Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.12.2000

OVG NRW: fürsorge, datum, verfügung, erwerbstätigkeit, fahrtkosten, bedürftigkeit, verfahrensmangel, anfang, verein, klagebegehren

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 E 326/00
Datum:
21.12.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 E 326/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 6 K 272/00
Tenor:
Die Beschwerde wird zugelassen, soweit der Kläger Prozesskostenhilfe
für das erstinstanzliche Klageverfahren erstrebt und dieses Verfahren
das Begehren auf zusätzliche Bewilligung von Hilfe zum
Lebensunterhalt in Höhe von 25,98 DM für den Monat November 1999
betrifft. In diesem Umfang wird dem Kläger unter entsprechender
Änderung des angefochtenen Beschlusses Prozesskostenhilfe für das
erstinstanzliche Verfahren bewilligt und Rechtsanwalt G. S. aus B.
beigeordnet.
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde im Übrigen wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten des gerichtskostenfreien
Rechtsmittelverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe:
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Die Beschwerde des Klägers ist gemäß § 146 Abs. 4 VwGO iVm § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO entsprechend (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Beschlusses) teilweise zuzulassen. Denn es bestehen ernstliche Zweifel iSv § 124 Abs.
2 Nr. 1 VwGO entsprechend, soweit der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
für den Teil des erstinstanzlichen Klageverfahrens erstrebt, mit dem er für den Monat
November 1999 eine Mehrleistung von 25,98 DM als ergänzende Hilfe zum
Lebensunterhalt erreichen möchte. In diesem Umfang ist die Beschwerde auch im
Übrigen zulässig und begründet.
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Der Zulässigkeit der Klage steht bei Anlegung des Prüfungsmaßstabes der
hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO) nicht entgegen, dass
das Klagebegehren des Klägers während des erstinstanzlichen Verfahrens als
Anfechtungsbegehren, bezogen auf den Sozialhilfebescheid des Beklagten vom 23.
November 1999, formuliert war und eine bloße Anfechtung des Hilfebescheides für sich
allein seine rechtliche Stellung nicht verbessern könnte. Denn aus dem sonstigen
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Vorbringen des Klägers lässt sich hinreichend sein Wille ersehen, eine höhere Hilfe
zum Lebensunterhalt als die im Bescheid vom 23. November 1999 festgesetzte zu
erhalten.
In der Sache bestehen hinreichende Erfolgsaussichten, soweit der Kläger bemängelt,
der Anrechnungsbetrag gemäß § 76 Abs. 2a Nr. 1 BSHG sei für den Monat November
1999 vom Beklagten zu niedrig bemessen worden. Der 22. Senat des erkennenden
Gerichts
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- OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2000 - 22 A 285/98 -, Juris -
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hat dazu ausgeführt, bis zum Erlass einer Rechtsverordnung der Bundesregierung nach
§ 76 Abs. 3 BSHG sei zur Bestimmung der "angemessenen Höhe" des
Absetzungsbetrages auf die als antizipiertes Sachverständigengutachten zu
qualifizierenden Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private
Fürsorge zur Bemessung des Mehrbedarfs nach § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG a.F.
zurückzugreifen.
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Vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Inhalt und Bemessung des
gesetzlichen Mehrbedarfs nach dem Bundessozialhilfegesetz, Kleinere Schriften des
Deutschen Vereins, Heft 55 (1976).
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Nach Rn. 24 der Empfehlungen des Deutschen Vereins wären 25% des genannten
Regelsatzes (also 0,25 x 547 DM = 136,75 DM; Grundbetrag) und außerdem 15% der
Differenz zwischen dem erzielten Einkommen und dem Grundbetrag
(Steigerungsbetrag) anzusetzen; da der Kläger vorliegend neben dem Grundbetrag
lediglich einen Steigerungsbetrag von 5% der genannten Differenz (also 0,05 x [598 DM
- 136,75 DM] = 23,06 DM) geltend macht, insgesamt mithin einen Absetzungsbetrag von
159,81 DM, hätte ihm unter Berücksichtigung der genannten Entscheidung im
November 1999 eine um 25,98 DM höhere Hilfe zum Lebensunterhalt (= 159,81 DM -
133,83 DM) zugesprochen werden müssen.
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In diesem Umfang, d.h. hinsichtlich eines monatlichen Mehrbetrages von 25,98 DM für
den Monat November 1999, ist die Beschwerde auch begründet; der Kläger hat die
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
hinreichend glaubhaft gemacht. Überzeugende Gründe dafür, es zunächst bei der
(teilweisen) Beschwerdezulassung zu belassen und erst nach Ablauf einer weiteren
Frist zur Stellungnahme der Beteiligten auch über die Beschwerde selbst zu
entscheiden, sind für den Senat nicht zu erkennen.
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Hinsichtlich des Leistungsbegehrens schon für den Monat Oktober 2000, für die Zeit
nach dem Ende des Monats November 1999 und der weiteren vom Kläger bemängelten
Einzelheiten der Hilfeberechnung ist die Beschwerde indessen nicht zuzulassen. Es ist
nicht ernstlich zweifelhaft, dass das Verwaltungsgericht der Klage insoweit zu Recht
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg iSv § 166 VwGO iVm § 114 ZPO zuerkannt hat;
auch einer der anderen genannten Zulassungsgründe greift nicht ein.
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Es spricht auch nach Auffassung des Senats nichts Durchgreifendes dafür, dass der
Kläger schon im Monat Oktober 1999 einen Anspruch auf die Gewährung von Hilfe zum
Lebensunterhalt hatte. Denn der Beklagte hat nicht gemäß § 5 Abs. 1 BSHG davon
Kenntnis erlangt, dass der Kläger schon im Oktober 1999 sozialhilfebedürftig gewesen
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sein könnte. Der Kläger hat bei einer Vorsprache auf dem Sozialamt des Beklagten
unter dem Datum des 19. Oktober 1999 erklärt, er habe seine letzte Arbeitslosenhilfe
Anfang Oktober 1999 erhalten und verfüge somit ab dem 1. November 1999 nicht mehr
über ausreichendes Einkommen und Vermögen, um seinen Lebensunterhalt bestreiten
zu können. Aufgrund dieser vom Kläger unterschriebenen Erklärung konnte der
Beklagte nicht davon ausgehen, dass dem Kläger schon vor dem 1. November 1999
geholfen werden musste. Etwas anderes folgt auch nicht aus den vom Kläger dem
Sozialamt vorgelegten Kontoauszügen. Die Auszüge, die der Kläger zunächst
mitgebracht hatte, reichten zeitlich bis zum 11. Oktober 1999 und wiesen zuletzt ein
Guthaben vom 326,06 DM aus; da noch am 10. Oktober 1999 zweimal je 100 DM mit
der Geldkarte abgehoben worden waren, drängte sich ein Hilfebedarf noch in jenem
Monat nicht auf. Dass die am 28. Oktober 1999 vom Kläger nachgereichten
Kontoauszüge nunmehr ein Guthaben von nur noch 6,06 DM auswiesen, kann ebenfalls
nicht als hinreichender Anhaltspunkt für eine jedenfalls zu diesem Zeitpunkt
eingetretene akute Hilfebedürftigkeit bewertet werden. Denn aus der Sozialhilfeakte
geht nicht hervor, wie viel von den nach und nach abgehobenen Geldbeträgen dem
Kläger für das letzte Oktoberwochenende noch zur Verfügung standen; dass er bei
seiner Vorsprache am 28. Oktober 1999 noch einmal besonders auf eine Zuspitzung
hingewiesen hätte, die eine Hilfeleistung noch vor dem ins Auge gefassten Termin der
Hilfeaufnahme (1. November 1999) erforderlich gemacht haben könnte, ergibt sich
weder aus der dem Gericht vorgelegten Sozialhilfeakte noch aus dem Vorbringen des
Klägers im gerichtlichen Verfahren.
Falls der Kläger Prozesskostenhilfe auch für Leistungszeiträume nach dem Monat
November 1999 begehren sollte, sind seinem Rechtsmittelschreiben keine Darlegungen
zu Zulassungsgründen entsprechend § 124 Abs. 2 VwGO zu entnehmen.
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Soweit der Kläger begehrt, dass seine mit der Erwerbstätigkeit in A. verbundenen
Fahrtkosten einkommensmindernd zu berücksichtigen seien, ergeben sich keine
Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses; denn der Beklagte hat
entsprechend den Angaben des Klägers bei der Hilfebeantragung einen Betrag von
monatlich 92,80 DM von dessen Einkommen abgesetzt.
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Soweit der Kläger bemängelt, die Arbeitsmittelpauschale in Höhe von 10 DM (vgl. § 3
Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 iVm Abs. 5 der VO zu § 76 BSHG) werde den heutigen
Verhältnissen nicht mehr gerecht, sind gleichfalls keine ernstlichen Zweifel am
Beschluss des Verwaltungsgerichts dargetan. Da es sich bei dem in § 3 Abs. 5 der VO
zu § 76 BSHG genannten Betrag um eine bloße Pauschale handelt, ist es dem Kläger
unbenommen, einen höheren Betrag geltend zu machen, falls er entsprechende
Aufwendungen im Einzelfall nachweisen kann.
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Inwieweit ein behaupteter Verstoß des angefochtenen Beschlusses gegen die §§ 4 Abs.
1 Satz 1 und 11 BSHG, also gegen materielles Sozialhilferecht, einen
Verfahrensmangel iSv § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO darstellen könnte, geht aus den
Darlegungen des Klägers nicht hervor.
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Auch die vom Kläger gesehene Grundsatzbedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt
nicht vor; es ist nicht grundsätzlich zu klären - schon gar nicht im
Prozesskostenhilfeverfahren -, ob der "Leistungsträger Leistungen nach dem BSHG ab
dato bewilligen muss, als ihm die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers bekannt wird";
denn vorliegend hatte der Beklagte, wie oben näher dargelegt, gerade keine Kenntnis
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über eine Sozialhilfebedürftigkeit des Klägers vor dem 1. November 1999. Schließlich
ist auch nicht ersichtlich, dass der angefochtene Beschluss von einer
höchstrichterlichen Entscheidung abweiche.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 188 Satz 2 VwGO sowie auf § 166 VwGO iVm §
127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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