Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.10.2008
OVG NRW: dachgeschoss, dokumentation, eigentümer, wohnung, anschlussbeschwerde, rechtsschutz, gerichtsverfahren, unvereinbarkeit, leib, grundstück
Oberverwaltungsgericht NRW, 7 B 1069/08
Datum:
01.10.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 B 1069/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 2 L 252/08
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der Antrag wird in vollem Umfang abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 15.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e:
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen
Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gibt keinen Anlass,
die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugunsten des Antragstellers zu ändern. Die
- nicht fristgebundene - Anschlussbeschwerde des Antragsgegners ist hingegen
begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht dem Antrag auf Wiederherstellung
bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers teilweise
stattgegeben.
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Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Regelung der Vollziehung der
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 22. November 2007. Mit dieser hat der
Antragsgegner dem Antragsteller als Eigentümer des Grundstücks P. Str. 141 in L. unter
Androhung von näher bezifferten Zwangsgeldern aufgegeben, folgendes zu
veranlassen:
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1. Innerhalb eines Monats für die Wohnungen im 1. und 2. Obergeschoss sowie dem
Dachgeschoss mit ausschließlicher Hoflage eine Notleiter mit Zustiegspodesten
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- nach näheren Maßgaben - zu errichten.
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2. Innerhalb eines Monats die Auftragsbestätigung einer Fachfirma über die Erstellung
der Notleiter sowie eines Sachverständigen über die Prüfung eines
Standsicherheitsnachweises vorzulegen.
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3. Innerhalb eines Monats
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- die Beplankung der vorhandenen Holzbauteile mit Gipskartonplatten zu entfernen,
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- das Kellergeschoss gegen den Treppenraum bzw. das darüber liegende Erdgeschoss
brandschutztechnisch abzutrennen (dauerhafte kellerseitige Abdeckung der
vorhandenen Holzbauteile mit 2 x 12,5 mm Gipskartonfeuerschutzplatten - GKF nach
DIN 4102 - nach näheren Maßgaben) sowie
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- selbstschließende Herrichtung der vorhandenen Kellerabschlusstür und Anbringung
einer umlaufenden Dichtung.
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4. Innerhalb eines Monats die vorhandene Holztreppe einschließlich der Unterseite der
Treppenpodeste einlagig mit 12,5 mm Gipskartonfeuerschutzplatten nach näheren
Maßgaben dauerhaft abzudecken.
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5. Innerhalb eines Monats die Holztrennwand zwischen der Wohnung im Dachgeschoss
des Vorderhauses und dem Treppenraum sowie das darin befindliche Fenster
beidseitig mit 2 x 12,5 mm Gipskartonfeuerschutzplatten nach näheren Maßgaben
dauerhaft abzudecken.
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Soweit das Verwaltungsgericht den Antrag hinsichtlich der vorgenannten Nrn. 3 bis 5
abgelehnt hat, gibt das Beschwerdevorbringen keinen Anlass zu einer anderweitigen
Entscheidung.
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Soweit die Beschwerde einen Widerspruch der Anordnungen zu Vorschriften des
Denkmalschutzrechts betont, geht es im vorliegenden Fall keineswegs darum,
denkmalgeschützte Bausubstanz abzureißen bzw. zu vernichten. Der Sache nach ist
nur eine brandschutztechnische Ertüchtigung der vorhandenen Anlagen insbesondere
im Bereich der vorhandenen Holztreppe und des Treppenhauses gefordert. Zudem sind
in der Begründung der Ordnungsverfügung mögliche Alternativen zu den konkret
geforderten Maßnahmen aufgezeigt.
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Zu dem weiteren Einwand, die Wahrscheinlichkeit eines Brandes sei zu relativieren und
die gestellten Anforderungen an die brandschutztechnische Ertüchtigung seien
unverhältnismäßig, hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend auf die ständige
Rechtsprechung des Senats hingewiesen, dass mit dem Ausbruch eines Brands
jederzeit zu rechnen und demgemäss dem öffentlichen Interesse der Gefahrenabwehr
Vorrang vor dem Privatinteresse des Betroffenen einzuräumen sei, vorläufig bis zum
Abschluss des Hauptsacheverfahrens von der Durchführung der aus
Brandschutzgründen zur Sicherung von Leib und Leben erforderlichen Maßnahmen
verschont zu bleiben. Dass die vom Antragsteller bereits durchgeführten Maßnahmen
den brandschutztechnischen Anforderungen nicht hinreichend genügen, hat der
Antragsgegner in der angefochtenen Ordnungsverfügung bereits nachvollziehbar
ausgeführt und im Gerichtsverfahren nochmals bekräftigt. Substantielle Anhaltspunkte
dafür, dass die hier konkret gestellten Forderungen "wirtschaftlich nicht mehr tragbar"
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wären, sind nicht dargetan.
Die Anschlussbeschwerde hat hingegen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht
dem Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der vorgenannten
Anordnungen zu Nr. 1. und 2. stattgegeben.
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Soweit das Verwaltungsgericht darauf abgestellt hat, der Antragsgegner habe sich
hinsichtlich des Dachgeschosses nicht in der gebotenen Weise davon überzeugt, die
Wohnung im Dachgeschoss des Hinterhauses sei nicht belegt, hat der Antragsgegner
jedenfalls im Beschwerdeverfahren ausgeführt, bei einer Besichtigung der Räume - die
Möglichkeit hierzu hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 20. Juni 2008 erstmals
ausdrücklich zugestanden - sei deren vollständige Möblierung festgestellt worden. Dem
ist der Antragsteller nicht entgegengetreten. Darauf, dass er die Räume - wie er
behauptet hat - nicht mehr vermietet, kommt es nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob
der Antragsgegner, wie dieser zu Recht angenommen hat, mit einer Nutzung dieser
Räume durch sich dort aufhaltende Personen rechnen muss.
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Soweit das Verwaltungsgericht der Forderung nach Errichtung einer Notleiter mit
Zustiegspodesten deren (mögliche) Unvereinbarkeit mit dem Abstandrecht entgegen-
gehalten hat, kann letztlich dahinstehen, ob ein Abstandverstoß hier zu bejahen ist.
Sollte dies zutreffen, ist der Antragsgegner jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass
die Voraussetzungen einer Abweichung gegeben sind.
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Zwar spricht viel dafür, dass abstandrechtlich nach § 6 Abs. 7 Nr. 1 BauO NRW
ausdrücklich nur Hauseingangstreppen, nicht aber andere Außentreppen privilegiert
sind und auch Notleitern oder Treppenanlagen, die den brandschutztechnisch
erforderlichen 2. Rettungsweg sicherstellen sollen, nicht zu den "untergeordneten
Bauteilen" im Sinne von Nr. 2 der genannten Vorschrift gehören. Auch scheidet eine
Abweichung nach § 73 Abs. 1 BauO NRW, die weiterhin eine grundstücksbezogene
Atypik voraussetzt
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- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Juli 2008
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- 7 B 195/08 -, JURIS-Dokumentation n.w.N. -,
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für solche Anlagen dann aus, wenn sie nur deshalb erforderlich werden, weil der
Eigentümer sein Grundstück baulich optimal ausnutzt und infolgedessen den von
Anfang an erforderlichen 2. Rettungsweg nur durch abstandwidrige Rettungsanlagen
sicherstellen kann.
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Vgl. zu alledem: OVG NRW, Urteil vom 17. Januar 2008 - 7 A 2761/06 -, JURIS-
Dokumentation.
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Anders liegt es jedoch dann, wenn es wie im vorliegenden Fall darum geht, bei
vorhandener älterer Bausubstanz aus brandschutztechnischen Gründen nachträglich
einen 2. Rettungsweg - sei es durch eine Notleiter mit Rückenschutz, sei es durch eine
Spindeltreppe - sicherzustellen und dieser bautechnisch ohne Verstoß gegen
abstandrechtliche Vorschriften nicht realisierbar ist. In einer solchen Fallgestaltung kann
die für eine Abweichung erforderliche grundstücksbezogene Atypik - wie hier - zu
bejahen sein.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf die §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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