Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.12.2008
OVG NRW: vorläufiger rechtsschutz, duldung, aufenthaltserlaubnis, ausländer, glaubhaftmachung, schwerhörigkeit, analphabetismus, erfüllung, krankheit, behinderung
Oberverwaltungsgericht NRW, 18 B 1836/08
Datum:
10.12.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 B 1836/08
Schlagworte:
Altfallregelung Deutschkenntnisse Analphabetismus Streitwert Duldung
Normen:
AufenthG § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; AufenthG § 104a Abs. 1 Satz 5;
GKG § 52 Abs. 2; GKG § 53 Abs. 3
Leitsätze:
1. Zu den von § 104a Abs. 1 AufenthG geforderten Deutschkenntnissen.
2. In einem auf die Erteilung einer Duldung gerichteten Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes beträgt der Streitwert ein Viertel des
Regelwertes auch dann, wenn die Duldung der Durchführung eines
Verfahrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels dienen soll.
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird unter Änderung der erstinstanzlichen
Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf jeweils 1.250,-- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf
deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen
keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.
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Die Beschwerde ist zunächst einmal erfolglos, soweit mit ihr Abschiebungsschutz bis
zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG geltend gemacht wird.
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Nach ständiger Senatsrechtsprechung kann zwar für die Dauer eines
Erteilungsverfahrens für eine Aufenthaltserlaubnis ausnahmsweise durch eine
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einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung erwirkt
werden, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche
Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugute kommt, wobei das Vorliegen der
Voraussetzungen glaubhaft zu machen ist. In diesem Fall ist zur Sicherung eines
effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) eine Ausnahme von dem
Grundsatz zu machen, wonach die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines
Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus gesetzessystematischen
Gründen ausscheidet, wenn ein vorläufiges Bleiberecht nach § 81 AufenthG (bzw. zuvor
§ 69 AuslG) nicht eingetreten ist,
- vgl. bereits Senatsbeschluss vom 20. April 1999 - 18 B 1338/97 -, InfAuslR
1999, 449 - ,
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was auch für die hier in Rede stehende Regelung des § 104 a Abs. 1 AufenthG gilt.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2008 - 18 B 230/08 -, InfAuslR 2008,
211.
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Allerdings ist der insoweit in Betracht kommende Rechtsschutz in Anlehnung an die
Regelung in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG begrenzt auf die Zeit bis zur Entscheidung der
Ausländerbehörde und kann gegebenenfalls für die Zeit danach durch gerichtliche
Anordnung verlängert werden, wobei jeweils Anordnungsgrund und –anspruch
glaubhaft zu machen sind. An Letzterem fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht hat mit
zutreffenden Gründen, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden,
einen Anordnungsanspruch verneint.
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Soweit die Antragstellerin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts
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- gemeint ist wohl der Beschluss vom 11. Februar 2008 – 2 BvR 2575/07 -,
InfAuslR 2008, 240 -
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der Ansicht ist, vorläufiger Rechtsschutz sei bei einer oberstgerichtlich nicht geklärten
Rechtsfrage zu gewähren, und sie eine solche in der Regelung zu den hinreichenden
mündlichen Deutschkenntnissen im Sinne von § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG
sieht, ist ihr nicht zu folgen. Im Hinblick auf die Anforderung nach § 104a Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AufenthG bestehen im Grundsatz verfassungsrechtliche Bedenken nicht. Die
Vorschrift dient dem legitimen Zweck sicherzustellen, dass die Integration des
Begünstigten in Deutschland hinreichend gewährleistet ist, wofür Deutschkenntnisse
eine wesentliche Voraussetzung sind. Fällen, in denen solche Kenntnisse aus
bestimmten Gründen nicht erworben werden können, trägt § 104a Abs. 1 Satz 5
AufenthG Rechnung. Ob letztere Vorschrift eingreift, ist eine Frage des Einzelfalls, so
dass es diesbezüglich keiner grundsätzlichen Klärung bedarf.
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Erfolglos beruft sich die Antragstellerin ferner auf die auf Altersgründen beruhende
Ausnahmeregelung in § 104 a Abs. 1 Satz 5 AufenthG. Diesbezüglich fehlt es bereits an
der gebotenen Glaubhaftmachung des Umstandes, dass die fünfzigjährige
Antragstellerin die geforderten Deutschkenntnisse aus Altersgründen nicht erfüllen
kann. Einer Glaubhaftmachung bedurfte es hier vor allem auch deshalb, weil von
Personen im Alter der Antragstellerin regelmäßig erwartet werden kann, dass ihnen das
Erlernen der deutschen Sprache (noch) möglich ist.
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Ebenso wenig hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass infolge einer bei ihr
bestehenden Schwerhörigkeit nach der vorgenannten Norm von der Erfüllung des
Erfordernisses der Deutschkenntnisse abzusehen sei. Die von ihr hierzu vorgelegte
ärztliche Bescheinigung der Dres. P. und P1. vom 22. November 2008 verhält
sich hierzu nicht annähernd. Insbesondere ist jener kein Anhalt dafür zu entnehmen,
dass die geltend gemachte Schwerhörigkeit durch ein Hörgerät nicht hinreichend
kompensiert werden kann. Für den von der Antragstellerin insofern behaupteten
weiteren Aufklärungsbedarf ist nichts ersichtlich.
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Soweit sich die Antragstellerin schließlich noch auf ihren Analphabetismus und die
daraus resultierenden Erschwernisse beim Erlernen der deutschen Sprache beruft,
macht sie einen Umstand geltend, der von der Ausnahmeregelung in § 104 a Abs. 1
Satz 5 AufenthG nicht erfasst wird und auch sonst im Rahmen des § 104 a Abs. 1
AufenthG keine Berücksichtigung finden kann. Nach der gesetzlichen Wertung wird von
dem Erfordernis der Deutschkenntnisse nur abgesehen, wenn der Ausländer diese
Voraussetzung wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder
Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen kann (§ 104 a Abs. 1 Satz 5
AufenthG). Diese restriktive Handhabung entspricht der Intention des Gesetzgebers. In
den Genuss der gesetzlichen Altfallregelung sollen nur die ausreisepflichtigen
Ausländer gelangen, die seit Jahren geduldet und hier wirtschaftlich und sozial integriert
sind.
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Vgl. BT-Drucks. 16/5065, S. 202; so auch OVG NRW, Beschluss vom 14.
Oktober 2008 – 17 E 1349/08 -.
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Hiervon abgesehen hat die Antragstellerin nicht einmal zu Bemühungen, entweder
einfache Sprachkenntnisse etwa über ihre Kinder mündlich zu erwerben und/oder lesen
und schreiben zu lernen, irgendetwas dargetan. Dass sie nicht einmal zu dergleichen
nicht imstande wäre, macht sie nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich.
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Wenn somit die von der Antragstellerin behaupteten Erschwernisse beim Erlernen der
deutschen Sprache überwiegend entweder nicht glaubhaft gemacht worden oder nicht
berücksichtigungsfähig sind, folgt daraus zugleich, dass sie bei einer
Gesamtbetrachtung nicht die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 104 a Abs.
1 Satz 5 AufenthG zu erfüllen vermögen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes bzw. die Änderung der Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3, 63 Abs. 3 GKG und entspricht der
ständigen Streitwertpraxis des Senats in Fällen der vorliegenden Art.
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Vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Juli 2008 – 18 B 688/08 – und vom 25.
August 2008 – 18 B 864/08 -.
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In einem auf die Erteilung einer Duldung gerichteten Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes beträgt der Streitwert ein Viertel des Regelwertes auch dann, wenn die
Duldung der Durchführung eines Verfahrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels dient.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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