Sinne des § 13 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 PBefG ist nach § 2 Abs. 1 PBZugV, der der Präzisierung des Begriffs der
Leistungsfähigkeit dient, u. a. zu verneinen, wenn erhebliche Rückstände an Beiträgen
zur Sozialversicherung bestehen, die aus unternehmerischer Tätigkeit geschuldet
werden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 PBZugV), oder wenn bei einem Mietwagenunternehmen
das Eigenkapital und die Reserven weniger als 2.250 Euro für das erste Fahrzeug und
weniger als 1.250 Euro für jedes weitere Fahrzeug beträgt ( § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
PBZugV). Diese Kriterien sind bei der Antragstellerin anzunehmen. Die vorwiegend für
die Bearbeitung von Angelegenheiten im Bereich der Mini-Jobs zuständige Knappschaft
Bahn See hat Ende April/Anfang Mai 2010 beim Amtsgericht Essen - 162 IN 138/10 -
einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der
Antragstellerin gestellt, weil die Rückstände der Antragstellerin an
Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich Säumniszuschlägen sich mit Stand April
2010 auf ca. 3.700 Euro für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und auf ca.
27.200 Euro für Mini-Jobber beliefen, wobei die Beträge zum Teil wegen Nichtabgabe
der Beitragsnachweise durch die Antragstellerin von der Knappschaft geschätzt wurden.
Diese Beträge haben sich zwischenzeitlich, wie die Knappschaft mitgeteilt hat, nicht nur
nicht verringert, sondern sogar auf über 41.500 Euro für beide Bereiche erhöht. Zwar hat
die Antragstellerin im Zeitraum von Dezember 2008 bis November 2010 gelegentlich
einzelne Zahlungen geleistet, von einer kontinuierlichen und regelmäßigen Abführung
der Sozialversicherungsbeiträge und einer Reduzierung der aufgelaufenen Rückstände
kann aber nicht die Rede sein; die Nichtabgabe von Beitragsnachweisen ist zudem
besonders schwerwiegend. Diese Umstände sind ein deutliches Indiz dafür, dass die
Leistungsfähigkeit des Betriebes nicht gegeben ist. Dieser Annahme kann die
Antragstellerin nicht mit dem Hinweis begegnen, sie sei umsatzsteuerpflichtig und
müsse die Umsatzsteuer abführen, obwohl der Kunde noch nicht bezahlt habe. Dieser
steuerrechtlichen Verpflichtung unterliegen alle Betroffenen gleichermaßen; sie
rechtfertigt keine Sonderbehandlung der Antragstellerin in der Erfüllung steuer- und
sozialversicherungsrechtlicher Abgabepflichten. Auch die durch die Antragstellerin
erfolgte Vorlage von Unterlagen zum Eingang vereinzelter Rechnungsbeträge vermag
nichts daran zu ändern, dass insbesondere wegen der zwischenzeitlich
angewachsenen – Beitrags-Rückstände bei der Knappschaft die finanzielle
Leistungsfähigkeit des Betriebs nicht bejaht werden kann, zumal auch das mit
Schreiben vom 5. Oktober 2010 prognostizierte Ergebnis von ca. 8.200 Euro Gewinn in
2010 unterhalb des Betrages liegt, der - wie oben dargelegt - nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr.
3 PBZugV für den Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit anzunehmen ist.
Bezüglich der vom Verwaltungsgericht ebenfalls angeführten fehlenden fachlichen
Eignung der für die Führung der Geschäfte bestellten Personen ist nicht erkennbar, dass
sich zwischenzeitlich eine Änderung der Verhältnisse, die eine positive Einschätzung
veranlassen kann, ergeben hat. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur
Tätigkeit des formal als Geschäftsführer eingesetzten Herrn I. werden durch das
Vorbringen der Antragstellerin in der Beschwerde nicht hinfällig und können eine
andere Bewertung nicht bewirken. Bezüglich der Geschäftsführerin D. C. fehlt es
nach wie vor an der erforderlichen Prüfung zum Nachweis der fachlichen Eignung i. S.
d. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 PBefG i. V. m. den entsprechenden Bestimmungen
der Berufszugangsverordnung.
6
Der Widerruf der Genehmigungen für den Verkehr mit Mietwagen hat auch vor dem die
Berufsfreiheit schützenden Art. 12 Abs. 1 GG Bestand. Der Widerruf von
Genehmigungen nach dem Personenbeförderungsgesetz kommt im öffentlichen
Interesse zur Anwendung und ist angezeigt, um die Allgemeinheit vor Gefahren zu
schützen, die von einem Unternehmer ausgehen können, der nicht mehr alle
subjektiven Berufszugangsvoraussetzungen erfüllt. Dabei kann es sich – unabhängig
davon, ob, wie die Antragstellerin meint, Mitarbeiter der Genehmigungsbehörde über
das Eintreten derartiger Gefahren "wachen" – um solche Gefahren handeln, dass wegen
fehlender finanzielle Mittel nicht ausreichend gewartete Fahrzeuge eingesetzt werden
oder dass die mit einem (Mietwagen-)Betrieb verbundenen Pflichten nicht befolgt
werden. Die subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen nach § 13 Abs. 1 PBefG sind
aber zur Sicherstellung geordneter Verhältnisse im gewerblichen
Straßenpersonenverkehr geboten und daher verfassungsgemäß; ihr Fehlen oder zum
Widerruf von Genehmigungen führender Wegfall stellen sich dementsprechend als
zulässige Beschränkung der Berufsfreiheit dar.
7
Vgl. Fielitz/Grätz, Personenbeförderungsgesetz, Stand: Oktober 2010, § 13
Rdn. 4 ff.; Bidinger, Personenbeförderungsrecht, Stand: November 2010, B
§ 13 Anm. 4 ff., m. w. N.
8
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
9
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG, wobei
sich der Senat an der Wertannahme des Verwaltungsgerichts für acht betroffene
Mietwagen orientiert.
10
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
11