Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.11.2004

OVG NRW: treu und glauben, fehlerhafte rechtsmittelbelehrung, falsche rechtsmittelbelehrung, verwirkung, verschulden, asylverfahren, verfügung, sorgfalt, anfechtung, zustellung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 3937/04.A
03.11.2004
Oberverwaltungsgericht NRW
13. Senat
Beschluss
13 A 3937/04.A
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 3a K 2270/04.A
Der Antrag wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Es fehlt an einer fristgerechten
Darlegung etwaiger Zulassungsgründe.
Gegen verwaltungsgerichtliche Urteile in asylrechtlichen Streitigkeiten ist, wenn die Klage
nicht als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde, der
Antrag auf Zulassung der Berufung das richtige Rechtsmittel (§ 78 Abs. 2 AsylVfG), der
gemäß § 78 Abs. 4 AsylVfG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Urteils
geltend zu machen ist und in dem die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist,
darzulegen sind. Eine derartige auf § 78 AsylVfG bezogene Rechtsmittelbelehrung enthält
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 11. August 2004 nicht, sondern
eine solche nach den allgemeinen, in Asylrechtsverfahren nicht anwendbaren
Bestimmungen der §§ 124, 124 a VwGO.
Die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Urteil führt an sich gemäß §
58 Abs. 2 VwGO dazu, dass für die Einlegung von Rechtsbehelfen eine Jahresfrist gilt,
wobei diese sowohl die Einlegung des Rechtsmittels als auch - wenn eine solche
erforderlich ist - die Begründung desselben betrifft.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 1999 - 6 B 88/99 -, NVwZ-RR 2000, 325.
Gleichwohl ist es hier angesichts der konkreten Umstände nicht gerechtfertigt, dem Kläger
für die Einlegung des Rechtsmittels und seine Begründung die Jahresfrist zu Gute kommen
zu lassen. Es ist anerkannt, dass die Berechtigung zum Einlegen von Rechtsmitteln auch
schon vor dem Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO erlöschen kann.
Beispielsweise wird dies angenommen bei einem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis
für den Fall der Verwirkung des Rechts eines Nachbarn auf Anfechtung einer erteilten
Baugenehmigung;
vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, BVerwGE 44, 294, und vom 16. Mai
1991 - 4 C 4/89 -, NVwZ 1991, 1182; Beschluss vom 28. August 1987 - 4 N 3.86 -,
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BVerwGE 78, 85.
Gleiches muss nach Auffassung des Senats gelten für den - auch hier relevanten - Fall,
dass zwar eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung mit der Angabe unzutreffender Fristen
erfolgt ist, der Betreffende sowohl für die Einlegung des Rechtsmittels als auch für die
Begründung desselben von diesen unzutreffenden Fristen ausgeht, die Fristen aber
dennoch nicht einhält. Auch in diesen Fällen ist es nach den auch im öffentlichen Recht
anwendbaren und auch für die Frage der Verwirkung entscheidenden Grundsätzen von
Treu und Glauben nicht gerechtfertigt, dem von einer falschen Rechtsmittelbelehrung
Betroffenen den zeitlichen Vorteil des § 58 Abs. 2 VwGO zukommen zu lassen, wenn er
selbst davon ausgeht, die Jahresfrist für die Einlegung und die Begründung von
Rechtsmitteln nicht ausnutzen zu wollen/müssen. § 58 Abs. 2 VwGO ist Ausdruck der
Erwägung, dass niemand wegen einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung Nachteile in der
gerichtlichen Verfolgung seiner Rechte erleiden soll und begründet mit der Jahresfrist
einen entsprechenden zeitlichen Schutz nach falschen Rechtsmittelbelehrungen. Dieser
Schutzgedanke verliert seine Bedeutung, wenn zwar eine fehlerhafte
Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde, der davon Betroffene aber den damit verbundenen
Schutz der Jahresfrist nicht in Anspruch nehmen will und von sich aus auf kürzere Fristen
für die Einlegung und die Begründung eines Rechtsmittels verweist. Das ist hier der Fall.
Der Kläger hat entsprechend der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen
Urteil und in Anlehnung an die darin genannten falschen Fristen mit Schriftsatz vom 17.
September 2004, am selben Tag per Fax eingegangen beim Verwaltungsgericht
Gelsenkirchen, die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom
11. August 2004 gestellt, und ausgeführt, dass die Begründung "innerhalb der gesetzten
Frist bis zum 18.10.2004" erfolge. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er die
(falschen) Fristvorgaben in der Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts als
maßgebend ansieht und sich an diese halten will und dass er der Jahresfrist des § 58 Abs.
2 VwGO zur Wahrung seiner Rechte nicht bedarf. Dementsprechend muss er sich an den
von ihm selbst als verbindlich angesehenen Fristen festhalten lassen und wäre es mit den
Grundsätzen von Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn ihm für die Begründung des
Zulassungsantrags eine über den 18. Oktober 2004 hinausgehende Frist eingeräumt
werden müsste. Bis zu dieser von ihm selbst angegebenen Frist ist aber ein dem
Darlegungserfordernis nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügender Schriftsatz bei Gericht
nicht eingegangen. Eine jetzt noch eingehende Begründung wäre nicht mehr fristwahrend
und daher nicht mehr verwertbar. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist
daher unzulässig. Dies gilt umso mehr, als der Bevollmächtigte des Klägers mit
gerichtlicher Verfügung vom 28. September 2004 darauf hingewiesen wurde, dass das
Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 11. August 2004 eine falsche
Rechtsmittelbelehrung enthalte und gegen das Urteil nicht ein Antrag auf Zulassung der
Berufung nach §§ 124,124a VwGO, sondern ein solcher nach § 78 AsylVfG gegeben sei.
Dies musste wegen der kürzeren (Begründungs-)Fristen nach der asylrechtlichen Vorschrift
dem Bevollmächtigten des Klägers Veranlassung geben zu einer erneuten Überprüfung
der Rechtsmittelmöglichkeiten und zu einer erhöhten Sorgfalt bei der Einhaltung von
Rechtsmittelfristen.
Angesichts des Vorstehenden kann dahinstehen, ob die Zurückweisung des Antrags auf
Zulassung der Berufung auch deshalb gerechtfertigt ist, weil den Kläger, dem ein
Verschulden seines Bevollmächtigten zuzurechnen ist, ein Verschulden in der Weise trifft,
dass sein rechtskundiger und in Asylverfahren erfahrener Bevollmächtigter die
Rechtsmittelbelehrung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen hatte und hätte erkennen müssen,
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dass die dem verwaltungsgerichtlichen Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft
war,
vgl. Landessozialgericht für das Saarland, Beschluss vom 16. Dezember 2002 - L 2 U
88/02 -, JURIS.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.