Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.01.2005

OVG NRW: schule, psychische störung, innere medizin, psychotherapeutische behandlung, erlass, eltern, schulweg, schulbesuch, zugang, bildungswesen

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 2375/04
07.01.2005
Oberverwaltungsgericht NRW
19. Senat
Beschluss
19 B 2375/04
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 L 2924/04
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR
festgesetzt.
Der Beschlusstenor soll den Beteiligten vorab telefonisch bekannt
gegeben werden.
Gründe:
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Prüfung des Senats ist auf diejenigen Gründe beschränkt, die die Antragstellerin mit
ihrer Beschwerde vorgetragen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Diese rechtfertigen es
nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) zu verpflichten, die Antragstellerin
vorläufig in eine Klasse der Jahrgangsstufen 5 oder 6 der von der Antragsgegnerin
geleiteten Gesamtschule aufzunehmen. Denn die Antragstellerin hat den erforderlichen
Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.
Eine - wie hier - vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kommt nur ausnahmsweise dann in
Betracht, wenn glaubhaft gemacht ist (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO),
dass der Antragstellerin ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung
schlechthin unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache
nicht mehr beseitigt werden können, und wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren
überwiegend wahrscheinlich ist.
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Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 11. September 2002 - 19 B 1597/02 - und 9. August
2002 - 19 B 1347/02 -, m. w. N.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Erlass der beantragten
einstweiligen Anordnung im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Zugang
zum öffentlichen Bildungswesen erforderlich ist, um schlechthin unzumutbare Nachteile
abzuwenden. Das Recht der Antragstellerin als Schülerin auf Erziehung und Bildung (Art. 8
Abs. 1 Satz 1 LV NRW, Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 GG) und das Recht ihrer Eltern, die
Erziehung und Bildung ihres Kindes zu bestimmen (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 LV NRW, Art. 6
Abs. 2 Satz 1 GG), umfassen das Recht auf Zugang zum öffentlichen Bildungswesen unter
zumutbaren Bedingungen und ferner das Recht, den einzuschlagenden schulischen
Bildungsweg und damit auch die Schulform frei zu wählen. Dieses verfassungsrechtlich
gewährleistete Recht beinhaltet lediglich die freie Wahl der Schulform, also des
entsprechenden Bildungsganges und des entsprechenden Ausbildungsziels, grundsätzlich
aber nicht die freie Wahl einer bestimmten Schule innerhalb derselben Schulform. Erst
wenn der Besuch einer anderen Schule der von den Eltern des Schülers gewählten
Schulform unter zumutbaren Bedingungen nicht möglich ist und deshalb durch
Nichtaufnahme auf die gewünschte Schule die verfassungsrechtliche Garantie der
Schulformwahl in Frage gestellt ist, kann sich ein Anspruch auf Aufnahme in eine
bestimmte Schule ergeben.
Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 11. September 2002 - 19 B 1597/02 -, 6. August 1998 - 19
B 1445/98 -, 19. Mai 1998 - 19 B 541/98 - und vom 30. August 1994 - 19 B 2132/94 -.
Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die beantragte Anordnung zur
Gewährleistung des Rechts auf Schulformwahlfreiheit nötig ist. Dem
Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass die Antragstellerin aus Gründen
fehlender Aufnahmekapazität nicht auf eine der vom Verwaltungsgericht auf Seite 4 seines
Beschlusses genannten anderen N. Gesamtschulen, die zu der gewählten Schulform
gehören, wechseln kann oder zum Beginn des Schuljahres 2004/2005 wechseln konnte.
Die Antragstellerin hat die vom Verwaltungsgericht angeführten Anhaltspunkte, die die
Annahme rechtfertigen, dass die Aufnahmekapazität der anderen N. Gesamtschulen nicht
erschöpft ist, nicht in Frage gestellt.
Die Antragstellerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass sie eine der anderen N.
Gesamtschulen nur unter Bedingungen besuchen kann, die so beschwerlich oder
unzumutbar sind, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zur Abwendung
unzumutbarer Nachteile erforderlich ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Schulweg zu einer
anderen Gesamtschule in N1. nicht hinreichend sicher oder zu weit, also bei Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel mit zumutbarem Zeitaufwand nicht zu bewältigen ist, hat die
Antragstellerin nicht aufgezeigt. Auch unter Berücksichtigung der behaupteten
gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragstellerin ergibt sich aus ihrem Vorbringen
nicht, dass sie den Schulweg nicht bewältigen kann. Der Besuch einer anderen Schule ist
nicht deshalb unzumutbar, weil die von der Antragsgegnerin geleitete Gesamtschule in
unmittelbarer Nähe der Wohnung der Eltern der Antragstellerin liegt.
Auch im Hinblick auf den Schulbesuch selbst ist nicht glaubhaft gemacht, dass der
Wechsel zu der von der Antragsgegnerin geleiteten Gesamtschule dringend notwendig ist
und die Verweisung auf eine andere Gesamtschule in N1. zu für die Antragstellerin
unzumutbaren Nachteilen führt, die den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung
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erforderlich machen. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie an einer
psychischen Erkrankung oder Störung leidet, die nur durch den begehrten Schulwechsel
geheilt oder behoben werden kann, und dass ihr nur durch den Schulwechsel ein
Schulbesuch überhaupt ermöglicht wird. Aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen
der Fachärztin für Innere Medizin Dr. T. vom 2. März 2004, wonach bei der Antragstellerin
eine "psychogen bedingte Allergie" besteht, und derjenigen des Dermatologen Dr. I. vom
10. März 2004, wonach die Antragstellerin an einer Trichotillomanie leidet und diese
psychische Störung aufgrund der Gespräche mit ihr und Familienangehörigen "offenbar auf
schulische Schwierigkeiten zurückzuführen" sei, ergibt sich, wie das Verwaltungsgericht zu
Recht zugrunde gelegt hat, nicht, dass die Antragstellerin durch die Versagung des
Wunsches, nur die von der Antragsgegnerin geleitete Gesamtschule zu besuchen, derart
psychisch erkrankt ist, dass ihr der Besuch jeder anderen Schule von vornherein unmöglich
ist. Unbeschadet der Frage, ob die genannten Ärzte die für die Beurteilung der Ursachen,
Auswirkungen und Therapiemöglichkeiten der angesprochenen psychischen Störung
erforderliche Sachkunde besitzen, ist den Bescheinigungen nicht zu entnehmen, dass die
Antragstellerin nur auf der gewünschten Schule beschult werden kann, ohne psychischen
Schaden zu nehmen. Dies folgt unmittelbar aus dem Text der Bescheinigungen selbst,
ohne dass entgegen dem Beschwerdevorbringen hohe oder zu hohe Anforderungen an
den Aussagegehalt der ärztlichen Stellungnahmen oder der Sachkunde gestellt werden. Es
ist Sache der Antragstellerin, die von ihr geltend gemachten tatsächlichen Umstände
glaubhaft zu machen, und die Anforderungen an die Glaubhaftmachung sind nicht deshalb
herabzusetzen, weil von den Ärzten, deren Bescheinigungen vorgelegt worden sind, weiter
gehende Erklärungen zu den Beschwerden und zu der zugrunde liegenden psychischen
Störung nicht erwartet werden können.
Auch mit den eidesstattlichen Versicherungen ihres Vaters vom 22. September und 11.
Oktober 2004 hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass sie nur die gewünschte
Schule besuchen kann. Es ist schon nicht ersichtlich, dass der Vater der Antragstellerin -
parallel in der Laiensphäre - hinreichend beurteilen kann, ob die Versagung des
Wunsches, dieselbe Schule wie die ältere Schwester zu besuchen, die alleinige oder
maßgebliche Ursache für die angeführten psychischen Störungen der Antragstellerin ist.
Soweit geltend gemacht wird, die Antragstellerin habe den unbedingten oder innigsten
Wunsch, dieselbe Schule zu besuchen, die auch die ältere Schwester besucht, es handle
sich um eine "fixe Idee" und um "eine nicht mehr korrigierbare Vorstellung", ist jedenfalls
nicht hinreichend dargetan, dass die Fixierung der Wunschvorstellung der Antragstellerin
auf den Besuch der von der Antragsgegnerin geleiteten Schule nicht durch nachhaltiges
eindringliches wie einfühlsames erzieherisches Einwirken der Eltern, auf deren
Mitwirkungspflicht bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, behoben werden kann.
Flankierend kommt hierfür auch eine schulpsychologische Beratung oder eine
außerschulische psychologische oder eine psychotherapeutische Behandlung in Betracht,
der sich die Antragstellerin nach ihrem Beschwerdevorbringen in den S. Klinken F. (Klinik
für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters) unterzieht. Dass
derartige Einwirkungen von vornherein keine Aussicht auf Erfolg bieten, ist nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf
§ 53 Abs. 3 Nr. 1 iVm § 52 Abs. 1, 47 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).