Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.10.2005
OVG NRW: aufschiebende wirkung, windkraftanlage, grundstück, bauherr, verordnung, behörde, abrundung, betreiber, ingenieurbüro, wahrscheinlichkeit
Oberverwaltungsgericht NRW, 8 B 158/05
Datum:
20.10.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 B 158/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 10 L 1199/04
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 23. Dezember 2004 geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen
die der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung
vom 4. Dezember 2002 in der Gestalt der 1. Nachtragsbaugenehmigung
vom 28. April 2004 zur Errichtung zweier Windkraftanlagen Typ Enron
Wind 1,5 SL mit einer Nabenhöhe von 100 m, einem Rotordurchmesser
von 77 m und einer Nennleistung von 1.500 kW auf den Grundstücken
Gemarkung E. , Flur , Flurstücke und , wird insoweit wiederhergestellt,
als die Genehmigung den Betrieb der Windkraftanlage WKA 2 auf dem
Grundstück Gemarkung E. , Flur , Flurstück , während der Nachtzeit von
22 Uhr bis 6 Uhr betrifft.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt 3/4, der Antragsgegner und die Beigeladene
tragen je 1/8 der Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Streitwert wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des
Verwaltungsgerichts für das erstinstanzliche Verfahren auf 2.556,46
EUR (entspricht 5.000,- DM) und für das zweitinstanzliche Verfahren auf
3.750,- EUR festgesetzt.
Gründe:
1
I.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer der im Außenbereich gelegenen Grundstücke An der
E1. und I. in P. -F. . Der Antragsgegner erteilte der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen
3
am 4. Dezember 2002 eine Baugenehmigung zur Errichtung zweier Windkraftanlagen
Enron Wind 1,5 SL mit einer jeweiligen Nennleistung von 1.500 kW, einer Nabenhöhe
von 100 m und einem Rotordurchmesser von 77 m auf den Grundstücken Gemarkung E.
Flur , Flurstücke (WKA 1) und (WKA 2). In den Nebenbestimmungen wurde u.a.
festgelegt, dass der Beurteilungspegel vor den Wohnhäusern auf den Grundstücken des
Antragstellers tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) nicht überschreiten dürfe (Nr. 16)
und die Windkraftanlagen in der Nachtzeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr in
schallreduzierter Betriebsweise mit einer Leistung von P max = 1.000 kW und einer auf
15,8 Umdrehungen/Minute begrenzten Rotordrehzahl mit einem Schallleistungspegel
von 100 dB(A) zu betreiben seien (Nr. 17). Die dem Grundstück des Antragstellers am
nächsten gelegene Windkraftanlage WKA 2 befindet sich in etwa 275 m Entfernung (die
Angaben der Beteiligten schwanken zwischen 273 und 285 Meter) nördlich der
Nordfassade des Wohnhauses auf dem Grundstück An der E1. in P. -F. . Gegen diese
Baugenehmigung erhob der Antragsteller Widerspruch und suchte um vorläufigen
Rechtsschutz nach. Bei einer Überprüfung der Akten stellte der Antragsgegner fest,
dass die der Baugenehmigung zugehörigen Schall- und Schattenwurfgutachten von
unzutreffenden Koordinaten ausgegangen waren. Daraufhin setzte er die Vollziehung
der Baugenehmigung aus. Das eingeleitete Eilverfahren wurde nach
übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt. Nach Vorlage neu erstellter
Gutachten erteilte der Antragsgegner der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen am 28.
April 2004 unter Modifizierung einzelner Nebenbestimmungen eine 1.
Nachtragsbaugenehmigung zur Errichtung der in der Ausgangsbaugenehmigung
bezeichneten baulichen Anlagen an den bereits genehmigten Standorten entsprechend
den korrigierten Koordinaten. Auch dagegen erhob der Antragsteller Widerspruch.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs abgelehnt.
4
II.
5
Die Beschwerde mit dem Antrag,
6
unter Änderung des angefochtenen Beschlusses die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen
erteilte Baugenehmigung vom 4. Dezember 2002 in der Gestalt der 1.
Nachtragsbaugenehmigung vom 28. April 2004 zur Errichtung zweier Windkraftanlagen
Typ Enron Wind 1,5 SL mit einer Nabenhöhe von 100 m, einem Rotordurchmesser von
77 m und einer Nennleistung von 1.500 kW auf den Grundstücken Gemarkung E. , Flur ,
Flurstücke und , anzuordnen,
7
hat teilweise Erfolg.
8
1. Mit dem vorliegenden Antrag begehrt der Antragsteller - weiterhin - die Anordnung der
kraft Gesetzes gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB ausgeschlossenen aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 4. Dezember 2002 in
der Gestalt der 1. Nachtragsbaugenehmigung vom 28. April 2004. Dem steht nicht
entgegen, dass nach der am 1. Juli 2005 in Kraft getretenen Neuregelung in § 67 Abs. 9
Satz 1 BImSchG
9
- Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2003/105/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2003 zur Änderung der
10
Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen
mit gefährlichen Stoffen vom 25. Juni 2005 (BGBl. I S. 1865) -
Baugenehmigungen für Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50
Metern, die "bis zum 1. Juli 2005" (gemeint ist offensichtlich: vor dem 1. Juli 2005) erteilt
worden sind, als Genehmigungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz gelten.
Allerdings haben Widersprüche Dritter gegen immissionsschutzrechtliche
Genehmigungen grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung.
Baugenehmigungen sind hingegen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212 a
Abs. 1 BauGB kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Die gesetzlichen Voraussetzungen des
§ 212 a Abs. 1 BauGB sind hier erfüllt; denn der Widerspruch des Antragstellers richtet
sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung des Vorhabens. Die sofortige Vollziehbarkeit
dieser bauaufsichtlichen Zulassung ist auch nicht nachträglich entfallen. Auf
Baugenehmigungen, die - wie hier - vor dem 1. Juli 2005 für Windkraftanlagen mit einer
Gesamthöhe von mehr als 50 Metern erteilt worden sind, findet unbeschadet der
gesetzlichen Fiktion in § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG weiterhin § 212 a Abs. 1 BauGB
Anwendung. Die Fortgeltung der bei Erteilung der Baugenehmigung eingetretenen
sofortigen Vollziehbarkeit über den 30. Juni 2005 hinaus ist zwar im Gesetz nicht
ausdrücklich geregelt, sie entspricht aber dem aus dem Regelungszusammenhang des
§ 67 BImSchG ersichtlichen Gesetzeszweck (a) und dem im Gesetzgebungsverfahren
deutlich gewordenen Willen des Gesetzgebers (b). Auch verfassungsrechtliche
Erwägungen legen diese Auslegung nahe (c).
11
a) Für eine Fortgeltung der sofortigen Vollziehbarkeit der für eine Windkraftanlage
erteilten Baugenehmigung spricht der objektive Zweck der gesetzlichen Neuregelung. §
67 Abs. 9 BImSchG stellt - ebenso wie die Absätze 5 bis 8 - eine Ausnahme von dem in
§ 67 Abs. 4 BImSchG normierten Grundsatz dar, dass bereits begonnene Verfahren
einschließlich solcher Widerspruchsverfahren, die auf Widersprüchen Dritter beruhen,
12
vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1982 - 7 C 42.80 -, BVerwGE 65, 313; Jarass,
BImSchG, 6. Aufl., 2005, § 67 Rn. 31,
13
bei Gesetzesänderungen nach neuem Recht zu Ende zu führen sind. Die Ausnahme
von diesem Grundsatz ist in § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG in Bezug auf Verfahren auf
Erteilung einer Baugenehmigung für Windkraftanlagen, die vor dem 1. Juli 2005
rechtshängig geworden sind, eindeutig geregelt. Diese Verfahren werden - wenn nicht
der Bauherr von der in § 67 Abs. 9 Satz 4 BImSchG eingeräumten Möglichkeit einer
Klageänderung Gebrauch macht - nach den Vorschriften der Verordnung über
genehmigungsbedürftige Anlagen und der Anlage 1 des Gesetzes über die
Umweltverträglichkeitsprüfung in der bisherigen, bis zum 30. Juni 2005 geltenden
Fassung abgeschlossen. Das bedeutet, dass auch für Anlagen, die eine Gesamthöhe
von mehr als 50 Metern aufweisen und die deshalb nach Nr. 1.6 des Anhangs der 4.
BImSchV in der seit dem 1. Juli 2005 geltenden Fassung
14
- Verordnung zur Änderung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen und
zur Änderung der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom
20. Juni 2005 (BGBl. I S. 1687) -
15
einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürften, aufgrund der
Übergangsregelung in § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG weiterhin die Erteilung einer
Baugenehmigung in Betracht kommt, sofern die Anlage nicht Teil einer Windfarm ist, die
16
bereits nach bisher geltendem Recht einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
bedurfte. Die aufgrund eines solchen, nach der Übergangsregelung fortgeführten
Verfahrens erteilte Baugenehmigung gilt gemäß § 67 Abs. 9 Satz 3 Halbsatz 2
BImSchG als immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Mithin sieht das Gesetz - sogar
- für den Fall, dass der Bauherr bisher noch keine Baugenehmigung für die Errichtung
einer Windkraftanlage erhalten hat, eine Übergangsregelung vor, nach der nicht ein
völlig neues Genehmigungsverfahren bei einer anderen Behörde eingeleitet werden
muss. Der Bauherr soll vielmehr auf einen bisher erreichten Verfahrensstand aufbauen
können. Der Zweck der Übergangsregelung besteht demgemäß darin, im Interesse der
Windkraftanlagenbetreiber der Verzögerung anhängiger Verfahren entgegenzuwirken,
die anderenfalls aus der geänderten Abgrenzung zwischen bau- und
immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen erwachsen würde.
Dieser objektive Gesetzeszweck legt nahe, dass Entsprechendes - erst recht - dann gilt,
wenn der Bauherr bereits eine Baugenehmigung erhalten hat. Auch in diesem Fall
sollen dem Betreiber die Vorteile eines schon erreichten Verfahrensstandes nicht
genommen werden. Zu diesen Vorteilen zählt auch die sofortige Vollziehbarkeit der
erteilten Baugenehmigung.
b) Ein solches Verständnis entspricht auch dem im Gesetzgebungsverfahren deutlich
gewordenen Willen des Gesetzgebers. Die Einfügung des § 67 Abs. 9 BImSchG steht
ausweislich der Begründung des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, der die Änderung angeregt hat, im Zusammenhang mit den
Vollzugsproblemen, die aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.
Juni 2004 (- 4 C 9.03 -, BVerwGE 121, 182) entstanden sind. Der Gesetzgeber wollte
den hinsichtlich der Genehmigung von Windkraftanlagen bei Anwendung des bisher
maßgeblichen Begriffs der Windfarm entstandenen Abgrenzungsproblemen entgehen
und mit der Übergangsregelung in § 67 Abs. 9 BImSchG "Reibungsverluste" vermeiden.
17
Vgl. BT-Drs. 15/5443, S. 3.
18
Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Fiktion nach § 67 Abs.
9 Satz 1 BImSchG die Rechtsposition des Anlagenbetreibers schwächen wollte, sind
danach nicht im Ansatz erkennbar. Die Übergangsregelung soll im Gegenteil dem
Interesse der Windkraftanlagenbetreiber an einer zügigen Durchführung des Verfahrens
dienen.
19
c) Gegen die Annahme, dass aufgrund der Fiktion des § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG die
mit Erteilung einer Baugenehmigung vor dem 1. Juli 2005 kraft Gesetzes eingetretene
sofortige Vollziehbarkeit am 1. Juli 2005 entfallen wäre, sprechen auch
verfassungsrechtliche Erwägungen. Zwar verstoßen gesetzliche Regelungen, durch die
der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der sich ein
Beteiligter befindet, mit Wirkung für die Zukunft einwirkt, nicht gegen das
Rückwirkungsverbot. Nach dem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen
Verfahrens- und Prozessrechts erfassen Änderungen des Verfahrensrechts mit ihrem
Inkrafttreten grundsätzlich auch anhängige Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, sofern
Übergangsregelungen nichts Abweichendes bestimmen.
20
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. November 2002 - 7 AV 3.02 -, NVwZ 2003, 401; Hess.
VGH, Beschluss vom 14. Februar 1991 - 13 TH 2288/90 -, InfAuslR 1991, 272; Sächs.
OVG, Beschluss vom 15. März 1994 - 1 S 633/93 -, LKV 1995, 119; BayVGH, Beschluss
vom 17. Dezember 1998 - 15 CS 98.2858 -, BayVBl. 1999, 373.
21
Dieser allgemeine Grundsatz wird jedoch durch die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden
Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eingeschränkt. Deren
Missachtung kann den Beteiligten in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen.
22
Vgl. BVerfG, Urteil vom 22. März 1983 - 2 BvR 475/78 -, BVerfGE 63, 343 (353),
Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631/90, 2 BvR 1728/90 -, BVerfGE 87, 48 (62 ff.).
23
Das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen ist von
Verfassungs wegen zwar weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung
materieller Rechtspositionen; im Einzelfall aber können verfahrensrechtliche
Regelungen nach ihrer Bedeutung und ihrem Gewicht in gleichem Maße schutzwürdig
sein wie Positionen des materiellen Rechts. Vor diesem Hintergrund erfährt der
allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts, dass eine Änderung des
Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst, für
anhängige Rechtsmittelverfahren eine einschränkende Konkretisierung: Beim Fehlen
abweichender Bestimmungen führt eine nachträgliche Beschränkung von Rechtsmitteln
gerade nicht zum Fortfall der Statthaftigkeit bereits eingelegter Rechtsmittel.
24
BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631/90, 2 BvR 1728/90 -, a.a.O., m.w.N.
25
Auch wenn es im vorliegenden Fall nicht um die Beschränkung eines Rechtsmittels
geht, ist die Interessenlage im Wesentlichen vergleichbar. Die aus § 212 a Abs. 1
BauGB folgende verfahrensrechtliche Position des Bauherrn steht ihm nicht erst
aufgrund eines Rechtsbehelfs (vgl. § 80 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VwGO), sondern bereits
kraft Gesetzes zu.
26
Die vorstehenden verfassungsrechtlichen Erwägungen sprechen deshalb dafür, dass
die durch § 212 a Abs. 1 BauGB bewirkte sofortige Vollziehbarkeit einer vor dem 1. Juli
2005 für eine Windkraftanlage erteilten Baugenehmigung fortgilt. Eine ausdrückliche
gesetzliche Übergangsregelung des Inhalts, dass die sofortige Vollziehbarkeit einer vor
Inkrafttreten des § 67 Abs. 9 BImSchG erteilten, von einem Dritten angefochtenen
Baugenehmigung für eine Windkraftanlage mit Ablauf des 30. Juni 2005 entfällt, besteht
nicht. Vielmehr spricht alles für eine gegenteilige Gesetzesauslegung. Eine eindeutige
Übergangsregelung wäre aus den dargelegten verfassungsrechtlichen Gründen
erforderlich gewesen, wenn dem Anlagenbetreiber, der finanzielle Dispositionen
aufgrund der ihn begünstigenden verfahrensrechtlichen Position getroffen hat, diese
Position wieder hätte genommen werden sollen. Der Gesetzgeber musste bei der
Neuregelung davon ausgehen, dass die Betreiber von Windkraftanlagen, denen
ungeachtet etwaiger Drittwidersprüche sofort vollziehbare Baugenehmigungen erteilt
worden waren, die Anlagen in einer Vielzahl von Fällen - so auch hier - unter
beträchtlichen finanziellen Aufwendungen errichtet und in Betrieb genommen hatten.
Eine verfahrensrechtliche Gleichstellung der von einem Dritten angefochtenen
Baugenehmigung mit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung hätte zur Folge
gehabt, dass ein Anlagenbetreiber, der sich rechtstreu verhalten wollte, aufgrund des
am 30. Juni 2005 verkündeten Änderungsgesetzes verpflichtet gewesen wäre, die
Anlage mit Beginn des 1. Juli 2005 außer Betrieb zu nehmen und sodann im Einzelfall
die behördliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu beantragen. Das würde
sogar dann gelten, wenn ein Antrag des Nachbarn auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs zuvor schon erfolglos geblieben wäre. Eine derart
weitgehende Zurückstellung der Vertrauensschutzinteressen des Anlagenbetreibers
27
hätte eine ausdrückliche Regelung und eine entsprechende, verfassungsrechtlich
tragfähige Begründung erfordert; an beidem fehlt es hier.
2. Ausgehend von dem vorstehend dargestellten Verständnis des § 67 Abs. 9 BImSchG
ist der Antrag auch zu Recht weiterhin gegen den Antragsgegner als
Baugenehmigungsbehörde gerichtet. Unter Berücksichtigung der Parallelität der für
Anfechtungs- und Verpflichtungssituationen maßgeblichen Regelungen in § 67 Abs. 9
Satz 1 und Satz 3 BImSchG bleibt die Behörde, die die von einem Dritten angefochtene
Baugenehmigung erlassen hat, ebenso wie die Baugenehmigungsbehörde, die für die
Erteilung einer Baugenehmigung in einem aufgrund der Übergangsregelung nach altem
Recht fortzusetzenden Verfahren zuständig ist, alleinige Herrin des Verfahrens. Das gilt
bis zu dessen unanfechtbarem Abschluss.
28
Die Übergangsregelung bestimmt lediglich, dass bereits rechtshängige
Baugenehmigungsverfahren nach altem Recht fortgeführt werden. Das bedeutet für das
Verfahren der Drittanfechtung, dass die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung sich
entsprechend allgemeinen, für das Baurecht entwickelten Grundsätzen,
29
vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. April 1996 - 4 B 54.96 -, BRS 58 Nr. 157, und vom 23.
April 1998 - 4 B 40.98 -, NVwZ 1998, 1179; OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 1996 - 7 A
3590/91 -, BRS 58 Nr. 147,
30
nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung beurteilt. Eine
Funktionsnachfolge dergestalt, dass nunmehr die Immissionsschutzbehörde für die
Erteilung bzw. Verteidigung der nach altem Recht zu beurteilenden Baugenehmigung
für eine Windkraftanlage zuständig wäre, findet danach nicht statt.
Immissionsschutzrechtliche Bestimmungen sind in dem nach § 67 Abs. 9 BImSchG
fortgeführten Verfahren nur insoweit maßgeblich, als die Baugenehmigung rechtswidrig
ist bzw. nicht erteilt werden kann, wenn die Anlage schon nach bisherigem Recht einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurfte. Demgemäß liegen in Fällen der
vorliegenden Art auch die Voraussetzungen für eine Beiladung der
immissionsschutzrechtlich zuständigen Behörde nicht vor, da ihre rechtlichen Interessen
durch die Entscheidung nicht im Sinne von § 65 Abs. 1 VwGO berührt werden.
31
Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass sich die vorstehenden Ausführungen zur
zunächst fortgeltenden Zuständigkeit der Baugenehmigungsbehörde lediglich auf
Verfahren beziehen, die vor dem 1. Juli 2005 erteilte und noch nicht unanfechtbare
Baugenehmigungen zum Gegenstand haben. Sie beziehen sich hingegen nicht auf
Überwachungs- oder Vollstreckungsmaßnahmen im Zusammenhang mit den
vorerwähnten Baugenehmigungen.
32
3. Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
33
Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerde gegen Beschlüsse des
Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123
VwGO) neben einem bestimmten Antrag die Gründe darlegen, aus denen die
Entscheidung zu ändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen
Entscheidung auseinandersetzen. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das
Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten Gründe.
34
Diese Prüfung fällt (nur) hinsichtlich des Nachtbetriebs der auf dem Grundstück
35
Gemarkung E. , Flur , Flurstück , errichteten Windkraftanlage WKA 2 zugunsten des
Antragstellers aus. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt insoweit
das Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der angefochtenen Genehmigung vorerst
verschont zu bleiben, das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der
Genehmigung. Nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen und gebotenen
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel, ob die
angefochtene Genehmigung, soweit sie den Nachtbetrieb der Windkraftanlage WKA 2
erlaubt, mit solchen Bestimmungen in Einklang steht, auf deren Verletzung sich der
Antragsteller berufen kann. Insoweit ist nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht
auszuschließen, dass der Betrieb dieser Anlage Beeinträchtigungen verursacht, die
dem Antragsteller nicht zuzumuten sind.
Im Übrigen, also soweit es um die Errichtung und den Tagbetrieb der Windkraftanlagen
sowie um den Nachtbetrieb der Windkraftanlage WKA 1 geht, stellt das
Beschwerdevorbringen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht in
Frage.
36
a) Die Einwände des Antragstellers gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts,
eine Rücksichtslosigkeit der streitgegenständlichen Windkraftanlagen ergebe sich nicht
aus einer von diesen ausgehenden erdrückenden Wirkung, können eine Anordnung der
aufschiebenden Wirkung nicht begründen.
37
Die in diesem Zusammenhang vom Antragsteller geltend gemachten
Beeinträchtigungen hängen maßgeblich mit der Bausubstanz der Windkraftanlagen
zusammen. Insoweit fehlt es schon am erforderlichen Rechtsschutzinteresse, da der
Antragsteller die Beseitigung der bereits errichteten Anlagen im Wege des vorläufigen
Rechtsschutzes nicht erreichen kann.
38
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse 14. September 2005 - 8 B 96/05 - und vom 11. März 2005 -
10 B 2462/04 -, NWVBl. 2005, 350.
39
b) Durchgreifende Bedenken bestehen aber gegen die vom Antragsteller im Weiteren
beanstandete Feststellung des Verwaltungsgerichts, mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit werde der Immissionswert von 45 dB(A) zur Nachtzeit auch beim
Wohnhaus "N. " auf dem Grundstück An der E1. in P. -F. voraussichtlich eingehalten
bzw. nur in einem für die Zeitdauer eines etwaigen Hauptsacheverfahrens zumutbaren
Umfang überschritten.
40
aa) Zu Unrecht beanstandet der Antragsteller allerdings die vorliegend erfolgte
gutachterliche Ermittlung der Immissionswerte auf der Grundlage einer Umrechnung der
sich aus dem "Messbericht" Nr. 25574-1.003 des Ingenieurbüros L. vom 23. Juli 2001
(sog. Referenzmessung) - im Folgenden: Messbericht - ergebenden Werte für die
Schallemissionen. Seine Bedenken stützt der Antragsteller allein auf den dem
Messbericht beigefügten Auszug aus dem "Prüfbericht" WICO 281SE702 der Wind D.
GmbH vom 12. Juli 2002 - im Folgenden: Prüfbericht -, in dem es in verschiedenen
Fußnoten heißt, die Werte für die Tonhaltigkeit bei einer jeweils näher bezeichneten
Nabenhöhe seien nicht bestimmt worden und deshalb nicht unmittelbar auf
umgerechnete Nabenhöhen übertragbar. Der Antragsteller verkennt jedoch, dass auf
Seite 5 des Auszugs aus dem Prüfbericht Angaben gerade zu einer Windkraftanlage mit
einer Nabenhöhe von 100 Meter gemacht worden sind. Angesichts dessen stellt sich
vorliegend die Frage der von der Wind D. GmbH nicht ohne Weiteres als möglich
41
angesehenen Umrechnung nicht, da die hier streitgegenständlichen Windkraftanlagen
jeweils eine Nabenhöhe von 100 Meter haben.
bb) Ohne Erfolg wendet der Antragsteller weiter ein, es sei nicht nachvollziehbar, warum
auch bei einem schallreduzierten Betrieb der maximale Schallleistungspegel einer
pitch-gesteuerten Anlage nach Erreichen der reduzierten Nennleistung nicht lauter
werde. Wie sowohl im Messbericht des Ingenieurbüros L. (Seite 7) als auch von der
Beigeladenen im Beschwerdeverfahren nachvollziehbar dargelegt, erfolgt eine im
schallreduzierten Betrieb notwendig werdende Reduzierung der Rotordrehzahl nicht -
wie der Antragsteller meint - über den möglicherweise mit zusätzlichen Emissionen
verbundenen Einsatz einer Bremse, sondern allein durch das Herausnehmen der
Rotorblätter aus dem Wind (sog. pitch-Steuerung) und die Regulierung des
anzulegenden und von der abverlangten elektrischen Leistung abhängigen
Drehmoments. Dass diese Umstände zu einem Anstieg der Emissionen führen könnten,
hat der Antragsteller nicht dargelegt und ist auch nicht ohne Weiteres ersichtlich.
42
cc) Ebenfalls nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung führt der Einwand des
Antragstellers, es sei geboten, das Geräuschverhalten der Windkraftanlagen im
schallreduzierten Betrieb auch bei Windgeschwindigkeiten zu überprüfen, bei denen
mehr als 95 % der zulässigen Höchstleistung erreicht werden. Auch wenn für die
Lärmimmissionsprognose von Windkraftanlagen der Schallleistungspegel beim
Betriebszustand mit dem höchsten Beurteilungspegel maßgeblich ist,
43
vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. November 2002 - 7 A 2127/00 -, BauR 2003, 517 = BRS
65 (2002) Nr. 182 = NWVBl. 2003, 176 = NVwZ 2003, 756,
44
schließt dies bei der im vorliegenden Verfahren allein vorzunehmenden summarischen
Prüfung nicht die Befugnis aus, die bei 95 % der reduzierten Nennleistung gemessene
Schallemission in die Prognose einzustellen. Denn nach dem aktuellen Erkenntnisstand
dienen die bei 95 % der Nennleistung ermittelten Daten als hinreichende Näherung für
die erzeugten Geräuschemissionen im Nennleistungsbereich, bei dem die höchsten
Beurteilungspegel im Sinne der TA Lärm auftreten.
45
Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Beschluss vom 7. Januar 2004 - 22 B 1288/03 -,
BauR 2004, 804 = DÖV 2004, 581 = NVwZ-RR 2004, 408.
46
Dass etwas anderes gelten könnte, wenn es nicht um die Ermittlung der
Geräuschemissionen bei einem Betrieb mit der vollen, sondern mit einer reduzierten
Nennleistung geht, lässt das Vorbringen des Antragstellers nicht mit der im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit erkennen.
Insbesondere zeigt der Antragsteller nicht auf, aufgrund welcher Umstände die bei 95 %
der reduzierten Nennleistung ermittelten Daten keine hinreichende Näherung an die
maßgeblichen Werte wiedergeben.
47
dd) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist bei summarischer Prüfung auch
nicht zu beanstanden, dass kein Tonhaltigkeitszuschlag vergeben worden ist, obwohl
nach dem Messbericht des Ingenieurbüros L. eine Tonhaltigkeit festgestellt worden sei.
48
In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die in dem
Messbericht genannte Tonhaltigkeit von 2 dB(A) sich allein auf eine
Nahbereichsmessung bezieht, die in einem Abstand von ca. 110 Meter von der
49
Windkraftanlage stattgefunden hat. Eine weitere, in einem Abstand von ca. 400 Meter
durchgeführte und deshalb dem Fernbereich zuzurechnende Messung hat
demgegenüber einen Wert von 0 dB(A) ergeben. Darüber hinaus ist in dem Messbericht
festgehalten, dass nach dem subjektiven Höreindruck das Anlagengeräusch im
Nahbereich kurzzeitig schwach und im Fernbereich nicht tonhaltig gewesen sei, was auf
sehr niedrige windinduzierte Geräusche an den Messpunkten zurückzuführen sei. Dass
das Ingenieurbüro L. daraus die Schlussfolgerung gezogen hat, allgemein keinen
immissionsrelevanten Tonzuschlag zu vergeben, ist bei der vorliegend gebotenen
summarischen Prüfung nicht zu beanstanden.
Ebenfalls keinen Bedenken begegnet es, dass das "Schalltechnische Gutachten" des
Ingenieurbüros S. und I1. vom 7. April 2004 - im Folgenden: Schalltechnisches
Gutachten - auf der Grundlage des Messberichts des Ingenieurbüros L. im Rahmen der
vorgenommenen Immissionsprognose keinen Tonhaltigkeitszuschlag vergeben hat.
Insbesondere hat der Antragsteller nicht durchgreifend in Frage gestellt, dass vorliegend
aufgrund des Abstands des maßgeblichen Immissionspunktes IP 4 auf dem Grundstück
An der E1. zu der nächst gelegenen Windkraftanlage WKA 2 von mehr als 250 Meter
kein derart auffälliger Ton wahrzunehmen ist, der die Vergabe eines entsprechenden
Zuschlags zu rechtfertigen vermag. Mit seinem Vorbringen verkennt der Antragsteller,
dass gemeinsames Kennzeichen der mit den Zuschlägen für Ton- und
Informationshaltigkeit erfassten Lästigkeitskomponenten das Merkmal der Auffälligkeit
ist. Nur wenn und soweit objektiv als lästig empfundene Komponenten aus dem übrigen
Lärmgeschehen auffällig hervortreten, weil sie deutlich wahrnehmbar sind und eine
besondere Störwirkung entfalten, soll der damit verbundenen Lästigkeit für den
Menschen bei der Beurteilung nach der TA Lärm durch Zuschläge von 3 oder 6 dB(A)
Rechnung getragen werden, die im Ergebnis dazu führen, dass die in die Beurteilung
einfließende Intensität der lästigen Geräuschkomponente so behandelt wird, als wäre
die Geräuschquelle verdoppelt bzw. vervierfacht.
50
vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. November 2002 - 7 A 2127/00 -, a.a.O.
51
Ausgehend davon reicht entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht jede auch
noch so geringe Tonhaltigkeit aus, um die Vergabe eines besonderen Zuschlags von 3
dB(A) zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr, dass von der Tonhaltigkeit eine gewisse
Auffälligkeit und eine damit verbundene Lästigkeit ausgeht. Aufgrund der im
vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung kann eine derartige
Ausprägung der Tonhaltigkeit nicht festgestellt werden.
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Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass das Ingenieurbüro L. in seiner
Stellungnahme vom 3. November 2004 darauf hingewiesen hat, dass der Messbericht
auf der Basis der damals maßgeblichen Fassung des DIN-Entwurfs 45681 erstellt
worden sei und dass nach dem heutigen Stand der maßgeblichen Regelwerke von
einem geringeren Wert der Tonhaltigkeit auszugehen sei, was auch durch das
Staatliche Umweltamt I2. in dessen Schreiben vom 27. Mai 2004 bestätigt worden ist. Im
Weiteren ist von Relevanz, dass die Feststellung der Tonhaltigkeit in dem Messbericht
auf sehr niedrige windinduzierte Geräusche an den Messpunkten zurückgeführt worden
ist. In Anbetracht des Umstands, dass sich zwischen dem Grundstück An der E1. und
der nächst gelegenen Windkraftanlage WKA 2 ein Waldstück befindet, ist fraglich, ob
die Feststellung aus dem Messbericht für den auf diesem Grundstück befindlichen
Immissionspunkt IP 4 überhaupt relevant sein kann. Denn insbesondere von einem
Wald dürften erhebliche windinduzierte Geräusche ausgehen, die die Tonhaltigkeit
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überlagern können. Darüber hinaus ist die Stellungnahme des Staatlichen Umweltamts
I2. vom 27. Mai 2004 zu beachten, wonach die Überwachungstätigkeit belegt habe,
dass Immissionsmessungen bei Windkraftanlagen des vorliegend in Rede stehenden
Typs weder mit einem auf 1.000 kW reduzierten Betrieb im Abstand von 330 Meter noch
mit Volllastbetrieb im Abstand von 288 Meter auffällige Tonhaltigkeiten gezeigt hätten.
Schließlich ist noch die im Grundsatz auch vom Antragsteller nicht in Frage gestellte
Tatsache in den Blick zu nehmen, dass die Tonhaltigkeit mit zunehmender Entfernung
abnimmt und vorliegend jedenfalls bei der Referenzmessung in einer Entfernung von
ca. 400 Metern den Wert von 0 dB(A) erreicht hatte.
Angesichts dieser Umstände und in Anbetracht der Tatsache, dass der maßgebliche
Immissionspunkt IP 4 mehr als 270 Meter von der nächst gelegenen Windkraftanlage
WKA 2 entfernt ist, ist es auch unter Berücksichtigung der vom Antragsteller
hervorgehobenen Besonderheiten tieffrequenter Töne nicht wahrscheinlich, dass auf die
Vergabe eines Tonzuschlags zu Unrecht verzichtet worden ist.
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ee) Ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller schließlich auch gegen die Höhe des in
die Schallprognose eingestellten Unsicherheitszuschlag für die Produktserienstreuung.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers beträgt der einzustellende
Unsicherheitszuschlag für die Produktserienstreuung nicht 2 dB(A), sondern - wie in
dem Schalltechnischen Gutachten zutreffend angenommen - lediglich 1,2 dB(A). Für
seine Auffassung beruft sich der Antragsteller zu Unrecht auf die Entscheidung des
OVG NRW vom 18. November 2002 - 7 A 2139/00 -, die im Wesentlichen inhaltsgleich
mit der Entscheidung vom selben Tag mit dem Az.: 7 A 2127/00 ist. In diesen
Entscheidungen ist es als geboten angesehen worden, bei der Immissionsprognose
jedenfalls in den Fällen, in denen nur eine Referenzmessung zugrunde gelegt wird, den
ermittelten Schallleistungspegel um einen Sicherheitszuschlag von 2 dB(A) zu erhöhen,
damit die Risiken einer herstellungsbedingten Serienstreuung vollständig
ausgeschlossen sind. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass von dem in den
Entscheidungen genannten Sicherheitszuschlag von 2 dB(A) nicht nur die
Unsicherheiten aus der Serienstreuung, sondern auch diejenigen aus dem
Prognosemodell und der Vermessung erfasst werden. Für die sog.
Standardabweichung, also die Unsicherheit, die sich aus der
Produktionsserienstreuung ergibt, ist deshalb in dem Schalltechnischen Gutachten
entsprechend den maßgeblichen Regelwerken zutreffend ein Wert von 1,2 dB(A)
zugrunde gelegt worden, der zu einem Sicherheitszuschlag von insgesamt 2,5 dB(A)
geführt hat.
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ff) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Genehmigung, soweit diese
den Nachtbetrieb der Windkraftanlage WKA 2 erlaubt, bestehen jedoch deshalb, weil
das Schalltechnische Gutachten den ermittelten Immissionswert von 45,2 dB(A) an dem
auf dem Grundstück des Antragstellers gelegenen Immissionspunkt IP 4 auf einen Wert
von 45 dB(A) abgerundet und daraus die Schlussfolgerung gezogen hat, der
maßgebliche Immissionsrichtwert werde eingehalten. Das Schalltechnische Gutachten
hat sich dabei an den Vorgaben des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI)
orientiert, der in seiner 101. Sitzung vom 9. bis 11. Mai 2001 beschlossen hat, eine vom
Unterausschuss Lärmbekämpfung erstellte "Darstellung der Auslegung der TA Lärm"
den Immissionsschutzbehörden der Länder als Vollzugshilfe zur Verfügung zu stellen.
Im Anhang dieser Darstellung heißt es, der Beurteilungspegel solle in vollen dB
angegeben werden, um keine Genauigkeit vorzutäuschen, die nicht vorhanden sei.
Dabei sei die übliche Rundung nach der DIN 1333 anzuwenden.
56
Zwar sprechen gute Gründe für die Annahme, die Angabe von Dezimalstellen bei
Lärmprognosen oder -messungen könne eine nicht gegebene Genauigkeit vortäuschen.
Diese nachvollziehbare Erwägung berechtigt aber nicht ohne weiteres dazu, eine
Abrundung zu Lasten eines Betroffenen vorzunehmen. In der Rechtsprechung ist stets
hervorgehoben worden, dass eine Prognose des zu erwartenden Immissionswertes im
Genehmigungsverfahren "auf der sicheren Seite" liegen muss.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. November 2002 - 7 A 2127/00 -, a.a.O., Beschluss vom
2. April 2003 - 10 B 1572/02 -, NuR 2004, 252.
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Diesen Anforderungen dürfte eine Abrundung zu Lasten des Betroffenen nicht gerecht
werden. Sie kann im Ergebnis zu einer Reduzierung des prognostizierten bzw.
gemessenen Beurteilungspegels um bis zu 0,49 dB(A) führen. Von den zuvor
einbezogenen (Un-)Sicherheitszuschlägen werden also durch Abrundung bis zu 0,49
dB(A) abgezogen. Bei dieser Vorgehensweise ist nicht hinreichend ausgeschlossen,
dass der betroffene Nachbar tatsächlich einer Lärmbelastung ausgesetzt wird, die
oberhalb des in der TA Lärm festgelegten Richtwerts liegt. Während der Richtwert nach
der TA Lärm im vorliegenden Zusammenhang bei 45 dB(A) liegt, läge er bei
Anwendung der Abrundungsregel faktisch bei < 45,5 dB(A). Die TA Lärm als die die
maßgeblichen Richtwerte festlegende Regelung enthält jedoch keinen Hinweis auf eine
vorzunehmende (Ab-)Rundung und eine dementsprechende faktische Erhöhung der
Richtwerte.
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Den aufgezeigten Bedenken wird im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen sein.
Sie rechtfertigen für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs in dem im Tenor zum
Ausdruck gebrachten Umfang. Sie sind derart gewichtig, dass dem Antragsteller nicht
zugemutet werden kann, die prognostizierte Überschreitung des maßgeblichen
Richtwerts bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinzunehmen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 1 und 162 Abs. 3
VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind billigerweise
erstattungsfähig, weil sie sich mit der Antragstellung dem sich aus § 154 Abs. 3 VwGO
ergebenden Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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Die Streitwertfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf § 72 Nr. 1 GKG
i.V.m. §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 und 25 Abs. 2 Satz 2 GKG a.F. und erfolgt in Anlehnung
an Abschnitt I. Nr. 7 und Abschnitt II. Nr. 7.6.1 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit in der insoweit noch maßgeblichen Fassung von Januar
1996 (DVBl. 1996, 606 = NVwZ 1996, 563). Die Streitwertfestsetzung für das
zweitinstanzliche Verfahren folgt aus §§ 52 Abs. 1 und 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG und
orientiert sich an Nr. 1.5 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Juli 2004 (DVBl. 2004, 1525 = NVwZ
2004, 1327).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).
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