Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.05.1999

OVG NRW (mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, land berlin, höhe, berlin, vater, amt, darlehen, land, eltern, fruchtlose pfändung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 1095/96
Datum:
10.05.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 A 1095/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 5 K 7516/94
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der ihr während des Studiums
darlehensweise gewährten Ausbildungsförderung diejenigen Beträge zurückzahlen
muß, die ihr anstelle des angerechneten Unterhaltsbetrages ihres Vaters als
Vorausleistung nach § 36 BAföG gewährt worden sind.
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Die Klägerin erhielt von Oktober 1984 bis September 1988 für vier
Bewilligungszeiträume von jeweils 12 Monaten Vorausleistungen, und zwar für den
ersten in Höhe von 209,60 DM, für den zweiten in Höhe von 243,55 DM, für den dritten
in Höhe von 357,- DM und für den vierten in Höhe von 298,- DM, insgesamt in Höhe von
13.291,32 DM. Für den ersten Bewilligungszeitraum wurden der Klägerin 678,- DM (bis
12/84) bzw. 823,- DM (ab 1/85) monatlich als Darlehen bewilligt und für den zweiten
685,- DM, wobei die Einkommensverhältnisse des Vaters der Klägerin aus dem Jahr
1982 bzw. 1983 zugrundegelegt wurden. Im dritten und vierten Bewilligungszeitraum
stimmten die Förderungsbeträge mit den Vorausleistungsbeträgen überein.
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Mit Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid vom 6. Februar 1994 stellte das
Bundesverwaltungsamt die Darlehensschuld der Klägerin auf 24.621,- DM fest, setzte
das Ende der Förderungshöchstdauer auf Ende September 1989 fest und forderte die
Klägerin zur Rückzahlung ab 31. Oktober 1994 in Vierteljahresraten von 600,- DM auf.
Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, und zwar u.a. gegen die Höhe der
Darlehensschuld. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 1994 wies das
Bundesverwaltungsamt diesen Widerspruch zurück, nachdem es vom Studentenwerk
Berlin die gezahlten BAföG- Beträge sich hatte bestätigen lassen.
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Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen: Für die Rückforderung reiche
es nicht aus, daß die Bewilligungsbescheide nur vereinzelt den Vorbehalt der
Rückforderung auswiesen. Das Amt für Ausbildungsförderung habe die
Vorausleistungen ausnahmslos zu hoch berechnet, weil ihr Vater im Jahre 1984 im
Gegensatz zu den zugrundegelegten Jahren 1982 und 1983 keine Einkünfte mehr
gehabt habe. Da eine Unterhaltsverpflichtung ihres Vaters nicht bestanden habe, hätten
ihr Vorausleistungen als endgültige Leistung zugestanden und hätte das Ausfallrisiko
die öffentliche Hand getroffen. Da die Vorausleistungen wegen der nachgewiesenen
katastrophalen wirtschaftlichen Situation ihres Vaters rechtswidrig gewesen wären,
könne die Beklagte nun aus den rechtswidrigen Bescheiden nicht die Rückzahlung der
Vorausleistung verlangen. Das Amt für Ausbildungsförderung habe es schließlich
pflichtwidrig unterlassen, den Betrag der Vorausleistungen gegenüber ihrem Vater
geltend zu machen. Es habe lediglich die monatliche Unterhaltsrente aus dem Titel vom
26. Oktober 1970 in Höhe von insgesamt 2.292,- DM nach der Titelumschreibung
eingefordert und bis zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung acht Jahre benötigt,
so daß nicht auszuschließen sei, daß ihr Vater zwischenzeitlich zahlungsfähig gewesen
wäre. Entgegen seiner eidesstattlichen Versicherung vom 29. Juli 1994 dürfte ihr Vater
nicht vermögenslos gewesen sein. Dessen Eltern hätten ein Grundstück in Bad S. (T.
ring), K. Straße 18, gehabt. Gemäß Grundbuchauszug vom 5. Dezember 1995 sei die
Anfang der 60-iger Jahre verstorbene Mutter ihres Vaters noch im Grundbuch
eingetragen. Ihr Vater sei daher zusammen mit seinen beiden Geschwistern
Miteigentümer dieses Grundstücks, aus dem die Beklagte sich folglich befriedigen
könne.
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Die Klägerin hat sinngemäß beantragt, den Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid
des Bundesverwaltungsamtes vom 6. Februar 1994 und dessen Widerspruchsbescheid
vom 22. August 1994 insoweit aufzuheben, als hierin eine 11.329,68 DM übersteigende
Darlehensgesamtschuld festgestellt und zurückgefordert wird,
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hilfsweise "der Klägerin nach Auflösung des Vorbehalts (rückwirkend) Vorausleistung
nach § 36 BAföG zu gewähren";
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hilfsweise "die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts über die Höhe der Vorausleistungen erneut zu
bescheiden".
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und ist der Meinung, daß das Amt
für Ausbildungsförderung alles ihm Zumutbare getan habe. Für den
Bewilligungszeitraum 10/84 bis 9/85 habe es letztlich erfolglos aus dem Unterhaltstitel
in Höhe von 2.292,- DM zu vollstrecken versucht. Nicht einmal das Zwangsgeld in Höhe
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von 100,- DM habe vollstreckt werden können. Für die Bewilligungszeiträume ab 10/85
sei es wegen der nachgewiesenen katastrophalen wirtschaftlichen Situation des Vaters
der Klägerin nicht verpflichtet gewesen, Unterhaltsansprüche geltend zu machen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil abgewiesen.
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Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Das
Studentenwerk Berlin habe mit Bescheid vom 20. März 1986 angezeigt, daß die
Unterhaltsansprüche gegen den Vater auf das Land Berlin übergingen, und es sei daher
Inhaberin des Unterhaltsanspruchs. Während des anhängigen Klageverfahrens habe
das Studentenwerk es abgelehnt, einen erneuten Vollstreckungsversuch gegenüber
dem Vater der Klägerin zu unternehmen, obwohl dieser über Grundvermögen in Bad S.
verfüge und dem Amt die derzeitige Meldeanschrift ihres Vaters in 10999 Berlin, R.
Straße , Etage 3 links, mitgeteilt worden sei. Auch nach Erlaß des Feststellungs- und
Rückzahlungsbescheides bestehe für das Amt für Ausbildungsförderung die Pflicht,
alles ihm Zumutbare zu tun, um den Anspruch gegen den Unterhaltsverpflichteten
durchzusetzen. Da sie selbst wegen des Anspruchsübergangs die Durchsetzung nicht
vorantreiben könne, bestehe die Pflicht des Amtes solange fort, bis der Anspruch auf sie
zurückübertragen worden sei. Bei endgültigem Verzicht der Behörde, gegen den Vater
vorzugehen, müsse das Amt den Titel auf den Auszubildenden zurückübertragen. Dies
habe das Studentenwerk Berlin ihr gegenüber jedoch mit Schreiben vom 25. April 1996
ebenfalls abgelehnt. Die nunmehr erfolgte Pflichtverletzung sei noch zu berücksichtigen,
weil es sich bei dem Rückzahlungsbescheid um einen Dauerverwaltungsakt handele,
bei dem für die Anfechtungsklage nach der Rechtsprechung die Sach- und Rechtslage
zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend sei. Denkbar sei
schließlich auch, daß das Grundstück inzwischen veräußert worden sei. Dann dürften
die Voraussetzungen für die Rückzahlung des gewährten Darlehens gänzlich
weggefallen sein.
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Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und den
Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 6.
Februar 1994 und dessen Widerspruchsbescheid vom 22. August 1994 insoweit
aufzuheben, als hierin eine 11.329,68 DM übersteigende Darlehensgesamtschuld
festgestellt und zurückgefordert wird.
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Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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Ihrer Meinung nach hat das Studentenwerk Berlin alles ihm Zumutbare getan. Auch die
Ablehnung eines erneuten Vollstreckungsversuchs sei nicht pflichtwidrig gewesen, weil
es dem Verhalten eines vernünftigen Gläubigers entspreche, nach mehreren
vergeblichen Vollstreckungsversuchen und eidesstattlichen Versicherungen des
Unterhaltsschuldners die Forderung endgültig nicht weiter zu verfolgen. Die endgültige
Niederschlagung der Forderung sei gerechtfertigt gewesen, denn zu beanstanden wäre
eher die weitere Vollstreckung, nicht aber deren Unterlassung. Die Vorausleistungen
seien nämlich gemäß § 36 Abs. 2 BAföG aufgrund fiktiven Einkommens des Vaters der
Klägerin gewährt worden, weil es nicht möglich gewesen sei, durch Urkunden
nachweisbare Einkommensdaten zu erhalten. Aufgrund der zahlreichen erfolglosen
Vollstreckungsversuche sei aber davon auszugehen, daß der Vater der Klägerin mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit während des vierjährigen
Förderungszeitraums einkommenslos gewesen sei, so daß die Vorausleistungen bei
richtiger Bearbeitung in normale Förderung hätten umgewandelt werden müssen. Es
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bestehe schließlich auch keine Pflicht, bei endgültigem Verzicht auf die Durchsetzung
der Forderung diese an den ursprünglichen Gläubiger zurückzuübertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des
Bundesverwaltungsamtes (2 Bände) und des Studentenwerks Berlin (4 Bände) Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß
§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen
Erfolg; denn das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Hauptantrag, der allein
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, zu Recht abgewiesen. Der teilweise
angefochtene Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes
vom 6. Februar 1994 und dessen Widerspruchsbescheid vom 22. August 1994 sind in
vollem Umfang rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
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Der Feststellungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 6. Februar 1994, durch
den für die Kalenderjahre 1985 bis 1988 eine Darlehensschuld von 10.596,- DM, 5.133,-
DM, 5.277,- DM und 3.615,- DM, zusammen also von 24.621,- DM festgestellt worden
ist, ist rechtmäßig; denn der Klägerin sind für die vier Bewilligungszeiträume von
Oktober 1984 bis September 1988 durch die Bewilligungsbescheide vom 20. März 1986
(Bl. 122, 123, 125 BA III), vom 20. Juli 1987 (Bl. 254 BA II) und vom 20. Juni 1990 (Bl.
325 BA II) BAföG-Darlehen in dieser Höhe bewilligt worden. Dies wird von der Klägerin
auch nicht in Abrede gestellt; denn sie wendet sich ausschließlich gegen die
Rückzahlung derjenigen Teile der BAföG-Darlehen, die ihr als Vorausleistungen
gewährt worden sind.
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Aber auch der Rückzahlungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 6. Februar
1994 und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid vom 22. August 1994 sind
rechtmäßig, soweit das gesamte Darlehen in Höhe von 24.621,- DM zurückzuzahlen ist
und nicht nur ein Teilbetrag in Höhe von 11.329,68 DM, wie die Klägerin beantragt.
Soweit die Klägerin in erster Instanz aus dem Fehlen von Rückforderungsvorbehalten in
Bewilligungsbescheiden und einer angeblich zu hohen Festsetzung der
Vorausleistungen die Rechtswidrigkeit des Rückzahlungsbescheides herzuleiten
versucht hat, hat sie diese Rechtsansicht im Berufungsverfahren - zu Recht - nicht weiter
verfolgt. Die endgültigen Bewilligungsbescheide dürfen selbstverständlich keinen
Rückforderungsvorbehalt mehr enthalten und tun dies auch nicht, ohne daß dadurch die
Rückforderung der Darlehen durch das Bundesverwaltungsamt in Frage gestellt werden
kann, und wenn der Teil der BAföG-Darlehen, der als Vorausleistung gewährt worden
ist, anders festgesetzt worden wäre, wäre dadurch die Bewilligung der
Ausbildungsförderung als Darlehen nicht berührt worden.
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Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt daher ausschließlich von der Rechtsfrage ab,
ob die Klägerin mit Erfolg gegenüber dem Rückzahlungszahlungsbescheid geltend
machen kann, das Studentenwerk Berlin als das zuständige Amt für
Ausbildungsförderung habe es pflichtwidrig unterlassen, den übergegangenen
Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Vater geltend zu machen und durchzusetzen.
Diese Frage ist aber zu verneinen.
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Hinsichtlich des dritten und vierten Bewilligungszeitraums (10/86 - 9/88) ist zur
Überzeugung des Senats davon auszugehen, daß trotz der Bewilligung von
Vorausleistungen ein etwaiger Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber ihrem Vater
gemäß § 37 Abs. 1 BAföG nicht auf das Land Berlin übergegangen ist, so daß dieses
ihn auch nicht durchsetzen konnte. Der Anspruchsübergang findet nämlich nach § 37
Abs. 1 Satz 1 BAföG nur statt, soweit auf den Bedarf des Auszubildenden Einkommen
und Vermögen der Eltern "anzurechnen ist". Maßgeblich ist nicht, in welcher Höhe
Einkommen und Vermögen angerechnet worden ist, sondern in welcher Höhe die
Anrechnung richtigerweise zu erfolgen hatte.
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Vgl. das Senatsurteil vom 19. Juni 1991 - 16 A 972/90 -, FamRZ 1992, 119 = DÖV 1991,
1032 (LS).
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Das Amt für Ausbildungsförderung hat für den dritten und vierten Bewilligungszeitraum
in den Bewilligungsbescheiden vom 20. Juli 1987 und 20. Juni 1990 ein fiktives
Einkommen des Vaters der Klägerin in Höhe von 672,53 DM bzw. 618,18 DM
angerechnet. Das Studentenwerk Berlin weist in seinem Schreiben vom 15. September
1998 an das Bundesverwaltungsamt jedenfalls bezüglich des dritten und vierten
Bewilligungszeitraums zu Recht darauf hin, daß der Vater der Klägerin mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit während dieser Zeit einkommenslos war und bei
richtiger Bearbeitung die Vorausleistungen "in normale Förderung hätten umgewandelt
werden müssen"; d.h. die zunächst unter Vorbehalt bewilligten Förderungsleistungen
hätten bei der Auflösung des Vorbehalts nicht mehr als Vorausleistungen, sondern als
"normale" Förderungsleistung bewilligt werden müssen, weil anrechenbares
Einkommen des Vaters der Klägerin nicht vorhanden war; dieser hatte z.B. am 7. Januar
1987 die eidesstattliche Versicherung vor dem Amtsgericht Berlin-Charlottenburg
abgegeben. Auch die Klägerin geht davon aus, daß wegen dieser nachgewiesenen
katastrophalen wirtschaftlichen Situation ihres Vaters Vorausleistungen nicht hätten
bewilligt werden dürfen. Sie zieht lediglich hieraus den unzutreffenden Schluß, deshalb
brauche sie diese Beträge nicht zurückzuzahlen. Sie berücksichtigt dabei nicht, daß sie
auch ohne die Gewährung von Vorausleistungen Ausbildungsförderung erhalten hätte,
die sie wegen des Darlehenscharakters dieser Leistung zurückzahlen müßte, und daß
ihrem Einwand, das Amt für Ausbildungsförderung habe die Durchsetzung des
übergegangenen Unterhaltsanspruchs pflichtwidrig unterlassen, damit von vornherein
der Boden entzogen ist, wenn Vorausleistungen wegen fehlenden anrechenbaren
Einkommens nicht bewilligt werden durften.
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Eine Anrechnung von Vermögen kam ohnehin nicht in Betracht, selbst wenn der Vater
der Klägerin seinerzeit Miteigentümer eines Grundstücks in T. ring gewesen sein sollte.
Vermögen der Eltern war gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 BAföG nur anzurechnen, wenn ein
Elternteil für das vorletzte Kalenderjahr vor Beginn des Bewilligungszeitraums in der
Bundesrepublik Deutschland Vermögensteuer zu entrichten hatte. Das war nicht
möglich, da das Grundstück sich in der DDR befand.
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Hinsichtlich des ersten und zweiten Bewilligungszeitraums (10/84 - 9/86) ist allerdings
gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 BAföG ein etwaiger Unterhaltsanspruch der Klägerin
gegenüber ihrem Vater auf das Land Berlin übergegangen, den dieses in
pflichtgemäßer Sachbehandlung zu verfolgen hatte. Dieser Pflicht ist das
Studentenwerk Berlin in genügender Weise nachgekommen.
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Das Studentenwerk Berlin als Amt für Ausbildungsförderung hat auf der Grundlage der
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Einkommensverhältnisse des Vaters der Klägerin in den Jahren 1982 und 1983 in den
Bewilligungsbescheiden vom 20. März 1986 Einkommen in Höhe von 259,06 DM bzw.
293,55 DM angerechnet und unter Berücksichtigung des Kindergeldes in Höhe von 50,-
DM Vorausleistungen in Höhe von 209,60 DM bzw. 243,55 DM bewilligt. Gegen die
Berechnung des anzurechnenden Einkommens sind von der Klägerin Einwände nicht
erhoben worden. Berechnungsfehler könnten sich ohnehin nur zu Ungunsten der
Klägerin auswirken, so daß sich für den Senat eine ins Einzelne gehende Überprüfung
des Rechenwerks erübrigt. Ein möglicher Unterhaltsanspruch ist folglich maximal in
Höhe von monatlich 209,60 DM bezüglich des ersten Bewilligungszeitraums bzw. in
Höhe von monatlich 243,55 DM bezüglich des zweiten Bewilligungszeitraums
übergegangen.
Es spricht allerdings vieles dafür, daß ein Unterhaltsanspruch auch während dieser Zeit
(10/84 - 9/86) wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Vaters der Klägerin tatsächlich
nicht bestand. Das vom Amt für Ausbildungsförderung erhaltene und zugundegelegte
Einkommen betraf die Kalenderjahre 1982 und 1983 und damit die Zeit vor der
Aufnahme des Studiums der Klägerin zum Wintersemester 1984/85, und der Vater der
Klägerin war bereits vor dem Studienbeginn arbeitslos geworden, nämlich im Juni 1984.
Der Vater der Klägerin hatte bereits im Jahre 1983 die eidesstattliche Versicherung
abgegeben. Der Versuch, das mit Bescheid vom 26. Juni 1985 festgesetzte Zwangsgeld
von 100,- DM gegen den Vater der Klägerin durchzusetzen, blieb ohne Erfolg. Die
Niederschrift über die fruchtlose Pfändung vom 6. Februar 1986 läßt erkennen, daß der
Vater der Klägerin auch zu diesem Zeitpunkt völlig mittellos war.
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Die Klägerin verfügte aber über vollstreckbare Titel des Amtsgerichts Berlin-
Charlottenburg, das zunächst durch Urteil vom 26. Oktober 1970 zu einer
Unterhaltsrente von 145,- DM verurteilt und sodann durch Beschluß vom 1. Februar
1982 die Unterhaltsrente mit Wirkung vom 1. Januar 1982 auf monatlich 191,- DM
festgesetzt hatte. Das Studentenwerk Berlin hat daher pflichtgemäß versucht, mit Hilfe
dieses Titels Unterhaltsansprüche der Klägerin gegenüber ihrem Vater durchzusetzen.
Es hat deshalb zunächst durch Beschluß des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg vom 6.
Januar 1986 die Titel auf sich umschreiben lassen zum Zwecke der
Zwangsvollstreckung wegen der im ersten Bewilligungszeitraum geleisteten BAföG-
Leistungen in Höhe von 191,- DM monatlich, insgesamt also eines Betrages von 2.292,-
DM. Die daraufhin angestrengten zahlreichen Vollstreckungsversuche blieben
allerdings erfolglos: Am 6. Februar 1986 wurde fruchtlos gepfändet, am 3. Juni 1986 die
Abgabe der eidesstattlichen Versicherung beantragt und am 25. Oktober 1986 erneut
fruchtlos gepfändet. Am 7. Januar 1987 gab der Vater der Klägerin die eidesstattliche
Versicherung ab. Am 4. Juli 1990 und 21. März 1993 sandte der zuständige
Obergerichtsvollzieher die Titel zurück, da der Schuldner amtsbekannt keine pfändbare
Habe besitze. Am 13. April 1994 wurde erneut die Abgabe der eidesstattlichen
Versicherung beantragt, die sodann am 29. Juli 1994 erfolgte. Wenn das Land daraufhin
am 3. November 1994 die Forderung unbefristet niederschlug, kann hierin unter
Berücksichtigung der gesamten Vorgänge ein pflichtwidriges Verhalten der zuständigen
Behörde nicht angenommen werden.
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Der Vorwurf des pflichtwidrigen Unterlassens der Geltendmachung des
Unterhaltsanspruchs läßt sich auch nicht mit Erfolg darauf stützen, daß das
Studentenwerk Berlin mit Schreiben vom 11. Oktober 1996 ein erneutes Tätigwerden
abgelehnt hat, nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 4. Oktober 1996 auf das im
Grundbuch von Bad S. Blatt 1298 eingetragene Grundstück hingewiesen hatte.
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Die Klägerin weist zunächst zutreffend darauf hin, daß es sich bei dem
Rückzahlungsbescheid um einen Dauerverwaltungsakt handelt und daher die Sach-
und Rechtslage bis zur mündlichen Verhandlung berücksichtigungsfähig ist.
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Vgl. auch das Senatsurteil vom 22. Januar 1997 - 16 A 3619/94 -, FamRZ 1997, 1183 =
NWVBl 1997, 260.
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Es ist aber fraglich, ob dies auch für die von der Klägerin erhobene Einrede des
pflichtwidrigen Unterlassens gilt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem
grundlegenden Urteil vom 13. Dezember 1990 - 5 C 21.88 - - BVerwGE 87, 217 =
FamRZ 1991, 996 = NVwZ 1992, 60 = Buchholz 436.36 § 37 BAföG Nr. 21; vgl. auch
dessen Urteile vom 15. Mai 1991 - 5 C 23.88 -, FamRZ 1992, 486 = Buchholz 436.36 §
37 BAföG Nr. 22, sowie vom 4. Juni 1991 - 5 C 30.88 -, BayVBl 1991, 697 -
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ausgeführt, daß die Inanspruchnahme des Darlehensnehmers davon abhänge, daß das
Amt für Ausbildungsförderung und das entsprechende Land "zuvor" alles ihm
Zumutbare getan hätten, um den Unterhaltsanspruch des Auszubildenden gegen seine
Eltern zu realisieren; nur wenn dies geschehen sei, sei es gerechtfertigt, Darlehen, die
der Auszubildende als Vorausleistung erhalten habe, vom Empfänger zurückzufordern.
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Es läßt sich mit guten Gründen die Meinung vertreten, daß das Amt für
Ausbildungsförderung, wenn es die Ausbildungsförderung - etwa nach Auflösung von
Vorbehaltsbescheiden - endgültig bewilligt hat und im Falle von gewährten
Vorausleistungen etwaige Unterhaltsansprüche mit Erfolg durchgesetzt oder deren
Erfolglosigkeit festgestellt hat, nach Meldung der BAföG-Darlehen an das
Bundesverwaltungsamt aus der Pflicht zur Weiterbearbeitung der
Förderungsangelegenheiten grundsätzlich dann entlassen ist, wenn das
Bundesverwaltungsamt den Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid erlassen hat
und das Amt für Ausbildungsförderung im Falle der Widerspruchseinlegung auf
Nachfrage des Bundesverwaltungsamtes die Höhe der bewilligten Darlehen und das
Ende der Förderungshöchstdauer erneut überprüft hat.
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Das Nebeneinander-Tätigwerden zweier verschiedener Behörden, nämlich des
Bundesverwaltungsamtes und des Amtes für Ausbildungsförderung, bezüglich
derselben Förderungsmittel, die entweder vom ehemaligen Auszubildenden oder von
seinen Eltern zurückzuzahlen sind, ist unter systematischen und
verwaltungsorganisatorischen Gründen bedenklich. Stellt man als insofern
maßgeblichen Zeitpunkt auf den Erlaß des Feststellungs- und
Rückforderungsbescheides ab und ergeben sich danach neue Tatsachen und
Gesichtspunkte, die eine Inanspruchnahme der Eltern nunmehr als sinnvoll erscheinen
lassen, kann möglicherweise jedenfalls bei titulierten Ansprüchen eine allseits
zufriedenstellende Lösung dadurch gefunden werden, daß das Land, das von der
Bonität des übergegangenen etwaigen Unterhaltsanspruchs nichts hält oder eine
Durchsetzung als nicht erfolgversprechend beurteilt, diesen aus seiner Sicht nicht
gegebenen oder wertlosen Anspruch auf den ehemaligen Auszubildenden
zurücküberträgt, um ihm die Chance einzuräumen, seinerseits den Anspruch gegenüber
den Eltern durchzusetzen, wie dies im vorliegenden Verfahren von der Klägerin auch
gewünscht worden ist. Das Studentenwerk Berlin macht es sich im Schreiben vom 25.
April 1996 zu einfach, wenn es vorträgt, eine Rückübertragung übergegangener
Unterhaltsansprüche sehe das Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht vor. Zum
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einen ist im Gesetzestext des Bundesausbildungsförderungsgesetzes die Einrede des
pflichtwidrigen Unterlassens der Durchsetzung übergegangener Unterhaltsansprüche
auch nicht vorgesehen. Zum anderen dürfte spätestens dann, wenn der
Darlehensnehmer auch die als Vorausleistung gewährten Darlehen zurückgezahlt hat,
das Land verpflichtet sein, auf entsprechendes Verlangen den diesbezüglichen
übergegangenen etwaigen Unterhaltsanspruch an den ehemaligen Auszubildenden
zurückzuübertragen. Darüber hinaus sind weitere Fallgestaltungen denkbar, in denen
es einem pflichtgemäßen Verwaltungshandeln entsprechen dürfte, wenn ein für wertlos
erachteter übergegangener etwaiger Unterhaltsanspruch zurückübertragen wird, etwa
dann, wenn durch eine solche Rückübertragung die Fortsetzung eines
gerichtskostenfreien und damit für die öffentliche Hand aufwendigen Gerichtsverfahrens
gegenüber dem Bundesverwaltungsamt vermieden werden könnte, wie dies im
vorliegenden Verfahren denkbar gewesen wäre.
Aber auch wenn man die Überprüfung des im Schreiben vom 11. Oktober 1996
dokumentierten Verhaltens des Studentenwerks Berlin im laufenden
Berufungsverfahren noch zuläßt, zumal die Klägerin die umstrittenen BAföG-Darlehen,
die sie als Vorausleistungen erhalten hat, erst ab Juni 1999 zurückzuzahlen hat - auf die
Zeit von Oktober 1994 bis Juni 1999 entfällt der unstreitige Betrag von 11.329,68 DM -,
führt das nicht zu einem für sie günstigeren Ergebnis; denn es war seitens des
Studentenwerks Berlin nicht pflichtwidrig, ein erneutes Tätigwerden abzulehnen.
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Aus dem vorgelegten Grundbuchauszug des Grundbuchs Bad S. Blatt 1268 vom 5.
Dezember 1995 ergibt sich nicht, daß der Vater der Klägerin Eigentümer dieses 350 qm
großen Grundstücks ist. Als Eigentümerin eingetragen ist zuletzt am 12. Oktober 1961
vielmehr "L. , D. , geb. W. , geb. 13.4.1915, in Bad S. ". Es ist nicht ersichtlich, ob dies
die Mutter des Vaters der Klägerin ist, ob sie inzwischen verstorben ist, ob der Vater der
Klägerin Miterbe geworden ist, ob eine Erbauseinandersetzung stattgefunden hat.
Denkbar ist auch, daß das Grundstück inzwischen veräußert worden ist, worauf die
Klägerin selbst hinweist. Da nach der seinerzeitigen Rechtslage der unterhaltsrechtliche
Auskunftsanspruch mit dem Unterhaltsanspruch nach § 37 Abs. 1 BAföG nicht
übergegangen ist, vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1990 - XII ZR 117/89 -, NJW
1991, 1235 = FamRZ 1991, 1117 = DÖV 1991, 696,
38
- der gesetzliche Übergang des unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruchs ist erst durch
das 17. BAföG- Änderungsgesetz vom 24. Juli 1995, BGBl. I S. 976, gesetzlich
angeordnet worden -, war das Studentenwerk Berlin rechtlich nicht in der Lage, sich
Klarheit über das angebliche Miteigentum des Vaters der Klägerin an dem genannten
Grundstück zu verschaffen.
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Der Vorwurf des pflichtwidrigen Unterlassens der Geltendmachung des
Unterhaltsanspruchs läßt sich schließlich nicht mit Erfolg darauf stützen, daß das
Studentenwerk Berlin mit Schreiben vom 25. April 1996 es abgelehnt hat, dem im
Schreiben vom 20. Februar 1996 geäußerten Begehren der Klägerin zu entsprechen
und die übergegangenen Unterhaltsansprüche auf diese zurückzuübertragen.
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Wie der Senat in seinem Urteil vom 22. Januar 1997 - 16 A 3619/94 - (aaO) entschieden
hat, ist Voraussetzung für das Freiwerden eines Darlehensnehmers von der
Rückzahlungsverpflichtung unter dem Gesichtspunkt einer vorrangigen
Inanspruchnahme der Eltern aus dem gemäß § 37 Abs. 1 BAföG übergegangenen
Unterhaltsanspruch auf das Land neben einem pflichtwidrigen Verhalten der
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zuständigen Stellen des Landes ferner, daß bei einem pflichtgemäßen Handeln der
Unterhaltsanspruch tatsächlich hätte realisiert werden können. Hätte aber das Land
Berlin "pflichtgemäß" - wie die Klägerin meint - ihr die Unterhaltsansprüche
zurückübertragen, so hätte das Land dadurch selbstverständlich nicht die Durchsetzung
der etwaigen Unterhaltsansprüche realisiert. Bei einem solchen "pflichtgemäßen"
Verhalten des Landes hätte daher nicht durch Zahlung des Vaters an das Land im
Rahmen der Vorausleistungen die Darlehensschuld der Klägerin verringert werden
können. Gegenüber der Beklagten wäre die Klägerin dann zur Rückzahlung des
Darlehens vielmehr in vollem Umfang verpflichtet gewesen, wie sie es jetzt ohne
Rückübertragung der Ansprüche ebenfalls ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Der Senat läßt die Revision nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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