Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.12.2005

OVG NRW: grundstück, eigentümer, genehmigung, zweckentfremdung, kostenverteilung, rendite, veranlagung, stadt, wohnhaus, bekanntgabe

Oberverwaltungsgericht NRW, 3 A 5179/04
Datum:
21.12.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 A 5179/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 5 K 4821/03
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 13.691,00
Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag hat keinen Erfolg. Das Zulassungsvorbringen rechtfertigt die Zulassung der
Berufung nicht. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an
der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) bzw. des Vorliegens von Verfahrensmängeln (Zulassungsgrund nach § 124
Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor oder sind bereits nicht den Anforderungen des §
124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.
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Das Verwaltungsgericht hat angenommen, das selber nur an den G.------weg
angrenzende Flurstück 897 sei als Hinterliegergrundstück bei Eigentümeridentität im
Sinne von § 133 Abs. 1 BauGB (auch) von dem H. Weg erschlossen. Zum
Erschlossensein im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB hat es sich nicht
ausdrücklich geäußert. Dadurch, dass es die gegen die Heranziehung zu einem
Erschließungsbeitrag für die erstmalige endgültige Herstellung des H. Wegs gerichtete
Klage abgewiesen hat, hat es aber zu erkennen gegeben, dass es auch das Vorliegen
der Voraussetzungen dieser Vorschrift angenommen hat.
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Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1997 - 8 C 27.96 -, NVwZ-RR 1998, 67.
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Überdies hat es festgestellt, dass die Flurstücke 897, 720 und 806 einheitlich als
Wohngrundstück mit Naturgarten einschließlich einer Zuwegung über das Flurstück 806
genutzt werden.
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Vgl. zu dem Aspekt der einheitlichen Nutzung von Anlieger- und Hinterliegergrundstück
für das Erschlossensein des Hinterliegergrundstücks im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1
BauGB bei Eigentümeridentität: BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1997 - 8 C 27.96 -, a.a.O.;
Senatsurteil vom 29. September 2005 - 3 A 4430/02 -.
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Die Klägerin macht demgegenüber geltend, dass die Rechtsauffassung des
Verwaltungsgerichts zum Erschlossensein des mit einem Wohnhaus bebauten
(Hinterlieger-) Flurstücks 897 zu Zufallsergebnissen führe. Hätte sie nämlich die an den
H. Weg angrenzenden und das Flurstück 897 von diesem trennenden Flurstücke 720
und 806 vor der Erschließung an einen Dritten veräußert, hätte das Flurstück 897 nicht
zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen werden dürfen. Dieses Vorbringen weckt
keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Es lässt die im
Erschließungsbeitragsrecht geltende stichtagsbezogene Betrachtungsweise
unberücksichtigt. Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entstehen die sachlichen
Erschließungsbeitragspflichten mit der endgültigen Herstellung der
Erschließungsanlage. Mit diesem Zeitpunkt liegt unverrückbar fest, welche Grundstücke
von der betreffenden Erschließungsanlage im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB
erschlossen werden und demzufolge in die Verteilung des umlagefähigen
Erschließungsaufwandes einzubeziehen sind. Hinsichtlich der persönlichen
Erschließungsbeitragspflicht bestimmt § 134 Abs. 1 Satz 1 BauGB, dass
beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt der Bekanntgabe des
Beitragsbescheides Eigentümer der Grundstücks ist; nach Satz 2 der Vorschrift tritt an
dessen Stelle gegebenenfalls der Erbbauberechtigte. Sowohl für die sachliche als auch
die persönliche Erschließungsbeitragspflicht kommt es daher auf die tatsächlichen und
rechtlichen Verhältnisse zum jeweiligen Stichtag an, spätere Änderungen dieser
Verhältnisse vermögen an einer einmal entstandenen sachlichen oder persönlichen
Erschließungsbeitragspflicht dem Grunde und der Höhe nach nichts mehr zu ändern.
Vor diesem Hintergrund ist für die von der Klägerin angestellten hypothetischen
Überlegungen zu einem Eigentumswechsel kein Raum.
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Der sich vornehmlich auf das Flurstück 897 beziehende weitere Einwand, dieses
Flurstück sei bereits über den G.------weg ausreichend erschlossen, sodass für eine
zusätzliche weitere Erschließung über den H. Weg keine Notwendigkeit bestehe,
begründet ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils. Grundsätzlich wird ein Grundstück durch die von ihm nächsterreichbare
befahrbare und selbstständige Verkehrsanlage im Sinne der §§ 123 Abs. 2, 127 Abs. 2
Nr. 1 BauGB wegemäßig erschlossen, nicht hingegen auch durch die Straße, in die die
nächsterreichbare selbstständige Anlage einmündet. Indes kann ein Grundstück auch
durch mehrere Anbaustraßen verkehrsmäßig erschlossen werden. Dies trifft etwa zu auf
ein zwischen zwei Anbaustraßen gelegenes Grundstück wie auch bei einem unmittelbar
an zwei Anbaustraßen angrenzenden Eckgrundstück. Ferner wird dies anzunehmen
sein bei einem bereits anderweitig erschlossenen Grundstück, das an die
abzurechnende Straße zwar nicht angrenzt, jedoch als von dieser Straße erschlossenes
sog. Hinterliegergrundstück zu qualifizieren ist. Dabei beantwortet sich die Frage, ob ein
bereits von einer Anbaustraße erschlossenes Grundstück auch von einer weiteren
Anbaustraße erschlossen wird, nach den gleichen Kriterien, die für das Erschlossensein
im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch die erste Anbaustraße maßgeblich sind.
In diesem Sinne erschlossen wird ein Grundstück von einer Anbaustraße, wenn diese
ihrer bestimmungsgemäßen Funktion nach dem Grundstück das verschafft, was für
seine Bebaubarkeit (oder sonstige erschließungsbeitragsrechtlich relevante
Nutzbarkeit) an wegemäßiger Erschließung erforderlich ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt
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sich danach, ob das Grundstück - eine durch die andere Anbaustraße vermittelte
erschließungsbeitragsrechtlich relevante Nutzbarkeit hinweggedacht - allein der
abgerechneten Anbaustraße wegen in erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Weise
nutzbar ist.
Vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 17 Rz. 88 f.
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Auf die von der Klägerin bezweifelte Notwendigkeit einer weiteren Erschließung des
Grundstücks kommt es bei dieser Betrachtung nicht an.
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Ebenfalls keinen Erfolg hat das Zulassungsvorbringen, soweit es die Richtigkeit des
verwaltungsgerichtlichen Urteils mit der Begründung in Zweifel zu ziehen versucht, die
Grundstücke der Klägerin hätten nicht auch noch mit einem Artzuschlag wegen
gewerblicher Nutzung (genauer: Nutzbarkeit) belastet werden dürfen. Zwar trifft es zu,
dass auf den Grundstücken der Klägerin nur eine Nutzung zu Wohnzwecken erfolgt.
Hierauf kommt es aber nicht an. Nach den mit zulässigen und begründeten
Berufungszulassungsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts
liegen die Grundstücke der Klägerin innerhalb eines unbeplanten Innenbereichs nach §
34 BauGB in einem Gebiet, nämlich dem sog. Gewerbegebiet I. -L. , das auf Grund der
vorhandenen Bebauung und sonstigen Nutzung als Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO
anzusehen ist. Nach § 6 Abs. 1 Satz 4 der Erschließungsbeitragssatzung der Stadt I.
vom 23. Dezember 1979 in der hier anzuwendenden Fassung der 4. Änderungssatzung
vom 22. Dezember 2000 (EBS) werden u.a. in einem derartigen Gebiet gelegene
Grundstücke unabhängig von der auf ihnen vorhandenen Bebauung oder ihrer
tatsächlichen Nutzung mit einem gebietsbezogenen Artzuschlag belegt.
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Vgl. zum Artzuschlag im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB: BVerwG, Urteile
vom 10. Juni 1981 - 8 C 20.81 -, BVerwGE 62, 308 und vom 3. Januar 2000 - 11 B 24.99
-, juris.
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Durchgreifende Einwände gegen diese Satzungsbestimmung bringt die Klägerin nicht
vor; dies gilt auch, soweit die Erschließungsbeitragssatzung dem von ihr angeführten
Umstand, dass die vorhandene Wohnbebauung seit der vorletzten Jahrhundertwende
bestehe und baurechtlich Bestandsschutz genieße, keine
erschließungsbeitragsrechtliche Bedeutung beimisst. Vielmehr ist auf das schon
erwähnte im Erschließungsbeitragsrecht geltende Stichtagsprinzip zu verweisen,
wonach die Verhältnisse bei Entstehen der Beitragspflichten maßgebend sind. Nicht
durchdringen kann die Klägerin mit dem Argument, ihre Grundstücke dürften deshalb
nicht "in gleicher Weise wie die umliegenden Gewerbebetriebe" in die Verteilung
einbezogen werden, weil diese über höhere Finanzmittel verfügten und daher höhere
Beiträge eher verkraften könnten, die sie überdies als Betriebskosten steuerlich geltend
machen könnten; zudem bringe eine Wohnnutzung weniger Rendite als ein
Gewerbebetrieb. Auf all diese Fragen, die an die konkrete Nutzung eines Grundstücks
anknüpfen, kommt es bei der Erhebung eines nicht grundstücks-, sondern
gebietsbezogenen Artzuschlags nicht an. Entscheidend ist hier allein, dass die Klägerin
auf Grund der Umgebungsbebauung auch ihre Grundstücke gewerblich nutzen könnte,
was übrigens angesichts der Größe des Flurstücks 897 sogar auf dessen bisherigen
Freiflächen möglich wäre. Dafür, dass es dazu eines Abrisses des auf dem Flurstück
897 aufstehenden Wohnhauses bedürfte, dass einer gewerblichen Nutzung zu
wahrende Wohnraummietverhältnisse entgegenstünden oder dass eine etwa
erforderliche Genehmigung zu einer Zweckentfremdung nicht erteilt werden würde, wird
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von der Klägerin nichts Substanzielles vorgebracht, sodass dahingestellt bleiben kann,
ob dies einer Veranlagung mit einem Artzuschlag überhaupt entgegengesetzt werden
kann.
Das weitere Zulassungsvorbringen genügt bereits den Darlegungsanforderungen des §
124 Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht. Das Erfordernis des "Darlegens" verlangt mehr als die
bloße Benennung eines Zulassungsgrundes. Es ist vielmehr im Sinne von "erläutern",
"erklären" oder "näher auf etwas eingehen" zu verstehen. Deshalb bedarf es unter
(ausdrücklicher oder jedenfalls konkludenter) Bezugnahme auf einen Zulassungsgrund
einer substanziierten Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch
die der Streitstoff entsprechend durchdrungen und aufbereitet wird. Das
Zulassungsvorbringen muss das Vorliegen des geltend gemachten Zulassungsgrundes
aus sich heraus, d.h. ohne weitere Ermittlungen seitens des Gerichts, erkennen lassen,
wobei allerdings keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen.
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Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit der Hinterliegererschließung darauf
verweist, dass eine den bebauungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen
Erfordernissen entsprechende Zuwegung über die Flurstücke 720 bzw. 806 "eventuell
gar nicht genehmigungsfähig" sei, da dies eine zusätzliche Zufahrt auf den H. Weg
bedeute, handelt es sich um eine bloße, nicht weiter untermauerte Vermutung. Nicht
plausibel ist der Hinweis, die Einbeziehung von Hinterliegergrundstücken in die
Kostenverteilung sei bei der Größe des Flurstücks 897 oder noch größerer Flächen
ruinös für den Eigentümer. Es ist nichts Konkretes dafür dargetan, warum sich die
Grundstücksgröße ausgerechnet bei einem Hinterliegergrundstück solcherart für den
Eigentümer auswirken sollte. Ferner erläutert das Zulassungsvorbringen nicht, warum
den Grundstücken der Klägerin ein "Doppelerschließungsprivileg" (§ 7 Abs. 1 EBS)
zukommen sollte; insoweit geht es nicht darauf ein, dass die
Erschließungsbeitragssatzung in ihrem § 7 Abs. 3 die Regelung enthält, dass eine
Ermäßigung wegen Mehrfacherschließung nicht gewährt wird, sofern auf das
betreffende Grundstück ein Artzuschlag entfällt. Ebenso wenig sind nachvollziehbare
Gründe dafür dargetan, dass einige der in die Verteilung einbezogenen Grundstücke mit
mehr als einem Vollgeschoss hätten berücksichtigt werden müssen; es fehlt insoweit
eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen Ausführungen des
Widerspruchsbescheides (unter 1.3), die in dem angefochtenen Urteil in Bezug
genommen worden sind (UA S. 8). Schließlich genügt das Zulassungsvorbringen den
Darlegungsanforderungen auch nicht, soweit es ohne jede nähere Erläuterung
Verfahrensmängel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO rügt, die darin begründet sein
sollen, dass das Verwaltungsgericht keinen Ortstermin zur Beurteilung der Größen der
Gewerbegebiete durchgeführt und so seine Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO)
verletzt habe bzw. auf die geltend gemachte Verletzung von Art. 3 GG in den
Urteilsgründen nicht eingegangen sei.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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