Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.09.2006

OVG NRW: pflege, nationalität, volkszählung, kultur, organisation, besuch, aufenthalt, gesellschaft, kasachstan, aussiedlung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 768/05
Datum:
11.09.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 768/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 1 K 590/04
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu den - sinngemäß geltend gemachten -
ernstlichen Zweifeln i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag die Annahme des
Verwaltungsgerichts, bei der Klägerin zu 1. fehle es an einem durchgehenden
Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG, nicht in Frage
zu stellen.
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Dabei spricht alles dafür, dass die Klägerin zu 1. mit der Eintragung der russischen
Nationalität in ihrem ersten Inlandspass ein Bekenntnis gegen das deutsche Volkstum
abgelegt hat. Konkrete Umstände, die dafür sprechen, dass gegenüber der Klägerin zu
1. ein äußerer Zwang zur Abgabe der Erklärung zugunsten der russischen Nationalität
angewendet oder die Eintragung gegen den ausdrücklichen Willen oder ohne eine
entsprechende Erklärung der Klägerin zu 1. vorgenommen worden ist,
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vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, BVerwGE 102, 214 ff.,
Urteil vom 21. Oktober 2004 - 5 C 13.04 -, NVwZ-RR 2005, 210 ff., Urteile vom 13.
November 2003 - 5 C 14.03 -, BVerwGE 119, 188 ff., - 5 C 40.03 -, BVerwGE 119, 192
ff., - 5 C 41.03 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 104,
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sind nicht vorgetragen und auch im übrigen nicht ersichtlich. Das fehlende Bewusstsein,
ein Wahlrecht zu haben, ist insoweit unbeachtlich. Die Bekenntnisfähigkeit setzt nicht
das Bewusstsein voraus, zwischen der Zugehörigkeit zu unterschiedlichem Volkstum
"wählen" zu können.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 2004,
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- 5 C 13.04 -, a.a.O.
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Selbst wenn man zugunsten der Klägerin zu 1. nicht von einem Gegenbekenntnis
ausginge, müsste sich die Klägerin zu 1. auf eine der Nationalitätserklärung
vergleichbare Weise durchgängig zum deutschen Volkstum bekannt haben, um den
Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG zu genügen. Hierzu sind nachprüfbare
Umstände darzulegen, die den Willen, trotz des Eintrags der russischen Nationalität im
Inlandspass der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören, nach außen
hin, z. B. in der Lebensführung oder in gesellschaftlichen, sozialen oder kulturellen
Aktivitäten, unzweifelhaft haben zutage treten lassen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2003
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- 5 C 41.03 -, a.a.O.
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Derartige Umstände haben die Kläger jedoch nicht substantiiert dargelegt. Die in der
Zulassungsbegründung aufgeführten Gründe (Pflege des deutschen Brauchtums,
Feiern von kirchlichen Festen in der Familie nach deutschem Brauch, Besuch von
Gottesdiensten nach baptistischen Ritus in der Gemeinde, Mitgliedschaft in der
Organisation "Wiedergeburt") sind nach Art, Umfang und Zeitbezug nicht hinreichend
konkretisiert und reichen im übrigen in ihrer Bedeutung und Aussagekraft weder einzeln
noch zusammengenommen an die im Rahmen der Beantragung des Inlandspasses
erforderliche ausdrückliche Erklärung zum deutschen Volkstum gegenüber offiziellen
Stellen heran,
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2006 - 12 A 270/05 - (philologische und
pädagogische Schul- und Hochschulausbildung mit dem Schwerpunkt Deutsch);
Beschluss vom 9. Juni 2006 - 12 A 2494/04 - (deutschgeprägter Lebensstil, Teilnahme
an Weihnachts-, Ostern- und Pfingstfeiern, Teilnahme an Hochzeiten nach deutschen
Sitten, Kenntnis deutscher Märchen, Erzählungen und Lieder, Besuch des deutschen
Theaters in Kaliningrad, Teilnahme an Begräbnissen nach mennonitischem Brauch);
Beschluss vom 10. März 2006 - 12 A 244/05 - (Identifizierbarkeit als Deutscher in der
privaten und beruflichen Umgebung); Beschluss vom 16. Februar 2006 - 2 A 2734/04 -
(Volkszählung, Gebrauch und Pflege der deutschen Sprache und Kultur über den
familiären Bereich heraus, Teilnahme an religiösen Veranstaltungen, Bewusstsein der
übrigen Dorfbewohner, dass der Kläger Deutscher ist); Beschluss vom 27. Dezember
2005 - 2 A 4693/04 - (Aufenthalt in Kreisen der deutschen Bevölkerung, Pflege
deutscher Traditionen, regelmäßige Teilnahme an kulturellen deutschen
Veranstaltungen, Feiern deutsch- katholischer Feiertage, aktives Mitglied der
Gesellschaft "Wiedergeburt"); Beschluss vom 29. September 2004 - 2 A 3340/01 -
(Gebrauch und Pflege der deutschen Sprache, der deutschen Kultur und der deutschen
Traditionen über den familiären Bereich hinaus, Engagement in der Organisation
Wiedergeburt, Volkszählung),
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so dass unter Berücksichtigung der im gleichen Zeitraum nach außen wirkenden
Erklärung zugunsten der russischen Nationalität durch das Führen des Inlandspasses
von einer eindeutigen äußeren Erklärungslage ausschließlich zugunsten des deutschen
Volkstums nicht ausgegangen werden kann.
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Offenbleiben kann danach, ob die Klägerin zu 1. im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG
in der Lage ist, aufgrund familiärer Vermittlung,
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vgl. zu dem insoweit maßgebenden Zeitraum: BVerwG, Urteile vom 4. September 2003 -
5 C 33.02 -, BVerwGE 119, 6 ff., - 5 C 11.03 -, DVBl. 2004, 448 ff.; Beschluss vom 20.
August 2004 - 5 B 2.04 -; Urteil vom 19. Oktober 2000 - 5 C 44.99 -, BVerwGE 112, 112
ff. zu § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG a.F.,
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ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Zweifel hieran sind schon deshalb
begründet, weil in der Zulassungsschrift vom 18. März 2005 ausgeführt ist, dass die - zu
diesem Zeitpunkt 33 Jahre alte - Klägerin zu 1., die die Aussiedlung unter anderem mit
dem Hinweis begehrt, sie habe keinerlei Verwandte mehr in Kasachstan, "mittlerweile"
der deutschen Sprache derart hinreichend mächtig sei, dass einfache Gespräche
durchaus mit ihr geführt werden könnten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung erfolgt gem. §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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