Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.01.2006

OVG NRW: treu und glauben, mehrarbeit, genehmigung, anspruch auf bewilligung, innerdienstliche weisung, ratio legis, dienstliche anordnung, verfügung, beamtenrecht, weiterbildung

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 A 4767/03
Datum:
11.01.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 A 4767/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 1 K 2366/00
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Das beklagte Land wird unter Aufhebung der Bescheide der
Bezirksregierung X vom 00.00.00 und 00.00.00 verpflichtet, der Klägerin
zur Abgeltung der durch ihre Tätigkeit als Fachleiterin am
Studienseminar für das Lehramt für die Primarstufe E. bis 31. Juli 1996
geleisteten Zuvielarbeit Dienstbefreiung unter Fortzahlung der Bezüge
im Umfang von sieben Monaten und zwei Tagen zu bewilligen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden
Rechtszügen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H.
des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die am 00.00.00 geborene Klägerin steht im Dienst des Beklagten als Konrektorin - als
ständige Vertreterin des Leiters eines Studienseminars - (Besoldungsgruppe A 13
Landesbesoldungsordnung) beim Studienseminar für das Lehramt für die Primarstufe in
X.
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Am 30. Oktober 19.. wurde sie unter Verleihung der Eigenschaft einer Beamtin auf
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Lebenszeit zur Lehrerin ernannt und an der Hauptschule Y tätig. Mit Wirkung vom 01.
Oktober 19.. wurde sie erstmals als Fachleiterin eingesetzt, ab 19.. war sie als
Fachleiterin für das Fach Sachunterricht am Studienseminar für das Lehramt für die
Primarstufe in Y tätig. Zum 01. Februar 19.. wurde sie an die G. -Grundschule in Y
versetzt und war weiterhin - mit kurzen Unterbrechungen - mit Fachleiteraufgaben
betraut. Unter dem 06. März 19.. beauftragte die Bezirksregierung X die Klägerin
zusätzlich und vorübergehend mit der Wahrnehmung von Fachleiteraufgaben für das
Fach Sachunterricht am Studienseminar für das Lehramt für die Primarstufe in S. Zu
diesem Zeitpunkt war die Klägerin an der G. -Grundschule lediglich in einem Umfang
von fünf Wochenstunden tätig.
Ausweislich des vom Leiter des Studienseminars für das Lehramt für die Primarstufe S
unterzeichneten Formulars "Pflichtstunden der Fachleiter/innen an Studienseminaren"
vom 01. August 19.. betreute die Klägerin dort im Schulhalbjahr 01. August 19.. bis 31.
Januar 19.. als Fachleiterin für das Fach Sachunterricht 26 Lehramtsanwärter/innen bei
einer Gesamtentlastung von 30 Entlastungs-stunden. Von diesem Stundenkontingent
wurden 17 Stunden in diesem Schulhalbjahr nicht in Anspruch genommen und auf das
Schulhalbjahr 01. Februar bis 31. Juli 19.. übertragen. Bereits im Schulhalbjahr 01.
Februar bis 31. Juli 19.. hatte die Klägerin 14 Ermäßigungsstunden nicht in Anspruch
genommen, diese waren auf das Schulhalbjahr 01. August 19.. bis 31. Januar 19..
übertragen worden. Danach ergab sich eine Gesamtentlastung für die Klägerin
(hinsichtlich ihrer Unterrichtstätigkeit an der M-Grundschule) von 27 Stunden für das
Schulhalbjahr 01. August 19.. bis 31. Januar 19... Unter dem 02. November 19..
beauftragte die Bezirksregierung X die Klägerin zusätzlich mit der Wahrnehmung von
Fachleiteraufgaben für den Bereich des Hauptseminars am Studienseminar für die
Primarstufe in Y mit Wirkung vom 15. Dezember 19... Nach dem weiteren
Formularschreiben vom 23. Dezember 19.. standen der Klägerin für das Schulhalbjahr
01. Februar bis 31. Juli 19.. weitere 26,5 Ermäßigungsstunden zu, die auf das
Schulhalbjahr 01. August 19.. bis 31. Januar 19.. übertragen wurden.
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Das Formular "Ermäßigungsstunden der Fachleiter/innen" des Studienseminars für das
Lehramt für die Primarstufe Y vom 31. Juli 19.. weist für das Schulhalbjahr 01. August
19.. bis 31. Januar 19.. für die Betreuung von 59 Lehramtsanwärter/innen durch die
Klägerin 33,5 Ermäßigungsstunden aus. Mit den bereits zuvor auf das Schulhalbjahr 01.
August 19.. bis 31. Januar 19.. übertragenen 26,5 Stunden und bei einer
Gesamtentlastung von 27 Stunden vom 01. August 19.. bis 31. Januar 19.. ergab sich
ein Überhang von 33 Ermäßigungsstunden, der auf das Schulhalbjahr 01. Februar bis
zum 31. Juli 19.. übertragen wurde.
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Aufgrund einer Vakanz der Stelle des stellvertretenden Seminarleiters am
Studienseminar für das Lehramt für die Primarstufe Y wandte sich das Dezernat 45 der
Bezirksregierung X unter dem 18. September 19.. an das Dezernat 47 mit der Bitte, die
Klägerin zusätzlich mit der Wahrnehmung von Fachleiteraufgaben für das Hauptseminar
am Studienseminar für das Lehramt für die Primarstufe in Y zu beauftragen. Der
Arbeitsanfall könne dort nicht mehr erledigt werden. Die Klägerin sei bereit, ab dem 23.
September 19.. auszuhelfen; im Übrigen sei sie als zukünftige stellvertretende
Seminarleiterin vorgesehen, der Besetzungstermin stehe noch nicht fest. Durch die
zusätzliche Beauftragung erhalte das Seminar die notwendige Hilfe und die Klägerin die
Gelegenheit, sich in ihr zukünftiges Berufsfeld einzuarbeiten. Eine zusätzliche Stelle
werde nicht benötigt, das "Zeitkonto" der Klägerin werde nicht weiter erhöht; die
zusätzliche Beauftragung erfolge im Rahmen des derzeitigen Zeitkontingents. Unter
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dem 26. Oktober 19.. beauftragte die Bezirksregierung X die Klägerin mit Wirkung vom
23. Oktober 19.. zusätzlich mit der Wahrnehmung von Fachleiteraufgaben für die
Hauptseminararbeit am Studienseminar für das Lehramt für die Primarstufe in Y.
Die Klägerin wurde mit Verfügung der Bezirksregierung X vom 31. Juli 19.. mit Wirkung
vom 01. August 19.. von ihren Aufgaben als Fachleiterin für das Fach Sachunterricht am
Studienseminar für das Lehramt für die Primarstufe in X, ebenso von ihren bisherigen
Fachleiteraufgaben für den Bereich des Hauptseminars am Studienseminar für die
Primarstufe in S und in T entpflichtet. Mit Wirkung vom 00.00.00 wurde sie am
Studienseminar T zur Konrektorin - als ständige Vertreterin des Leiters eines
Studienseminars - ernannt und zugleich von der X- Grundschule, Y, zum
Studienseminar in Z versetzt.
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Mit Schreiben vom 19. Juni 19.. beantragte die Klägerin unter Hinweis auf das Formular
"Ermäßigungsstunden der Fachleiter/innen" des Leiters des Studienseminars für das
Lehramt für die Primarstufe X vom 31. Juli 19.. die Gewährung eines finanziellen
Ausgleichs für die 33 Ermäßigungswochenstunden, die sie bis zu ihrer Beförderung
nicht habe in Anspruch nehmen können. Ein Abbau dieser Überstunden sei ihr aus
dienstlichen Gründen nicht möglich. Mit Bescheid vom 00.00.00 lehnte die
Bezirksregierung X den Antrag ab. Nach der Erlasslage könne für die Fachleitertätigkeit
nur eine Zulage gewährt werden, deren Höhe sich nach der Anzahl der
Ermäßigungsstunden richte. Eine darüber hinausgehende Vergütung, etwa im Rahmen
von Mehrarbeit, sei nicht vorgesehen und mit dem geltenden Haushaltsrecht nicht
vereinbar. Einzige mögliche Alternative wäre, Fachleiter erst dann für eine andere
Funktion freizugeben, wenn kein Ermäßigungsstundenkontingent mehr abzurechnen
sei. Dies könne jedoch, besonders in Fällen wie dem der Klägerin, nicht im Interesse
der betreffenden Personen liegen.
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Unter dem 00.00.00 erhob die Klägerin Widerspruch und führte zur Begründung aus:
Die hohe Anzahl der Überstunden sei durch die zusätzliche Wahrnehmung der
Vertretung der Fachleiterin in X entstanden. Da die Anzahl der Lehramtsanwärter
gestiegen sei, hätten die Überstunden nicht abgebaut werden können, vielmehr seien
weitere hinzugekommen. Diese Mehrbelastung habe sie in Kauf genommen, weil sie
davon ausgegangen sei, die Überstunden bei sinkenden Lehramtsanwärterzahlen
abbauen zu können und der Dienstherr, falls dies im Rahmen der Fachleitertätigkeit
nicht möglich sein sollte, ihr eine entsprechende Vergütung oder Abbaumöglichkeit im
Rahmen der Fürsorgepflicht zukommen lassen würde.
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Unter dem 28. Januar 19.. berichtete die Bezirksregierung X an das Ministerium für
Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, dass die Klägerin während
ihrer Tätigkeit als Fachleiterin durch die zunehmende Anzahl der Lehramtsanwärter
besonders seit 1993 in erheblichem Maße Ermäßigungsstunden nicht habe in Anspruch
nehmen können. Während der Vertretungsphase in Y, die die Klägerin zusätzlich zu
ihrer Fachleitertätigkeit in T wahrgenommen habe, sei es ihr verständlicherweise nicht
möglich gewesen, die übertragenen Ermäßigungsstunden in Anspruch zu nehmen.
Auch nachdem sie die Funktion einer stellvertretenden Seminarleiterin ausgeübt habe,
sei sie nicht in der Lage gewesen, die angesammelten Ermäßigungsstunden
abzubauen. Die Situation der Klägerin sei kein Einzelfall, da besonders im
Primarstufenbereich selten ausreichend Fachleiter zur Ausbildung der
Lehramtsanwärter zur Verfügung ständen, das Land jedoch verpflichtet sei, im Rahmen
seines Ausbildungsmonopols alle Lehramtsanwärter auszubilden. Dadurch entstehe
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häufig die Situation, dass Fachleiter entsprechend der Zahl der ihnen zugeteilten
Lehramtsanwärter mehr Ermäßigungsstunden erhielten, als Pflichtstunden der
Schulform zugeordnet seien. Die daraus resultierende hohe Zahl der
Ermäßigungsstunden könne schon allein auf Grund der ständig zunehmenden Zahl der
Lehramtsanwärter zumindest nicht mehr zeitnah abgebaut werden. Es könne sogar
dazu führen, dass Fachleiter nach Beendigung ihrer Fachleitertätigkeit mehrere Monate
auch nicht an ihren Schulen eingesetzt werden könnten, da sie zuvor ihren
Ermäßigungsstundenberg abbauen müssten. Ähnliche Schwierigkeiten entstünden bei
der meist sehr kurzfristigen Übernahme von Funktionsstellen. Es werde um eine
grundsätzliche Regelung in derart gelagerten Fällen gebeten. Mit Erlass vom 00.00.00
führte das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen
aus, dass sich die Anrechnung der Tätigkeit von Lehrkräften an Studienseminaren auf
die Pflichtstundenzahl ausschließlich nach § 2 der Verordnung zur Ausführung des § 5
Schulfinanzgesetz in Verbindung mit dem Runderlass vom 31. Oktober 1985 richte. Es
sei dafür Sorge zu tragen, dass Fachleiter künftig nur in dem dafür vorgesehenen
Rahmen tätig würden. Die Ansammlung von Ermäßigungsstunden sei durch die
Berufung einer hinreichenden Zahl von Fachleitern zu vermeiden.
Mit Schreiben vom 03. April 19.., das eine Rechtbehelfsbelehrung nicht enthält, teilte die
Bezirksregierung X der Klägerin unter Bezugnahme auf den vorgenannten Erlass mit,
dass sie ihrem Bescheid vom 00.00.00 nichts hinzuzufügen habe. Unter dem 00.00.00
legte die Klägerin durch Anwaltsschreiben Widerspruch gegen dieses Schreiben ein mit
dem Antrag, ihr zur Abgeltung der Mehrarbeit bezahlte Freistunden zu bewilligen. Sie
beanspruche jetzt keine Mehrarbeitsvergütung mehr, habe aber aus § 78a des
Landesbeamtengesetzes - LBG - einen Anspruch auf Dienstbefreiung für die Dauer der
Mehrarbeit.
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Am 00.00.00 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie ergänzend aus:
Sie stütze die Klageforderung außerdem auf § 85 LBG. Ob sie zusätzliche Freizeit im
Umfang von 7 Monaten und 10 Tagen (entsprechend 33/27 Halbjahre) oder
Überstundenvergütung in Höhe von 38,96 DM pro Stunde (entsprechend der Summe
vom 47.046,36 DM) erhalte, werde in die Entscheidung des Gerichts gestellt.
12
Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide der Bezirksregierung X vom 00.00.00
und 00.00.00 zu verpflichten, ihr zur Abgeltung der am Studienseminar bis zum 31. Juli
19.. geleisteten Mehrarbeit bezahlte Freistunden, hilfsweise Mehrarbeitsvergütung zu
bewilligen.
14
Das beklagte Land hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es hat vorgetragen: Ein Anspruch der Klägerin auf Dienstbefreiung bestehe nicht, da
Mehrarbeit weder angeordnet noch genehmigt worden sei.
17
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 08. Oktober 2003 die Klage abgewiesen und
zur Begründung ausgeführt: Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Freizeitausgleich nicht
zu. Ein solcher Anspruch ergebe sich nicht aus § 78a Abs. 1 Satz 2 LBG, da im Falle der
Klägerin Mehrarbeit nicht im Sinne dieser Vorschrift angeordnet oder genehmigt worden
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sei. Die vom Leiter des Studienseminars unterzeichneten Schriftstücke vom 23.
Dezember 19.. und 31. Juli 19.., die vorliegend allein als Anordnung von Mehrarbeit in
Betracht zu ziehen seien, enthielten keine Anordnung von Mehrarbeit als solcher. Sie
träfen allenfalls Regelungen der Arbeit der Klägerin im Sinne von Stunden- oder
Dienstplänen. Sie dienten der Information der anderen am Beamten- und
Schulrechtsverhältnis Beteiligten über den Arbeitseinsatz der Klägerin am
Studienseminar, wobei sich der wesentliche Gehalt in der Ermittlung der aus der
Tätigkeit am Studienseminar folgenden Ermäßigungsstunden erschöpfe. Dies ergebe
sich über den Wortlaut der Schreiben hinaus auch aus der Bezugnahme auf den
Runderlass des Kultusministers vom 31. Oktober 1985 (GABl. NW. S. 663) bzw. dem
Vorgängererlass, der die Festlegung der Ermäßigungsstunden zum Inhalt habe. Die
formularmäßig vorstrukturierten Schreiben des Studienseminarleiters dienten dem
Zweck, durch die Mitteilung der Ermäßigungsstunden eine übermäßige
Gesamtbelastung der Lehrkraft zu verhindern und allenfalls im Sinne eines Dienstplans
für einen Ausgleich im nächsten Schulhalbjahr zu sorgen.
Ein Anspruch auf Gewährung von Freizeitausgleich folge ebenso wenig aus dem
Grundsatz von Treu und Glauben. Dieser Annahme stehe auch das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2003 - 2 C 28.02 - nicht entgegen, da der Fall,
der Gegenstand dieser Entscheidung sei, mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sei.
Die entsprechende Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen
Recht müsse auf eng umgrenzte Bereiche beschränkt bleiben. Die außergewöhnliche
Konstellation des Falles der Beamten im Beitrittsgebiet, die sich auf eine rechtlich
umstrittene Arbeitszeitregelung hätten einstellen müssen, sei mit der Situation der
Klägerin nicht vergleichbar. Die Gewährung einer Mehrarbeitsvergütung nach § 78a
Abs. 2 LBG setze ebenfalls die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit voraus.
Sie scheitere im Falle der Klägerin daran, dass es an der erforderlichen Anordnung oder
Genehmigung von Mehrarbeit, die zudem nach der Verordnung über die Gewährung
von Mehrarbeitsvergütung für Beamte schriftlich erfolgen müsse, fehle.
19
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Klägerin geltend: Das Formular
"Ermäßigungsstunden für Fachleiter/innen" enthalte sowohl die die Mehrarbeit
auslösende Anordnung, nämlich durch Zuteilung einer über die bei Einhaltung der
regulären Arbeitszeit zulässige Zahl an Lehramtsanwärtern, als auch die Feststellung
der Rechtsfolge, nämlich die Gewährung von Freizeitausgleich in Form konkret
bezifferter Ermäßigungsstunden. Hierdurch sei die Voraussetzung der schriftlichen
Anordnung von Mehrarbeit erfüllt, ebenso wie aus der gleichzeitigen Gewährung von
Ermäßigungsstunden die Kenntnis bzw. das Bewusstsein des Dienstherrn hervorgehe,
dass sie - die Klägerin - Mehrarbeit leiste, welche mit Freizeit auszugleichen sei. Dass
das Formular das Wort "Mehrarbeit" nicht verwende, hindere nicht, dieses gleichwohl
als Anordnung von Mehrarbeit zu qualifizieren. Ein Hinweis auf die Notwendigkeit der
Verwendung des von dem beklagten Land erwähnten Formulars STD 424 sei zu
keinem Zeitpunkt erfolgt. Ebenso wenig sei sie darauf hingewiesen worden, dass ohne
die Verwendung dieses Formulars ein Anspruch auf Freizeitausgleich bzw. Vergütung
von Mehrarbeit nicht bestehe. Auch seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen
die Gewährung von Freizeitausgleich wegen zwingender dienstlicher Gründe nicht
mehr möglich sein sollte.
20
Gleichermaßen unzutreffend habe das Verwaltungsgericht einen Anspruch auf
Gewährung von Freizeitausgleich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben
abgelehnt. Es sei nicht ersichtlich, welche Umstände vorliegend entgegen der
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einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine
"kompensationslose Benachteiligung" ihrer Person rechtfertigten und damit vermeiden
könnten, dass ein Widerspruch zu den "Grundwertungen" des beamtenrechtlichen
Arbeitszeitrechts eintrete. Sie habe mit dem Formular "Ermäßigungsstunden für
Fachleiter/innen" seitens des Dienstherrn eine solch hohe Zahl von Lehramtsanwärtern
zugeordnet erhalten, dass sämtlichen Beteiligten von Beginn an klar gewesen sei, dass
dies zu Mehrarbeit und dementsprechend zu einem Anspruch auf Freizeitausgleich in
Form der Gewährung von Ermäßigungsstunden führen würde, wie auch sogleich in dem
Formular festgestellt worden sei. Nachdem die Mehrbeanspruchung eingetreten sei,
berufe sich der Dienstherr nunmehr auf das Fehlen einer schriftlichen Anordnung der
Mehrarbeit und damit auf ein eigenes Versäumnis zur Rechtfertigung der dadurch
entstehenden "kompensationslosen Benachteiligung". Verzichte der Dienstherr
vorsätzlich auf eine ausreichende Personalausstattung und kompensiere dies durch
eine Mehrbeanspruchung der vorhandenen Beamten, so könne er sich nicht auf das
Privileg der dienstlichen Anordnung als Voraussetzung des
Freizeitausgleichsanspruchs berufen. Im Übrigen seien die zahlreichen Fälle in der
Vergangenheit, in denen sich der Dienstherr zur Abwehr von Freizeitausgleichs- bzw.
Mehrarbeitsvergütungsansprüchen auf das Fehlen einer ausdrücklichen schriftlichen
Anordnung mit der Rechtsqualität eines Verwaltungsaktes berufen habe, mit der ratio
legis des § 78a Abs. 1 LBG nicht zu vereinbaren.
Schließlich bestehe auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von
Mehrarbeitsvergütung gemäß § 78a Abs. 2 LBG.
22
Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
24
Das beklagte Land beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung führt es ergänzend aus: Die erforderliche dienstliche Anordnung oder
Genehmigung der Mehrarbeit liege nicht vor. Die Zuständigkeit für die Anordnung und
Genehmigung von Mehrarbeit für Fachleiter an den Studienseminaren sei nach den
einschlägigen Regelungen den Bezirksregierungen übertragen, wobei für die
Anordnung regelmäßiger Mehrarbeit der Vordruck STD 424 zu verwenden sei. Diese
Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Das von der Klägerin angeführte, vom
Leiter des Studienseminars unterzeichnete Formular über die Ermäßigungsstunden der
Fachleiter/innen mit der Feststellung der der Klägerin zustehenden
Ermäßigungsstunden habe lediglich einen nach außen informativen und nach innen
organisatorischen Charakter. Zudem ständen Ermäßigungsstunden nicht in Verbindung
mit erhöhtem Arbeitsaufkommen, sondern mit Aufgaben unterrichtsfremder Art. Sie
dienten dazu, durch Verringerung der Pflichtstundenzahl die Erledigung der Aufgaben,
z.B. Unterrichtsbesuche, Einzelgespräche und Seminarvorbereitungen, zu ermöglichen,
die sich aus einem neben dem Unterricht gelagerten Tätigkeitsfeld ergäben.
Ermäßigungsstunden bedeuteten keineswegs Freizeit i.S. von Nicht-Arbeitszeit und
stellten keine Entschädigung für Mehrarbeit dar. Freizeitausgleich sei nur für Mehrarbeit
möglich; dieser Tatbestand sei vorliegend nicht erfüllt.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten
28
wird auf die Streitakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
29
Die Berufung ist weitgehend begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage in dem
aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattgeben müssen.
30
Der auf Dienstbefreiung bzw. Freizeitausgleich gerichtete Hauptantrag ist als
Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -
zulässig und überwiegend begründet. Die Bescheide der Bezirksregierung X vom
00.00.00 und 00.00.00 sind weitgehend rechtswidrig und verletzen die Klägerin insoweit
in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn sie hat gegen das beklagte
Land einen Anspruch auf Bewilligung von Dienstbefreiung im Umfang von 33
Ermäßigungswochenstunden für ein Schulhalbjahr abzüglich fünf Stunden pro Monat.
31
Allerdings folgt dieser Anspruch nicht aus § 78a Abs. 1 des Beamtengesetzes für das
Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz - LBG). Nach Satz 1 dieser
Regelung ist der Beamte verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige
Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern.
Wird er durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf
Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihm
innerhalb eines Jahres (vgl. § 78a Abs. 1 LBG in der Änderungsfassung vom 17.
Dezember 2003, GV NRW S. 814, 817; bis 31. Dezember 2003: innerhalb von drei
Monaten,) für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit
entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren (§ 78a Abs. 1 Satz 2 LBG).
32
Den von der Klägerin geltend gemachten, nach dem Schreiben des Leiters des
Studienseminars für das Lehramt für die Primarstufe Y vom 31. Juli 19.. in das
Schulhalbjahr 01. Februar bis 31. Juli 19.. übertragenen 33
Ermäßigungswochenstunden liegt keine Mehrarbeit im Sinne des § 78a LBG zu
Grunde. Insbesondere fehlt es an einer Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit.
33
Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit ist ein Verwaltungsakt.
34
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 08. März 1967 - 6 C 79.63 -,
Zeitschrift für Beamtenrecht (ZBR) 1967, 317 (319); Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 05. August 1998 - 12 A 3011/95 -,
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechnungs-Report Verwaltungsrecht
(NVwZ-RR) 2000, 635 (624); Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 04.
September 1986 - M 12 E 86.4558 -, Der Öffentliche Dienst (DÖD) 1986, 279 (280).
35
Sie ist von der bloßen Anordnung von Arbeit, die durch innerdienstliche Weisung erfolgt,
zu unterscheiden.
36
Bei der Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit hat der Dienstherr eine
(einzelfallbezogene) Ermessensentscheidung zu treffen, und zwar auf der Grundlage
und unter Abwägung der im konkreten Zeitpunkt maßgebenden Umstände.
37
Vgl. BVerwG, Urteile vom 02. April 1981 - 2 C 1.81 -, ZBR 1981, 317, und vom 28. Mai
2003 - 2 C 28.02 -, Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 2003, 1035; OVG NRW, Urteil vom
05. August 1998, a.a.O. (624); Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, Bundesbeamtengesetz,
38
Loseblatt-Kommen-tar, München, Stand: Juni 2005, § 72 Rdnr. 20.
Vor dem Hintergrund, dass Mehrarbeit im Verhältnis zur Einhaltung der regelmäßigen
Arbeitszeit einen Ausnahmetatbestand darstellt, hat der Dienstherr bei seiner
Ermessensentscheidung zu prüfen, ob nach den dienstlichen Notwendigkeiten
Mehrarbeit überhaupt zwingend erforderlich ist und welchem Beamten sie auferlegt
werden soll. Wegen des grundsätzlichen Vorrangs des Ausgleichs von Mehrarbeit durch
Dienstbefreiung vor einem Ausgleich durch Zahlung von Mehrarbeitsvergütung (vgl. §
78a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 LBG, § 3 Abs. 1 Nr. 3
Mehrarbeitsvergütungsverordnung - MVergV - in der Fassung der Bekanntmachung vom
03. Dezember 1998, BGBl. I 3494) ist es außerdem sachgerecht und geboten, bereits
bei der Anordnung oder Genehmigung der Mehrarbeit zu prüfen, ob diese
voraussichtlich durch Dienstbefreiung innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist
ausgeglichen werden kann.
39
Vgl. BVerwG, Urteil vom 02. April 1981, a.a.O. (317); OVG NRW, Urteil vom 05. August
1998, a.a.O. (624).
40
Dabei müssen sich Anordnung und Genehmigung von Mehrarbeit auf konkrete, zeitlich
abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen. Allgemeine (pauschale) Anweisungen
hinsichtlich künftiger oder bereits geleisteter Mehrarbeit allein genügen nicht.
41
So schon OVG NRW, Urteil vom 05. August 1998, a.a.O. (624).
42
Davon, dass die Anordnung bzw. Genehmigung von Mehrarbeit diesen
einschränkenden Voraussetzungen unterliegt, gehen Rechtsprechung und Literatur
ganz überwiegend aus.
43
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. März 2004 - 1 A 2426/02 - , in: Schütz/Maiwald,
Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Entscheidungssammlung, Stand: Dezember
2005, ES/B I 2.4 Nr. 61 m.w.N.; teilweise anders Bauschke, in: Fürst u.a.,
Gemeinschaftskommentar Öffentliches Dienstrecht (GKÖD), Beamtenrecht des Bundes
und der Länder, Loseblatt- Kommentar, Band I, Berlin, Stand: 2005,
Bundesbeamtengesetz (BBG) § 72 Rdnr. 85 ff.
44
Hieraus folgt, dass eine Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit von einem
entsprechenden Willen des Dienstherrn getragen sein muss. Hieran fehlt es, wenn die
in Betracht kommende schriftliche Verfügung keinerlei Anhaltspunkte dafür enthält, dass
sich der Dienstherr dessen bewusst (gewesen) ist, dass er von dem Beamten im
Einzelfall ein Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit verlangt oder dass er solches
zumindest billigend in Kauf nimmt.
45
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 05. August 1998, a.a.O. (624); Oberverwaltungsgericht
Bremen, Beschluss vom 28. Juli 1983 - 2 BA 62 und 66/80 -, DÖD 1983, 248.
46
Ausgehend von diesen Grundsätzen kann eine (schriftliche) Anordnung oder
Genehmigung von Mehrarbeit durch das beklagte Land gegenüber der Klägerin nicht
festgestellt werden.
47
Dies gilt zunächst hinsichtlich der Beauftragungen der Klägerin mit der Wahrnehmung
von Fachleiteraufgaben einschließlich der Mitwirkung an Hauptseminaren an den
48
Studienseminaren für das Lehramt für die Primarstufe in Y und T durch die
Bezirksregierung X. Denn dadurch wurden ihr mit ihrem Einverständnis ohne
Eingrenzung oder Festlegung des daraus folgenden zukünftigen Arbeitsaufwandes
diese Aufgaben und Funktionen lediglich allgemein zusätzlich zugewiesen. Entgegen
ihrer Ansicht enthalten auch die Formulare "Pflichtstunden der Fachleiter/innen an
Studienseminaren", insbesondere das Formular "Ermäßigungsstunden für
Fachleiter/innen" des Studienseminars für das Lehramt der Primarstufe Y vom 31. Juli
19.., keine Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit. Dagegen spricht zunächst,
dass sie nicht, wie von § 1 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 der Verordnung über beamtenrechtliche
Zuständigkeiten im Geschäftsbereich des Ministeriums für Schule und Weiterbildung
vom 17. April 1994 (SGV. NRW 2030) vorausgesetzt, von der Bezirksregierung X als
dienstvorgesetzter Stelle der Klägerin ausgestellt worden sind, sondern von dem Leiter
des Studienseminars. Auch sind die Formularverfügungen nicht an die Klägerin
gerichtet, sondern lediglich nachrichtlich an die Bezirksregierung X, das Schulamt für
die Stadt Y, die M-Grundschule in S und die Klägerin gesandt worden. Nach dem
Wortlaut betrafen sie auch nicht eine "Mehrarbeit" der Klägerin, sondern Pflicht- bzw.
"Ermäßigungsstunden", mithin eine Reduzierung der der Klägerin als
Grundschullehrerin obliegenden wöchentlichen 27 Pflichtunterrichtsstunden. Zudem
spricht gegen eine Anordnung von Mehrarbeit die Regelung des § 78a Abs. 1 Satz 2
LBG in seiner damals anzuwendenden Fassung, wonach Dienstbefreiung innerhalb von
drei Monaten zu gewähren war. Der Verrechnungszeitraum der Formularschreiben
umfasste demgegenüber jeweils Schulhalbjahre.
Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, hatten die Schreiben des Leiters
des Studienseminars den Sinn, die weiteren am Beamten- und Schulrechtsverhältnis
Beteiligten über die aus der Lehrerfortbildungstätigkeit der Klägerin an dem
Studienseminar folgende Stundenentlastung hinsichtlich ihrer Lehrertätigkeit an der M-
Grundschule, wie dies nach dem Runderlass des Kultusministeriums vom 31. Oktober
1985 (GABl. NW S. 663) in der einschlägigen Fassung vorgesehen war, zu informieren.
Zugleich war die Mitteilung für die Bezirksregierung X zur Bemessung der
Fachleiterzulage für die Klägerin von Bedeutung. Folglich stellen diese
Formularschreiben die Anzahl der zu Gunsten der Klägerin anzusetzenden
Ermäßigungsstunden zwischen den Beteiligten unstreitig, wie an der in Bezug auf die
Klägerin seit 19.. bestehenden Verwaltungs- und Verrechnungspraxis zu ersehen ist.
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Hinzu kommt, dass die Formularschreiben, insbesondere dasjenige vom 31. Juli 19..,
eine seit Januar 19.. fortgeschriebene pauschalierte Anrechnung von
Ermäßigungsstunden aus zuletzt sechs Schulhalbjahren umfaßten, in denen die
Klägerin durch ihre Fachleitertätigkeit mehr Ermäßigungsstunden "erwirtschaftet" hatte
als Pflichtstunden an der M-Grundschule zur Verrechnung zur Verfügung standen. Eine
solche Vorgehensweise ist mit der Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nicht
gleichzusetzen. Mehrarbeit darf nur angeordnet oder genehmigt werden darf, wenn und
soweit sie zur Erledigung wichtiger, unaufschiebbarer Aufgaben unvermeidlich
notwendig ist und wenn die Umstände, welche sie zwingend erfordern,
vorübergehender Natur sind und eine Ausnahme gegenüber den sonst üblichen
Verhältnissen darstellen. Sie darf nicht zur Regel werden, da es sich sonst um eine
unzulässige Verlängerung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit unter Umgehung der
diesbezüglichen arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen handeln würde.
50
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 05. August 1998, a.a.O. (625 m.w.N.); Schütz/Maiwald,
Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Loseblatt-Kommentar, Stand: Dezember
51
2005, § 78a Rdnr. 6.
Der übermäßige Einsatz der Klägerin in den Studienseminaren entsprach
demgegenüber - wie sich aus dem Schreiben der Bezirksregierung X vom 28. Januar
19.. an das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen
ergibt - einer gängigen "Verwaltungspraxis" des beklagten Landes, um
Neueinstellungen zu umgehen in der Hoffnung, dass die Fachleiter bei abnehmenden
Zahlen von Lehramtsanwärtern die angestauten Ermäßigungsstunden abbauen
konnten. Diese Vorgehensweise war rechtwidrig, führt aber nicht automatisch dazu,
dass sie deswegen in eine Anordnung von Mehrarbeit umschlüge.
52
Nach Vorstehendem geht die Klägerin auch fehl, wenn sie auf eine vermeintlich
zwingende Verknüpfung der Gewährung von Ermäßigungsstunden mit der Anordnung
von Mehrarbeit hinweist. Der Anspruch auf Gewährung von Ermäßigungsstunden setzte
in ihrem Falle lediglich voraus, dass die insoweit in dem Runderlass des
Kultusministeriums vom 31. Oktober 1985 niedergelegten Voraussetzungen erfüllt
waren, nicht jedoch auch, dass eine damit gegebenenfalls verbundene Überschreitung
der regelmäßigen Arbeitszeit im Sinne des § 78a Abs. 1 Satz 2 LBG angeordnet oder
genehmigt war.
53
Auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 85 LBG) lässt sich der Klageanspruch
ebenfalls nicht stützen. Für einen Schadensersatzanspruch fehlt es an einem zu
ersetzenden Schaden.
54
Vgl. insoweit: BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003, a.a.O. (1036).
55
Ein Anspruch der Klägerin auf Dienstbefreiung ergibt sich jedoch aus dem Grundsatz
von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Dieser
Rechtsgrundsatz gilt auch im öffentlichen Recht, insbesondere im Beamtenrecht.
56
Ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Urteil vom 28. Mai 2003, a.a.O (1036), unter
Hinweis auf Urteile vom 24. September 1959 - 2 C 405.57 -, BVerwGE 9, 155 (160), vom
07. Juni 1962 - 2 C 15.60 -, BVerwGE 14, 222 (227) und vom 31. Januar 1974 - 2 C
36.70 -, Buchholz 237.5 § 81 HessBG Nr. 1.
57
Er vermag in dem engen, auf Dauer angelegten Rechtsverhältnis, in dem Dienstherr und
Beamter verbunden sind, Nebenpflichten zu begründen.
58
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003, a.a.O. (1036).
59
Im Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem beklagten Land leitet sich daraus
die Pflicht zu einem Ausgleich der geleisteten Zuvielarbeit ab. Das
Bundesverwaltungsgericht hat in seiner vorerwähnten Entscheidung zu der dem § 78a
LBG entsprechenden Regelung des § 72 Abs. 2 und 3 des Bundesbeamtengesetzes -
BBG - u.a. ausgeführt:
60
"Zieht der Dienstherr Beamte über die regelmäßige Dienstzeit hinaus zum Dienst heran,
ohne dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit
erfüllt sind, so ist diese Inanspruchnahme rechtswidrig. Die Beamten haben einen
Anspruch darauf, dass sie unterbleibt. Das Gesetz enthält keine Regelung der
Konsequenzen, die eintreten, wenn der Dienstherr diese Unterlassungsverpflichtung
61
verletzt. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass die rechtswidrige Festlegung einer
Arbeitszeit, die über die normativ zulässige Arbeitszeit hinausgeht, ohne Folgen bleibt.
Eine ohne jeden Ausgleich bleibende Mehrbeanspruchung des Beamten über einen
langen Zeitraum würde Grundwertungen widersprechen, die in den Vorschriften des
beamtenrechtlichen Arbeitszeitrechts zum Ausdruck kommen. Ein Wertungswiderspruch
bestünde insbesondere zu § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG, der bei einer über die
Wochenarbeitszeit hinausgehenden Beanspruchung in der Form kurzzeitiger Mehrarbeit
von mehr als fünf Stunden pro Monat einen Freizeitausgleich vorsieht. Damit ist zwar
nicht die entsprechende Anwendung dieser Ausgleichsregelung in Fällen gerechtfertigt,
in denen Beamte Dienst nach einer rechtswidrig festgesetzten Wochenarbeitszeit
leisten müssen. Der Ausgleich nach § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG ist auf Mehrarbeit im Sinne
des § 7 AZV zugeschnitten. Diese darf nur für kurze Zeit und nur in Ausnahmefällen
angeordnet werden. Dementsprechend zeigt die Festlegung der Zeitspanne, innerhalb
derer die Mehrarbeit auszugleichen ist, einerseits, dass der Gesetzgeber die
Ansammlung von Freizeitausgleichsstunden in größerer Zahl im Interesse eines
kontinuierlichen Dienstbetriebs vermieden wissen will. Andererseits ist der innerhalb
einer bestimmten Frist vorzunehmende Ausgleich auch ein Hinweis darauf, dass die
vorgesehene Kompensation mit dem Ausnahmecharakter der auszugleichenden
Mehrarbeit zusammenhängt: Die alsbaldige Realisierung des Ausgleichs soll eine
rasche Rückkehr zur Normalität des Dienstablaufs möglich machen.
Auch wenn § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG auf Fälle einer rechtswidrigen Heranziehung zu
einer gesetzwidrig festgesetzten Wochenarbeitszeit nicht entsprechend anwendbar ist,
lässt die Vorschrift doch erkennen, dass Überschreitungen der regelmäßigen Arbeitszeit
den Beamten nicht prinzipiell ohne jeglichen Ausgleich durch Dienstbefreiung
zugemutet werden sollen. Eine kompensationslose Benachteiligung der
mehrbeanspruchten Beamten wäre zudem mit dem sozialen Zweck der
Arbeitszeitregelung einschließlich des Ausgleichs der Überbeanspruchung durch
Dienstbefreiung schwerlich vereinbar (vgl. auch Urteil vom 10. Dezember 1970 -
BVerwG 2 C 45.68 - BVerwGE 37, 21 [28]). § 72 Abs. 2 BBG ist deshalb nach Treu und
Glauben in einer Weise zu ergänzen, welche die beiderseitigen Interessen zu einem
billigen Ausgleich bringt und dabei dem Sinn und Zweck der Arbeitszeitregelung
gerecht wird (Urteil vom 10. Dezember 1970, a.a.O.). Dies bedeutet, dass die im
Beitrittsgebiet tätigen Bundesbeamten, die Dienst mit einer rechtswidrig festgesetzten
Wochenstundenzahl leisten mussten, Anspruch auf eine angemessene Dienstbefreiung
haben."
62
Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts beschränken sich diese
Überlegungen nicht auf die außergewöhnliche Konstellation der Beamten im
Beitrittsgebiet, sondern stellen allgemein auf einen Wertungswiderspruch einer ohne
Ausgleich bleibenden Mehrbeanspruchung des Beamten sowie die Unvereinbarkeit der
kompensationslosen Benachteiligung mit dem sozialen Zweck der
Arbeitszeitregelungen ab. Der weitere Einwand des Verwaltungsgerichts, der Klägerin
hätten einfachere Möglichkeiten zur Wahrung ihrer Rechte zur Verfügung gestanden,
betrifft nicht die Anwendbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben, sondern
lediglich die Frage eines eventuellen Mitverschuldens der Klägerin. Ausgehend davon
ist der Klägerin ein Anspruch auf Dienstbefreiung auf der Grundlage der 33
Ermäßigungswochenstunden zuzubilligen:
63
Das beklagte Land hat die Klägerin neben ihrer Tätigkeit als Grundschullehrerin an der
M-Grundschule, X, mit der Wahrnehmung diverser Fachleitertätigkeiten an dem
64
Studienseminar und zusätzlich an dem Hauptseminar in X, ab Oktober 19.. außerdem
am Studienseminar (Bereich Hauptseminar) in Y, beauftragt. Aufgrund dieser
Fachleitertätigkeiten sammelten sich bereits im Zeitraum Februar 19.. bis Januar 19..
erhebliche, teilweise die Pflichtstundenzahl überschreitende
Ermäßigungswochenstunden an, die später jedoch wieder abgebaut werden konnten.
Ab Februar 19.. ergaben sich aber sodann durchgängig mehr Ermäßigungsstunden für
die Klägerin als die ihr in der Funktion als Grundschullehrerin abverlangten
Pflichtwochenstunden. Diese Situation war dem beklagten Land ausweislich des
Schreibens der Bezirksregierung X vom 28. Januar 19.. nicht nur bekannt. Vielmehr
bestand eine derartige, über den Fall der Klägerin hinaus gehende ständige Praxis, da
"besonders im Primarstufenbereich selten ausreichend Fachleiter zur Ausbildung der
Lehramtsanwärter zur Verfügung" standen und "Fachleiter entsprechend der ihnen
zugeteilten Lehramtsanwärter mehr Ermäßigungsstunden" erhielten "als Pflichtstunden
der Schulform zugeordnet" waren. Notwendige, dem beklagten Land gleichermaßen
bekannte und in Kauf genommene Folge war, dass die Ermäßigungsstunden "nicht
mehr zeitnah abgebaut werden" konnten. Ursache dieser Missstände waren also
gravierende organisatorische Defizite in der Lehrerausbildung, die das beklagte Land
sehenden Auges in Kauf nahm.
Im Falle der Klägerin bedeutete dies, dass nach der zusätzlichen Wahrnehmung der
Fachleitertätigkeit für die Hauptseminararbeit am Studienseminar X ab dem 23. Oktober
19.. und der anschließenden Beförderung und Versetzung der Klägerin keine
Möglichkeit mehr bestand, Ermäßigungsstunden über die Lehrertätigkeit an der M-
Grundschule, X, zu verrechnen. Die überobligationsmäßige Inanspruchnahme der
Klägerin blieb deshalb - allein auf Grund der in die Verantwortung des beklagten
Landes fallenden Organisationsdefizite - ohne angemessenen Ausgleich.
65
In Anbetracht dieser Gesamtumstände ist die Weigerung des beklagten Landes, der
Klägerin die beanspruchte Dienstbefreiung zu gewähren, grob unbillig und für sie nicht
zumutbar.
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Der Anspruch der Klägerin auf Dienstbefreiung ist auch keinen sonstigen Einwänden
ausgesetzt. Zunächst können ihr nicht im Wege des Mitverschuldens einfachere
Möglichkeiten zur Wahrung ihrer Rechte - etwa Herbeiführung einer eindeutigen
schriftlichen Anordnung von Mehrarbeit oder Einschränkung des Umfangs ihrer
Fachleitertätigkeit - entgegen gehalten werden. Ausgehend von der jahrelangen
Verwaltungspraxis der Verrechnung der Ermäßigungsstunden auf der Grundlage der
Formularschreiben des Leiters des Studienseminars, die von der dienstvorgesetzten
Stelle zu keinem Zeitpunkt angezweifelt worden sind, hatte die Klägerin keinen Anlass,
auf einer schriftlichen Anordnung von Mehrarbeit zu bestehen. Eine Einschränkung der
Fachleitertätigkeit stand nicht zur Diskussion, da einvernehmlich davon ausgegangen
worden ist, dass nachlassende Zahlen von Lehramtsanwärtern einen Abbau der
angestauten Ermäßigungsstunden ermöglichen. Dabei sind die 33
Ermäßigungsstunden in einem Zeitraum aufgebaut worden, als eine Fachleitertätigkeit
am Studienseminar in X und die Wahrnehmung der dortigen Konrektorenstelle noch
nicht in Rede standen. Eine Verweisung der Klägerin auf die Möglichkeit, der
Übertragung der Fachleiteraufgaben zu widersprechen oder dagegen sogar
Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, wäre unter diesen Umständen lebensfremd.
67
Ein Ausgleich nach § 242 BGB im Wege einer Dienstbefreiung, dessen Umfang der
Dauer der geleisteten Zuvielarbeit gänzlich entspricht, ist bei Praktizierung einer
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rechtswidrigen Mehrbeanspruchung jedoch nicht angemessen. In Anlehnung an die
dem § 78a Abs. 1 LBG entsprechende Regelung des § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG geht das
Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 28. Mai 2003, a.a.O. (1036),
69
davon aus, dass es zur Gewährung eines Ausgleichs nur ausnahmsweise kommen
kann, da Mehrarbeit nur in Ausnahmefällen und nur als zeitlich eng begrenzte
Maßnahme angeordnet werden darf; demgemäß ist eine Dienstbefreiung ebenfalls
zeitlich eng begrenzt. Danach erscheint vorliegend eine Dienstbefreiung angemessen,
die ebenso lang ist wie die Zeit, die die Klägerin (als Fachleiterin) allmonatlich
insgesamt über die ohne Ausgleich höchstzulässige Mehrarbeit von fünf Stunden
hinaus gearbeitet hat. Somit sind von den festgestellten 33
Ermäßigungswochenstunden für das Schulhalbjahr 01. August 19.. bis 31. Januar 19.. 5
Stunden pro Monat (= 4,3 Wochen), entsprechend 1,16 Stunden pro Woche in Abzug zu
bringen. Mit den verbleibenden 31,84 Ermäßigungswochenstunden, die die damalige
Pflichtstundenzahl der Klägerin als Grundschullehrerin von 27 Wochenstunden (als
Bezugsgröße für die Wochenarbeitszeit) um den Faktor 31,84/27 (gerundet 1,18)
übersteigen, ergibt sich ein Zeitraum von 7,08 Monaten (7 Monate und 2 Tage), für den
der Klägerin Dienstbefreiung unter Fortbezahlung ihrer Dienstbezüge zu gewähren ist.
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Die Gewährung der Dienstbefreiung, insbesondere die Festlegung der zeitlichen Lage
und anderer Details, steht in der organisatorischen Entscheidungsfreiheit des
Dienstherrn, der sich dabei allerdings wesentlich an den berechtigten Wünschen der
Klägerin zu orientieren haben wird. Sofern derzeit zwingende dienstliche Gründe im
gegenwärtigen Amt der Klägerin einer längerfristigen Dienstbefreiung entgegen stehen
sollten, muss aber sichergestellt werden, dass eine Dienstbefreiung spätestens vor
Eintritt in den Ruhestand im Blockmodell erfolgt. Damit wäre den vom beklagten Land
zu berücksichtigenden organisatorischen und personellen Gegebenheiten hinreichend
Rechnung zu tragen, wie etwa die Regeln über die Altersteilzeit verdeutlichen (vgl. §
78d Abs. 2 LBG).
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Der Hilfsantrag ist abzuweisen. Für einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung fehlt es
bereits - wie zuvor ausgeführt - an einer Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit.
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Die Kostenentscheidung beruht angesichts der Geringfügigkeit des Unterliegens der
Klägerin auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 der
Zivilprozessordnung.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil weder die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2
VwGO noch des § 127 des Beamtenrechtsrahmengesetzes gegeben sind.
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