Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.01.2000

OVG NRW: abstammung, verfassungskonforme auslegung, begriff, adoption, blutsverwandtschaft, herkunft, zahl, ausländerrecht, nachschlagewerk, ausnahme

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 5381/97
27.01.2000
Oberverwaltungsgericht NRW
2. Senat
Beschluss
2 A 5381/97
Verwaltungsgericht Köln, 19 K 1755/97
Der Zulassungsantrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 8.000,- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Die vom Kläger allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht gegeben.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die eine Zulassung der Berufung
rechtfertigt, ergibt sich nicht aus den Fragen: "Ist die Nichtanerkennung einer Adoption
durch einen blutmäßigen Deutschen bei fehlender blutmäßiger Abstammung von diesem
Deutschen eine verfassungswidrige Fehlinterpretation des Art. 6 GG a) durch den
Gesetzgeber b) durch das Verwaltungsgericht Köln" und "Ist keine verfassungskonforme
Auslegung des § 6 BVFG unter Beachtung des Art. 6 GG möglich, die in jedem wie hier
anstehenden Fall es ermöglicht, dem Betroffenen einen Aufnahmebescheid gem. § 27
BVFG zu erteilen?". Soweit damit eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der
Auslegung des Begriffes "abstammt" in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BVFG, insbesondere im
Hinblick auf Art. 6 GG gesehen wird, ist diese nicht gegeben. Schon nach dem Wortlaut der
Regelung ist unter Abstammung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BVFG ausschließlich
die biologische Abstammung zu verstehen; die Adoption fällt nicht darunter. Dies ergibt
sich aus dem Begriff der Abstammung, wie er im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch
verwandt wird.
Vgl. zum Rückgriff auf den allgemeinen juristischen Sprachgebrauch: BVerwG, Urteil vom
11. Januar 1994 - 1 C 35.93 -, BVerwGE 95, 36 (37) = NJW 1994, 2164 ff. = DVBl. 1994,
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529 ff. = Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG, 11
Art. 116 GG Nr. 26.
Der Begriff der Abstammung findet sich im Zweiten Abschnitt "Verwandtschaft" des 4.
Buches, Familienrecht, des Bürgerlichen Gesetzbuches in § 1589 BGB. Danach sind
Personen, die voneinander abstammen, miteinander verwandt, der Grad der
Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten (Satz 3 der
Vorschrift). Diesem Wortlaut ist zu entnehmen, dass Abstammung im Sinne dieser
Vorschrift ausschließlich die biologische, das heißt leibliche bzw. genetische
Verwandtschaft oder auch Blutsverwandtschaft bedeutet.
Vgl. Staudinger-Göppinger, Kommentar zum BGB, 12. Aufl. 1993, Einleitung zu §§ 1589 ff
BGB Rdnr. 1 und § 1589 Rdnr. 2; Palandt-Diederichsen, Kommentar zum BGB, 59. Aufl.
2000, Einführung vor § 1589 BGB Rdnr. 1, § 1589 Rdnr. 1 und Einführung vor § 1591 Rdnr.
1.
Daraus folgt, dass dem Begriff "abstammen" im Rechtssinne, soweit damit in einer Familie
bestehende verwandtschaftliche Bezüge bezeichnet werden, nur die biologische
Abstammung bzw. Herkunft zugeordnet werden kann. Das Bundesvertriebenenrecht
enthält keine Bestimmung noch sind Anhaltspunkte ersichtlich, wonach unter Abstammung
in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BVFG abweichend vom allgemeinen juristischen
Sprachgebrauch etwas anderes zu verstehen ist.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. März 1997 - 2 A 86/94 -;von Schenckendorff, Vertriebenen-
und Flüchtlingsrecht, Kommentar zum BVFG, Stand Januar 1999, B 2, § 6 BVFG n.F. Anm.
3. a).
Eine Einbeziehung der Adoption in den Begriff der Abstammung ist nicht im Hinblick auf
den in Art. 6 des Grundgesetzes geregelten Schutz von Ehe und Familie erforderlich. Denn
die Regelungen in § 6 BVFG über die Volkszugehörigkeit stehen nicht im Zusammenhang
mit Ehe und Familie. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzungen
für das Vorliegen der Spätaussiedlereigenschaft für jeden Familienangehörigen gesondert
zu prüfen sind.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. April 1998 - 9 B 396.98 -, Beschluss vom 23. Dezember
1994 - 9 B 630.94 -.
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es dem Schutz von Ehe und Familie widerspricht, die
Frage der Volkszugehörigkeit von Mitgliedern einer Familie für jedes Familienmitglied
gesondert zu beurteilen. Der Kläger verkennt insoweit, dass die von ihm als
entscheidungserheblich angesehenen Fragen der Familienzusammenführung und des
Aufenthaltsrechts von Familienangehörigen nicht in § 6 BVFG sondern in anderen
Vorschriften des Bundesvertriebenengesetzes, die mit dem Zulassungsantrag nicht
angesprochen sind, und des Ausländergesetzes geregelt sind. Demgemäß sind die von
ihm zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch zum Ausländerrecht
und anderen Rechtsgebieten und nicht zu § 6 BVFG ergangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts
ergeht gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG.) Das
Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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