Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.04.2008

OVG NRW: beitragsjahr, gestaltungsspielraum, zukunft, rechtsgrundlage, insolvenz, sicherheit, unternehmen, beitragsbemessung, abschätzung, ergänzung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 2039/06
Datum:
28.04.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 2039/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 7 K 554/04
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens tragen die Klägerin zu 1. zu 1/6
und die Klägerin zu 2. zu 5/6.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 18.162,53 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit welchem die Klägerinnen das
erstinstanzliche Urteil ausweislich des Zulassungsvorbringens lediglich insoweit
angreifen, als es die Festsetzung der für das Kalenderjahr 2003 zu entrichtenden
Beiträge in den angefochtenen Bescheiden als rechtmäßig bestätigt hat, ist
unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen vermag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO unter keinem der geltend
gemachten Aspekte zu begründen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die
Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide - § 10 Abs. 2 und Abs. 3 des
Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung in der maßgeblichen
Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 2002, BGBl. I, 2167 (2178) - BetrAVG -, verstoße
nicht gegen höherrangiges Recht, wird durch das Zulassungsbringen nicht erschüttert.
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht - insbesondere unter Hinweis auf die maßgebliche
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts -
festgestellt, dass § 10 Abs. 2 und Abs. 3 BetrAVG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 14
GG oder Art. 9 GG verstoßen. Dass auch kein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG vorliegt,
hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem auch vom Verwaltungsgericht angeführten
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Urteil vom 23. Mai 1995 - 1 C 32.92 - BVerwGE 98, 280 (292) festgestellt. Zur
Vermeidung von Wiederholungen wird gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die
zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen. Insoweit hat
sich das Verwaltungsgericht zu Recht nicht veranlasst gesehen, gem. Art. 100 Abs. 1
GG das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage, ob § 10
Abs. 2 und Abs. 3 BetrAVG mit dem Grundgesetz vereinbar sind, zur Entscheidung
vorzulegen.
Soweit die Klägerinnen geltend machen, die Rechtsprechung, auf die sich das
Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung gestützt habe, wonach das in § 10 geregelte
sogenannte Rentenwertumlageverfahren verfassungsgemäß sei, sei mittlerweile
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überholt und die Beitragserhebung sei inzwischen unverhältnismäßig, sind hierfür
substanzielle Gründe, die die zitierte Rechtsprechung als nicht mehr aktuell erscheinen
lassen könnten, nicht einmal ansatzweise dargelegt.
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Die Einwände der Klägerinnen gegen das Rentenwertumlageverfahren bewegen sich
auf der Ebene politischer Überlegungen zu einer zweckmäßigeren Handhabung der
Beitragserhebung für die Zukunft. Die Frage eines besseren Finanzierungssystems der
Insolvenzsicherung für die betriebliche Altersversorgung ist für das Gericht jedoch nur
dort von Bedeutung, wo der Gesetzgeber seinen - wie in diesem Fall weiten -
Gestaltungsspielraum verlässt und Regelungen trifft, die - etwa durch Grundrechte -
geschützte Rechtspositionen verletzen. Hierfür aber sind Anhaltspunkte weder
vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die pauschale Behauptung der Klägerinnen, die
Beiträge seien unverhältnismäßig, lassen noch nicht einmal erkennen, in welchen
Rechtspositionen sich die Klägerinnen verletzt fühlen.
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Soweit die Klägerinnen etwa geltend machen, dass das seinerzeit geltende
Rentenwertumlageverfahren nach § 10 Abs. 2 BetrAVG, wonach die Beiträge zur
Insolvenzsicherung neben anderen Kosten im Wesentlichen den Barwert der im
laufenden Kalenderjahr entstehenden Ansprüche auf Leistungen der
Insolvenzsicherung zu decken hatten, sich nicht bewährt habe, da es wegen der
Nichtberücksichtigung der durch Insolvenz zu sichernden unverfallbaren
Anwartschaften eine nicht finanzierte "Altlast" vor sich her schiebe, so ist nicht
ersichtlich, inwieweit sich dieser mittlerweile auch vom Gesetzgeber erkannte
strukturelle Nachteil des seinerzeitigen Finanzierungssystems auf die
Verfassungsgemäßheit der Vorschrift ausgewirkt haben soll. Denn auch das
Rentenwertumlageverfahren hat - bevor es ab dem Jahr 2006 mit der Einbeziehung der
in dem jeweiligen Kalenderjahr entstandenen Anwartschaften auf eine vollständige
Kapitaldeckung umgestellt wurde - nach der seinerzeitigen Ausgestaltung nicht etwa zu
Beiträgen geführt, die die Arbeitgeber über alle Maßen belastet hätten,
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vgl. zum verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab im Hinblick auf die Erhebung von
Beiträgen oder Umlagen, die einem sozialen Schutzzweck dienen: BVerfG, Beschluss
vom 19. Dezember 1967, 2 BvL 4/65 -, BVerfGE 23, 12 (39) ; BVerwG, Urteil vom 23.
Mai 1995 - 1 C 32.92 - a.a.O.
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und damit verfassungsrechtlich bedenklich gewesen wären.
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Das räumen die Klägerinnen selbst in ihrer Zulassungsbegründung ein, indem sie
ausführen, dass die von den Arbeitgebern an den Beklagten zu zahlenden Beiträge
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derzeit noch relativ gering seien. Die Behauptung, dass aber in Zukunft ein starker
Anstieg der Beiträge zu befürchten sei - auf Grund des als strukturell fehlerhaft
bewerteten Finanzierungssystems, auf Grund steigender Insolvenzen, wegen des
Ausweichens der Arbeitgeber in andere Durchführungswege der betrieblichen
Altersversicherung, die nicht versicherungspflichtig seien, und wegen der sich
wandelnden Struktur der Mitglieder und der Beiträge - könnte allenfalls geeignet sein,
eine künftige, auf Grund (stark) veränderter Verhältnisse eintretende
Verfassungswidrigkeit der Norm zu belegen. Abgesehen davon stand ein Anstieg der
Beiträge ins Uferlose auf der Grundlage des damals geltenden
Rentenwertumlageverfahrens nicht zu erwarten. Für die Annahme der Klägerinnen
bietet insbesondere das von diesen herangezogene Gutachten von Gerke und Heubeck
(BetrAV 2002, 433ff.) keinerlei Grundlage. Im Gegenteil - das Gutachten bestätigt, dass
sich das Rentenwertumlageverfahren bewährt habe und als das am besten geeignete
Finanzierungsverfahren zur Absicherung des Insolvenzrisikos anzusehen ist (vgl. S. 478
des Gutachtens). Die Gutachter stellen außerdem im Rahmen einer längerfristigen
Prognose (S. 437 des Gutachtens), die die Beibehaltung des bisherigen
Rentenwertumlageverfahrens unterstellt und in die Betrachtung die inzwischen
eingetretenen oder absehbaren strukturellen Veränderungen in der betrieblichen
Altersversorgung einbezieht, fest, dass die Beitragsentwicklung auf der Grundlage des
bisherigen Rentenwertumlageverfahrens bis zum Jahr 2015 bei möglichen
schadensbedingten Ausschlägen nach oben oder unten einen relativ stetigen Verlauf
nehmen würde - der künftige Beitragssatz bliebe danach bei voraussichtlich unter 3 ‰,
und nach weiteren 5 bis 10 Jahren sei sogar eine eher abnehmende Tendenz in
Richtung auf durchschnittlich 2,5 ‰ anzunehmen.
Soweit die Klägerinnen vortragen, die Beiträge seien in den streitigen Jahren um ca. 5%
p.a. gestiegen, ist nicht klar, auf welchen Zeitraum sich dies beziehen soll. Selbst wenn
dies der Fall sein sollte, führte dies nach den oben dargestellten Maßstäben nicht zu
einer unerträglichen Beitragsbelastung der Arbeitgeber. In diesem Zusammenhang
vermag auch das Argument der Klägerinnen, der Beitrag des Jahres 2002 sei
unerträglich hoch, da er gegenüber dem Beitrag für das Kalenderjahr um 80 Prozent
gestiegen sei, nicht zu verfangen. Es kann dies im vorliegenden Fall schon deshalb
nicht tun, weil hier das Beitragsjahr 2003 und nicht etwa das Beitragsjahr 2002 in Rede
steht. Abgesehen davon griffe auch eine entsprechende, auf das Beitragsjahr 2003
bezogene Behauptung aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils, auf
die gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug genommen wird, nicht durch. Der Einwand
der Klägerinnen, das Verwaltungsgericht hätte der Ursache dieser Erhöhung der
Beiträge auf den Grund gehen müssen, verkennt zum einen, dass es auf die prozentuale
Erhöhung nicht ankommt, solange der Beitrag als solcher nicht unverhältnismäßig ist,
was die Klägerinnen selbst nicht behaupten. Zum anderen gab es für das
Verwaltungsgericht insofern nichts zu ermitteln, als die Ursachen des Beitragsanstiegs
eindeutig in einem Anstieg des Schadensvolumens im Jahr 2003 (gegenüber 2001,
nicht gegenüber 2002) zu sehen waren. Dies lässt sich unschwer der von den
Klägerinnen vorgelegten Übersicht der Entwicklung des Pensions-Siche-rungs-Vereins
vom Mai 2005 entnehmen und liegt in dem gesetzlichen System der
Beitragsberechnung begründet, das maßgeblich auf die Umlage der in einem Jahr
durch die eingetretenen Schadensereignisse entstandenen Ansprüche abstellt und
dadurch gewissen Ausschlägen unterliegt, was aber - wie bereits gesagt - mit
höherrangigem Recht vereinbar ist.
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Soweit die Klägerinnen unter Berufung auf einen Vortrag eines Vorstandsmitgliedes des
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Beklagten vorbringen, dieser habe betont, dass die Einführung von Pensionsfonds und
ihre Einbeziehung in die gesetzliche Insolvenzsicherung die Diskussion befördert habe,
den Insolvenzsicherungsbeitrag stärker als reinen Kostenfaktor einzuordnen, wobei die
sozialpolitische Bedeutung der Insolvenzsicherungsbeiträge in den Hintergrund
gedrängt werde, so ist auch dies nicht geeignet, die Verfassungsgemäßheit des
Rentenwertumlageverfahrens in Frage zu stellen. Abgesehen davon, dass das zitierte
Vorstandsmitglied lediglich einen Diskussionsstand beschrieben hat, ist eine derartige
Äußerung ersichtlich nicht geeignet, den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum zu
verengen. Die Ausgestaltung der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung
ist offensichtlich immer noch eine sozialpolitische Angelegenheit, mit der der
Gesetzgeber dem Sozialstaatsprinzip Rechnung tragen will,
vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1995 - 1 C 32/92 -a.a.O.,
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und bei deren Ausgestaltung ihm ein weiter Gestaltungsspielraum,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1981 - 3 C 1.81 - BVerwGE 64, 248,
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zukommt. Die ursprüngliche gesetzgeberische Intention, die betriebliche
Altersversorgung als Ergänzung der Sozialrenten bis zu einer Gesamtversorgung der
Arbeitnehmer abzusichern,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1981 - 3 C 1.81 - a.a.O, m.w.N.
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hat heute insbesondere im Hinblick auf die demographische Entwicklung und ihre
Auswirkungen auf die gesetzliche Alterversorgung mit Sicherheit nicht an Aktualität
verloren, auch wenn es mittlerweile auch andere, der Insolvenzsicherung nicht
unterfallende Wege der betrieblichen Altersversorgung gibt.
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Soweit die Klägerinnen unter Berufung auf das Gutachten von Gerke und Heubeck,
welche mittel- bis langfristig eine Differenzierung des Finanzierungsverfahrens je nach
Risiken des jeweiligen Durchführungsweges der betrieblichen Altersversorgung
befürworten, schließlich geltend machen, dass die Differenzierung der Beiträge nach
Risikofaktoren ein Hinweis auf eine richtige Handhabung der Beitragshöhe sei, so gibt
auch diese Überlegung, die ersichtlich auf eine für die Zukunft zweckmäßigere
Ausgestaltung des Finnzierungsverfahrens abzielt, für die Frage der
Verfassungsmäßigkeit des alten Beitragserhebungsverfahrens nichts her. Es ist im
Übrigen auch schon nichts vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, inwiefern die
Klägerinnen durch eine bisher fehlende Differenzierung nach Risikogruppen
benachteiligt sein könnten. Das zitierte Gutachten von Gerke und Heubeck (a.a.O.)
spricht sich mit seinen Ausführungen zu den Risiken der jeweiligen Durchführungswege
der betrieblichen Altersversorgung dafür aus, es jedenfalls für den Durchführungsweg
der unmittelbaren Versorgungszusage, den auch die Klägerinnen für ihre betriebliche
Altersversorgung gewählt haben und der nach dem Gutachten der höchsten
Risikogruppe zuzuweisen wäre (S. 476 des Gutachtens), da das Verfallsrisiko im Falle
einer Insolvenz am höchsten zu bewerten ist, bei dem bisherigen bewährten
Rentenwertumlageverfahren zu belassen und lediglich mittel- oder langfristig zu prüfen,
ob Bonitätsaspekte der beitragspflichtigen Unternehmen bei der Beitragsbemessung
berücksichtigt werden sollen (S. 479 des Gutachtens), wobei das Gutachten klarstellt,
dass es zum Zeitpunkt seiner Abfassung - also im Jahr 2002 - auf Grund noch
erheblicher Schwierigkeiten in der Abschätzung von Unternehmensrisiken auf jeden
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Fall noch verfrüht für derartige Risikodifferenzierungen sei (S. 475 des Gutachtens).
Die Berufung ist schließlich auch nicht im Hinblick auf den Zulassungsgrund des § 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Abgesehen davon, dass die Klägerinnen es bereits versäumt haben, eine konkrete
klärungsbedürftige Frage zu formulieren, so vermag der Umstand alleine, dass es zu
den aufgeworfenen Fragestellungen die Verfassungsgemäßheit der für die
Beitragserhebung maßgeblichen Rechtsgrundlage betreffend keine Rechtsprechung
aus jüngster Zeit gibt, die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht zu begründen. Die
Frage der Übereinstimmung des Rentenwertumlageverfahrens mit höherrangigem
Recht ist geklärt und es ist - wie oben dargelegt - weder etwas dafür vorgetragen noch
ersichtlich, dass die in Bezug genommene Rechtsprechung vor dem Hintergrund
zwischenzeitlich eingetretener Veränderungen der rechtlichen und wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen einer Überprüfung bedarf.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und - hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung - nach § 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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