Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.09.2004
OVG NRW (antragsteller, kanalisation, verhältnis zu, bebauungsplan, antrag, anordnung, anschluss, gebäude, grundstück, vollzug)
Oberverwaltungsgericht NRW, 7a B 781/04.NE
Datum:
17.09.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7a Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7a B 781/04.NE
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
1
Der sinngemäße Antrag,
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den (rückwirkend) am 24. Oktober 2003 in Kraft getretenen Bebauungsplan Nr. 124 A
der Antragsgegnerin bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag der
Antragsteller 7a D 56/04.NE außer Vollzug zu setzen,
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ist - das vorgetragene Eigentum der Antragsteller an dem Grundstück V.----- straße 5 in
X. unterstellend - zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Aus dem Antrag ergeben
sich keine den Antragstellern drohenden schweren Nachteile oder andere entsprechend
gewichtige Gründe, die es erfordern, den Bebauungsplan vorläufig außer Vollzug zu
setzen.
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Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung
erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen
Gründen dringend geboten ist. Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an
die Aussetzung des Vollzugs einer (untergesetzlichen) Norm erheblich strengere
Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung
stellt.
5
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1998
6
- 4 VR 2.98 -, NVwZ 1998, 1065.
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Die einstweilige Anordnung nimmt jedenfalls teilweise die begehrte Entscheidung in der
Hauptsache vorweg. Die streitige Rechtsnorm darf ganz oder teilweise zu Lasten der
Allgemeinheit oder der von ihr Begünstigten nicht mehr angewendet werden. Dies ist
nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen gerechtfertigt, die durch Umstände
gekennzeichnet sind, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung gleichsam
unabweisbar machen.
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Vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. Dezember 2003
9
- 7a B 2613/03.NE - und vom 28. November 2003
10
- 7a B 2228/03.NE.
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Die Gründe, die für die Ungültigkeit der Norm vorgebracht werden, werden im Regelfall
nicht untersucht, weil die Prüfung der Norm nicht Gegenstand des einstweiligen
Verfahrens ist, es sei denn, der Antrag in der Hauptsache würde sich bereits als
offensichtlich erfolgreich oder nicht erfolgreich erweisen.
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Vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. März 2004
13
- 7a B 408/04.NE - und vom 25. Januar 1979
14
- VIIa ND 5/78 -, BRS 35 Nr. 31.
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Selbst wenn ein Bebauungsplan offensichtlich unwirksam sein sollte, hat ein Antrag auf
Außervollzugsetzung nicht allein aus diesem Grunde Erfolg. Denn die
Außervollzugsetzung muss zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen
Gründen dringend geboten sein. Dies wird gewöhnlich nur dann angenommen werden
können, wenn durch das Unterlassen der Außervollzugsetzung irreversible Fakten
geschaffen werden, die unter Berücksichtigung aller durch die Planung betroffenen
Interessen die Außervollzugsetzung gebieten.
16
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28. November 2003 - 7a B 2228/03.NE - und vom 23.
Dezember 1980 - 11a ND 19/80 -, BRS 36 Nr. 40.
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Der bloße Vollzug des Bebauungsplans stellt keinen schweren Nachteil in dem
genannten Sinne dar. Die Realisierung eines Bebauungsplans ist immer dessen vom
Gesetz unterstelltes Ziel. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, die zu erwartende
Verwirklichung des Bebauungsplans gäbe als solche bereits Anlass, bei einem gegen
den Bebauungsplan gerichteten - zumindest zulässigen - Normenkontrollantrag den
Plan zunächst nicht umzusetzen, hätte er eine entsprechende gleichsam automatisch
wirkende Regelung getroffen. Das ist indessen nicht geschehen. Erforderlich ist
vielmehr für den Erfolg des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, dass
die Umsetzung des Plans für den Antragsteller konkret eine schwerwiegende
Beeinträchtigung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für rechtlich geschützte
eigene Rechtspositionen erwarten lässt.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Dezember 2003 - 7a B 2613/03.NE - und vom 12.
März 2002
19
- 7a B 1262/01.NE -, mit weiteren Nachweisen.
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Gemessen an diesen Maßstäben scheidet eine Außervollzugsetzung des
Bebauungsplans Nr. 124 A der Antragsgegnerin hier aus.
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Dass die Antragsteller einen schweren Nachteil im dargelegten Sinne zu gewärtigen
hätten, wenn der strittige Bebauungsplan nicht außer Vollzug gesetzt, sondern vor
Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwirklicht würde, ist auch unter
Berücksichtigung ihres Vorbringens im vorliegenden Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes sowie im bereits anhängigen Hauptsacheverfahren (7a D 56/04.NE)
nicht ersichtlich.
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Zwar muss einer Bauplanung eine Erschließungskonzeption zugrunde liegen, nach der
das im Plangebiet anfallende (Schmutz- und) Niederschlagswasser so beseitigt werden
kann, dass Gesundheit und Eigentum der Planbetroffenen diesseits und jenseits der
Plangrenzen keinen Schaden nehmen. Überschwemmungen und Wasserschäden als
Folge der Planverwirklichung müssen auch die Nachbarn des Plangebiets nicht
hinnehmen. Dem Plan adäquat-kausal zuzurechnen sind auch Überflutungsgefahren,
die dadurch ausgelöst werden, dass das im Plangebiet niedergehende Regenwasser
über einen öffentlichen Kanal abgeführt wird, dessen Kapazität bereits vor Anschluss
des Plangebiets durch andere Regenwasserzuflüsse erschöpft oder gar überschritten
war. Insoweit setze planbedingte Missstände, die den Grad der Eigentumsverletzung
erreichen und einer Rechtfertigung vor Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG nicht
standhalten, der Bauleitplanung äußerste, mit einer "gerechten Abwägung" nicht
überwindbare Grenzen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2002
24
- 4 CN 14.00 -, BRS 65 Nr. 17.
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Allerdings lässt das Vorbringen der Antragsteller bereits nicht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, der Wasserschaden in der Vergangenheit sei
(allein) auf ein unterdimensioniertes Kanalnetz zurückzuführen gewesen. Erst Recht
kann nicht prognostiziert werden, dass bis zur Entscheidung über den
Normenkontrollantrag in der Hauptsache den Antragstellern ein nennenswerter
Schaden, insbesondere ein Wassereintritt in ihren Keller droht, der auf dem Anschluss
des Plangebiets an die öffentliche Kanalisation beruht und der durch das von dort
eingeleitete Schmutz- und Niederschlagswasser bedingt ist.
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Die Antragsteller tragen hierzu vor, 2002 (evtl. auch 1995) habe es einen nicht näher
bezeichneten Wasserschaden in ihrem Keller gegeben bzw. in Zusammenhang mit dem
Regenereignis am 19. August 2002 seien Schäden an ihrem Gebäude entstanden. Das
Wasser sei nicht unmittelbar aus dem Kanalanschluss ins Gebäude zurückgestaut
worden, sondern über die Außenwände in die Kellerräume eingedrungen. Bei
Anschluss des Plangebiets an die öffentliche Kanalisation in der Lessingstraße, in die
auch die Abwässer des Grundstücks der Antragsteller abgeleitet werden, drohten
weitere und erhebliche Schäden. Dieser Vortrag der Antragsteller rechtfertigt den Erlass
der begehrten einstweiligen Anordnung nicht.
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Die von den Antragstellern vorgetragenen "Seenbildungen" im Kreuzungsbereich M.-----
-straße / Q.---straße betrafen und betreffen das Grundstück der Antragsteller schon
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deshalb nicht, weil die genannte Kreuzung auf einer Höhe von 181,8 m üNN liegt, das
Grundstück V.-----straße 5 jedoch deutlich höher. Nach den Höhenangaben im
Übersichtsplan zum Bebauungsplan Nr. 124 A weist die T.------- straße vom Bereich der
Zuwegung zum Sportplatz bis zur gedachten Verlängerung bis zum H. Weg ein Gefälle
von 186,1 auf 181,7 m üNN auf. Das bisherige südwestliche Ende der M.------straße liegt
auf 185,3 m üNN. Aus diesen Daten folgt, dass das Grundstück der Antragsteller
deutlich höher liegt als 182 m über NN.
Die Antragsteller machen nicht geltend, in der Vergangenheit sei das Mischwasser aus
dem Kanal in ihr Haus eingedrungen. Vielmehr verweisen sie darauf, dass
beispielsweise die Fallleitungen für Niederschlagswasser bis zur Rückstauebene
volllaufen können, so dass Oberflächenwasser über die Drainageleitungen in das
Gebäude eindringen könne. Sinngemäß behaupten sie hiermit, das auf dem eigenen
Grundstück anfallende Niederschlagswasser sei bei dem Großregenereignis am 19.
August 2002 (vielleicht auch 1995) in das Gebäude eingedrungen, weil es nicht in die
überlastete Kanalisation habe abfließen können. Dies lässt nicht auf eine
unzureichende Dimensionierung der Kanalisation schließen. Der Senat teilt die Ansicht
der Antragsgegnerin, dass es einer Gemeinde nicht zuzumuten ist, ein Kanalsystem zu
errichten und zu unterhalten, das alle denkbaren Regenereignisse aufnehmen kann.
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Vgl. zu den Anforderungen an die Dimensionierung einer Kanalisation unter
zivilrechtlichen Gesichtspunkten: BGH, Urteile vom 5. Oktober 1989 - III ZR 66/88 -,
BGHZ 109, 8 = NJW 1990, 1167, vom 11. Juli 1991 - III ZR 177/90 -, BGHZ 115, 141 =
NJW 1992, 39, vom 11. Dezember 1997 - III ZR 52/97 -, NJW 1998, 1307, und vom 18.
Februar 1999 - III ZR 272/96 -, BRS 62 Nr. 13.
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Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin ist das Kanalnetz in dem
betroffenen Einzugsbereich entsprechend dem Generalentwässerungsplan nach 1995,
nämlich 1997/1998, saniert worden. Die seither einmalige Überlastung der Kanalisation
am 19. August 2002 bei einer Niederschlagsmenge, die - nach den Mengenangaben
der Antragsteller - den so genannten Bemessungsregen um deutlich mehr als die Hälfte
überstieg, ist auch bei einem hinreichend ausgebauten und ordnungsgemäß gewarteten
Kanalsystem nicht zu verhindern. Sonstige konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die
Kapazität der Kanalisation im hier maßgeblichen Bereich mit Blick auf die vorhandene
Bebauung und befestigten Flächen nicht hinreichend bemessen ist, zeigen die
Antragsteller nicht auf.
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Ebenso wenig ist ersichtlich oder von den Antragstellern dargelegt, dass mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das Hinzutreten weiterer Wohnbebauung und
befestigter Flächen im Plangebiet Schmutz- und Niederschlagswasser in einem Umfang
eingeleitet werden wird, der zu einer Überlastung der Kanalisation mit als
Eigentumsverletzung zu wertenden Schäden ihres Grundeigentums führen könnte.
Auch insoweit ist, da die Problematik des Rückstaus aus dem Kanal nach eigenem
Vortrag der Antragsteller keine Rolle spielt, lediglich das Oberflächenwasser in den
Blick zu nehmen. Die Antragsgegnerin trägt hierzu vor, dass auch nach Anschluss des
Plangebiets das Kanalnetz, bezogen auf den so genannten Bemessungsregen,
lediglich zu 65 % ausgelastet sein wird. Dem haben die Antragsteller nichts substantiiert
entgegengesetzt. Auch unabhängig hiervon ist wenig dafür ersichtlich, dass die
Befürchtung der Antragsteller berechtigt sein könnte.
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass in dem gesamten Plangebiet nur vielleicht 24
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Wohngebäude errichtet werden können. Das von hiernach geschätzt weniger als 100
Menschen in das Kanalnetz in diesem Bereich eingeleitete Schmutzwasser dürfte
- soweit im vorliegenden Verfahren zu beurteilen - im Verhältnis zu dem Abwasser der
Anwohner des I. Feldchens sowie der T1. -, M1. -, S. -, V1. - und Q.---straße nicht
nennenswert ins Gewicht fallen. Ähnliches dürfte für das Niederschlagswasser gelten.
Die Fläche des Plangebiets beträgt gerade einmal ca. 1,8 ha und ist damit um ein
Vielfaches kleiner als das durch die vorgenannten Straßen bestimmte Gebiet. Zudem
soll das im Plangebiet anfallende Regenwasser für einen kleineren Teilbereich im
Nordwesten nach der Planzeichnung iVm. Nr. 3.4 der Planbegründung in einem kleinen
Teich gesammelt und nur gedrosselt an die Kanalisation abgegeben werden. Da die
Wohngebäude kaum gleichzeitig erbaut werden, dürfte auch die Wahrscheinlichkeit
gering sein, dass in dem Zeitraum zwischen dem vollständigen Anschluss des
Plangebiets und der Entscheidung in dem Normenkontrollverfahren in der Hauptsache
ein so weit über den Bemessungsregen hinausgehendes Regenereignis stattfinden
wird, das zu einer Überlastung der Kanalisation und damit grundsätzlich zu
Kellerüberflutungen durch Oberflächenwasser führen könnte.
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Abgesehen von der nach alledem geringen Wahrscheinlichkeit eines adäquat- kausal
auf die Planung zurückzuführenden Schadens der Antragsteller an ihrem Gebäude
durch Eintritt von Oberflächenwasser, das nicht über die Kanalisation abfließen kann, ist
im Übrigen nicht dargetan, dass durch die Verwirklichung des Bebauungsplans,
namentlich die Errichtung der Wohnhäuser, mit Blick auf die Entwässerung Fakten
geschaffen werden, die nicht oder nur schwer zu korrigieren sind. Sollte sich der
Bebauungsplan wegen eines zugrunde liegenden Entwässerungskonzepts im
Hauptsacheverfahren als abwägungsfehlerhaft erweisen, würde eine - unterstellt -
unzureichende Beseitigung von Schmutz- und Niederschlagswasser im Plangebiet und
den anschließenden Wohngebieten nachgebessert werden können. Die weitere
"Sanierung" der Kanalisation, wie sie im Rahmen der 2. Offenlage unter anderem der
Antragsteller zu 2 als damaliger Bevollmächtigter mit Schreiben vom 4. April 2003, Seite
8, gefordert hatte, ließe sich - wenn nötig - im Nachhinein durchführen. Dies gilt auch für
die von den Antragstellern vermutete und von der Antragsgegnerin bestrittene nicht
ausreichende Hygiene im Bereich des Regenrückhaltebeckens (Teich) im nordöstlichen
Plangebiet.
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Nach alledem kommt es nicht mehr auf den Vortrag der Antragsteller zur Unwirksamkeit
des Bebauungsplans an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in der bis
zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung.
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