Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.11.2006

OVG NRW: karte, gebäude, gemeinde, abgrenzung, anbau, zustand, bergbau, verkehr, unternehmer, beweislast

Oberverwaltungsgericht NRW, 3 A 4011/04
Datum:
23.11.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 A 4011/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 9 K 902/00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 27.152,08 EUR
(53.104,86 DM) festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag hat keinen Erfolg. Das Zulassungsvorbringen ist nicht geeignet, im Sinne
von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, d.h. näher zu erläutern, dass einer der
Gründe vorliegt, die nach § 124 Abs. 2 VwGO die Zulassung der Berufung rechtfertigen.
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1. Der Kläger beanstandet zunächst, dass das Gericht seine Feststellung, es habe sich
bei der I. Straße im streitbefangenen Teilstück von der südlichen Grenze des
Grundstücks I. Straße 46 bis zum T. L.----weg nicht um eine bei Inkrafttreten des 1.
Ortsstatuts der Gemeinde I. im Jahre 1898 vorhandene Straße im Sinne des
Preußischen Fluchtliniengesetzes gehandelt, weil sie nicht innerhalb einer
geschlossenen Ortslage verlaufen sei (UA S. 11 ff.), auf eine Karte aus dem Jahr 1827
gestützt habe, welche Nachtragungen bis mindestens 1922 enthalte, die nicht genauer
zeitlich zugeordnet werden könnten. Bereits wegen dieser Unmöglichkeit der zeitlichen
Zuordnung, so der Kläger, sei die Karte als Entscheidungsgrundlage nicht geeignet.
Weitere überreichte Karten seien nicht aussagekräftig. Das Verwaltungsgericht sei der
aus § 86 Abs. 1 VwGO folgenden Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen. Es hätte
"weiteres ... historisches Kartenmaterial heranziehen können ..." Auch befänden sich im
Stadtarchiv noch weitere Dokumente, denen "möglicherweise weitere Informationen für
die Grundlage der Entscheidung zu entnehmen gewesen" wären.
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Aus diesem Vorbringen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch wird
hiermit ein dem Verwaltungsgericht unterlaufener Verfahrensfehler (Zulassungsgrund
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gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO
entsprechend dargelegt.
a) Der Karte aus dem Jahr 1827 kann entgegen der Annahme des Klägers eine
Aussagekraft für die Beurteilung, ob die hier fragliche Teilstrecke der I. Straße im Jahre
1898 innerhalb einer geschlossenen Ortslage verlief, nicht allein deshalb abgesprochen
werden, weil die dort bis (jedenfalls) zum Jahre 1922 vorgenommenen Nachtragungen
des Baubestandes nicht jeweils im einzelnen datiert worden sind. Dies steht zwar u.a.
der Feststellung entgegen, welche Gebäude zwischen dem Jahre 1898 und dem Jahre
1922 im fraglichen Bereich errichtet worden sind. Eine derartige Feststellung musste
das Verwaltungsgericht für sein Urteil aber auch nicht treffen. Hierfür reichte es vielmehr
aus festzustellen, dass - selbst - der in der Karte an dieser Stelle für das Jahr 1922
dokumentierte Baubestand noch keine geschlossene Ortslage darstellte, weil es keine
Anhaltspunkte dafür gibt, dass diesem Baubestand weitere zwischenzeitlich beseitigte
Baukörper hinzugerechnet werden müssten, weil sie am maßgeblichen Stichtag 30. Juli
1898 noch vorhanden gewesen wären.
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b) War demnach der maximale Umfang des Anbaues an der Straßenstrecke im Jahre
1898 der Karte aus dem Jahre 1827 nebst Nachtragungen hinreichend verlässlich zu
entnehmen und rechtfertigte dieser den Schluss, dass zu diesem Zeitpunkt keine
geschlossene Ortslage bestand, so ist der in diesem Zusammenhang erhobenen Kritik
an der Sachaufklärung des Verwaltungsgerichts bereits weitgehend die Grundlage
entzogen. Darüber hinaus hätte zur Darlegung eines Verstoßes gegen den
Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO ein substantiierter Vortrag des Klägers
gehört, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen noch
in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei
Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen
worden wären; weiterhin hätte entweder dargelegt werden müssen, dass bereits vor
dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die
Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist
oder dass sich dem Gericht nach den Umständen des Falles die bezeichneten
Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 -, NJW 1997, 3328.
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Diesen prozessualen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht mit seinen
bloßen Hinweisen auf "weiteres - tatsächlich vorhandenes - historisches
Kartenmaterial", das das Verwaltungsgericht hätte "heranziehen können", auf eine "über
die Leistungen des Klägers hinausgehende Sacharbeit", die das Verwaltungsgericht
hätte "leisten müssen" und dem Verweis auf drei "bspw." im Stadtarchiv E. befindliche
Quellen, aus denen "möglicherweise weitere Informationen für die Grundlage der
Entscheidung zu entnehmen gewesen" sein könnten.
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2. Der Kläger überreicht als Anlage zur Antragsschrift die Kopie eines nicht näher
gekennzeichneten Kartenausschnitts mit der Erklärung, hierbei handele es sich um
"eine weitere, bei zusätzlichen Untersuchungen des Klägers aufgefundene Karte des
streitgegenständlichen Bereichs aus dem Jahre 1871", auf der er "die zum
streitgegenständlichen Zeitpunkt vorhandenen Gebäude ... blau markiert" und "die
streitgegenständlichen Gebäude ... numeriert" habe. Unter Hinweis auf diese Karte und
die Eintragungen beanstandet er die vom Beklagten vorgenommene und vom
Verwaltungsgericht gebilligte Abgrenzung der als vorhandene Straße eingestuften
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nordwestlichen Teilstrecke der I. Straße jenseits der südlichen Grenze des Grundstücks
I. Straße Nr. 46 von der hieran anschließenden, beitragsmäßig abgerechneten
Straßenstrecke als "willkürliche Abschnittbildung".
Dieses Vorbringen vermag schon deshalb keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) am angefochtenen Urteil zu wecken, weil die vom Kläger vorgelegte Karte zum
Beleg irgendwelcher Bebauungsverhältnisse an der I. Straße und zur Stützung hieran
anknüpfender Schlussfolgerungen ungeeignet ist. Denn der Kläger führt in seinem
Zulassungsantrag zur Herkunft dieser Karte nur aus, er habe sie "bei zusätzlichen
Untersuchungen aufgefunden" (wann?, wo?) und macht zur Grundlage der von ihm
hierauf angebrachten Farbmarkierungen keinerlei Angaben; die Schlussfolgerungen,
die er aus der Karte zieht, sind zudem teilweise unplausibel oder unzutreffend. Dass die
Karte aus dem Jahr 1871 stammt, ist wegen gegenteiliger Anhaltspunkte, zum Beipiel
dem Hinweis auf einen "Anschluß Bebauungsplan Entwurf Ap 113" (wohl ein Hinweis
auf das heutige E. -B. ) für einen nördlich an die I. Straße grenzenden Bereich, der
Kennzeichnung von Plangebietsflächen gemäß der erst nach Inkrafttreten des
Bundesbaugesetzes erlassenen Planzeichenverordnung und dem mehrfachen Hinweis
auf Normen des BBauG nicht zu Grunde zu legen. Worin die Erklärung für die
Farbkennzeichnung (nur) einiger auf dem Plan dargestellter Gebäude zu sehen ist, ist
ebenfalls nicht erkennbar und wird vom Kläger auch nicht näher erläutert. Schließlich ist
das mit der Ziffer 1 gekennzeichnete Gebäude gegenüber den Grundstücken I. Straße
44 und 46 entgegen den Angaben des Klägers kein "streitgegenständliches" Gebäude,
da es an der als "vorhandene" Straße angesehenen Teilstrecke der I. Straße liegt und
demgemäß nicht von einer (ggf. streitigen) Erschließungsbeitragserhebung betroffen ist.
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Angesichts dieser Unklarheiten und Unstimmigkeiten ist die auf die Karte und die
Karteneintragungen gestützte Argumentation des Klägers nicht geeignet, die tragenden
Erwägungen des angefochtenen Urteils zu erschüttern. Abgesehen hiervon
berücksichtigt das Zulassungsvorbringen des Klägers nicht, dass es sich bei der
nordwestlichen Abgrenzung der streitbefangenen Straßenstrecke nach den
Feststellungen des Verwaltungsgerichts (UA S. 9) eben nicht um eine Abschnittsgrenze
innerhalb ein und derselben Erschließungsanlage handelt, bei deren Festlegung dem
Beklagten Ermessen zukam und hinsichtlich deren eine Orientierung an den in § 130
Abs. 2 Satz 2 BauGB genannten Kriterien geboten war, sondern um den Beginn einer
aus Rechtsgründen - dem Anschluss an eine "vorhandene Straße" - selbstständigen
Erschließungsanlage.
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Zur Qualifizierung der "Verlängerung" einer vorhandenen Erschließungsanlage als
selbstständige Erschließungsanlage vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1984 - 8 C
41.83 -, Buchholz 406.11 § 135 BBauG Nr. 26.
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3. Auch die übrigen Beanstandungen, die der Kläger gegen die Feststellung des
Verwaltungsgerichts erhebt, die hier betroffene Teilstrecke der I. Straße sei keine
vorhandene Straße im Sinne des Preußischen Fluchtliniengesetzes gewesen, wecken
keine ernstlichen Zweifel am angefochtenen Urteil.
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a) Die vom Verwaltungsgericht ohnehin nur ergänzend herangezogene Qualifizierung
der - einzigen - beiden Gebäude an der Strecke als "verstreut liegende Anwesen in
einem ländlichen Bereich" wird in der Antragsschrift des Klägers nicht erschüttert. Seine
Behauptung, die vom Verwaltungsgericht angesprochene ungleichmäßige
Parzellierung der Grundstücke sei "zum damaligen Zeitpunkt üblich" gewesen, ist
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unbelegt; sie ist zudem nicht mit den Nachtragungen von Grundstücksparzellierungen in
der Karte von 1827 zu vereinbaren, die ersichtlich mit der Errichtung von Gebäuden an
der I. Straße einhergingen. Dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen sein
könnte, das Vorhandensein von Stallungen bei einigen Gebäuden lasse "den Charakter
einer geschlossenen Ortslage entfallen", ergibt sich aus dem Urteil nicht. Die
Qualifizierung eines Anwesens als "verstreut" und "in einem ländlichen Bereich"
gelegen ist unabhängig davon, ob dessen Bewohner im Bergbau arbeitet. Ohne
Bedeutung für die Frage, ob die beiden Gebäude eine geschlossene Ortslage bilden
oder einer solchen, die der Beklagte entlang der nördlich angrenzenden Straßenstrecke
angenommen hat, zugehören, ist ferner das vom Kläger angesprochene
Selbstverständnis der Bewohner als "Stuchtey-Bürger". Zu Recht hat schließlich schon
das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass die Bebauungssituation in der
Nachbargemeinde C. für die Qualifizierung der Straßenstrecke als vorhandene Straße
in der Gemeinde I. nichts hergibt.
b) Den Ausführungen des Klägers zu der Frage, ob sich die hier betroffene Teilstrecke
der I. Straße vor 1898 in einem Zustand befand, den die Gemeinde für den inneren
Anbau und den innerörtlichen Verkehr für ausreichend hielt, muss nicht weiter
nachgegangen werden. Denn das Verwaltungsgericht hat sein Urteil hierauf nicht
gestützt, sondern diese Frage ausdrücklich offen gelassen (UA S. 14: "Keiner
abschließenden Klärung bedarf auch ...").
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4. Soweit der Zulassungsantrag sich gegen die Feststellung des Verwaltungsgericht
wendet, die hier fragliche Straßenstrecke sei auch nicht innerhalb des Zeitraums bis
zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes gemäß den jeweils geltenden ortsrechtlichen
Bestimmungen programmgemäß fertiggestellt worden (UA S. 14 ff.), weckt das
Zulassungsvorbringen ebenfalls keine ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils. Der Kläger legt auch insofern keine Gründe dar, die tragende
Argumente im angefochtenen Urteil mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellten.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, sämtliche einschlägigen ortsrechtlichen
Bestimmungen hätten für eine Anbaustraße die Anlegung von Bürgersteigen verlangt.
Hieran hätte es bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes jedoch gefehlt. Ein
Beschluss, dass für die hier betroffene Straßenstrecke die Herstellungsanforderungen
geändert worden seien, sei nicht ersichtlich. Schon deshalb sei die Straße nicht
fertiggestellt gewesen.
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Hiergegen wendet sich der Kläger ohne Erfolg. Hinsichtlich der Rüge unzureichender
Ermittlungen des Verwaltungsgerichts kann auf die obigen Ausführungen zu den
Darlegungsanforderungen verwiesen werden. Soweit der Kläger auf die Regelungen
der § 12 und 13 des Ortsstatuts der Gemeinde I. vom 30. Juli 1898 verweist und meint,
wegen der dortigen Regelungen aus der Unterhaltungspflicht der Gemeinde auf einen
den damaligen Anforderungen genügenden Ausbau der Straße schließen zu können,
übersieht er, dass die zitierten Regelungen zu Abschnitt C. des Ortsstatuts, "Anlage
neuer Straßen durch Unternehmer", gehören und Bestimmungen für die Übernahme von
"Unternehmerstraßen" durch die Gemeinde enthalten. Der Kläger legt nicht dar, dass
und aus welchem Grunde es sich bei der I. Straße um eine derartige, in privater Initiative
neu angelegte (vgl. § 9 des Ortsstatuts) und von der Gemeinde nach Fertigstellung als
Gemeindestraße übernommene Straße handeln sollte. Von daher besteht kein
Ansatzpunkt, diese Normen auf die vorliegend zu beurteilende Straßenstrecke
anzuwenden oder hieraus irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen.
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Der Hinweis des Klägers auf die Beweislast bei Unaufklärbarkeit der
programmgemäßen Fertigstellung greift ebenfalls nicht durch, da das
Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht hierauf gestützt hat, sondern auf die
Feststellung, dass die Straßenstrecke in ihrem - aktenkundigen - Ausbau ohne
Gehwege den jeweiligen ortsrechtlichen Regelungen nicht entsprochen habe.
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Welche Folgerungen für die streitbefangene Vorausleistungserhebung der Kläger
daraus ziehen will, dass nach den Regelungen des Ortsstatuts von 1898
Straßenbaukosten nur im Baufall erhoben werden konnten, wird aus dem
Zulassungsantrag nicht deutlich. Darauf, dass das Kreiswegestatut von dem Ortsstatut
zu unterscheiden und daher eine Übereinstimmung des Straßenausbauzustandes "im
großen und ganzen" mit ersterem über die Übereinstimmung mit letzterem nichts
aussagt, hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil zu Recht hingewiesen (UA
S. 16).
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5. Soweit der Kläger schließlich in seinem Zulassungsantrag auf erstinstanzliches
Vorbringen verweist, genügt dies wegen der fehlenden Ausrichtung der hiermit
angesprochenen Ausführungen an der angefochtenen Entscheidung nicht den
Begründungs- und Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung in
Höhe der Summe der - noch - festgesetzten Erschließungsbeiträge (entsprechend
41.954,14 DM + 11.150,72 DM = 53.104,86 DM) beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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