Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.12.2005
OVG NRW: die post, universaldienst, abholung, öffentliches recht, räumlicher geltungsbereich, dienstleistung, rücknahme der klage, beförderung, wettbewerber, subjektives recht
Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 710/02
Datum:
07.12.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 A 710/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 22 K 11500/99
Tenor:
Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren
eingestellt. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln
wirkungslos.
Soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, wird das
Berufungsverfahren eingestellt.
Auf die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Dezember 2001 geändert.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für die zweite Instanz. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für die erste Instanz sind
nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
2
Für die Klägerin besteht im Postbereich die zunächst bis zum 31. Dezember 2002
befristete und inzwischen bis zum 31. Dezember 2007 verlängerte gesetzliche
Exklusivlizenz für die gewerbsmäßige Beförderung von Briefsendungen und
adressierten Katalogen bis zu einer bestimmten Gewichts- und Preisgrenze. Bis zum 31.
Dezember 2005 gilt insoweit ein Einzelgewicht bis 100 Gramm und ein Einzelpreis von
weniger als dem Dreifachen des Preises für entsprechende Postsendungen der
untersten Gewichtsklasse; ab 1. Januar 2006 ändern sich die Gewichtsgrenze auf 50
Gramm und der Einzelpreis auf das Zweieinhalbfache des maßgebenden Preises. Seit
Februar 2002 ist die Klägerin für den Zeitraum der gesetzlichen Exklusivlizenz
verpflichtet, Universaldienstleistungen im Sinne der Post-
Universaldienstleistungsverordnung zu erbringen.
3
Auf entsprechenden Antrag erteilte die (frühere) Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post - RegTP - (jetzt: Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas,
Telekommunikation, Post und Eisenbahnen) einer Einzelfirma in Krefeld am 23. April
1999 die "Lizenz zur gewerbsmäßigen Beförderung von Briefsendungen" u. a. nach §
51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG für den räumlichen Geltungsbereich des Gebietes des
Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Die Lizenz wurde am 31. Mai 1999 auf die T.
GmbH umgeschrieben, an deren Stelle im Laufe des Berufungsverfahrens die jetzige
Beigeladene getreten ist.
4
Die Lizenzurkunde vom 23. April 1999 (Nr. P 98/592) beschreibt mit einer
entsprechenden Unterteilung den Gegenstand der Lizenz (sachlicher und räumlicher
Geltungsbereich), enthält u.a. "Nebenbestimmungen (Auflagen)" und "Hinweise" zum
sachlichen und räumlichen Geltungsbereich sowie Ausführungen zu Auflagen,
nachträglichen Nebenbestimmungen, zum Widerruf und zur Übertragung der Lizenz und
zu den Lizenzierungskosten sowie eine Rechtsmittelbelehrung. Unter "3 Hinweise"
enthält sie u.a. folgende Formulierung:
5
"3.1 Sachlicher und räumlicher Geltungsbereich unter Textziffern 1.1 und 1.2
6
Die im Antragsverfahren spezifizierte Dienstleistung nach § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
PostG umfasst folgende Merkmale:
7
(1) Werktägliche Abholung von Briefsendungen bei den Auftraggebern bis 14.00 Uhr,
8
(2) garantierte Zustellung dieser Sendungen am Tag der Abholung,
9
(3) Umleitbarkeit bzw. Rückholbarkeit der Sendungen zwischen Abholung und
Zustellung
10
(4) Nichtberechnung des Sendungsentgelts bei Verfehlen des Zustellzeitziels,
11
(5) nachträgliche 14-tägige Abrechnung der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen
12
(6) zwei weitere Zustellversuch bei erfolgloser erster Zustellung,
13
(7) Ermittlung von Nachsendeadressen bei verzogenen Empfängern, Weitergabe der
neuen Anschrift an den Auftraggeber und erneuter Zustellversuch im Lizenzgebiet bzw.
14
bei erfolgloser Recherche Rückgabe der Sendung spätestens am folgenden Werktag,
(8) Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe des Sendungsentgelts bei Verfehlen des
Zustellzeitziels und,
15
(9) Haftung für den Verlust oder die Beschädigung von Sendungen in einer Höhe von
bis zu 50,- DM je Sendung.
16
Die o.a. Dienstleistung erfüllt - solange und soweit sie zumindest die Merkmale (1) bis
(5) umfasst und als Tätigkeit in einem wesentlichen Teil des Bundesgebiets ausgeübt
wird - die Tatbestandsmerkmale des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG. Sie berührt damit
nicht die befristete gesetzliche Exklusivlizenz der Deutschen Post AG nach § 51 PostG."
17
Als wesentlicher Teil des Bundesgebietes wird dabei ohne weiteres ein Gebiet
angesehen, das der Größe des kleinsten Flächenstaats der Bundesrepublik (rund 2.500
km2) entspricht.
18
Mit Bescheid vom 8. Dezember 1999 erweiterte die RegTP antragsgemäß die Lizenz
um die Merkmale
19
(1) Werktägliche Abholung von Briefsendungen bei den Auftraggebern nach 17.00 Uhr,
20
(2) garantierte Zustellung dieser Sendungen bis spätestens 12.00 Uhr des folgenden
Werktags.,
21
Mit Bescheid der RegTP vom 17. Januar 2000 wurde die Lizenz um das Merkmal
22
(1) garantierte Zustellung von Sendungen zu einem vom Auftraggeber im Einzelfall
festgelegten Termin, nicht jedoch an dem auf die Abholung folgenden Werktag,
23
erweitert.
24
Die Klägerin, die am Lizenzerteilungsverfahren nicht beteiligt war, hat am 9. Dezember
1999 Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Lizenz, "soweit sie Tätigkeit nach § 51
Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG gestattet", erhoben und geltend gemacht, die erteilte Lizenz
greife in ihre gesetzliche Exklusivlizenz nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG ein. Die
Tatbestandsmerkmale des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG (Trennbarkeit, besondere
Leistungsmerkmale, qualitative Höherwertigkeit) seien von der Beklagten/RegTP zu
Unrecht bejaht worden. Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2001 bezog die Klägerin die
Erweiterungen der Lizenz vom 8. 12. 1999 und "07.01.2000" (gemeint war wohl:
17.01.2000) in die Klage ein.
25
Nachdem das Verwaltungsgericht Köln zunächst im Oktober 2001 das Ruhen des
Verfahrens angeordnet hatte, hat die Klägerin nach Fortsetzung des Verfahrens
beantragt,
26
1. die durch die Beklagte der Beigeladenen erteilte Lizenz vom 23. April 1999 in der
Fassung der Änderungsbescheide vom 8. Dezember 1999 und 17. Januar 2000
insoweit aufzuheben, als sie sich auf Dienstleistungen gem. § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
PostG bezieht,
27
2. hilfsweise,
28
die Lizenz zur termingenauen Zustellung insoweit aufzuheben, als der Beigeladenen
damit gestattet wird,
29
a) derartige Postdienstleistungen für Geschäftskunden, insbesondere gewerbliche
Kunden, freiberuflich tätige Unternehmer, juristische Personen des Privatrechts und des
öffentlichen Rechts sowie Unternehmen der öffentlichen Hand zu erbringen, ohne dass
durch die Beförderung Rechtsvorteile für den Kunden bzw. den Absender der Briefe
entstehen;
30
b) Dienstleistungen für Geschäftskunden, insbesondere den unter a) genannten
Personenkreis zu erbringen, ohne dass der Sendungsinhalt oder sonstige in der Person
des Absenders liegende Gründe eine Zustellung zu einem bestimmten Kalenderdatum
erforderten;
31
c) die von der Klägerin für vergleichbare Sendungsformate verlangten Entgelte zu
unterschreiten;
32
d) inhaltsgleiche Briefsendungen mit einem Gewicht von weniger als 50 Gramm zu
befördern,
33
3. weiter hilfsweise
34
festzustellen, dass der Beigeladenen mit der Lizenz zur termingenauen Zustellung nicht
gestattet wird, Postdienstleistungen mit den unter 2. a) bis d) genannten Inhalten zu
erbringen,
35
4. weiter hilfsweise
36
festzustellen, dass die Lizenz zur termingenauen Zustellung eine Zustellung durch den
Lizenznehmer, hier die Beigeladene, voraussetzt und die Leistungserbringung durch
Einrichtung eines Beförderungsnetzes, in dem Leistungsbestandteile der
Beförderungskette durch andere Lizenznehmer im eigenen Namen erbracht werden,
durch die Lizenz zur termingenauen Zustellung nicht gestattet ist.
37
Die Beklagte hat beantragt,
38
die Klage abzuweisen.
39
Sie hat geltend gemacht, der Klägerin fehle es bereits an der Klagebefugnis. Die der
Beigeladenen erlaubten Leistungen seien nicht von der der Klägerin zustehenden
Exklusivlizenz umfasst.
40
Die Beigeladene, die erstinstanzlich keinen Antrag gestellt hat, hat geltend gemacht, die
der Klägerin zustehende Exklusivlizenz bzw. deren Verlängerung bis zum 31.
Dezember 2007 sei mit höherrangigem/europäischem Recht nicht vereinbar. Jedenfalls
sei ihre Lizenz rechtmäßig. Sie sei schwerpunktmäßig im Bereich von Overnight-
Zustellungen/E+1 tätig und erreiche im Verbund mit anderen ca. 1,5 Mio. Haushalte in
Nordrhein-Westfalen.
41
Mit Urteil vom 11. Dezember 2001, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat das
Verwaltungsgericht die der Beigeladenen erteilte Lizenz vom 23. April 1999 in der
Fassung der Änderungsbescheide vom 8. Dezember 1999 und 17. Januar 2000
aufgehoben, soweit diese die garantierte Zustellung der am Nachmittag und nach
Geschäftsschluss abgeholten Sendungen bis spätestens 12.00 Uhr am darauffolgenden
Werktag zum Gegenstand hat. Insoweit verletze die Lizenz die Klägerin in ihrem
Exklusivrecht, weil diese Postdienstleistung gegenüber dem Universaldienst nicht
qualitativ höherwertig sei, vielmehr im Wesentlichen der Universaldienstleistung
entspreche. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet
abgewiesen, weil die der Beigeladenen erlaubte taggleiche und termingenaue
Zustellung von Sendungen die Klägerin nicht in ihren materiellen Rechten verletze. Die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG, der über die genannten
Tatbestandsmerkmale hinaus keine weiteren ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale
wie etwa die finanzielle Gewährleistung des Universaldienstes enthalte, seien von der
RegTP zu Recht bejaht worden.
42
Auf die entsprechenden Anträge hat der Senat die Berufungen der Beteiligten
zugelassen.
43
Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin ihre Klage hinsichtlich der der
Beigeladenen erlaubten "taggleichen"/E + 0- Zustellung von Briefsendungen und die
Berufung hinsichtlich der der Beigeladenen lizenzierten "termingenauen"/ E + x-
Zustellung" zurückgenommen. Ein Klage- oder Rechtsmittelbegehren der Klägerin ist
demnach - wie in den Entscheidungsgründen ausgeführt wird - nicht mehr Gegenstand
des Berufungsverfahrens.
44
Die Beklagte macht geltend, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts stelle die
von der Beigeladenen garantierte Zustellung der am Nachmittag und nach
Geschäftsschluss abgeholten Sendungen bis spätestens 12.00 Uhr am darauffolgenden
Werktag eine höherwertige Dienstleistung im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG
dar. Das Verwaltungsgericht habe auch zu Unrecht die Klagebefugnis der Klägerin
bejaht. Das Postgesetz sei kein "Monopolabwicklungs"- oder
"Monopolerhaltungsgesetz", sondern ein "Wettbewerbseröffnungsgesetz".
Dementsprechend stehe der Klägerin ein subjektiv-öffentliches Recht, das ihre
Klagebefugnis begründen könne, nicht zu. Auf einen Vergleich der der Beigeladenen
erlaubten Dienstleistung mit der Standarddienstleistung der Klägerin komme es bei
methodisch korrekter Betrachtung nicht an, maßgebend sei vielmehr ein objektiver
Vergleich mit der Post-Universaldienstleistungsverordnung unter Berücksichtigung der
Grundsätze der "Corbeau"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Auch der
Preis, den ein Kunde für eine Leistung zu zahlen bereit sei, könne ein Indikator für eine
Höherwertigkeit der Leistung sein. Die Klägerin verkenne, dass es sich bei der
Lizenzerteilung für Wettbewerber um eine gebundene Entscheidung handele und die
Lizenz nur bei Vorliegen im Postgesetz konkret benannter Versagungsgründe versagt
werden könne. Zweck der Postgesetze sei die Liberalisierung des Postwesens,
hingegen nicht, der Klägerin in den Grenzen der Exklusivlizenz einen bestimmten
Marktanteil zu reservieren. Die sog. Overnight-Zustellung sei eine höherwertige
Dienstleistung i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG und berühre nicht die Exklusivlizenz
der Klägerin. Die Klägerin sei mit ihrem Logistiknetz zwar in der Lage, massenweise
Briefe bundesweit innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zu befördern, sie sei aber
nicht in der Lage, ihr Angebot in der Art zu differenzieren und um Mehrwertelemente
anzureichern, wie es die Beigeladene oder andere Anbieter sog. D-Dienstleistungen
45
bewirken könnten. Die als Vergleichsmaßstab heranzuziehende Post-
Universaldienstleistungsverordnung beschränke sich auf Merkmale einer einfachen
Beförderungsdienstleistung im Sinne eines "unabdingbaren Mindestangebots";
Leistungen, die danach nicht erbracht werden müssten, seien demgegenüber bei
gebotener objektiver Betrachtung höherwertig. Auf das sog. Flächenkriterium, wonach
die von einem Wettbewerber beabsichtigte Postdienstleistung in einem Gebiet mit einer
gewissen Mindestgröße angeboten werden müsse, verzichte sie, die Beklagte,
inzwischen und erkläre dieses Kriterium in der angefochtenen Lizenz für die
Beigeladene als gegenstandslos. Einen ungeschriebenen Gesetzesvorbehalt, dass die
Erteilung von Lizenzen nur solange erfolgen dürfe, wie dies das wirtschaftliche
Gleichgewicht der Klägerin nicht gefährde, gebe es nicht. Dies ergebe sich eindeutig
aus dem 2. Postgesetzänderungsgesetz, worin der Gesetzgeber die Verpflichtung der
Klägerin festgeschrieben habe, den Universaldienst zu erbringen, ohne zugleich einen
Ausgleich dafür zu erhalten. Auch im Universaldienst seien die Leistungen der Klägerin
profitabel. Bei der Briefdienstleistung hätte die Klägerin mit ca. 98% den deutlich
überwiegenden Marktanteil, während der Marktanteil der Lizenznehmer demgegenüber
minimal sei.
Die Beklagte beantragt,
46
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Dezember 2001 zu ändern und die
Klage in vollem Umfang abzuweisen.
47
48
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
49
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Dezember 2001 zu ändern und die
Klage in vollem Umfang abzuweisen.
50
Sie macht geltend, sie erbringe seit August 2000 überwiegend sämtliche
Postdienstleistungen, die durch den vom Verwaltungsgericht aufgehobenen Teil der
Lizenz legalisiert worden seien. Wenn sie die Lizenz nicht mehr nutzen dürfe, sei dies
für sie existenzgefährdend; sie müsste ca. 250 Mitarbeiter entlassen und Investitionen
von ca. 250.000 EUR seien verloren. Die der Klägerin zustehende Exklusivlizenz
verstoße gegen höherrangiges Recht. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr.
4 PostG seien auch bei der sog. Overnight-Zustellung zu bejahen, jedenfalls bei einer
Gesamtbetrachtung der von ihr angebotenen Dienste im Vergleich zu dem
Standarddienst der Klägerin. Die Klägerin habe ihr Anfechtungsrecht zudem verwirkt,
weil sie das gerichtliche Verfahren zwischen der Klageerhebung im Dezember 1999
und Dezember 2001 nicht betrieben habe und sie, die Beigeladene, deshalb darauf
vertraut habe, die ihr erteilte Lizenz nutzen zu dürfen.
51
Die Klägerin beantragt,
52
die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen.
53
Sie macht geltend, es sei grundsätzlich zu klären, ob Wettbewerbern erteilte Lizenzen
nach § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG (sog. D-Lizenzen) mit der ihr zustehenden
Exklusivlizenz vereinbar seien. Die Beklagte habe für die Erteilung dieser Lizenzen sog.
Entscheidungskriterien entwickelt, deren Grundlagen und Maßstäbe aber unklar und die
54
nicht an den tatsächlichen Kundenbedürfnissen orientiert seien. Die der Beigeladenen
erteilte Lizenz sei nicht hinreichend bestimmt, weil ihr Tenor über die Wiederholung des
Gesetzestextes hinaus keine weiteren Regelungen enthalte und der Aufzählung der
Leistungsmerkmale in dem Teil "Hinweise" keine verbindliche Wirkung zukomme. Aus
der Lizenz seien insbesondere nicht die Grenzen der erlaubten Tätigkeit und damit die
Abgrenzung zu der für sie bestehenden Exklusivlizenz eindeutig erkennbar. Die der
Beigeladenen erteilte Lizenz zur sog. Overnight (E+1)-Zustellung sei wegen
Unvereinbarkeit mit § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG vom Verwaltungsgericht zu Recht
aufgehoben worden. Die Overnight-Dienstleistung unterscheide sich nicht von der
Standard-Dienstleistung im Rahmen des Universaldienstes. Vergleichsmaßstab seien
insoweit nicht die Briefdienstleistungen durch sie, die Klägerin, sondern die Vorgaben
der Post- Universaldienstleistungsverordnung, die jedoch beispielsweise konkrete
Leerungszeiten für Briefkästen gar nicht vorsehe. Der Begriff der Trennbarkeit in § 51
Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG müsse nach Marktabgrenzungskriterien und damit in
Orientierung an kartellrechtlich relevante Kriterien ausgelegt werden und könne nicht
auf eine bloße Unterscheidbarkeit der genehmigten Dienstleistungen von
Universaldienstleistungen reduziert werden. Dabei würde sich ergeben, dass die der
Beigeladenen und anderen Wettbewerbern lizenzierten Postdienstleistungen nicht als
von der Universaldienstleistung trennbar angesehen werden könnten. Nach dem zu
Grunde zu legenden Bedarfsmarktkonzept ergebe sich, dass die ihr reservierten
Dienstleistungen durch der Beigeladenen genehmigte Leistungen lediglich substituiert
würden und sich deshalb auf demselben sachlich maßgebenden Markt bewegten. Aus
der Sicht des Kunden, auf den abzustellen sei, sei der Preis das entscheidende
Merkmal für die Auswahl unter Anbietern von Postdienstleistungen, während
Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit der Zustellung von Briefsendungen
demgegenüber keine Rolle spielten. Die der Beigeladenen genehmigte Overnight-
Zustellung sei auch gegenüber dem Universaldienst nicht qualitativ höherwertig. Ob
Briefsendungen am Folgetag spätestens mittags oder zu einer nicht näher festgelegten
Stunde ausgeliefert würden, mache aus Verbrauchersicht für Empfänger und Absender
keinen Unterschied. Auch die weiteren Leistungsmerkmale in der angefochtenen Lizenz
wie nachträgliche Abrechnung, Umlenkbarkeit der Sendungen, Nichtberechnung des
Entgelts bei Verfehlen des Zustellzeitpunktes, weitere Zustellversuche am nächsten Tag
bei fehlgeschlagener Zustellung, Ermittlung von Nachsendeadressen bei verzogenen
Empfängern und Haftung für den Verlust oder die Beschädigung von Sendungen
begründeten keine gegenüber dem Universaldienst höhere qualitative Wertigkeit, zumal
nicht erkennbar sei, ob/dass die in der Lizenz genannten Leistungsmerkmale kumulativ
erfüllt sein müssten. Die Lizenzierungspraxis der Beklagten gefährde auch ihr
wirtschaftliches Gleichgewicht, das zur Durchführung des Universaldienstes notwendig
sei. Dieses Merkmal ergebe sich bei verständiger Auslegung als ungeschriebenes
Tatbestandsmerkmal des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG und begründe deshalb die
Pflicht der Beklagten, das Regulierungsziel der Sicherstellung des Universaldienstes zu
beachten (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 PostG) und durch ihre Lizenzierungspraxis eine solche
Gefährdung zu verhindern; dies folge auch aus der sog. Corbeau-Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs, an der sich der Gesetzgeber beim Erlass des Postgesetzes
orientiert habe. Es gehe auch nicht an, die Brieflaufzeiten der Beigeladenen, deren
Tätigkeit und Lizenz auf ein regionales Zustellgebiet beschränkt sei, mit der nach der
Post-Universaldienstleistungsverordnung im Jahresdurchschnitt zulässigen maximalen
Brieflaufzeit für eine bundesweite Zustellung zu vergleichen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen Bezug
genommen auf den Inhalt ihrer Schriftsätze, wegen des Sachverhalts auf die
55
Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
56
Gegenstand des Verfahrens sind nur noch die Berufungen der Beklagten und der
Beigeladenen gegen den der Klage stattgebenden Teil des Urteils des
Verwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2001 bezüglich der mit der angefochtenen
Lizenz genehmigten Overnight/E+1-Zustellung und in der Sache die der Beigeladenen
erteilte Lizenz vom 23. April 1999, soweit sich diese auf § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG
bezieht, in der Fassung des Änderungsbescheids der RegTP vom 8. Dezember 1999.
Die Lizenzerweiterung durch Bescheid der RegTP vom 17. Januar 2000, auf die sich
das Urteil des Verwaltungsgerichts auch bezieht, ist hingegen nicht mehr relevant. Nach
der entsprechenden Rücknahme der Klage im Schriftsatz der Klägerin vom 7. Februar
2003, in die die Beklagte eingewilligt hat und zu der es der Einwilligung der
Beigeladenen nicht bedurfte, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr die
Frage, ob die angefochtene Lizenz vom 23. April 1999 insoweit rechtmäßig ist, als sie
der Beigeladenen erlaubt, werktäglich bis 14.00 Uhr bei den Auftraggebern abgeholte
Briefsendungen am Tag der Abholung zuzustellen ("taggleiche" Zustellung).
Diesbezüglich war/ist deshalb das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO) und das
Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Dezember 2001 - 22 K 11500/99 - gem. §§
173 VwGO, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos. Die Rücknahme der Berufung durch
Schriftsatz der Klägerin vom 9. März 2005 hat die Beendigung des Berufungsverfahrens
in Bezug auf die der Beigeladenen lizenzierte "termingenaue" Zustellung bewirkt. Die
während des Berufungsverfahrens erfolgte Lizenzänderung und -erweiterung durch
Bescheid der RegTP vom 17. März 2005 wurde von der Klägerin nicht angefochten und
ist demnach ebenfalls nicht Streitgegenstand. Ein Klage- oder Rechtsmittelbegehren der
Klägerin ist somit nicht (mehr) anhängig.
57
Für die Beurteilung des Begehrens der Beteiligten besteht für den Senat keine
Bindungswirkung in irgendeiner Hinsicht. Zwar hat der Senat in dem ähnlich gelagerten
Verfahren 13 A 711/02 durch Beschluss vom 6. Oktober 2003 (nach § 130a VwGO) auf
die Berufungen der dortigen Beklagten und Beigeladenen die Klage der Klägerin gegen
eine lizenzierte Overnight-Zustellung zurückgewiesen und wurde der Beschluss durch
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - (BVerwGE 121,
211; NVwZ 2004, 1377) aufgehoben, soweit nicht das Verfahren eingestellt worden war,
und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht
zurückverwiesen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts entfaltet aber
keine Bindungswirkung für dieses Verfahren, weil in jenem Verfahren andere Beteiligte
betroffen waren und die Zurückverweisung der Sache durch das
Bundesverwaltungsgericht wegen eines Verfahrensfehlers erfolgt ist.
58
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 2000 - 8 B 154/00 -, NVwZ 2000, 1299;
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a. a. O., § 144 Rdnrn. 122, 114; Kopp/Schenke,
VwGO, 14. Auflage, § 144 Rdnr. 12.
59
Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen haben Erfolg. Das
Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin zu Unrecht stattgegeben, soweit die
Lizenz vom 23. April 1999/ 8. Dezember 1999 für die Beigeladene dieser die sog.
Overnight-Zustellung erlaubt.
60
Der für das Klagebegehren und die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung der
61
angefochtenen Lizenz maßgebliche Zeitpunkt richtet sich nach materiellem Recht.
BVerwG, Beschluss vom 23. November 1990 - 1 B 155/90 -, NVwZ 1991, 372.
62
Ist das materielle Recht zukunftsgerichtet und dienen nach der streitbefangenen
Behördenentscheidung ergangene Rechtsänderungen diesem zukunftsgerichteten
Zweck, spricht das für die Notwendigkeit ihrer Beachtung im Zeitpunkt der Entscheidung
des Gerichts. Dies gilt wegen der angestrebten Liberalisierung und Intensivierung des
Wettbewerbs gerade auch für den Bereich des Postwesens. Auch die
zwischenzeitlichen postrechtlichen Normänderungen weisen eine auf weitere
Marktliberalisierung und Wettbewerbsintensivierung, also zukunftsgerichtete
Zweckbestimmung aus. Ein Abstellen auf den üblicherweise für die Beurteilung von
Anfechtungsklagen maßgebenden Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung würde
somit bedeuten, dass wesentliche normative Veränderungen unberücksichtigt blieben
und die Entscheidung zu einem überholten Sach- und Rechtsstand ergehen würde.
Dementsprechend sind die nach der Erteilung der Lizenz vom 23. April 1999/ 8.
Dezember 1999 bzw. nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2001
eingetretenen relevanten Veränderungen in der Chronologie des Ersten Gesetzes zur
Änderung des Postgesetzes vom 2. September 2001 (BGBl. I S. 2271), des Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes vom 30. Januar 2002 (BGBl. I S. 572), des
Post- und telekommunikationsrechtlichen Bereinigungsgesetzes vom 7. Mai 2002
(BGBl. I S. 1529) und des Dritten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes vom 16.
August 2002 (BGBl. I S. 3218) zu berücksichtigen. Danach steht der Klägerin bis zum
31. Dezember 2007 die gesetzliche Exklusivlizenz nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG für
die Beförderung von Briefsendungen und adressierten Katalogen, deren Einzelgewicht
derzeit (bis 31. Dezember 2005) 100 Gramm und deren Einzelpreis weniger als das
Dreifache des Preises für entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse
beträgt, zu und ist die Klägerin seit Februar 2002 für den Zeitraum der gesetzlichen
Exklusivlizenz verpflichtet, Universaldienstleistungen im Sinne der Post-
Universaldienstleistungsverordnung zu erbringen. Die durch das 1. Postgesetz-
Änderungsgesetz erfolgte Hinausschiebung der Befristung der Exklusivlizenz bis Ende
2007 begegnet dabei keinen verfassungsrechtlichen Bedenken,
63
vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 1712/01 -, BVerfGE 108, 370.
64
Die ab 1. Januar 2006 geltenden Gewichts- und Preisgrenzen (50 Gramm,
Zweieinhalbfaches des maßgebenden Preises) bleiben hingegen bei dieser
Entscheidung außer Betracht; ihnen würden in rechtlicher Hinsicht für die in diesem
Verfahren anstehende Frage einer etwaigen Beeinträchtigung der Exklusivlizenz durch
die angefochtene Lizenz für die Beigeladene aber auch keine entscheidenden
Auswirkungen zukommen.
65
Die Klage ist zulässig.
66
Dabei bedarf es - weil dem keine Bedeutung für das Entscheidungsergebnis zukommt -
keiner Ausführungen dazu, ob die Klägerin wegen des nach Ansicht der Beigeladenen
über längere Zeit unterbliebenen Betreibens des Verfahrens ihr Klagerecht verwirkt hat.
67
Das Verwaltungsgericht hat die Klagebefugnis der Klägerin zu Recht bejaht (§ 42 Abs. 2
VwGO). Unter Berücksichtigung der Legaldefinition einer "Lizenz" in § 5 Abs. 1 PostG
handelt es sich bei der der Klägerin zustehenden gesetzlichen Exklusivlizenz nach § 51
68
Abs. 1 Satz 1 PostG um eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis zur gewerbsmäßigen
Beförderung von Briefsendungen und adressierten Katalogen mit einem bestimmten
Einzelgewicht und einem bestimmten Einzelpreis. Mit der gesetzlichen Exklusivlizenz
wird der Klägerin zugleich ein geschützter Tätigkeitsbereich reserviert, der sich von
anderen in § 51 Abs. 1 Satz 2 PostG vorgesehenen Beförderungs- und Dienstleistungen
abgrenzt und insoweit zugleich einen Schutz für die Klägerin bewirkt. Im Grenzbereich
zwischen der gesetzlichen Exklusivlizenz mit einem für die Klägerin reservierten
Tätigkeitsbereich und dem Tätigkeitsfeld, das der Beigeladenen durch die Lizenz vom
23. April 1999/ 8. Dezember 1999 erlaubt wird, erscheint es nicht von vornherein als
offensichtlich, dass eine Rechtsverletzung der Klägerin nicht gegeben sein kann. Eine
Verletzung des mit der Einräumung der Exklusivlizenz begründeten subjektiv-
öffentlichen Rechts der Klägerin erscheint vielmehr möglich, wenn die Beklagte bei der
Erteilung der Lizenz für die Beigeladene den Umfang der Exklusivlizenz verkannt
und/oder die Tatbestandsmerkmale des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG zu Unrecht
bejaht hätte. Ebenso wie andererseits Art. 12 Abs. 1 GG für die Wettbewerber der
Klägerin ein subjektives Recht auf Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen der
Einräumung von Ausschließlichkeitsrechten gewährt,
vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003
69
- 1 BvR 1712/01 -, a.a.O.,
70
begründet deshalb die gesetzliche Exklusivlizenz auch für die Klägerin ein subjektiv-
öffentliches Recht auf Achtung und Wahrung des danach erlaubten
Betätigungsbereichs. Dessen mögliche Beeinträchtigung reicht zur Annahme der
Klagebefugnis für die Klägerin.
71
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2002
72
- 6 C 8.01 -, NVwZ 2003, 605 = MMR 2003, 241; Badura in Beck'scher PostG-
Kommentar, 2. Aufl., § 51 Rdnrn. 143,68.
73
Die Klage ist aber nicht begründet.
74
Im Rahmen der Beurteilung der verfahrensmäßigen Rechtmäßigkeit der Lizenz für die
Beigeladene schließt sich der Senat hinsichtlich der nicht erfolgten Beteiligung der
Klägerin im Lizenzierungsverfahren vor der Regulierungsbehörde und der fehlenden
Anhörung der Klägerin vor Erteilung der Lizenz den Ausführungen des
Verwaltungsgerichts an, wonach diese Umstände nicht die Rechtswidrigkeit der
angefochtenen Lizenz bewirken.
75
Die angefochtene Lizenz ist nicht wegen fehlender Bestimmtheit aufzuheben. Zwar
kann sich auch ein Drittbetroffener auf eine fehlende Bestimmtheit eines
Verwaltungsakts berufen und liegt insoweit eine Rechtsverletzung seinerseits vor, wenn
sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale bezieht, deren genaue Festlegung
erforderlich ist, um einen ihm zukommenden Schutzbereich (hier auf Grund der
Exklusivlizenz) zu wahren und eine Verletzung desselben zu verhindern,
76
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2002
77
- 10 B 939/02 -, NWVBl. 2003, 214; Stelkens/
78
Bonk/Sachs, VwVfG, 6.Aufl., § 37 Rdn. 12.
79
Die Lizenz für die Beigeladene verstößt aber nicht gegen das in § 37 Abs. 1 VwVfG
normierte Gebot hinreichender Bestimmtheit von Verwaltungsakten. Dem steht nicht
entgegen, dass sich die konkreten Regelungen i.S.d. § 35 VwVfG nicht schon aus dem
Entscheidungssatz der Lizenz ergeben und sich dieser auf die Wiedergabe des
Wortlauts des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG beschränkt. Hinreichende Bestimmtheit
eines Verwaltungsakts im Hinblick auf eine getroffene Regelung ist anzunehmen, wenn
sich diese aus dem Entscheidungssatz in Zusammenhang mit den Gründen durch
Auslegung vollständig, klar und unzweideutig ermitteln lässt.
80
Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 37 Rdnr. 5, 8, 12; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O.,
§ 37 Rdnr. 10 ff.; BVerwG, Urteil vom 25. April 2001
81
- 6 C 6.00 -, BVerwGE 114, 160 = NVwZ 2001, 1399.
82
Auf die äußerliche Gestaltung des Verwaltungsakts kommt es dabei nicht entscheidend
an, maßgebend ist vielmehr sein objektiver Erklärungswert, wie er bei verständiger
Auslegung von den Betroffenen verstanden werden darf und muss. Danach ist es für die
Rechtmäßigkeit der Lizenz ohne Bedeutung, dass die der Beigeladenen nach § 51 Abs.
1 Satz 2 Nr. 4 PostG erlaubte Dienstleistung konkret in den "Hinweisen" in der Lizenz
beschrieben wird. Die angefochtene Lizenz, soweit sie Klagegegenstand ist, ist
erkennbar darauf gerichtet, der Beigeladenen die Durchführung bestimmter
Dienstleistungen nach § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG zu erlauben und den Umfang
dieser Erlaubnis durch Beschreibung konkreter Leistungsmerkmale zu konkretisieren.
Die Ziffer 3.1 der Lizenz vom 23. April 1999 mit der Ergänzung durch Bescheid vom 8.
Dezember 1999 konkretisiert, unabhängig von der weiteren Unterteilung der Lizenz, den
sachlichen Geltungsbereich derselben durch die Beschreibung einzelner Merkmale. Ihr
kommt daher bei verständiger Würdigung regelnde Wirkung i. S. d. § 35 VwVfG zu. Sie
lediglich als "Aneinanderreihung unverbindlicher Positionen" anzusehen, würde
hingegen ihrer Bedeutung nicht gerecht und kann auch vom objektiven
Empfängerhorizont her so nicht verstanden werden. Dies erhellt u.a. aus der Erwägung,
dass die regelnde Wirkung der dargelegten Leistungsmerkmale in der angefochtenen
Lizenz auch dann anzunehmen wäre, wenn die Lizenz keine Unterteilung in Abschnitte
aufweisen würde und die Leistungsmerkmale in ihrem Text platziert wären. Eine
ausdrückliche weitergehende Abgrenzung der Lizenz von der gesetzlichen
Exklusivlizenz für die Klägerin war nicht geboten, weil dies bereits normativ durch § 51
Abs. 1 PostG erfolgt ist und nach der Systematik des § 51 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 PostG bei
Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG die
Exklusivlizenz nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG nicht berührt wird.
83
Das Bestimmtheitsgebot verlangt aus Sicht des Senats die genaue Bezeichnung der
lizenzierten Betätigung des Lizenznehmers. Dies gilt schon deshalb, um dem
Lizenzinhaber nicht gesetzeswidrig eine Betätigung im durch die Exklusivlizenz
geschützten Tätigkeitsbereich der Klägerin zu erlauben und um keine bußgeldbewehrte
Tätigkeit in einem nicht lizenzierten Bereich zu provozieren. Dass die Beschreibung der
Dienstleistungen in den Nrn. (1) bis (9) der Lizenz-Hinweise vom 23. April 1999 bzw. in
der Lizenz-Erweiterung vom 8. Dezember 199 nicht kumulativ gemeint sein kann, ergibt
sich bei verständiger Auslegung schon daraus, dass sich die Beschreibung zum Teil auf
unterschiedliche Dienstleistungen bezieht und im Übrigen den Leistungsmerkmalen,
84
würden sie einzeln für sich gesehen, keine Bedeutung für die Subsumtion im Rahmen
des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG zukäme. So ist beispielsweise das
Leistungsmerkmal "(1) werktägliche Abholung von Briefsendungen bei den
Auftraggebern nach 17.00 Uhr" im Ergänzungsbescheid vom 8. Dezember 1999 für sich
gesehen ohne Relevanz und gewinnt seine Bedeutung für die Charakterisierung als
Overnight-Zustellung erst in Zusammenhang mit dem Leistungsmerkmal "(2) Garantierte
Zustellung dieser Sendungen bis spätestens 12.00 Uhr des folgenden Werktags"; der
Typus der Overnight-Zustellung definiert sich somit erst aus einer Zusammenschau
dieser beiden insoweit wesentlichen Merkmale. Gleiches galt für die - nach der
entsprechenden Klagerücknahme nicht mehr streitgegenständlichen -
zusammengehörenden Leistungsmerkmale (1) und (2) in den Hinweisen in der Lizenz
vom 23. April 1999. Der Senat interpretiert daher den Erklärungsinhalt der der
Beigeladenen erteilten Lizenz nicht im Sinne einer schlichten Erlaubnis zur
umfassenden Briefbeförderung, die einen Konflikt mit der der Klägerin vorbehaltenen
Postbeförderung nicht ausschlösse, sondern als Erlaubnis zur Durchführung einer
spezifischen, durch die Merkmale in den Lizenz-Hinweisen besonders
gekennzeichneten Briefbeförderung. In diesem Sinne muss auch die Klägerin
redlicherweise die Lizenz verstehen, zumal von einer Nichtigkeit der Lizenz wegen
vermeintlicher Unbestimmtheit nicht die Rede sein kann und sich bezüglich ihres
regelnden Inhalts weitere Klarheit im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ergeben hat.
Die der Beigeladenen erteilte Lizenz ist auch materiell rechtmäßig. Dies gilt auch
angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Oktober 2003 - 1
BvR 1712/01 -, u.a. mit der Aussage, dass Art. 143b Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber dem
Art. 12 Abs. 1 GG vorrangig ist und dass sich Wettbewerber der Klägerin im
monopolisierten Bereich nicht auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen können.
85
Die angefochtene Lizenz hat ihre Rechtsgrundlagen in §§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 Satz 3,
Abs. 3, 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG.
86
Gem. § 5 Abs. 1 PostG bedarf der Lizenz, wer Briefsendungen, deren Einzelgewicht
nicht mehr als 1000 Gramm beträgt, gewerbsmäßig für andere befördert.
Briefsendungen sind dabei nach § 4 Nr. 2 PostG adressierte schriftliche Mitteilungen;
Kataloge und wiederkehrend erscheinende Druckschriften wie Zeitungen und
Zeitschriften gehören nicht dazu.
87
Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 PostG ist die Lizenz zu erteilen, wenn kein Versagungsgrund
nach § 6 Abs. 3 PostG besteht.
88
Ein Grund für die Versagung der Lizenz nach § 6 Abs. 3 PostG, der nach dem Willen
des Gesetzgebers insoweit eine abschließende Regelung darstellt,
89
vgl. BT-Drucks. 13/7774 S. 21 -,
90
ist nicht gegeben. Von den dort aufgeführten Versagungsgründen kommt nur Nummer 2
in Betracht, zumal die subjektiv bezogenen Versagungsgründe des § 6 Abs. 3 Nrn.1 und
3 PostG wegen fehlenden Drittschutzes hier nicht einschlägig sind.
91
Nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 PostG ist die Lizenz zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme
rechtfertigen, dass durch die Aufnahme einer lizenzpflichtigen Tätigkeit die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung gefährdet würde. Dies ist anzunehmen, wenn die Lizenz für die
92
Beigeladene die der Klägerin eingeräumte Exklusivlizenz tangiert und deren
reservierten Dienstleistungsbereich beeinträchtigt. Das ist jedoch nicht der Fall. Die
Entscheidung der Beklagten, bei der der Beigeladenen lizenzierten Overnight-
Zustellung die Tatbestandsmerkmale des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG zu bejahen, ist
rechtmäßig und nicht zu beanstanden.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll(te) die Exklusivlizenz für die Klägerin "zur
Bewältigung des anstehenden Strukturwandels" dienen (BT-Drucks. 13/7774, S. 33).
Durch die Postreform II in 1994 wurden die rechtlichen Voraussetzungen für die
Privatisierung des Postwesens, das bis dahin durch ein Monopol zu Gunsten des
Staates charakterisiert war, und die Liberalisierung des Postmarktes geschaffen. Die
bislang in bundeseigener Verwaltung geführte Deutsche Bundespost wurde privatisiert
und in Aktiengesellschaften umgewandelt. Damit verbunden war eine Umwandlung von
einem hierarchisch strukturierten Behördenapparat zu einem Unternehmen, das den
Regeln und Maßstäben des Wettbewerbs unterliegt und sich an betriebswirtschaftlichen
Kriterien zu orientieren hat. Die mit der Umwandlung verbundenen Kosten, die sich u.a.
aus der Übernahme von Beamten der Deutschen Bundespost (Art. 143 b GG),
Pensionszahlungen sowie einer Modernisierung und Optimierung der
Unternehmensstruktur ergaben, sollten mit der - etwa 86 % des
Briefbeförderungsmarktes (unter Ausschluss des Marktes für Massensendungen)
umfassenden - Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG "abgesichert" werden. Die der
Klägerin zuerkannte Exklusivlizenz war/ist somit für eine Übergangszeit dafür gedacht,
einen abrupten Systemwechsel zu vermeiden und statt dessen einen sich stufenweise
vollziehenden Übergang vom Monopol zum Wettbewerb zu ermöglichen. Der Erlass des
Postgesetzes war zudem beeinflusst durch europarechtliche Vorgaben zur
Liberalisierung des gemeinsamen Marktes auf dem Postsektor, wie sie beispielsweise
in der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über
gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der
Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstqualität - Postdienste-RL- vom 15.
Dezember 1997 (Abl. EG. Nr. L 15, S. 14), jetzt geltend in der Fassung der
Änderungsrichtlinie 2002/39/EG vom 10. Juni 2002 (Abl. EG Nr. L 176, S. 21), ihren
Niederschlag gefunden haben. In die Gesetzesberatungen einbezogen wurde auch die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den Grenzen von Monopolen auf
dem Postsektor und zur Möglichkeit des Marktzutritts für konkurrierende Dienste,
insbesondere die sog. "Corbeau"-Entscheidung,
93
EuGH, Urteil vom 19. Mai 1993 - C 320/91 -, Slg. 1993, I - 2533; NVwZ 1993, 874;
EuZW 1993, 422.
94
Ein Beurteilungsspielraum mit der Folge einer nur eingeschränkten gerichtlichen
Überprüfung der Entscheidung steht der Behörde bei der Frage, ob ein
Versagungsgrund gegeben oder eine postrechtliche Lizenz zu erteilen ist, nicht zu. Dies
gilt auch für Entscheidungen im Rahmen von § 51 Abs. 1 Satz 2 PostG, weil insoweit
ebenfalls eine "Lizenz"-Entscheidung nach §§ 5, 6 PostG ansteht. Ein
Beurteilungsspielraum wird von der Rechtsprechung üblicherweise anerkannt bei
Prüfungs- oder prüfungsähnlichen Entscheidungen, insbesondere im Schulbereich, bei
beamtenrechtlichen Beurteilungen, bei Entscheidungen wertender Art insbesondere
durch mit mehreren Personen besetzte Gremien und bei Prognoseentscheidungen und
Risikobewertungen. Eine derartige, durch eine besondere Situation (z.B. Prüfung)
gekennzeichnete oder von der Bewertung Mehrerer abhängige Entscheidungslage steht
bei der Entscheidung, ob einem Antrag auf Erteilung einer postrechtlichen Lizenz ein
95
Versagungsgrund entgegensteht, nicht an. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem
Lizenzierungsvorbehalt des § 5 Abs. 1 PostG um einen Eingriff in die Berufs- und
Unternehmensfreiheit handelt, und gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 PostG die Lizenz zu erteilen
ist, wenn kein Versagungsgrund nach § 6 Abs. 3 PostG besteht, ist die Lizenzerteilung
vielmehr als gebundene Entscheidung zu werten, auf die bei Nichtvorliegen eines
Versagungsgrundes ein Anspruch besteht.
Vgl. Badura in Beck'scher PostG-Kommentar, 2. Aufl., § 51 Rdn. 142.
96
Dies gilt auch im Hinblick auf § 6 Abs. 2 Satz 1 PostG, wonach bei der Lizenzerteilung
die Regulierungsziele nach § 2 Abs. 2 PostG zu beachten sind und zur Sicherstellung
dieser Regulierungsziele der Lizenz Nebenbestimmungen beigefügt werden können.
Dabei folgt schon aus dem Umstand des Fehlens der "Beachtung der
Regulierungsziele" bei den Lizenzversagungsgründen des § 6 Abs. 3 PostG und aus
der vom Gesetzgeber gewollten abschließenden Regelung der Versagung einer Lizenz
durch diese Vorschrift, dass die Nichtbeachtung der Regulierungsziele nicht als
eigenständiger Versagungsgrund für die Lizenz gelten soll. Die Notwendigkeit der
Beachtung der Regulierungsziele beeinflusst vielmehr lediglich den Inhalt möglicher
Nebenbestimmungen der Lizenz, eine eigenständige Bedeutung im Sinne eines
Versagungsgrundes für eine beantragte Lizenz kommt ihnen darüber hinaus nicht zu.
97
Im Rahmen des § 51 Abs. 1 PostG, der in Satz 1 die Exklusivlizenz für die Klägerin
bestimmt und in Satz 2 den hiervon ausgenommenen liberalisierten Bereich der
Briefbeförderung betrifft, steht die Frage der Abgrenzung zwischen dem auf Grund der
Exklusivlizenz der Klägerin vorbehaltenen Tätigkeitsbereich und dem Bereich
"besonderer höherwertiger Dienstleistungen" i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG , auf
den sich die Lizenz für die Beigeladene bezieht, an. Bezüglich der drei in § 51 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4 PostG genannten Tatbestandsmerkmale der "von
Universaldienstleistungen trennbaren Dienstleistungen", der "besonderen
Leistungsmerkmale" und der "qualitativen Höherwertigkeit" gibt das Gesetz nicht vor,
welches jeweils der "Vergleichsmaßstab" bzw. die - von der Beklagten so bezeichnete -
"Referenzdienstleistung" sein soll, an denen die Merkmale und ihre abgrenzenden, sie
von anderen Postdienstleistungen heraushebenden Kriterien zu messen sind. Der
Senat hat dazu im Beschluss vom 6. Oktober 2003 im Verfahren 13 A 711/02 die
Auffassung vertreten, das Tatbestandsmerkmal der Trennbarkeit von
Universaldienstleistungen sei abstrakt, also im Hinblick auf § 11 Abs. 1 PostG und die
dazu ergangene Post-Universaldienstleistungsverordnung - PUDLV - mit darin
bestimmten Mindestanforderungen zu beurteilen, während bei den beiden übrigen
Tatbestandsmerkmalen ("besondere Leistungsmerkmale", "qualitative Höherwertigkeit")
jeweils der durch die Klägerin tatsächlich erbrachte Postdienst zu berücksichtigen sei.
Der Senat hält diese differenzierende Betrachtungsweise bei den
Tatbestandsmerkmalen des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG, die die ohnehin schwierige
Bestimmung der Normkriterien zusätzlich verkompliziert, nicht (mehr) für angebracht und
einen einheitlichen Referenzmaßstab für alle Tatbestandsmerkmale der Norm für
geboten. Als Vergleichsmaßstab für § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG sieht er dabei,
offenbar in Übereinstimmung mit den Beteiligten, die normativen Vorgaben der Post-
Universaldienstleistungsverordnung an, weil dies eine durchgängige und gleich
bleibende, von subjektiven Einflüssen unberührt bleibende Vergleichsbetrachtung
gewährleistet. Das Abstellen auf den tatsächlich von der Klägerin durchgeführten
Postdienst würde nämlich bedeuten, dass davon des Schicksal postrechtlicher Lizenzen
von Wettbewerbern nach § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG abhängen würde und die
98
Klägerin es in der Hand hätte, durch Erhöhung ihres Standards zu beeinflussen, ob
Postdienstleistungen von Wettbewerbern dessen Merkmale erfüllen. Dadurch würde
jedoch der im Postbereich gewollte verstärkte Wettbewerb verhindert, zumindest aber
erschwert.
Die Frage der Höherwertigkeit der Leistungen eines Postdienstes im Verhältnis zu
einem anderen Postdienst kann nach Auffassung des Senats nur objektiv aus der Sicht
eines Dritten bzw. eines Dienstleistungen nachfragenden Postkunden bestimmt werden,
99
vgl. Herdegen in Beck'scher PostG-Kommentar, 2. Aufl., § 51 Rdn. 107 ff,
100
und in einer wertenden Gesamtschau aller für die Dienstleistung relevanten Umstände
erfolgen. Jede Art von Postdienst erfolgt, unabhängig von wirtschaftlichen Interessen
des betreffenden Dienstbetreibers, gerade zur Bedienung der Interessen der Nutzer,
also derjenigen, die Postdienstleistungen als Absender oder Empfänger in Anspruch
nehmen (vgl. Art. 2 Nr. 17 Postdienste-RL 97/67/EG). Dies folgt bereits aus dem in § 1
PostG normierten Zweck des Postgesetzes, flächendeckend angemessene und
ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten, was ebenso wie die Forderung in §
11 Abs. 1 PostG, als Universaldienstleistungen ein Mindestangebot an
Postdienstleistungen vorzuhalten, die flächendeckend und zu einem erschwinglichen
Preis erbracht werden, nur an den Interessen der Postkunden orientiert sein kann. Auch
die europarechtliche Sicht (vgl. die genannte Corbeau- Entscheidung des EuGH und
Art. 3 Postdienste-RL 97/67/EG) stellt auf die Nutzer von Postdienstleistungen ab und
geht von dessen Nachfrageperspektive aus. Der Wert einer Postdienstleistung, zu der
insbesondere auch die Beförderung von Briefsendungen, also das Einsammeln,
Weiterleiten oder Ausliefern von Postsendungen an den Empfänger zählt (§ 4 Nr. 1 a),
Nr. 3 PostG), bestimmt sich aus der Sicht eines Nutzers danach, welche
Qualitätsmerkmale insgesamt dem einen oder anderen Postdienst zukommen, und
inwieweit ihm, dem Nutzer, ein "Mehrwert" zufließt. Maßgebend für die Sicht des
Briefbeförderung Nachfragenden auf Grund objektiver Betrachtung kann dabei nur eine
Gesamtschau aller Leistungsmerkmale einer lizenzierten Briefbeförderung im Vergleich
zu den Leistungsmerkmalen, die die Post-Universaldienstleistungsverordnung vorsieht,
sein. Eine nur auf einzelne Merkmale abstellende Betrachtungsweise ohne
Berücksichtigung anderer Leistungsmerkmale würde zu einer in der Sache
ungemessenen formalen Atomisierung einer Postlizenz in mehrere Einzelaspekte
führen. Der Wert einer Postdienstleistung gewinnt seine Bedeutung aber nicht aus
einzelnen isoliert betrachteten Anordnungen bzw. Berechtigungen, sondern aus einer
Gesamtwertung der insgesamt erlaubten Dienstleistungen mit ihren wechselseitigen
und sich ergänzenden Merkmalen. Nicht anders als in einer Gesamtschau gestaltet sich
im Übrigen auch die Betrachtung des Universaldienstes und seiner Qualitätsmerkmale
der Briefbeförderung, beispielsweise in § 2 PUDLV. Wertbildende Faktoren sind dabei
in Bezug auf die Briefbeförderung alle die Dienstleistung für den Nutzer eines
Postdienstes - vom Einsammeln bis zur Auslieferung der Postsendung - definierenden
Umstände, wozu u.a. neben dem Aufgabe- und Zustellzeitpunkt der Sendung deren
Laufzeit rechnet, aber auch der für die Dienstleistung zu entrichtende Preis,
101
vgl. auch Herdegen in Beck'scher PostG-Kommentar, 2. Aufl., § 51 Rdn. 109 f.
102
Der Senat sieht - anders als im Beschluss vom 6. Oktober 2003 im Verfahren 13 A
711/02 - in dem Preis für eine Postdienstleistung und den damit in Zusammenhang
stehenden Zahlungsmodalitäten nicht (mehr) nur eine für die Bewertung der Leistung
103
nicht zu berücksichtigende Gegenleistung. Die Außerachtlassung des für eine Leistung
zu entrichtenden Entgelts wird der Bedeutung dieses Umstandes aus Kundensicht nicht
gerecht. Der vom Postkunden für eine konkrete Postdienstleistung bzw.
Briefbeförderung zu entrichtende Preis und etwaige Zahlungsmodalitäten sind nämlich
ebenfalls von erheblicher, wenn nicht entscheidender Bedeutung für die Wahl eines
bestimmten Postdienstes durch einen Nutzer, was jedenfalls dann gilt, wenn der Preis
bei ansonsten gleichem Standard bei einem alternativen Postdienst günstiger sein sollte
als im Universalpostdienst. Das hat auch dann seine Berechtigung, wenn die weiteren
eine Postdienstleistung qualifizierenden Merkmale so viel besser sind als bei einer
Leistung im Universaldienst, dass um deren Vorteile willen ein ggf. höheres Entgelt vom
Nutzer in Kauf genommen wird. Den Zusammenhang zwischen dem ("Mehr"-)Wert einer
Postdienstleistung und dem Preis lassen zudem beispielsweise auch die Nummern 11
und 18 der Begründungserwägungen der Postdienste-RL 97/67/EG erkennen.
Nach diesen Wertungsvorgaben handelt es sich bei der lizenzierten sog. Overnight-
Zustellung, die nur noch Gegenstand des Verfahrens ist, um Dienstleistungen, die von
Universaldienstleistungen trennbar sind, besondere Leistungsmerkmale aufweisen und
qualitativ höherwertig sind.
104
Da die Overnight-Zustellung gem § 4 Nr. 1 Buchst. a) PostG als Beförderung von
Briefsendungen anzusehen und damit Postdienstleistung i. S. d. Postgesetzes ist,
bedarf es nicht einer abschließenden Klärung, wie der Begriff "Dienstleistungen" im
Rahmen des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG zu definieren ist, und kann dahinstehen, ob
der Senat mit der Gleichsetzung von "Dienstleistungen" mit "Postdienstleistungen" im
Beschluss vom 6. Oktober 2003 im Verfahren 13 A 710/02 u.U. eine zu enge Sichtweise
zu Grunde gelegt hat.
105
Die lizenzierte Overnight-Zustellung ist trennbar von Universaldienstleistungen. Zu
diesem Tatbestandsmerkmal des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG sieht der Senat nach
wie vor keine Veranlassung, die im Rahmen des § 51 Abs. 1 PostG anstehende
Trennlinie zwischen der nach Satz 1 bestehenden Exklusivlizenz für die Klägerin und
dem in Satz 2 hiervon ausgenommenen liberalisierten Bereich der Briefbeförderung
nach Kriterien einer betriebswirtschaftlichen Marktabgrenzung zu bestimmen. Das
Postgesetz und speziell die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Gesetzes
erfordern keinen Rückgriff auf Marktabgrenzungstheorien ("Bedarfsmarktkonzept"), auch
wenn es sein mag, dass mit Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 2
Nr. 4 PostG zugleich feststeht, dass eine diese Voraussetzungen erfüllende
Briefbeförderung einem anderen Markt als dem der Klägerin vorbehaltenen zuzuordnen
ist und damit die Märkte abgegrenzt sind. Die Abgrenzung ist mit § 51 Abs. 1 Satz 2
PostG, wonach der die Exklusivlizenz der Klägerin betreffende Satz 1 für die
Tatbestände des Satzes 2 nicht gilt, normativ vorgezeichnet.
Marktabgrenzungskonzepte erfordern zudem das Bestehen von Märkten, was aber im
durch ein ausschließliches Recht reservierten Bereich, in dem ein Tätigwerden anderer
nicht zulässig ist, gerade nicht der Fall ist. § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG verdeutlicht durch
den der Klägerin reservierten Tätigkeitsbereich auf Grund der Exklusivlizenz, durch die
praktisch ein eigener "Markt" für ein ausschließliches Tätigwerden in diesem Bereich
geschaffen wurde, dass es im Rahmen des § 51 Abs. 1 PostG gerade nicht auf eine
Marktabgrenzung ankommt. Zu einer anderen Sichtweise zwingt nach Auffassung des
Senats auch nicht die "Corbeau"- Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. In
jener Entscheidung wurden die Grenzen der Gewährung von
Ausschließlichkeitsrechten an Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem
106
wirtschaftlichen Interesse betraut sind, und die Möglichkeiten der Liberalisierung des
Wettbewerbs angesprochen. Abgesehen davon, dass der in der Entscheidung
angeführte Begriff der "Trennbarkeit" dort nicht näher definiert und konkretisiert wurde
und der Entscheidung keine konkretisierenden Auslegungskriterien für diesen Begriff
entnommen werden können, beinhaltet diese Entscheidung auch keine Bindung des
nationalen Gesetzgebers für die Ausgestaltung des Universaldienstes. Eine
differenzierte Betrachtung der Märkte würde auch nicht weiterführen, weil die Klage
unabhängig von irgendwelchen Marktabgrenzungs- oder Marktbeherrschungsfragen
danach zu beurteilen ist, ob die Beklagte die Merkmale des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
PostG bei der Tätigkeit der Beigeladenen zu Recht oder zu Unrecht angenommen hat
und diese Entscheidung im Wege der üblichen Subsumtion erfolgen kann.
Die Trennbarkeit der Overnight-Zustellung von Universaldienstleistungen dokumentiert
sich bereits durch ihren äußeren Ablauf und die sie charakterisierenden wesentlichen
Merkmale. § 11 Abs. 1 PostG definiert die Universaldienstleistungen als "ein
Mindestangebot an Postdienstleistungen nach § 4 Abs. 1 PostG, die flächendeckend in
einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis erbracht werden." Der
Universaldienst umfasst nur solche Dienstleistungen, die allgemein als unabdingbar
angesehen werden. Die auf § 11 Abs. 2 PostG beruhende Post-
Universaldienstleistungsverordnung konkretisiert die für den Universaldienst
erforderlichen Postdienstleistungen und enthält u.a. in ihrem § 2 Qualitätsmerkmale der
Briefbeförderung. Was die Frage des Einsammelns einer Postsendung anbelangt, so
sieht diese Bestimmung in ihren Nummern 1 und 2 die Notwendigkeit zahlenmäßig
bestimmter stationärer Einrichtungen für den Abschluss und die Abwicklung von
Verträgen über Briefbeförderungsleistungen sowie eine ausreichende Anzahl von
Briefkästen mit an den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens zu orientierenden
Leerungszeiten vor. Von der - dem Bereich des "Einsammelns" von Postsendungen
i.S.d. § 4 Nr. 3 PostG zuzurechnenden - Abholung von Briefsendungen beim Kunden,
die Gegenstand der Lizenz der Beigeladenen ist, ist darin ebenso wenig die Rede wie
von der die Overnight-Zustellung bestimmenden Kombination der Abholung von
Briefsendungen nach 17.00 Uhr und der Zustellung dieser Sendungen bis 12.00 Uhr
des folgenden Tages. Bezüglich des Zustellungszeitraums bzw. des
Zustellungszeitziels bei Briefsendungen bestimmt § 2 Nr. 3 PUDLV, dass von den an
einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen - mit Ausnahme der
Sendungen, die eine Mindesteinlieferungsmenge von 50 Stück je Einlieferungsvorgang
voraussetzen - im Jahresdurchschnitt mindestens 80 vom Hundert an dem ersten auf
den Einlieferungstag folgenden Werktag und 95 vom Hundert bis zum zweiten auf den
Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert werden müssen. Für die Zustellung
von Briefsendungen, also das Ausliefern von Postsendungen an den Empfänger i.S.d. §
4 Nr.3 PostG, sehen § 2 Nrn. 4 und 5 PUDLV vor, dass diese mindestens einmal
werktäglich und an der in der Anschrift genannten Wohn- oder Geschäftsadresse durch
Einwurf in eine für den Empfänger bestimmte und ausreichend aufnahmefähige
Vorrichtung für den Empfang von Briefsendungen oder durch persönliche
Aushändigung an den Empfänger zu erfolgen hat; bei Unmöglichkeit dieser Zustellung
ist die Möglichkeit der Aushändigung an einen Ersatzempfänger vorgesehen.
Konkretere zeitliche Zielvorgaben für die Briefbeförderung sind hingegen in der Post-
Universaldienstleistungsverordnung nicht enthalten; eine bestimmte Zustellzeit wird
danach nicht geschuldet. Weitere den Bereich der Zustellung konkretisierende
Leistungsmerkmale sind für den Universaldienst nicht geregelt, während die der
Beigeladenen lizenzierte Dienstleistung insoweit einen weiteren Zustellversuch oder
die Ermittlung von Nachsendeadressen bei verzogenen Empfängern, die Weitergabe
107
der neuen Anschrift an den Auftraggeber und einen erneuten Zustellversuch im
Lizenzgebiet umfasst.
Auch im Hinblick auf Sendungen mit Eilzustellung, die die Klägerin vom
Zustellzeitfenster her mit der der Beigeladenen lizenzierten Overnight-Zustellung
vergleicht, ist eine Trennbarkeit von Universaldienstleistungen gegeben. Derartige
Postsendungen sind zwar nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 PUDLV als besondere Sendungsform
von der Briefbeförderung umfasst, eine tages- oder stundenbezogene Zielvorgabe oder
ein durch Aufgabe- und Auslieferungszeitpunkt bestimmtes Zeitfenster ist dafür aber in
der Post-Universaldienstleistungsverordnung ebenfalls nicht genannt. Zudem sieht § 1
Abs. 2 Nr. 4 PUDLV in zeitlicher Hinsicht bei einer Eilzustellung nicht eine Übermittlung
an den Empfänger "frühzeitig am Folgetag" - wovon das Verwaltungsgericht
ausgegangen ist - vor, sondern eine Zustellung "so bald wie möglich" nach ihrem
Eingang bei einer Zustelleinrichtung. Im Übrigen ist die von der Klägerin praktizierte
Eilzustellung nicht Gegenstand der gesetzlichen Exklusivlizenz und nicht Standard des
Universaldienstes, sondern - wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat -
Bestandteil einer weiteren eigenständigen Lizenz für die Klägerin. Überdies gibt die
Post-Universaldienstleistungsverordnung beispielsweise mit der Orientierung der
Leerungszeiten für Briefkästen an den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens (§ 2 Nr. 2
PUDLV) einen Spielraum für die Ausgestaltung des Universaldienstes vor, den die
Klägerin sowohl zur oberen als auch zur unteren Grenze hin ausnutzen kann.
108
Ob generell die Overnight-Zustellung von einer Vielzahl von Postdienste-Nutzern
nachgefragt wird oder es, wie die Klägerin geltend macht, den meisten Nutzern von
Postdienstleistungen gleichgültig ist, ob eine Postsendung an einem Tag bis 12.00 Uhr
oder in den Nachmittagsstunden des Tages zugestellt wird, ist für das Merkmal der
Trennbarkeit der Leistung von Universaldienstleistungen nicht von Bedeutung und
demnach kein Abgrenzungskriterium. Das Angebot der Beigeladenen und anderer
Lizenzinhaber, Postdienstleistungen in Form von Overnight-Zustellungen mit einem
ihnen immanenten engen Zeitfenster durchzuführen, geht jedenfalls von einer
entsprechenden Nachfrage aus; ob diese Erwartung sich realisiert, unterfällt dem Risiko
unternehmerischer Tätigkeit.
109
Die der Beigeladenen lizenzierte Overnight-Zustellung erfüllt auch das
Tatbestandsmerkmal der "besonderen Leistungsmerkmale" des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
PostG, das komplementär zur Trennbarkeit von Universaldienstleistungen zu sehen ist.
Eine gesetzliche Definition der "besonderen Leistungsmerkmale" ist nicht vorhanden.
Vor dem Hintergrund, dass § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG durch die "Corbeau"-
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs beeinflusst wurde, erscheint jedoch eine
Orientierung dieses Tatbestandsmerkmales an der dortigen Formulierung angezeigt,
dass ein Wettbewerbsausschluss nicht gerechtfertigt ist bei trennbaren
Dienstleistungen, die (u.a.) "bestimmte zusätzliche Leistungen verlangen, die der
herkömmliche Postdienst nicht anbietet". Besondere Leistungsmerkmale sind daher
solche spezifischen Eigenheiten einer Postdienstleistung bzw. eines postalischen
Beförderungsvorgangs im Sinne des § 4 PostG, die im herkömmlichen Postdienst nicht
vorzufinden sind und bei einem Vergleich aus Nachfragersicht diesem gegenüber als
spezifische Besonderheit der alternativen Postdienstleistung in Erscheinung treten.
Dazu zählen beispielsweise Vorgänge der Abholung von Postsendungen beim Kunden,
der Umlenkbarkeit von Postsendungen zwischen Abholung und Zustellung oder der
nachträglichen Abrechnung der erbrachten Dienstleistungen mit dem Auftraggeber und
diesbezügliche Vereinbarungen sowie die Schnelligkeit und Zuverlässigkeit der
110
Beförderung der Postsendung und der Zeitpunkt ihrer Auslieferung an den Empfänger,
wobei in der "Corbeau"- Entscheidung die Abholung beim Absender, eine schnellere
und/oder zuverlässigere Verteilung oder auch die Möglichkeit, den Bestimmungsort
während der Beförderung zu ändern, ausdrücklich als "bestimmte zusätzliche Leistung"
qualifiziert wurden. Die Lizenz für die Beigeladene und deren Leistungsangebot der
Overnight-Zustellung weisen danach in diesem Sinne besondere Leistungsmerkmale
aus, die normativ für den Universaldienst nicht vorgesehen sind. Die Wertigkeit der der
gesetzlichen Exklusivlizenz für die Klägerin unterfallenden Postdienstleistungen wird,
wie sich aus § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG ergibt, zunächst durch die Parameter Preis und
Gewicht bestimmt. Wertbestimmend für die Dienstleistung der Beigeladenen ist aus
objektiver Nutzersicht nicht nur die Zustellung der Briefsendung am Werktag nach der
Abholung, vielmehr kommt in Verbindung damit bereits der Abholung der Sendung als
solcher nach 17.00 Uhr des Vortages und der Zeitbegrenzung für die Zustellung bis
12.00 Uhr des folgenden Werktags eine hervorzuhebende Besonderheit gegenüber
dem Universaldienst, der diese Merkmale nicht bedient, zu.
Auch das Merkmal der qualitativen Höherwertigkeit ist bei der der Beigeladenen
lizenzierten Overnight-Zustellung zu bejahen. Der Begriff ist weder gesetzlich noch in
der "Corbeau-Entscheidung" definiert und deshalb nach seinem allgemeinen
Begriffsinhalt zu interpretieren. Eine qualitativ höhere Wertigkeit einer Leistung setzt
einen wertenden Vergleich mit einer anderen Leistung bzw. einem anderen Produkt
voraus und stellt das Ergebnis einer Gewichtung aller Eigenschaften/Merkmale der
Leistung/des Produkts dar. Maßgebend ist auch insoweit - wie dargelegt - die objektive
Sicht des Briefbeförderung Nachfragenden in einer Gesamtschau aller lizenzierten
Leistungsmerkmale. Das Erfordernis der Wertung in einer Gesamtbetrachtung aller
Leistungsmerkmale schließt es aus, nur - wie dies die Klägerin mit dem Hinweis darauf
tut, dass im regionalen Bereich am Abend des Vortags eingeworfene Briefe zu fast
100% am Folgetag zugestellt würden - die reinen Laufzeiten von Briefzeiten in den Blick
zu nehmen. Unabhängig davon, dass sich auf Grund einer Gesamtschau aller
lizenzierten Leistungsmerkmale auch bei Überschneidungen in einzelnen Segmenten
eine qualitative Höherwertigkeit einer Dienstleistung gegenüber einer anderen ergeben
kann, wird damit isoliert nur auf einen Einzelaspekt abgestellt, was der notwendigen
Betrachtung der Gesamtheit aller wertbildenden Faktoren nicht gerecht wird. Der
Beschluss des Senats vom 6. Oktober 2003 im Verfahren 13 A 711/02, dem ohnehin
keine Verbindlichkeit mehr zukommt, konnte auch nicht in dem Sinne verstanden
werden, dass das angegebene Zeitfenster zwischen der Abholung von Briefsendungen
beim Auftraggeber und der Zustellung derselben beim Empfänger als das einzige
wertbildende Element angesehen wurde. Auch das Vorbringen der Klägerin, die
Tätigkeit der Beigeladenen entspreche eher dem Normtatbestand des § 51 Abs. 1 Satz
2 Nr. 5 PostG, stellt die qualitative Höherwertigkeit der der Beigeladenen lizenzierten
Tätigkeit nicht in Frage. Diese Bestimmung betrifft Postdienstleistungen, bei denen
Briefsendungen im Auftrage des Absenders bei diesem abgeholt und bei der nächsten
Annahmestelle der Deutschen Post AG eingeliefert werden. Einen solchen Abhol- und
Einlieferungsdienst betreibt die Beigeladene aber nicht.
111
Die Post-Universaldienstleistungsverordnung sieht zeitbezogene Leistungsmerkmale in
der Weise, dass bei der Overnight-Zustellung durch die Beigeladene u.a. die Abholung
beim Kunden nach 17.00 Uhr und die Auslieferung dieser abgeholten Sendungen bis
12.00 Uhr des folgenden Tages erfolgt, nicht vor und geht von einer Briefeinlieferung in
Briefkästen oder Annahmestellen und der Auslieferung regelmäßig einen Tag nach der
Einlieferung aus. Die werktägliche Abholung von Briefsendungen bei den
112
Auftraggebern nach 17.00 Uhr und die garantierte Zustellung dieser Sendungen bis
spätestens 12.00 Uhr des folgenden Werktags führt aus der Sicht des Auftraggebers
ebenso wie aus der des Empfängers zu einem Qualitätszuwachs und damit zu einer
qualitativen Höherwertigkeit, weil der Auftraggeber auch bei Postsendungen, die von
der Beigeladenen in den späten Nachmittags- oder Abendstunden abgeholt werden,
von einer Zustellung bis 12.00 Uhr des folgenden Werktags ausgehen und der
Empfänger damit rechnen kann, diese kurzfristig bis 12.00 Uhr des folgenden Tages zu
erhalten. Schon das Leistungsmerkmal der Abholung von Briefsendungen beim
Auftraggeber nach 17.00 Uhr trägt betrieblichen und geschäftlichen Interessen, die sich
aus längeren Betriebsarbeits- und Öffnungszeiten ergeben, Rechnung. Dieses
Leistungsmerkmal ermöglicht es, Briefsendungen auch noch gegen Ende der
werktäglichen Arbeitszeit in die Beförderungskette einzubringen und führt in Verbindung
mit der garantierten Zustellung dieser Sendungen bis 12.00 Uhr des folgenden
Werktags zu einer kurzfristigen Auslieferung an den Empfänger. Eine derartige
Verlässlichkeit auf eine kurzfristige Zustellung auch solcher Briefsendungen, die gegen
Ende eines Arbeits- oder Geschäftstags erstellt werden, gewährleistet die Post-
Universaldienstleistungsverordnung nicht. Soweit die Klägerin darauf hinweist, auch sie
biete eine Abholung von Sendungen bei Kunden an, ist nicht ersichtlich, dass dies im
Rahmen des Universaldienstes und zu den von der Beigeladenen offerierten
Konditionen erfolgt. Die qualitative Höherwertigkeit der Leistung der Beigeladenen
dokumentiert sich zudem dadurch, dass der Absender einer Briefsendung einen
vertraglich gesicherten Anspruch auf Abholung bei ihm durch die Beigeladene hat. Die
in der Post-Universaldienstleistungsverordnung vorgesehene Orientierung der
Briefkasten-Leerungszeiten an den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens, wenn insoweit
von Briefkästen mit abendlichen Leerungszeiten ausgegangen wird, erfordert
andererseits, dass die Postsendungen zu bestimmten Briefkästen gebracht werden
müssen. Auch der Umstand, dass bei der Beigeladenen das Beförderungsentgelt erst
nachträglich zu entrichten ist und daher im Gegensatz zur Entgeltvorleistungspflicht bei
der Klägerin bei Leistungsstörungen verweigert werden kann, macht das
Leistungsangebot der Beigeladenen qualitativ höherwertig. In welchem Ausmaß dies
erfolgt und ob dieses Kriterium entscheidend ist für die Wahl eines Postdienstes, ist
dabei unerheblich, weil dies wiederum zu einer nicht akzeptablen übergewichteten
Betrachtung eines Einzelaspekts führen würde. Des Weiteren unterliegen die
Zeitmerkmale nach § 2 Nr. 2 PUDLV der von deren Einschätzung der wirtschaftlichen
Bedürfnisse abhängigen Interpretation durch die Klägerin, die dementsprechend die
Briefkasten-Leerungszeiten verändern und u.U. auch zeitlich nach vorne verlagern
kann, ohne dass es einem Nutzer von Postdienstleistungen möglich ist, darauf Einfluss
zu nehmen und ohne dass seinen Interessen nach nachmittäglicher oder abendlicher
Postversendung Rechnung getragen wird.
Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG sind des Weiteren auch zu
bejahen in Bezug auf die Merkmale (3) bis (5) in der Lizenz vom 23. April 1999 für die
Beigeladene (eingeschränkte Rückholbarkeit der Sendung, Nichtberechnung des
Sendungsentgelts bei Verfehlen des Zustellzeitziels, nachträgliche Entgeltabrechnung).
Soweit sie nicht schon im Vorstehenden in Zusammenhang mit anderen
Leistungsmerkmalen als höherwertige Dienstleistung eingestuft wurden, ergibt sich
diese Wertung daraus, dass auch diese Leistungsmerkmale im Universaldienst nicht
vorgesehen sind. Dass sie sich zum Teil auf die Gegenleistung für die eigentliche
Postdienstleistung der Briefbeförderung beziehen, steht ihrer Berücksichtigung nicht
entgegen, da es bei der Einschätzung der Wertigkeit einer Postdienstleistung auf die
Gesamtschau aller Leistungsmerkmale ankommt und den fraglichen Merkmalen, wenn
113
sie auch im Einzelnen keine oder nur geringe Bedeutung haben sollten, jedenfalls in der
Gesamtschau mit anderen Merkmalen eine (zusätzliche) wertbestimmende Wirkung
zukommt.
Im Übrigen würde sich nach Auffassung des Senats hinsichtlich der
Tatbestandsmerkmale des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG auch keine andere als die
dargelegte Wertung ergeben, wenn als Vergleichsmaßstab statt auf die abstrakten
Vorgaben der Post-Universaldienstleistungsverordnung auf den tatsächlich von der
Klägerin durchgeführten Postdienst abgestellt würde. Maßstab könnte auch insoweit nur
sein, was von der Klägerin im Universaldienst angeboten wird. Der Senat hat nicht die
Überzeugung gewonnen, dass dieses Angebot dem mit der lizenzierten Overnight-
Zustellung für die Beigeladene einhergehenden Angebot entspricht und sich die
Leistungsmerkmale der Lizenz für die Beigeladene nicht im Sinne einer Höherwertigkeit
von den Universaldienstleistungen der Klägerin abheben.
114
Den bei der Lizenz für die Beigeladene zu bejahenden Tatbestandsmerkmalen des § 51
Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG kann auch nicht quasi "aufrechnend" gegenübergestellt
werden, die Klägerin erbringe ihre Leistung bundesweit, während sich die Beigeladene
tatsächlich nur regional betätige. Räumlich relevant in Bezug auf die der Klägerin
zustehende Exklusivlizenz ist zwar das gesamte Bundesgebiet, während sich die
angefochtene Lizenz für die Beigeladene formal auf das Gebiet des Bundeslandes
Nordrhein-Westfalen bezieht und die Beigeladene hier auch, jedenfalls überwiegend,
tätig ist. Der Rechtmäßigkeit der erteilten Lizenz steht aber nicht entgegen, dass die
Beigeladene tatsächlich nicht im gesamten Bundesgebiet Postdienstleistungen erbringt.
Die das gesamte Bundesgebiet umfassende Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG
zwingt nicht dazu, dass auch ein Wettbewerber im liberalisierten Bereich
Postdienstleistungen im gesamten Bundesgebiet erbringen muss und dass für die Frage
der "höherwertigen Dienstleistungen" i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG auf das
gesamte Bundesgebiet als Vergleichsmaßstab abzustellen ist.
115
Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25. April 2001
116
- 6 C 6/00 -, BVerwGE 114,160, zur regionalen Beschränkung des relevanten Marktes
im Telekommunikationsrecht.
117
Das Postgesetz geht davon aus, dass Wettbewerb im Postsektor (gerade) auch im
lokalen und regionalen Bereich gewollt war und erwartet wird. Im Rahmen des § 51 Abs.
1 Satz 2 Nr. 4 PostG ausschließlich auf das gesamte Bundesgebiet als räumlichen
Vergleichsmaßstab abzustellen, würde demgegenüber bedeuten, dass ein
nennenswerter Wettbewerb sich nicht ergeben würde, weil nur wenige Unternehmen
logistisch und finanziell zu einem flächendeckenden, bundesweiten Angebot an
Postdienstleistungen in der Lage wären/sind. Zudem hat die Beklagte zwischenzeitlich
generell auf das sog. - auch im vorliegenden Fall zunächst in der angefochtenen Lizenz
enthaltene - Flächenkriterium für eine Lizenzerteilung, wonach die lizenzierte Tätigkeit
in einem wesentlichen Teil des Bundesgebietes ausgeübt werden müsse und als ein
solcher wesentlicher Teil dabei ohne weiteres ein Gebiet angesehen werde, das der
Größe des kleinsten Flächenstaats der Bundesrepublik (rund 2.500 km2) entspreche,
verzichtet und dieses für die streitgegenständliche Lizenz für gegenstandslos erklärt
(Schriftsatz vom 22. August 2002, S. 29). Für den sich einer Overnight/E+1-Zustellung
bedienenden Nutzer wird die Höherwertigkeit zudem nicht durch die regionale
Geschäftstätigkeit der Beigeladenen relativiert, weil der mit dieser Zustellungsmodalität
118
erwünschte Effekt eines gezielt kurzfristigen Sendungs- und Informationsgehalts in der
Regel nur in Bezug auf Adressaten in der Region eintreten soll. Im Übrigen könnte auch
die Klägerin ihrerseits unter Aufrechterhaltung des Universaldienstes nach der Post-
Universaldienstleistungsverordnung regional eine besonders ausgestaltete
Briefbeförderung aufbauen und betreiben.
Der Senat ist im Rahmen des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG nach wie vor der
Auffassung, dass der Vorschrift über die ausdrücklich genannten Merkmale hinaus
keine weiteren ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen immanent sind. Er hat
dazu im Beschluss vom 6. Oktober 2003 im Verfahren 13 A 711/02 folgendes
ausgeführt:
119
"Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die von der Klägerin angesprochene
Sicherstellung ihres wirtschaftlichen Gleichgewichts und die Berücksichtigung der
finanziellen Lasten aus dem Universaldienst.
120
So auch OLG Stuttgart, Urteil vom 29. Juni 1998 - 2 U 70/98 -, ArchPT 1998, 387.
121
Die Einbeziehung weiterer nicht ausdrücklich genannter Merkmale in den Tatbestand
einer Gesetzesnorm ist nach Auffassung des Senats generell nur möglich, wenn
gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies dem mutmaßlichen Willen des
Gesetzgebers entspricht, kann hingegen nicht erfolgen, wenn eine bewusste
gegenteilige Willensentscheidung des Gesetzgebers angenommen werden muss. Von
letzterem ist hier auszugehen. Im Gesetzgebungsverfahren für ein neues Postgesetz
wurde bei der Begründung des Regierungsentwurfs zu den Ausnahmen von der
Exklusivlizenz ausdrücklich abgestellt auf die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs zu den Grenzen von Monopolen auf dem Postsektor. Gemeint war damit
das o.a.
122
Urteil des EuGH vom 19. Mai 1993 - C-320/91 -, a.a.O.
123
mit der Aussage, dass Dienste, die vom Monopolinhaber nicht erbracht werden, nicht
Gegenstand eines ausschließlichen Rechts sein können und dass der Ausschluss des
Wettbewerbs dann nicht gerechtfertigt ist, wenn es sich um spezifische, von den
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse trennbare Dienstleistungen handelt, die
besonderen Bedürfnissen von Wirtschaftsteilnehmern entsprechen und bestimmte
zusätzliche Leistungen verlangen, die der herkömmliche Postdienst nicht anbietet. Mit
diesem Urteil hat der Europäische Gerichtshof die Grenzen aufgezeigt, die der
Inanspruchnahme eines Postmonopols im Rahmen des früheren Art. 90 Abs. 2 und
jetzigen Art. 86 Abs. 2 EGV (Befreiung von den Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages
bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse) gezogen sind, und
wie weit ein nationales Monopol äußerstenfalls ausgedehnt werden darf, ohne gegen
Europarecht zu verstoßen. Vor dem Hintergrund, dass eine weitergehende
Liberalisierung im Postsektor jederzeit möglich war, sind die Vorgaben dieser
Entscheidung und weiterer europarechtlicher Erwägungen auf dem Postsektor (z.B.
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über
gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung der Postdienste und die Verbesserung der
Dienstqualität in der Gemeinschaft - 95/C322/10 - als Vorläuferin der entsprechenden
Richtlinie 97/67/EG vom 15. Dezember 1997 - Postdienste-RL -) beim Erlass des
Postgesetzes aber nicht in vollem Umfang umgesetzt worden (zum Verfahrensgang bei
der Gesetzesberatung vgl. BT-Drucks. 13/7774, S. 18, 33, 43, 49; Protokolle Nr. 40, 41
124
des Bundestags-Ausschusses für Post und Telekommunikation vom 24. September
1997 und 30. September 1997; Herdegen in: Beck'scher PostG-Kommentar § 51 Rdnr.
36 ff., 95 ff.). Abgesehen davon, dass in der EG-Postdienste-RL ein Vorbehaltsbereich
für Briefsendungen unter 350 Gramm gestattet wird, die Exklusivlizenz für die Klägerin
im Postgesetz aber auf Briefsendungen und adressierte Kataloge bis (zunächst) zu
einem Gewicht von 200 Gramm und einem Einzelpreis von unter 5,50 DM festgelegt
wurde, sollte nach der Begründung zum Gesetzentwurf des Postgesetzes die
Exklusivlizenz "eine ausreichende Grundlage zur Bewältigung des anstehenden
Strukturwandels" bieten, um die Umwandlung des Unternehmens Deutsche Post AG
vom Monopolisten zum wettbewerbsorientierten Unternehmen und die damit
verbundenen Belastungen, die sich vor allem aus der Übernahme von Beamten der
Deutschen Bundespost (Art. 143b Abs. 3 GG), Pensionszahlungen sowie einer
Modernisierung und Optimierung der Unternehmensstruktur ergeben, zu gewährleisten.
Dem Ansinnen des Bundesrates, die Exklusivlizenz für die Klägerin solle auch der
Sicherstellung der Finanzierung des geforderten Universaldienstes dienen (vgl. BT-
Drucks. 13/7774, S. 44), wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht entsprochen.
Insbesondere in den Sitzungen des Bundestags-Ausschusses für Post und
Telekommunikation am 24. September 1997 (Öffentliche Anhörung von
Sachverständigen zum Entwurf eines Postgesetzes) und am 30. September 1997 wurde
darauf verwiesen, dass die Bundesregierung zur Abdeckung eventueller Defizite im
Grundversorgungsbereich den Weg des Ausgleichs mit Wettbewerbern und nicht den
Weg der Finanzierung des Universaldienstes durch die der Klägerin zu gewährende
Exklusivlizenz gewählt habe. Die Sicherung des Universaldienstes durch Einrichtung
eines Ausgleichsfonds ist europarechtlich auch in Artikel 9 Abs. 4 der Richtlinie
97/67/EG vorgesehen. Diese Entscheidungsbasis hat sich im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens nicht geändert, wie sich aus §§ 12 ff. PostG ergibt. Es ist
deshalb von einem bewussten gesetzgeberischen Willensakt in der Weise auszugehen,
dass die Exklusivlizenz für die Klägerin nicht auch der Finanzierung des
Universaldienstes dienen sollte. Dieser Umstand steht einer ergänzenden Auslegung
des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der
"finanziellen Sicherung des Universaldienstes bzw. der Sicherung des wirtschaftlichen
Gleichgewichts der Klägerin" entscheidend entgegen.
.....
125
Dieser Ausschluss der Bestimmungen des Postgesetzes für den
Ausgleichsmechanismus in Zusammenhang mit dem Universaldienst war im
Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein 2. Gesetz zur Änderung des Postgesetzes
(BT-Drucks. 14/7093) nicht enthalten und wurde erst im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens vorgeschlagen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des
Bundestags- Ausschusses für Wirtschaft und Technologie vom 12. Dezember 2001; BT-
Drucks. 40/7820). Nach der Begründung zum 2. Änderungsgesetz sollten mit diesem
Gesetz die an die Geltungsdauer der Exklusivlizenz anknüpfenden Regelungen im
Postgesetz und in der Post- Universaldienstleistungsverordnung an die neue, durch das
1. Gesetz zur Änderung des Postgesetzes bis zum 31. Dezember 2007 verlängerte
Geltungsdauer der Exklusivlizenz angepasst werden, und sollte für den Zeitraum der
gesetzlichen Exklusivlizenz die in § 52 PostG enthaltene Regelung, dass im Fall
auftretender Versorgungslücken im Universaldienst ausschließlich die Deutsche Post
AG zur Erbringung einer Universaldienstleistung verpflichtet werden kann,
fortgeschrieben werden. Die Änderung des Postgesetzes in Angleichung an die
zwischenzeitliche Verlängerung der Exklusivlizenz für die Klägerin sei veranlasst durch
126
den stockenden Liberalisierungsprozess des Postsektors auf europäischer Ebene, um
Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil deutscher Unternehmen im europäischen
Postmarkt zu verhindern. Mit der Neufassung des § 52 PostG werde der faktisch
bestehende Zustand in der Weise, dass die Deutsche Post AG als alleiniger Anbieter
sämtlicher Universaldienstleistungen bereits heute während des Zeitraums der
Exklusivlizenz ausschließlicher Adressat einer im Falle des Auftretens einer
Versorgungslücke ggf. notwendig werdenden förmlichen Verpflichtung zum
Universaldienst sei, gesetzlich festgeschrieben. Auf Grund der gesetzlichen
Manifestierung der Universaldienstverpflichtung der Deutschen Post AG bis zum Ablauf
der Exklusivlizenz seien die Universaldienstvorschriften der §§ 12 - 17 PostG, die von
einer gemeinschaftlichen Erbringung des Universaldienstes durch alle Anbieter von
Postdienstleistungen ausgehen, für diesen Zeitraum außer Kraft zu setzen (vgl. BT-
Drucks. 14/7820, S. 8). Über die gesetzesformalen Folgeanpassungen hinausgehende
materielle Änderungen sollten hingegen nicht zum Gegenstand des Gesetzentwurfs
gemacht werden. (vgl. BT-Drucks. 14/7093, S. 6, 8).
Während des Gesetzgebungsverfahrens für das 2. Änderungsgesetz des Postgesetzes
hat somit der Gesichtspunkt der Finanzierung des Universaldienstes bzw. des
wirtschaftlichen Gleichgewichts der Klägerin keine Rolle gespielt. Auch der Bundesrat,
der noch beim Erlass des Postgesetzes 1997 der Exklusivlizenz für die Deutsche Post
AG eine Finanzierungsfunktion für den Universaldienst zuerkennen wollte, hat diese
Erwägung in seiner Stellungnahme zum 2. Postgesetz-Änderungsgesetz nicht wieder
aufgegriffen. Diese Umstände deuten daher indiziell ebenfalls darauf hin, dass auch
seinerzeit beim Erlass des Postgesetzes eine Finanzierungsfunktion der Exklusivlizenz
für den Universaldienst nicht beabsichtigt war und dem wirtschaftlichen Gleichgewicht
der Klägerin im Zusammenhang Universaldienst/Exklusivlizenz keine Bedeutung
zukommen sollte. Andernfalls hätte es nahe gelegen, mit dem 2. Änderungsgesetz des
Postgesetzes nicht nur eine formale Anpassung an die verlängerte Laufzeit der
Exklusivlizenz vorzunehmen, sondern (auch) die Frage des finanziellen
Zusammenhangs der Exklusivlizenz mit dem Universaldienst erneut bzw. erstmals zu
diskutieren und zu beraten. Das mit der dargelegten Sichtweise einhergehende
mögliche finanzielle Risiko für die Klägerin war/ist somit offenbar vom Gesetzgeber so
gewollt."
127
Daran hält der Senat auch unter Berücksichtigung des genannten Beschlusses des
Bundesverfassungsgerichts vom 7. Oktober 2003 und des Vorbringens der Beteiligten
fest. Auch der Hinweis darauf, dass seinerzeit im Gesetzgebungsverfahren ein
Mitarbeiter des damaligen Ministeriums für Post und Telekommunikation vor einem
Parlamentsausschuss eine fehlerhafte Auskunft zu den Folgerungen aus der "Corbeau"-
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes gegeben und sich der Ausschuss
dementsprechend in einem Rechtsirrtum befunden habe, ändert nichts daran, dass die
Sicherung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des Universaldienstes vom Gesetzgeber
nicht als Kriterium in das Postgesetz aufgenommen wurde und deshalb auch nicht als
ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal im Rahmen des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG
berücksichtigt werden kann. Wäre die Nichtgefährdung des wirtschaftlichen
Gleichgewichts des Universaldienstes für den Gesetzgeber von entscheidender
Bedeutung gewesen, hätte er dieses Kriterium trotz der - vermeintlich - unrichtigen
Auskunft eines Ministeriumsbediensteten ausdrücklich in das Gesetz aufnehmen
können. Das bewusste Unterlassen kann nicht über eine ausdehnende Auslegung des
§ 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG, praktisch gegen den Willen des Gesetzgebers,
"korrigiert" werden. Vor dem Hintergrund, dass der Gesichtspunkt der "ausreichenden
128
Finanzierungsgrundlage" schon bei der Bewilligung der gesetzlichen Exklusivlizenz für
die Klägerin eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat, würde im Übrigen eine erneute
Berücksichtigung der Frage der Gefährdung des wirtschaftlichen Gleichgewichts für den
Universaldienstbetreiber im Rahmen von Lizenzerteilungen nach § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr.
4 PostG darauf hinauslaufen, dass diese Erwägung praktisch zwei Mal zum Tragen
käme. Dies ist weder geboten noch nach den Intentionen des Gesetzgebers
gerechtfertigt. Davon, dass der Gesichtspunkt der ausreichenden
Finanzierungsgrundlage für den Universaldienstbetreiber maßgebend war bei der
Einräumung der gesetzlichen Exklusivlizenz für die Klägerin, geht im Übrigen auch das
Bundesverfassungsgericht mit den Ausführungen aus, dass der Gesetzgeber diesem
Gesichtspunkt Bedeutung zumessen durfte und dass diese Erwägung als Alternative zu
dem in §§ 11 ff. PostG an sich vorgesehenen Regulierungssystem mit
Ausgleichsabgaben zu Gunsten des Universaldienstbetreibers bestand.
Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 7. Oktober 2003,
dass angesichts der in Europa überwiegend noch nicht verwirklichten Liberalisierung im
Postsektor der Gesetzgeber dem Gesichtspunkt der ausreichenden
Finanzierungsgrundlage des Universaldienstes Bedeutung zumessen und ihm durch
Verlängerung der Exklusivrechte Rechnung tragen durfte, zwingen nach Auffassung des
Senats nicht dazu, die Sicherung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des
Universaldienstes als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung für die Erteilung einer
Lizenz für Wettbewerber der Klägerin anzusehen. Eine Bindungswirkung der
Entscheidung in dem Sinne, dass die Sicherstellung des finanziellen Gleichgewichts
des Universaldienstes entscheidender Regelungsinhalt des Postgesetzes ist und
dessen Gefährdung ausschlaggebendes Kriterium für die Erteilung/Versagung einer
Lizenz für einen Wettbewerber sein soll, ergibt sich daraus nicht. Die Bindungswirkung
von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nach § 31 Abs. 1 BVerfGG bezieht
sich auf den Tenor und die tragenden Gründe einer Entscheidung, also auf jene
Rechtssätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete
Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen
Gedankengang entfiele.
129
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juni 1975
130
- 2 BvR 1018/74 -, BVerfGE 40, 88, 93, und vom 12. November 1997 - 1 BvR 479/92 u.
a. -, BVerfGE 96, 375, 404; BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1981 - 1 D 50/80 -,
BVerwGE 73, 263, 268.
131
Der Tenor und die tragenden Gründe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts
vom 7. Oktober 2003 betreffen die Frage der Verlängerung der gesetzlichen
Exklusivlizenz für die Klägerin bis zum 31. Dezember 2007 und dementsprechend (nur)
die zeitliche Komponente der insoweit bedeutsamen verfassungsrechtlichen Normen.
Für den übrigen, nicht die zeitliche Ausdehnung von Übergangsvorschriften bzw. die
Verlängerung der Exklusivlizenz betreffenden Bereich, der keinen unmittelbaren Bezug
zu dieser zeitlichen Komponenten hat, kann den Ausführungen im Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts hingegen keine Bindungswirkung zuerkannt werden. Das
Bundesverfassungsgericht hat zudem ausgeführt, dass die Entstehungsgeschichte der
maßgebenden Verfassungsnormen (Art. 143b Abs. 2, 87f GG) keinen hinreichenden
Anhaltspunkt dafür gibt, dass die Zielsetzung des Art. 143b Abs. 2 Satz 1 GG vorrangig
oder gar ausschließlich die Bewältigung der besonderen finanziellen und sozialen
Verpflichtungen, insbesondere hinsichtlich der den Nachfolgeunternehmen der
132
Deutschen Bundespost auferlegten Pensionslasten, Rechtfertigungsgrund für die
Exklusivrechte war. Zwar ist ausgehend von der vom Gesetzgeber in den Blick
genommenen Corbeau-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ein Ausschluss
von Wettbewerb u.a. dann gerechtfertigt, "sofern die Dienstleistungen (des
Wettbewerbers) ....das wirtschaftliche Gleichgewicht der vom Inhaber des
ausschließlichen Rechts übernommenen Dienstleistungen von allgemein
wirtschaftlichem Interesse in Frage stellen", und darf der nationale Gesetzgeber dieses
wirtschaftliche Gleichgewicht der übernommenen Dienstleistungen (Universaldienst)
zum politischen Ziel oder Motiv für einen Wettbewerbsausschluss (Reservierung eines
Postbeförderungsrechts) zu Gunsten des dienstverpflichteten Unternehmens nehmen.
Damit ist ein solches Ziel oder Motiv, selbst wenn es sich später als unerreicht
herausstellt, aber noch nicht zur Tatbestandsvoraussetzung einer Lizenzerteilung an
Wettbewerber erhoben. Vielmehr bleibt es eine bloße rechtspolitische Erwägung im
Vorfeld der eigentlichen Willenskodifizierung im Gesetzgebungsverfahren. In
Konsequenz dieser Erwägung erscheint es nicht gerechtfertigt, den Gesichtspunkt der
Bewältigung der finanziellen Lasten bzw. der Sicherung des finanziellen Gleichgewichts
des von der Klägerin durchgeführten Universaldienstes im Sinne eines
ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals für die Erteilung oder Versagung einer Lizenz
nach § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG zu werten.
Im Übrigen ist, worauf bereits die Beklagte hingewiesen hat, auch vom Tatsächlichen
her eine Gefährdung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des von der Klägerin seit
Februar 2002 betriebenen Universaldienstes nicht zu besorgen. Nach einer Mitteilung in
der FAZ vom 11. November 2005, von deren Richtigkeit der Senat ausgeht, ging bei der
Klägerin zwar in den ersten neun Monaten dieses Jahres die Zahl der
Geschäftskundenbriefe und der Privatkundenbriefe zurück. Der Umsatz in der
Briefsparte konnte aber auf rund 9,4 Mrd. Euro gesteigert werden, die Umsatzrendite
wurde mit 15,9 % angegeben. Diese Zahlen und die bisherigen entsprechenden
Jahresveröffentlichungen lassen nicht erwarten, dass das wirtschaftliche Gleichgewicht
des Universaldienstes gefährdet ist, auch wenn insoweit nicht nur auf die konkret
angefochtene Lizenz abgestellt, sondern eine Vielzahl von Lizenzen nach § 51 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4 PostG in unterschiedlichen (örtlichen) Bereichen in den Blick genommen
werden muss.
133
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708
Nr. 10, 711, 712 Abs. 2 ZPO.
134
Die Revision wird gem. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.
135
136