Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 04.06.2008

OVG NRW: lwg, störfall, willkürverbot, begriff, anschluss, zahl, bedürfnis, einberufung, ermessensausübung, datum

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 1175/08
Datum:
04.06.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 A 1175/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 8 K 1262/06
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 35.900,69
EUR festgesetzt.
Gründe:
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Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Zulassungsgrund nach
§ 124 Abs. 2 VwGO im Sinne von § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
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1. Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich nicht die geltend gemachten
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils
(Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Die Klägerin zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der das erstinstanzliche
Urteil tragenden Begründung auf, sie habe den Nachweis nach § 4 Abs. 5 Satz 5
AbwAG über die Einhaltung des erklärten Wertes von 13 mg/l für den Parameter Nges
nicht erbracht. Dieser Nachweis ist nicht deshalb geführt, weil die beiden festgestellten
Überschreitungen vom 2. und 4. September 2002 als nur eine Überschreitung gewertet
werden dürften, so dass nach der "4 aus 5-Regel" nach § 6 Abs. 1 AbwV der
heraberklärte Wert als eingehalten gelten müsse. Zwar ist die "4 aus 5-Regel" wegen
der durch § 4 Abs. 5 Satz 5 Halbsatz 1 AbwAG bestimmten entsprechenden
Heranziehung der Festlegungen des Bescheides für den Überwachungswert - anders
als nach der früheren Gesetzesfassung, vgl. BT-Drs. 10/5533, S. 12 - grundsätzlich auch
für den heraberklärten Wert heranzuziehen.
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Vgl. dazu die Begründung für die Einberufung des Vermittlungsausschusses, die der
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aktuellen Gesetzesfassung vorangegangen ist, BT-Drs. 12/6808.
Jedoch ist nicht zweifelhaft, dass gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 Halbsatz 2 AbwAG eine bei
der behördlichen Überwachung festgestellte Überschreitung in die Auswertung eines
behördlich zugelassenen Messprogramms nach § 4 Abs. 5 Satz 5 Halbsatz 1 AbwAG
mit einzubeziehen ist. Hat auch das Messprogramm seinerseits eine Überschreitung
festgestellt, liegen damit grundsätzlich zwei Überschreitungen auch dann vor, wenn
beide festgestellten Überschreitungen auf einen Störfall zurückzuführen sind. Es gibt
keinen Grundsatz, dass Messergebnisse aus einem Störfall stets nur als eine
Überschreitung gewertet werden dürfen. Vielmehr ist in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung und der dieser folgenden Spruchpraxis des Senats lediglich
entschieden worden, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie dem
Willkürverbot im Rahmen des behördlichen Ermessens bei der wasserrechtlichen
Überwachung anlässlich eines Störfalls jedenfalls in der Regel nicht mehr als ein
Messergebnis bei der Abgabeerhebung einbezogen werden darf.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1997 - 8 B 170.97 -, NVwZ 1998, 408, 410;
OVG NRW, Urteil vom 19. Dezember 2007 - 9 A 1403/05 -, KStZ 2008, 59, 60;
Berendes, AbwAG, 3. Aufl. 1995, S. 98.
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Das Willkürverbot steht jedoch im Rahmen der Ermessensausübung bei der
behördlichen Überwachung lediglich der Berücksichtigung von Messwerten aus einer
fehlerhaften oder gar willkürlichen Überwachungspraxis entgegen. Ist die Überwachung
eines Störfalls - selbst durch mehrere behördliche Messungen - als solche nicht zu
beanstanden, wird dem Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Abgabenerhebung durch §
4 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 AbwAG hinreichend Rechnung getragen. Zum einen nimmt Satz
2 durch die Formulierung "als eingehalten gilt" auf die "4 aus 5-Regel" Bezug, so dass
eine Überschreitung des zulässigen Werts von weniger als 100 % unbeachtlich ist. Zum
anderen hat eine in der Regel dann verbleibende einmalige Überschreitung nach Satz 4
nur eine Abgabeerhöhung um den halben Vomhundertsatz der Überschreitung zur
Folge.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. März 2008 - 9 A 4889/05 -, juris.
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Die Klägerin zeigt keine Anhaltspunkte dafür auf, bei der amtlichen Beprobung am 4.
September 2002 könnte ihre störfallbedingte Ausnahmesituation von der
Überwachungsbehörde willkürlich ausgenutzt worden sein. Allein der Umstand, dass
das Messprogramm der Klägerin bereits zwei Tage zuvor einen überhöhten
Stickstoffwert festgestellt hatte, rechtfertigt nicht den Rückschluss auf eine willkürliche
behördliche Beprobung. Vielmehr hat nach der telefonischen Mitteilung des Störfalls am
3. September 2002 schon deshalb ein Bedürfnis für eine amtliche Überwachung
bestanden, weil ausweislich des Schreibens der Klägerin vom 10. September 2002 zu
diesem Zeitpunkt die Ursache der Schädigung der Nitrifikanten noch nicht festgestellt
worden war. Eine weitere amtliche Überwachung anlässlich desselben Störfalls, die
möglicherweise vom Überwachungszweck nicht mehr gerechtfertigt gewesen wäre, ist
nicht erfolgt. Im Verlauf des Störfalls sind damit nur deshalb insgesamt zwei
Überschreitungen festgestellt worden, weil Proben im Rahmen des Messprogramms
nach § 69 Abs. 7 Satz 2 LWG NRW einmal in einem Zeitraum von zwei Wochen, also
unabhängig vom Vorliegen eines Störfalls und seiner Dauer, erfolgen mussten, und
nach § 4 Abs. 5 Satz 5 Halbsatz 2 AbwAG die Messergebnisse der behördlichen
Überwachung in die Auswertung des Messprogramms mit einzubeziehen waren. Dem
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Verhältnismäßigkeitsprinzip wird hier dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass
der Klägerin die "4 aus 5-Regelung" insoweit zugute kommt, als die Schadeinheiten
nicht nach § 4 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 AbwAG zu erhöhen sind, weil in diesem
Zusammenhang nur die behördlichen Messergebnisse relevant sind.
2. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Allein der
zunächst angeführte Umstand, dass "über die vom Verwaltungsgericht zugrunde
gelegte Systematik der § 4 IV und 4 V AbwAG bisher obergerichtlich nicht entschieden
worden ist", rechtfertigt die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung nicht. Insoweit
wird schon keine konkrete klärungsbedürftige und entscheidungserhebliche Rechts-
oder Tatsachenfrage aufgeworfen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 1987 - 5 B 49.87 -, Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr.
14; OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2006 - 8 A 2666/05 -; Seibert, in:
Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124 Rn. 142.
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Abgesehen davon trifft es auch in der Sache nicht zu, dass über die Systematik von § 4
Abs. 4 und 5 AbwAG obergerichtlich noch nicht entschieden worden ist. Jedenfalls die
Rechtsfolge des fehlenden Nachweises der Einhaltung des erklärten Werts nach § 4
Abs. 5 Satz 6 AbwAG in Form der Verweisung auf die Absätze 1 bis 4 ist in der
höchstrichterlich bestätigten Rechtsprechung des Senats geklärt: In diesem Fall ist ein
heraberklärter Wert für die Berechnung der Zahl der Schadeinheiten ohne Bedeutung.
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Vgl. zu dem entsprechend geregelten Fall der Nichteinhaltung eines Bescheidwerts
OVG NRW, Urteil vom 28. November 2007 - 9 A 3798/04 -, DÖV 2008, 293 f., bestätigt
durch BVerwG, Beschluss vom 15. April 2008 - 7 B 9.08 -, juris.
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Zur Klärung der von der Klägerin aufgeworfenen Fragen,
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"welche Bedeutung der nach § 4 Abs. 5 Satz 5 Halbsatz 2 AbwAG [vorgesehenen]
‚Einbeziehung' der Ergebnisse der amtlichen Überwachung in die Auswertung des
Messprogramms zukommt und wie der Begriff der ‚Einbeziehung' zu verstehen ist",
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"ob [es] überhaupt eine sachgerechte ‚Einbeziehung' der Ergebnisse im Sinne des § 4
Abs. 5 AbwAG darstellt, [soweit das angefochtene Urteil hierbei ergänzend auf § 69
Abs. 7 LWG NRW abstellt und es bei der schlichten Einordnung der Ergebnisse der
amtlichen Überwachung in das Messprogramm in der zeitlichen Reihenfolge belässt,]
oder ob nicht dem Wortlaut der bundesrechtlichen Regelung folgend eine wertende
Betrachtung notwendig ist",
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bedarf es keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens. Die Fragen lassen sich
unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 Halbsatz 2 AbwAG
sind die Messergebnisse der behördlichen Überwachung in die Auswertung des
Messprogramms mit einzubeziehen. Damit sind sowohl die Ergebnisse des
Messprogramms als auch die Werte der amtlichen Überwachung daraufhin
auszuwerten, ob im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 5 Halbsatz 1 AbwAG "die Einhaltung des
erklärten Wertes [...] entsprechend den Festlegungen des Bescheides für den
Überwachungswert" nachgewiesen wird. Hieraus lässt sich zwar ableiten, dass dem
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Einleiter die "4 aus 5-Regelung" nach § 6 Abs. 1 AbwV zugute kommen soll, wenn
diese im wasserrechtlichen Bescheid hinsichtlich des Überwachungswerts festgelegt
worden ist. Eine darüber hinausgehende wertende Betrachtung mit dem Ziel, anlässlich
eines Störfalls stets nur ein Messergebnis zu berücksichtigen, findet jedoch keine
Grundlage im Gesetz.
3. Die Berufung ist schließlich nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen Abweichung
vom Urteil des Senats vom 19. Dezember 2007 - 9 A 1403/05 -, a.a.O., zuzulassen. Das
Verwaltungsgericht ist nicht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten
Rechtssatz von einem in dem genannten Senatsurteil aufgestellten ebensolchen
Rechtssatz abgewichen. Soweit der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des
BVerwG in dessen Beschluss vom 20. August 1997 - 8 B 170.97 -, a.a.O., ausgeführt
hat, "dass das behördliche Ermessen bei der wasserrechtlichen Überwachung
anlässlich eines Störfalls jedenfalls in der Regel dahingehend auszuüben ist, nicht mehr
als ein Messergebnis einzubeziehen", bezieht sich dies vornehmlich auf die Ausübung
des behördlichen Ermessens bei der wasserrechtlichen Überwachung und schließt
darüber hinaus in begründeten Ausnahmefällen selbst eine Berücksichtigung mehrerer
(amtlicher) Messergebnisse während eines Störfalls nicht aus. Eine generelle
Einschränkung dahingehend, von zwei Messergebnissen anlässlich eines Störfalls
dürfe stets nur eines in die Bewertung einbezogen werden, lässt sich dieser
Rechtsprechung nicht entnehmen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 52 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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