Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.09.2008

OVG NRW: beratung, ausschluss, geschäftsordnung, optionsvertrag, behandlung, gegenleistung, form, gemeinderat, obliegenheit, begriff

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 A 2129/08
Datum:
12.09.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 A 2129/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 3 K 1142/07
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Antragsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 10.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher
Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) nicht vorliegt. Die Klägerin hat keinen tragenden
Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit
schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.
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Zu Unrecht glaubt die Klägerin, gegen den Beklagten die Feststellung beanspruchen zu
können, dass es rechtswidrig gewesen sei, über den Antrag auf
Investionskostenübernahme sowie den Optionsvertrag im Haupt- und Finanzausschuss
am 19. April 2007 und im Rat am 3. Mai 2007 in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten und
zu beschließen.
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Für das Verfahren im Haupt- und Finanzausschuss gilt dies schon deshalb, weil eine
solche Feststellung allenfalls gegenüber diesem begehrt werden könnte. Eine
Feststellungsklage im Kommunalverfassungsstreitverfahren setzt ein organschaftliches
Recht voraus, dessen Verletzung durch den Beklagten vom Kläger geltend gemacht
wird.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 2006 - 15 A 817/04 -, juris Rdnr. 44 ff.
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Geht es um die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Handelns, ist erforderlich, dass das
Handeln ein subjektives Organrecht des klagenden Organs oder Organteils nachteilig
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betrifft. Dabei ist passiv legitimiert derjenige Funktionsträger innerhalb der kommunalen
Körperschaft, dem gegenüber die mit der Organklage beanspruchte Innenrechtsposition
bestehen soll.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8. Oktober 2002 - 15 A 4734/01 -, NWVBl. 2003, 309 (310).
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Soweit die Klägerin geltend macht, der Haupt- und Finanzausschuss habe zu Unrecht
die benannten Tagesordnungspunkte in nichtöffentlicher Sitzung behandelt, kann daher
die entsprechende Feststellung zwar gegenüber diesem Organ, nicht aber gegenüber
dem hier allein beklagten Rat begehrt werden. Unbeschadet dessen war die Klage aber
auch deshalb abzuweisen, weil - wie bei dem insoweit zutreffend beklagten Rat - die
nichtöffentliche Behandlung des Tagesordnungspunktes fehlerfrei war.
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Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein- Westfalen
(GO NRW) sind die Sitzungen des Rates öffentlich. Nach Satz 2 der Vorschrift kann
durch die Geschäftsordnung die Öffentlichkeit für Angelegenheiten einer bestimmten Art
ausgeschlossen werden. Das ist hier für Liegenschaftssachen nach § 6 Abs. 2 Buchst. b
der Geschäftsordnung des Rates und der Ratsausschüsse der Stadt E. vom 30.
November 1995 (GeschO) geschehen.
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Die Klägerin ist klagebefugt. Ratsfraktionen steht ein eigenes wehrfähiges subjektives
Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes des Sitzungsöffentlichkeit zu.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31.
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Dieses Recht hat die Klägerin auch nicht verloren. Zwar ergibt sich aus dem auf das
Verhältnis zwischen kommunalen Organen und Organteilen übertragbaren Grundsatz
der Organtreue, dass die Klägerin eine Obliegenheit traf, Bedenken gegen die
Rechtmäßigkeit der Verfahrensgestaltung in der verfahrensrechtlich gebotenen Form
geltend zu machen. Wird diese Obliegenheit verletzt, so ist die spätere Geltendmachung
der Rechtsverletzung treuwidrig und deshalb unzulässig.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 2006 - 15 A 817/04 -, juris Rdnr. 76.
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Hier beantragte die Klägerin jedoch unter dem 15. April 2007 zum
Grundstücksoptionsvertrag, in öffentlicher Sitzung des Rates möge beschlossen
werden, den Vertrag nur dann zu unterzeichnen, wenn der Investor näher bezeichnete
Kosten übernehme. Weiter beantragte die Klägerin in der Sitzung des Rates vom 3. Mai
2007, den Tagesordnungspunkt "Grundstücks-Optionsvertrag" in öffentlicher Sitzung zu
beraten. Der Rat lehnte dies ab. Die Klägerin hat somit alles Erforderliche getan, um die
vermeintliche Verletzung des geltend gemachten Rechts auf Sitzungsöffentlichkeit zu
verhindern.
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Der Ausschluss der Behandlung von Liegenschaftssachen von öffentlicher Beratung
war hier rechtmäßig. Zu Unrecht meint die Klägerin, es handele sich bei dem
Grundstücksoptionsvertrag nicht um eine Liegenschaftssache. Dieser Begriff umfasst
Grundstücksangelegenheiten, schwerpunktmäßig Verträge über Grundstücke,
insbesondere Kaufverträge. Der hier in Rede stehende Grundstücksoptionsvertrag stellt
im Kern das - auf Kosten des Angebotsempfängers abgegebene - bindende Angebot
zum Abschluss eines Grundstückskaufvertrages dar. Daher handele es sich zweifelsfrei
um eine Liegenschaftssache. Diese Eigenschaft verliert der Vertrag nicht dadurch, dass
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er durch den städtebaulichen Vertrag in ein übergreifendes Vertragswerk eingebettet ist.
Der Ausschluss der öffentlichen Beratung über den abstrakt-generell gefassten
Ausschlusstatbestand "Liegenschaftssachen" durch die Geschäftsordnung ist wirksam.
Dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW sind allerdings keine inhaltlichen
Kriterien dafür zu entnehmen, in Angelegenheiten welcher Art der Gemeinderat die
Öffentlichkeit durch die Geschäftsordnung ausschließen darf. Wegen der großen
Bedeutung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit ist hieraus aber nicht zu
schließen, dass der Gemeinderat insoweit keinen Bindungen unterläge. § 48 Abs. 2
Satz 2 GO NRW setzt vielmehr voraus, dass aus anderen Rechtsvorschriften oder
Rechtsgrundsätzen herzuleiten ist, in welcher Art von Angelegenheiten in
nichtöffentlicher Sitzung zu beraten ist.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. November 2006 - 15 B 2378/06 -, NWVBl. 2007, 117.
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Nach der Wertung des § 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 GO NRW zur Verschwiegenheitspflicht
ist der Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Beratung über Angelegenheiten, deren
Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich ist, zulässig, wobei ihrer Natur nach geheim
insbesondere Angelegenheiten sind, deren Mitteilung an andere dem Gemeinwohl oder
den berechtigten Interessen einzelner Personen zuwiderlaufen würde. Das trifft bei
abstrakt-genereller Betrachtung auf Liegenschaftssachen jedenfalls dann zu, wenn der
Begriff auf Verträge über Grundstücke beschränkt wird. Verträge über Grundstücke
enthalten vor allem Preisvereinbarungen. Dabei geht es normalerweise auch um
erhebliche Beträge. Es entspräche regelmäßig nicht dem Gemeinwohlinteresse, wenn
die Vertragskonditionen, die die Gemeinde im Einzelfall zu gewähren bereit ist,
öffentlich beraten würden, da dies die Verhandlungsposition der Gemeinde in etwaigen
weiteren Vertragsverhandlungen schwächen könnte. Daher werden in der Literatur
weitgehend Grundstücksverträge als Fallgruppe angesehen, die in nichtöffentlicher
Sitzung behandelt werden können.
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Vgl. Rehn/Cronauge/von Lennep, GO NRW, Loseblattsammlung (Stand: März 2008), §
48 Anm. V 2 b; Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 48 Anm. III 2 b; z. T. anderer Auffassung
(Verkauf und Vermietung gemeindlicher Grundstücke regelmäßig in öffentlicher Sitzung)
Plückhahn, in: Held u. a., Kommunalverfassungsrecht NRW, Loseblattsammlung (Stand:
Februar 2008), § 48 Anm. 12 d.
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Allerdings gilt dies nur generell-abstrakt. Dem Rat bleibt es unbenommen, im Einzelfall
zu beschließen, dennoch öffentlich zu beraten. Hier sieht § 6 Abs. 2 Satz 2 GeschO
ausdrücklich vor, dass der für Angelegenheiten bestimmter Art angeordnete generelle
Ausschluss der Öffentlichkeit nicht gilt, wenn im Einzelfall weder Gründe des
öffentlichen Wohls noch berechtigte Ansprüche oder Interessen Einzelner den
Ausschluss der Öffentlichkeit gebieten.
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Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse im
konkreten Fall bejaht, auch wenn es die genannte Öffnungsklausel nicht ausdrücklich
erwähnt hat: Inhalt des Optionsvertrages ist die Gegenleistung für den
Grundstücksverkauf in Form des Kaufpreises. Im Rahmen des Tagesordnungspunktes
"Grundstücks-Optionsvertrag" sollte und musste gerade die von der Klägerin geforderte
höhere Investionskostenübernahme als Teil der Gegenleistung erörtert werden, von der
nach dem Willen der Klägerin die Unterzeichnung des Vertrages abhängig gemacht
werden sollte. Es steht außer Zweifel, dass die Beratung darüber, ob überhaupt weitere
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Gegenleistungen und gegebenenfalls welche für den Verkauf eines gemeindlichen
Grundstücks gefordert werden sollen, im Interesse des Gemeinwohls in nichtöffentlicher
Sitzung erfolgen muss. Die Offenbarung der Beratung hätte die Verhandlungslage der
Gemeinde entscheidend schwächen können, da der Vertragspartner über die
gemeindlichen Erwägungen informiert worden wäre und seine Verhandlungsposition
darauf zu Lasten der Gemeinde hätte einstellen können. Ob sich diese Gefahr im
vorliegenden Fall bei dem tatsächlich Ablauf der Willensbildung realisiert hätte, ist
unerheblich, denn die Entscheidung über die Nichtöffentlichkeit der Sitzung war vor der
Behandlung des Tagesordnungspunktes zu treffen.
Vgl. dazu, dass etwa auch die Beratung über das prozesstaktische Vorgehen in einem
von der Gemeinde geführten Rechtsstreit nichtöffentlich erfolgen muss, OVG NRW,
Urteil vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31.
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Auch die übrigen Einwendungen der Klägerin, eine weitere Grundstücksveräußerung
durch die Stadt sei nicht geplant und das Geschäftsinteresse des Investors am Kauf
weiterer Grundstücke bekannt gewesen, rechtfertigten keine Beratung in öffentlicher
Sitzung. Auf die Richtigkeit der Begründungselemente des verwaltungsgerichtlichen
Urteils im einzelnen zur Frage der Rechtfertigung des Ausschlusses der Öffentlichkeit
kommt es angesichts der Eindeutigkeit des vorstehend genannten Gesichtspunkts nicht
an. Insbesondere rechtfertigt auch das geltend gemachte Interesse der Bürgerschaft an
der Seriosität der Kaufpreisermittlung keine öffentliche Beratung über die Zustimmung
zum Vertrag und über mögliche Mehrforderungen bei der Gegenleistung. Das könnte
allenfalls eine nachträgliche öffentliche Erörterung rechtfertigen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über den
Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes. Der
Senat setzt den Streitwert in einem Kommunalverfassungsstreit in Übereinstimmung mit
Nr. 22.7 des Streitwertkataloges 2004 in ständiger Rechtsprechung auf 10.000,-- Euro
fest.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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