Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.01.2004
OVG NRW: aufschiebende wirkung, begriff, erwerbseinkommen, interessenabwägung, vertrauensschutz, vollziehung, rückforderung, erwerbstätigkeit, dispositionen, abrede
Oberverwaltungsgericht NRW, 1 B 2074/03
Datum:
19.01.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 B 2074/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 4 L 934/03
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das
Beschwerdeverfahren auf 483,99 EUR festgesetzt.
G r ü n d e
1
Die zulässige, namentlich rechtzeitig eingelegte und den Anforderungen des § 146 Abs.
4 Satz 3 VwGO genügend begründete Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
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Die von der Antragsgegnerin dargelegten Einwände gegen die Richtigkeit des
angefochtenen Beschlusses, auf deren Prüfung sich das beschließende Gericht nach §
146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, begründen nicht dessen Änderung. Sie
rechtfertigen kein anderes Ergebnis der auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 VwGO
vorzunehmenden Interessenabwägung.
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Entscheidendes Gewicht erlangt dabei, dass die Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Ruhensregelung als völlig offen zu bewerten ist und die danach erforderliche
allgemeine Interessenabwägung in Ansehung der sich aus § 80 Abs. 1 VwGO
ergebenden Wertentscheidung des Gesetzgebers zugunsten des Antragstellers ausfällt.
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Hierfür sind die folgenden Gesichtspunkte maßgeblich:
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Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses
i.S.d. § 69 d Abs. 2 BeamtVG erfasse nur - vom Antragsteller nicht ausgeübte -
abhängige Beschäftigungen, nicht aber - vom Antragsteller vorgenommene -
selbstständige Tätigkeiten, trägt die Schlussfolgerung nicht, dass schon deshalb die
angefochtene Ruhensregelung rechtswidrig sein müsse. Denn der genannten
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Bestimmung ist eindeutig zu entnehmen, dass dann, wenn zum Stichtag (1. Januar
2001) schon kein Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 69 d Abs. 2 BeamtVG vorgelegen
hat, die Neuregelung in § 66 Abs. 7 BeamtVG und damit die Ruhensregelung des § 53
Abs. 10 BeamtVG unmittelbar zur Anwendung gelangen müssen. Die Ruhensregelung
des § 53 Abs. 10 BeamtVG, wonach die Versorgungsbezüge um fünfzig vom Hundert
des Betrages ruhen, um den sie und das Einkommen die Höchstgrenze übersteigen,
wenn ein Beamter im einstweiligen Ruhestand Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen
nach Abs. 7 bezieht (d. h. u. a. Erwerbseinkommen aus selbständiger Arbeit), das nicht
Verwendungseinkommen ist, ist auf der Grundlage des § 66 Abs. 7 BeamtVG seit dem
1. Januar 2001 entsprechend für Wahlbeamte - wie den Antragsteller - anwendbar. Die
Voraussetzungen für die zeitlich und materiell begrenzte Weitergeltung der bisherigen
Anrechnungsregelung für Wahlbeamte aus § 53 a BeamtVG in der bis zum 31.
Dezember 2000 geltenden Fassung bis zum 31. Dezember 2007 sind in § 69 d Abs. 2
Satz 1 BeamtVG (abschließend) geregelt. Die Anwendbarkeit der Altfassung des § 53 a
BeamtVG ist also eindeutig davon abhängig, dass zum Stichtag ein
Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Vorschrift vorliegt und unverändert fortgeführt
wird. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, findet das neue Recht Anwendung,
mithin auch die Anrechnungsregelung aus § 66 Abs. 7 i.V.m. § 53 Abs. 10 BeamtVG.
Aus diesen Überlegungen lässt sich indes nicht herleiten, dass damit zugleich die
angefochtene Ruhensregelung offensichtlich rechtmäßig ist. Denn der vom
Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Ausgangspunkt, § 69 d Abs.
2 BeamtVG setze - andere, namentlich selbständige Tätigkeiten ausschließend -
voraus, dass der betreffende Ruhestandsbeamte zum Stichtag in einem abhängigen
Beschäftigungsverhältnis, etwa z.B. in einem Beamtenverhältnis, einem vergleichbaren
Arbeitsverhältnis oder in einem anderen privaten Dienstverhältnis gestanden habe, wird
sich voraussichtlich im Verfahren zur Hauptsache als unzutreffend erweisen. Der Begriff
des Beschäftigungsverhältnisses dürfte nämlich im konkreten
Regelungszusammenhang in einem weiteren Sinne zu verstehen sein und zugleich
auch ehemalige Wahlbeamte erfassen, die - wie der Antragsteller - zum Stichtag
selbständig berufstätig waren. Insoweit spricht vieles dafür, dass die Regelung des § 53
a BeamtVG auch für Wahlbeamte weiter gelten soll, wenn deren abhängige
Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit fortdauert. Ein solches Verständnis des § 69
d Abs. 2 BeamtVG erschließt sich vor allem daraus, dass der Gesetzgeber in anderen
vergleichbaren Regelungszusammenhängen, wie etwa in der Übergangsregelung des §
69 a Nr. 2 BeamtVG den Begriff des Beschäftigungsverhältnisses nicht nur beschränkt
auf eine abhängige Beschäftigung verwendet. Denn die tatbestandliche Voraussetzung
für die weitergehende Ausnahme unter lit. c) der entsprechenden Nr. 2 des § 69 a
BeamtVG, dass eine bestehende Beschäftigung oder Tätigkeit andauert, knüpft
unmittelbar an den Tatbestand an, der mit dem Beschäftigungsverhältnis in Nr. 2 erfasst
wird. Gemeint ist in diesem Regelungszusammenhang also der Fortbestand des in Nr. 2
Satz 1 genannten "Beschäftigungsverhältnisses". Denn die Erwähnung der
(selbständigen) "Tätigkeit" neben der (unselbständigen) "Beschäftigung" in § 69 a Nr. 2
lit. c) BeamtVG ergäbe keinen Sinn, wenn die selbständige Tätigkeit nicht schon von
dem Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in der Übergangsregelung des § 69 a Nr.
2 BeamtVG umfasst wäre, zu der § 69 a Nr. 2 lit. c) BeamtVG eine abweichende
"Maßgabe" enthält. Es kann deswegen mit Blick auf den engen systematischen
Zusammenhang der hier in Rede stehenden Vorschriften davon ausgegangen werden,
dass auch der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 69 d Abs. 2 BeamtVG die
"Beschäftigung oder Tätigkeit" eines Ruhenstands(-Wahl-)beamten zum Inhalt hat. Auch
an anderer Stelle bezieht der Gesetzgeber bei der Wortverknüpfung
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"Beschäftigungsverhältnis" den Begriff der "Tätigkeit" nicht ein, während er ohne den
Zusatz "Verhältnis" das Begriffspaar "Beschäftigung oder Tätigkeit" wählt (vgl. § 53 a
Abs. 1 BeamtVG in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, §§ 69 Abs. 1
Nr. 2 Satz 6 und Nr. 2 d, 69 c Abs. 4 Satz 1 BeamtVG). Dem entspricht es auch, wenn es
in den Gesetzesmaterialien zum Regelungsinhalt der vorliegend streitigen
Übergangsregelung des § 69 d Abs. 2 BeamtVG heißt, die Regelung schaffe "in
Ergänzung zu der Neuregelung des Hinzuverdienstes für Wahlbeamte auf Zeit durch §
66 Abs. 7 eine Übergangsregelung." Danach werde für Wahlbeamte auf Zeit, die vor
dem 1. Januar 2001 in den Ruhestand getreten sind, die bisherige Sonderregelung des
§ 53 a BeamtVG über die Anrechnung von privatem Erwerbseinkommen auf die
Versorgungsbezüge bis zum 31. Dezember 2007 beibehalten.
Vgl. BT-Drucks. 14/4231.
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Der Gesetzgeber hatte also die Anrechnung von Erwerbseinkommen im Auge ohne
Differenzierung zwischen Wahlbeamten, die Erwerbseinkommen aus einer
(selbständigen) Tätigkeit erzielen und solchen, die Einkommen aufgrund einer
(abhängigen) Beschäftigung beziehen, die auch in § 53 a BeamtVG in der bis zum 31.
Dezember 2000 gültigen Fassung in dieser Form nicht enthalten war.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 1997 - 2 C 26.96 -, DÖV 1998, 207.
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Wird aber dieses Verständnis der Norm zugrunde gelegt, so hängt die Rechtmäßigkeit
der angefochtenen Ruhensregelung - bei unterstellter Verfassungsmäßigkeit der
einschlägigen Vorschriften - entscheidend davon ab, ob der Antragsteller seine am 1.
Januar 2001 ausgeübte (selbständige) Tätigkeit im Sinne der Übergangsvorschrift
unverändert fortführt oder ob sich mit seinem Ausscheiden aus seiner bisherigen
Partnerschaftsgesellschaft zum 31. Dezember 2002 oder mit der Aufnahme in eine neue
Partnerschaftsgesellschaft im Juli 2003 eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
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Ob eine wesentliche Änderung einer Beschäftigung oder Tätigkeit erfolgt, ist dabei nicht
nur vom unveränderten Beschäftigungsinhalt im weiteren Sinne abhängig, sondern
entscheidend auch von dem konkreten rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen,
innerhalb dessen die Beschäftigung und/oder Tätigkeit ausgeübt wird. Der Gesetzgeber
hat vergleichbar mit der Übergangsregelung aus § 69 Abs. 1 Nr. 2 Satz 6 BeamtVG,
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vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 18. September 1997 - 2 C 35.96 -, BVerwGE 105, 226,
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Anlass zum Vertrauensschutz für denjenigen Ruhestandsbeamten gesehen, der sich mit
dem Eingehen einer abhängigen Beschäftigung oder der Begründung einer
selbständigen Erwerbstätigkeit festgelegt hat und sich aus dieser Festlegung
möglicherweise nur schwer oder unter erheblichen wirtschaftlichen/finanziellen
Nachteilen lösen kann. Dieser Anlass für Vertrauensschutz entfällt, wenn die
aufgenommene Tätigkeit oder Beschäftigung endet. Demgegenüber sind Sachverhalte
nicht schutzwürdig, die in Ansehung der geänderten Rechtslage neuere Dispositionen
hinsichtlich Beschäftigung und/oder Tätigkeit betreffen, welche ihrem Charakter nach
eine Abkoppelung von früher getroffenen schutzwürdigen, weil z. B.
Vermögensdispositionen betreffenden Entscheidungen enthalten, d. h. im Grunde einen
wirtschaftlichen und rechtlichen Neubeginn beinhalten.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. August 2002 - 1 A 4384/01 -.
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Ob ein solcher Neubeginn im Ausscheiden des Antragstellers aus seiner
Rechtsanwaltspartnerschaft zum 31. Dezember 2002 oder in seinem späteren Eintritt in
eine weitere (Schein-)Partnerschaft gelegen hat, muss im Rahmen des vorliegenden
Verfahrens offen bleiben. Denn eine entsprechende Bewertung des Sachverhalts ist auf
der Grundlage der nach Aktenlage erkennbaren Umstände weder hinreichend
verlässlich zu treffen, noch auszuschließen. Insoweit bedürfen namentlich die
rechtlichen/wirtschaftlichen Grundlagen der bis zum 31. Dezember 2002 andauernden
Partnerschaftsgesellschaft, der der Antragsteller angehörte, näherer Überprüfung. Dies
erfordert ggf. zugleich eine weitergehende Prüfung und Einschätzung - und dies gilt
zugleich auch für die vom Antragsteller seit Juli 2003 eingegangene Partnerschaft -, ob
eine interne Abrede, dass die Partnerschaft nur im Außenverhältnis Geltung
beanspruchen soll (sog. Scheinpartnerschaft) im gegebenen Zusammenhang Relevanz
besitzt. Eine endgültige Entscheidung und Einschätzung ist dem Hauptsacheverfahren
vorzubehalten.
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Bei der nach alledem erforderlichen (offenen) allgemeinen Interessenabwägung erlangt
die Wertentscheidung des Gesetzgebers in § 80 Abs. 1 VwGO ein besonderes Gewicht.
Danach haben Widerspruch und Klage gegen Regelungen über das Ruhen von
Versorgungsbezügen regelmäßig aufschiebende Wirkung. Besondere diese
Wertentscheidung überwiegende öffentliche Interessen an einer sofortigen Vollziehung
der Ruhensregelung im Falle des Antragstellers sind nicht festzustellen. Die von der
Antragsgegnerin zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung weiter
angeführten Gründe zeigen solche Interessen nicht einmal im Ansatz auf, ohne dass im
vorliegenden Zusammenhang zu entscheiden wäre, ob diese überhaupt den
Begründungsanforderungen aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gerecht werden. Dies gilt
sowohl im Hinblick auf das angeführte öffentliche Interesse an einer geordneten
Haushaltswirtschaft als auch im Hinblick auf das Interesse, die vorgesehene
Einkommensanrechnung - so sie sich im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen
sollte - sicherstellen zu können, zumal angesichts der geringen Höhe des derzeit
streitigen Ruhensbetrages auch unter Berücksichtigung der möglichen Verfahrensdauer
nicht zu befürchten steht, dass eine spätere Rückforderung überzahlter
Versorgungsbezüge ausgeschlossen wäre.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3
GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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