Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.01.2005

OVG NRW: wirtschaftliche einheit, aufschiebende wirkung, bebauungsplan, beschränkung, verordnung, beitragspflicht, behandlung, eigentümer, hauptsache, beschwerdeschrift

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 B 2780/04
Datum:
05.01.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 B 2780/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 5 L 1556/04
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.046,19 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des
Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den
Kanalanschlussbeitragsbescheid des Antragsgegners vom 19. August 2004
anzuordnen,
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zu Recht stattgegeben. An der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides bestehen
ernstliche Zweifel entsprechend § 80 Abs. 4 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO), weil es auch unter Anlage der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
geltenden Maßstäbe überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Rechtsbehelf in der
Hauptsache Erfolg haben wird.
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Entgegen der in der Beschwerdeschrift vertretenen Auffassung und in Übereinstimmung
mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ist die veranlagte Fläche des Flurstücks
865 jenseits des Geltungsbereichs des Bebauungsplanes im Außenbereich nicht als
Teil einer wirtschaftlichen Einheit mit der übrigen, innerhalb des Bebauungsplans
gelegenen Fläche des Flurstücks zu beurteilen. Zutreffend führt das Verwaltungsgericht
aus, dass im Anschlussbeitragsrecht eine wirtschaftliche Einheit jeder demselben
Eigentümer gehörende Teil der Grundfläche ist, der selbstständig baulich oder
gewerblich genutzt werden darf und selbstständig an die Anlage angeschlossen werden
kann.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. März 2004 - 15 A 1151/02 -, NVwZ-RR 2004, 679.
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Ausgangspunkt bei der Bildung wirtschaftlicher Einheiten ist allerdings das
Buchgrundstück, denn in der Mehrzahl der Fälle sind Grundstücke im Sinne des
Grundbuchrechts zugleich auch wirtschaftliche Einheiten. Davon ausgehend ist hier
festzustellen, ob das Buchgrundstück Gemarkung C. , Flur 9, Flurstück 865 zur Bildung
einer wirtschaftlichen Einheit um Flächen verkleinert werden muss. Die Beantwortung
der Frage, ob es sich bei einem Buchgrundstück um eine wirtschaftliche Einheit oder
mehrere handelt, beurteilt sich nicht nach der tatsächlichen, sondern der zulässigen
Nutzung des Grundstücks. Sie hängt von den tatsächlichen Umständen wie Lage,
Zuschnitt und Größe des Grundstücks und von rechtlichen Gesichtspunkten, nämlich
der Zuordnung des Grundstücks zu einem bestimmten Baugebiet und den hierfür
festgesetzten Bezugsgrößen für Maß und Art der baulichen Nutzung, ab. Dabei ist in
beplanten Gebieten von dem auszugehen, was der Bebauungsplan selbst als Einheit
vorsieht.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. September 2001 - 15 A 3850/99 -, S. 14 des amtl.
Umdrucks; Beschluss vom 24. Juli 1997 - 15 A 687/95 -, Gemhlt. 1999, 260.
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Hier ist eine Beschränkung der wirtschaftlichen Einheit auf den Teil des Flurstücks 865
angezeigt, der im Gebiet des Bebauungsplanes liegt, da dieser nur diese Fläche als
Einheit vorsieht. Der Bebauungsplan setzt u.a. entlang der südlichen Seite der G.------
straße ein Baugebiet (allgemeines Wohngebiet) fest, wobei er unabhängig von den dort
vorhandenen Grundstückstiefen die Bebauungsplangrenze in einem Abstand von etwa
34 m von der Straße festlegt und für den so überplanten Bereich eine Grundflächenzahl
von 0,4, eine Geschossflächenzahl von 0,8 und mittig zwischen Straße und
Bebauungsplangrenze ein Baufenster durch Baugrenzen festsetzt. Dadurch gibt der
Bebauungsplan zu erkennen, dass er die Baugrundstücke südliche der G.------straße nur
bis zur Bebauungsplangrenze als Einheit ansieht und die jenseits dieser Grenze im
Außenbereich gelegene Fläche daraus ausscheidet. Das ergibt sich zum einen aus der
Lage des Baufensters im Verhältnis zur G.------straße und zur rückwärtigen Grenze des
Bebauungsplans. Zum anderen folgt aus § 19 Abs. 3 Satz 1 der
Baunutzungsverordnung (BauNVO), dass für die Ermittlung der zulässigen Grundfläche
nicht auf die Fläche eines die Bebauungsplangrenze überschreitenden Baugrundstücks
abzustellen ist, sondern nur auf den im Bebauungsplangebiet liegenden Teil eines
solchen Grundstücks. Gleiches gilt gemäß § 20 Abs. 2 BauNVO für die zulässige
Geschossfläche. Die über die Bebauungsplangrenze in den Außenbereich ragende
Fläche des Flurstücks 865 spielt somit für die bauliche Ausnutzbarkeit der im
Bebauungsplangebiet liegenden Fläche keine Rolle. Die dem Bauantrag beigefügte
Berechnung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung, die auf die
Gesamtgrundstücksfläche des Flurstücks 865 abstellt, ist somit unrichtig.
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Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann dieser Bewertung weder die
Genehmigungsfreistellungsmitteilung vom 5. Januar 2004 noch die Rechtsprechung des
beschließenden Senats zur beitragsrechtlichen Behandlung von Grundstücksteilen im
Außenbereich noch die tatsächliche Nutzung der im Außenbereich gelegenen Fläche
und deren Einfriedigung entgegen gehalten werden.
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Unerheblich ist, dass in den der Genehmigungsfreistellungsmitteilung zu Grunde
liegenden Bauvorlagen (vgl. § 13 der Verordnung über bautechnische Prüfungen) als
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Baugrundstück das gesamte Flurstück 865 bezeichnet sein soll. Richtig ist allerdings,
dass bei bebauten Grundstücken sich die wirtschaftliche Einheit nach der
bauaufsichtlich genehmigten und verwirklichten Nutzung richtet, wobei insbesondere
darauf abzustellen ist, was als Baugrundstück in den Bauunterlagen bezeichnet ist.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Februar 2000 - 15 A 772/97 -, S. 6 des amtl. Umdrucks;
Beschluss vom 9. Juni 1998 - 15 A 6852/95 -, NWVBl. 1999, 25.
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Diese Grundsätze sind schon deshalb auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil
eine genehmigte bauliche Nutzung gerade nicht vorliegt, vielmehr ein Fall der
Genehmigungsfreistellung nach § 67 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen
(BauO NRW) gegeben war. Im Übrigen würde selbst im Falle einer erteilten
Baugenehmigung, die das gesamte Flurstück 865 als Baugrundstück bezeichnete, sich
wegen der oben genannten bauplanungsrechtlichen Begrenzung der maßgeblichen
Fläche des Baugrundstücks nichts an der Notwendigkeit einer Verkleinerung der
wirtschaftlichen Einheit auf den im Bebauungsplangebiet gelegenen Teil ändern.
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Aus der Rechtsprechung des beschließenden Senats, wonach es für die Beitragspflicht
unerheblich ist, ob ein Teil des Grundstücks im Außenbereich liegt,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juni 1998 - 15 A 6852/95 -, NWVBl. 1999, 25 (26),
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lässt sich für den vorliegenden Fall nichts Relevantes ableiten, da es hier um die
vorgelagerte Frage der Bildung einer wirtschaftlichen Einheit geht, für die es dann
allerdings unerheblich wäre, wenn ein Teil von ihr im Außenbereich läge.
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Auch die tatsächliche Nutzung der in Rede stehenden Fläche, nämlich wohl als
Gartenfläche zum Wohngrundstück, vermag die Beschränkung der wirtschaftlichen
Einheit auf den im Bebauungsplangebiet gelegenen Teil des Flurstücks 865 nicht zu
hindern. Grundsätzlich spielt die tatsächliche Nutzung für die Bildung einer
wirtschaftlichen Einheit gegenüber der zulässigen Nutzung keine maßgebliche Rolle.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. Dezember 2001 - 15 A 5566/99 -, NWVBl. 2002, 188
(189); Beschluss vom 9. Juni 1998 - 15 A 6852/95 -, NWVBl. 1999, 25.
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Im Übrigen werden die hier in Rede stehenden Flächen des Flurstücks 865
unterschiedlich genutzt, nämlich im nördlichen, im Bebauungsplangebiet gelegenen
Teil baulich und im südlichen Teil wohl als Gartengelände. Auch die einheitliche
Umfriedung des gesamten Flurstücks kann eine dieses gesamte Flurstück umfassende
wirtschaftliche Einheit nicht begründen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den
Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 des
Gerichtskostengesetzes.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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