Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18.01.2001

OVG NRW: stand der technik, kosten und nutzen, aktiven, technische norm, bebauungsplan, passiven, grundstück, stadt, verfügung, angemessene entschädigung

Oberverwaltungsgericht NRW, 20 D 74/98.AK
Datum:
18.01.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 D 74/98.AK
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Planfeststellungsbeschluss vom 30.
April 1998 für den Bau des Abschnitts 22 der Eisenbahn-Neubaustrecke
Köln- Rhein/Main um einen Vorbehalt des Inhalts zu ergänzen, dass,
falls die im Planfeststellungsbeschluss vorgesehene Prüfung ergibt,
dass keine in der erschütterungsmindernden Wirkung über die
festgestellte Gleisbettung hinausgehenden, dem Stand der Technik
entsprechenden Gleisbettungssysteme zur Verfügung stehen oder deren
Realisierung untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sein sollte,
eine Entscheidung über bauliche Maßnahmen am Haus des Klägers S.
45 getroffen wird, die gewährleisten, dass in den überwiegend zum
Schlafen genutzten Räumen des Hauses der durch den Betrieb des
benachbarten Schienenwegs verursachte Körperschall einen
Mittelungspegel von 27 dB(A) nicht überschreitet, und gegebenenfalls
gemäß § 74 VwVfG über eine Entschädigung des mit der
Überschreitung dieses Pegels verbundenen Minderwertes des Hauses
entschieden wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 7/8 der
Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten und
der Beigeladenen, die Beklagte und die Beigeladene je 1/16 der
Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im
Übrigen tragen die Beteiligten ihre Kosten jeweils selbst.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung
in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 30. April 1998, mit
dem das Eisenbahn-Bundesamt den Plan für den Bau eines Abschnitts der Eisenbahn-
Neubaustrecke Köln- Rhein/Main festgestellt hat.
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Die Neubaustrecke Köln-Rhein/Main soll als Bestandteil des Europäischen
Hochgeschwindigkeitsnetzes eine rechtsrheinisch geführte leistungsfähige
Eisenbahnverbindung zwischen den Räumen Rhein-Ruhr und Rhein-Main schaffen.
Dieses Projekt ist in der Anlage zum Bundesschienenwegeausbaugesetz (SchWAbG)
vom 15. November 1993 (BGBl. I S. 1874) als "vordringlicher Bedarf" aufgeführt. Im
streitgegenständlichen Planfeststellungsabschnitt 22, der von Planungs-km 19,870 bis
Planungs-km 22,793 reicht, verläuft die Trasse der Neubaustrecke in Grobrichtung
West-Ost vollständig auf dem Gebiet der Stadt U. . Zunächst soll die zweigleisige
Strecke über Bahnanlagen im Bereich des Bahnhofs U. und im weiteren Verlauf
gebündelt mit der Siegstrecke auf deren Südseite geführt werden. Die Siegstrecke
verfügte ursprünglich nur über ein Gleis; aufgrund eines Planfeststellungsbeschlusses
vom 9. August 1989 ist sie im Abschnitt U. -T. zweigleisig für einen S-Bahn-
Vorlaufbetrieb ausgebaut worden.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung U. , Flur , Flurstück . Das
Grundstück ist mit einer 2 ½-geschossigen Doppelhaushälfte bebaut, die über drei
Wohneinheiten verfügt. Es befindet sich unmittelbar nördlich der hier auf einem Damm
geführten Siegstrecke. Der Bebauungsplan Nr. T 89 Blatt 6 der Stadt U. weist das
Grundstück als Teil eines allgemeinen Wohngebietes aus. Diese Festsetzung enthält
der Plan seit seiner zweiten Änderung, für die der Aufstellungsbeschluss am 21. März
1995 und der Satzungsbeschluss am 7. April 1998 bekannt gemacht worden sind. Nach
den vorher geltenden Fassungen des Bebauungsplans gehörte das Grundstück zu
einem Mischgebiet. Die Grundstücke an der S. straße sind mit Ausnahme eines
Bolzplatzes östlich des Grundstücks des Klägers durchgängig mit Wohnhäusern bebaut.
Der streitbefangene Planfeststellungsbeschluss sieht vor, die Wohnbebauung u.a. an
der S. straße durch eine 4 m hohe Schallschutzwand von dem Schienenweg
abzuschirmen.
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Nach Auslegung des Planes für den Bau der Neubaustrecke bei der Stadt U. , die
wegen fehlerhafter Unterlagen in der Zeit vom 1. Oktober bis 2. November 1993
wiederholt wurde, erhob der Kläger Einwendungen und machte insbesondere geltend,
der Plan sehe keine ausreichenden Maßnahmen aktiven Schallschutzes vor und treffe
auch gegen Erschütterungen keine genügenden Vorkehrungen. Aufgrund von
Stellungnahmen und Einwendungen brachte die Beigeladene drei Deckblätter in das
Planfeststellungsverfahren ein, die u.a. verstärkte Maßnahmen aktiven Schallschutzes
betrafen. Im Anhörungsverfahren betreffend das vom 12. Mai bis 11. Juni 1997
ausgelegte zweite Deckblatt wiederholte und vertiefte der Kläger seine gegenüber der
Ursprungsplanung erhobenen Einwendungen.
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Mit Beschluss vom 30. April 1998 stellte das Eisenbahn- Bundesamt den Plan für den
Abschnitt 22 mit der Maßgabe fest, dass der Träger des Vorhabens nach
Inbetriebnahme der Strecke noch Messungen zur Erfassung der Erheblichkeit nicht
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vorhersehbarer Erschütterungseinwirkungen vorzunehmen hat. Danach gegebenenfalls
notwendige bauliche Maßnahmen wurden einer Planergänzung vorbehalten.
Ergänzend heißt es in der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses zu Objekten,
für die als unzumutbar erachtete Erschütterungen prognostiziert worden waren, nach
aktuellem Stand der Technik gebe es keine geeigneten Maßnahmen zur Vermeidung
bzw. hinreichenden Verminderung der Erschütterungswirkungen; der Vorhabenträger
werde deshalb verpflichtet, bis zum Baubeginn weiter zu prüfen, ob geeignete
technische Schutzanlagen in Form von schwingungsmindernden
Gleisbettungssystemen realisierbar seien, und die Planfeststellungsbehörde über die
Ergebnisse zu unterrichten. Soweit bei Baubeginn keine geeigneten technischen
Möglichkeiten zur Erschütterungsminderung gegeben seien, stehe den Betroffenen, in
deren Häusern die maßgeblichen Anhaltswerte der einschlägigen DIN-Norm
voraussichtlich überschritten würden, dem Grunde nach ein Entschädigungsanspruch
zu. Gleiches gelte, wenn mögliche Maßnahmen nach Entscheidung der
Planfeststellungsbehörde untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar seien. Bezogen
auf sekundären Luftschall als Folge von Erschütterungen sei davon auszugehen, dass
Mittelungspegel von 37 dB(A) in Wohnräumen und 27 dB(A) in überwiegend zum
Schlafen genutzten Räumen nicht überschritten werden sollten. Diese Pegel stellten
aber nur Richtwerte dar, deren Überschreitung nicht zwangsläufig zu einer nachhaltigen
Eigentumsbeeinträchtigung führe.
Die Einwendungen des Klägers wurden, soweit ihnen nicht durch die Deckblätter
bereits Rechnung getragen worden war, im Wesentlichen zurückgewiesen. Der
technische und wirtschaftliche Aufwand für eine weitere Erhöhung der
Schallschutzwand sowie die mit der Erhöhung verbundenen optischen
Beeinträchtigungen stünden außer Verhältnis zu der erzielbaren Lärmminderung. Um
den Lärm spürbar zu reduzieren, müsste die Wand überwiegend um mindestens 2 m
erhöht werden. Den dafür nötigen Mehraufwendungen von 3,5 Mio DM stünden
Ersparnisse beim passiven Schallschutz und bei den Entschädigungen für den
Außenwohnbereich von nur 18.500,-- DM gegenüber. Für das Wohnhaus des Klägers
sei nicht zu erwarten, dass die auftretenden Erschütterungen die maßgeblichen
Anhaltswerte überschritten.
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Der Planfeststellungsbeschluss wurde dem Kläger am 13. Mai 1998 zugestellt.
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Am 12. Juni 1998 hat der Kläger gegen den Planfeststellungsbeschluss Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er hauptsächlich vor: Die planfestgestellten Maßnahmen aktiven
Schallschutzes reichten nicht aus. Sie beruhten auf unzureichenden und fehlerhaften
Ermittlungen sowie einer Fehlgewichtung der Lärmschutzbelange der Betroffenen. Es
seien zu niedrige Prognosewerte zugrunde gelegt worden, da jedenfalls nach den
Umständen des Falles ein Schienenbonus nicht hätte in Ansatz gebracht werden
dürfen. Das Dachgeschoss seines Wohnhauses sei bei den Berechnungen
unberücksichtigt geblieben. Die Beklagte habe außerdem das rechtlich gebotene
Schutzniveau verkannt. Aufgrund der Änderung des Bebauungsplans Nr. T 89 Blatt 6
der Stadt U. , die in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des
Planfeststellungsbeschlusses bereits in Kraft gewesen sei, hätten die für allgemeine
Wohngebiete geltenden Immissionsgrenzwerte Anwendung finden müssen. Überdies
hätte die tatsächliche Vorbelastung insoweit außer Betracht bleiben müssen, als sie
über den im Planfeststellungsverfahren für den Ausbau der Siegstrecke prognostizierten
Nachtwert von 62 dB(A) hinausgehe. Das gelte jedenfalls mit Rücksicht auf den von ihm
gestellten, von der Beklagten abschlägig beschiedenen Antrag vom 14. Januar 2000,
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bezogen auf die nicht vorhergesehenen Immissionssteigerungen durch den Ausbau
dieser Strecke nachträgliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Die Erwägungen zur
Frage, ob eine Erhöhung der Schallschutzwände mit unverhältnismäßigen Kosten
verbunden wäre, wiesen Fehler auf. Insbesondere seien die den Aufwendungen für
verbesserten aktiven Schallschutz gegenübergestellten Kosten passiven
Schallschutzes zu niedrig angesetzt worden. Die Planungsalternative der Errichtung
einer Schallschutz- Mittelwand zwischen der Neubaustrecke und der Siegstrecke sei mit
fehlerhaften Erwägungen verworfen worden. Die Erschütterungsproblematik sei
gleichfalls nicht ordnungsgemäß bewältigt worden. Die Prognose knüpfe an
Erschütterungswerte an, die andernorts ermittelt worden seien, ohne die konkreten
Bodenverhältnisse und den schwingungsverstärkenden Einfluss der Fundamente der
geplanten Schallschutzwand zu berücksichtigen. Die der Beurteilung zugrunde gelegte
DIN 4150, Teil 2 enthalte einen Schienenbonus, für den sachliche Gründe nicht
erkennbar seien. Ebenso wenig lasse sich nachvollziehen, warum diese technische
Norm nicht auf die lauteste Nachtstunde abstelle. Mit Rücksicht darauf, dass die
Erschütterungsproblematik beim Ausbau der Siegstrecke von der
Planfeststellungsbehörde bewusst übergangen worden sei, hätte auch insoweit die
tatsächliche Vorbelastung nicht in vollem Umfang in Ansatz gebracht werden dürfen.
Die fehlerhafte planungsrechtliche Gebietseinstufung schlage hier ebenfalls zu Buche.
Die Beklagte habe ferner vernachlässigt, dass die Bewohner seines Hauses künftig den
ermittelten Maximalpegeln, die nicht mehr gesundheitsverträglich seien, viel öfter als
bisher ausgesetzt sein würden. Geeignete und erprobte erschütterungsmindernde
Systeme stünden seit langem zur Verfügung. Im Planfeststellungsbeschluss sei ferner
versäumt worden, den auftretenden Körperschall zu bewältigen, obgleich die von der
Beklagten für Schlafräume als maßgeblich erachteten Grenzwerte überschritten würden.
Das erstellte Körperschallgutachten gebe überdies Anlass zu Beanstandungen. Statt
der VDI 2719 hätte die VDI 2058 zugrunde gelegt werden müssen. Der Körperschall
infolge des Betriebs der ICE-Gleise sei ebenso außer Ansatz geblieben wie verstärkte
Schallimmissionen infolge von Überhol- und Begegnungsverkehr. Schließlich sei zu
beanstanden, dass der Planfeststellungsbeschluss keine ausreichende
Entschädigungsregelung treffe. Es sei absehbar, dass auch über den primären
Luftschall hinaus unzumutbare Beeinträchtigungen auftreten würden, die nicht durch
Schutzanlagen bzw. -vorkehrungen ausgleichbar seien. Insoweit sei eine summierende
Betrachtung der unterschiedlichen Beeinträchtigungen geboten.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten,
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1. über die von ihm geforderten weitergehenden aktiven Schallschutzmaßnahmen
(Luftschall) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,
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2. über die von ihm im Anhörungsverfahren geforderten weitergehenden aktiven
Maßnahmen zur Minderung der Erschütterungs- und Körperschallimmissionen auf sein
Grundstück unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,
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3. im Wege der Planergänzung festzusetzen, dass ihm dem Grunde nach ein
Entschädigungsanspruch wegen Wertminderung seines Grundstücks aufgrund
verbleibender unzumutbarer Immissionen zusteht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt im Wesentlichen vor: Bei der schalltechnischen Beurteilung sei das Grundstück
des Klägers zu Recht einem Mischgebiet zugeordnet worden. Auf das Verfahren zur
Änderung des Bebauungsplans T 89 Blatt 6 hätten weder der Kläger noch die Stadt U.
aufmerksam gemacht. Der Hinweis eines anderen Anliegers sei so wenig konkret
gewesen, dass er keinen Anlass zu einer weitergehenden Prüfung gegeben habe. Die
Planänderung sei außerdem nach § 19 AEG unbeachtlich. Ein Anspruch auf
nachträgliche Schutzvorkehrungen wegen angeblicher Fehlprognose bei der Planung
des Ausbaus der Siegstrecke bestehe nicht und habe deshalb das Schallschutzkonzept
der hier in Rede stehenden Planung nicht beeinflussen können. In der
schalltechnischen Untersuchung für diese Planung sei die Situation der Bebauung des
Klägergrundstücks zutreffend berücksichtigt worden. Ein stärkerer aktiver Schallschutz
würde unverhältnismäßig hohe Aufwendungen erfordern. Die zugrunde gelegten
Kostenansätze beruhten auf Erfahrungswerten des eingeschalteten Gutachters. Der Bau
einer Mittelwand sei verworfen worden, weil sie die Immissionspegel in der Umgebung
nicht spürbar reduzieren würde und der notwendige Sicherheitsabstand zwischen ihr
und den Gleisen mit Rücksicht auf die feststehende Grenze zur L 332 a nicht zur
Verfügung stehe; um ihn zu schaffen, müssten die Gleise der Siegstrecke auf
beträchtlicher Länge verschwenkt werden. Auch die zu erwartenden Erschütterungen
seien ordnungsgemäß abgewogen worden. Die Orientierung an der DIN 4150, Teil 2
gebe ebenso wenig Anlass zu Beanstandungen wie der Rückgriff auf Messdaten, die an
einer anderen ICE-Strecke gewonnen worden seien; die Beeinflussung der
Erschütterungswerte durch abweichende Bodenverhältnisse halte sich im Rahmen der
hinzunehmenden Prognoseungenauigkeit. Systeme, mit denen sich Erschütterungen
bereits am Gleis dämpfen ließen, seien bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses
nicht mit vertretbarem Aufwand realisierbar gewesen. Daran habe sich bis heute nichts
geändert. Das Problem des Körperschalls sei im Planfeststellungsbeschluss
ordnungsgemäß bewältigt worden. Da der Einfluss der ICE-Strecke auf die
Körperschallimmissionen im Haus des Klägers nur sehr gering sein werde, habe die
durchgeführte Körperschalluntersuchung zu Recht allein auf die Immissionen durch die
Siegstrecke abgestellt. Die Maximalpegel würden ohnehin allein von der Siegstrecke
verursacht. Es sei messtechnisch nicht zu belegen, dass Überholungs- und
Begegnungsverkehr zu erhöhten Werten führten. Da die bisherige Belastung des
Wohnhauses des Klägers mit Körperschall schon relativ hoch sei und die Zunahme
unterhalb der Spürbarkeitsschwelle liegen werde, sei ihm die künftige Belastung
zuzumuten. Die VDI-Richtlinie 2058 sei auf Schienenverkehrsimmissionen nicht
zugeschnitten und könne deshalb als Beurteilungsmaßstab nicht herangezogen
werden. Die im Planfeststellungsbeschluss getroffene Entschädigungsregelung bedürfe
keiner Ergänzung. Insbesondere seien keine Erschütterungs- oder
Körperschallimmissionen vorhersehbar, die einen Entschädigungsanspruch begründen
würden.
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Die Beigeladene beantragt gleichfalls,
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die Klage abzuweisen.
19
Sie unterstützt das Vorbringen der Beklagten und vertieft es namentlich hinsichtlich der
untersuchten Systeme zur Schwingungsdämpfung. Ergänzend trägt sie im Wesentlichen
vor: Mit seinem Vorbringen zur Änderung des Bebauungsplans Nr. T 89 Blatt 6 sei der
20
Kläger präkludiert, da er es versäumt habe, im Anhörungsverfahren auf das eingeleitete
Planänderungsverfahren hinzuweisen. Die Bebauungsplanänderung sei überdies
wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Problembewältigung nichtig; die
Nutzungsart hätte nur geändert werden dürfen, wenn im Bebauungsplan
Lärmschutzmaßnahmen entsprechend dem Schutzstandard eines allgemeinen
Wohngebiets vorgesehen worden wären. Mit seinem Vortrag zur Problematik des
Körperschalls sei der Kläger gleichfalls präkludiert. Im Anhörungsverfahren habe er
entsprechende Einwände nicht erhoben.
Am 6. November 2000 hat der Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt und
dabei die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Auf das Terminsprotokoll wird Bezug
genommen.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der zum vorliegenden Verfahren und zum Verfahren 20 D 75/98.AK
von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge einschließlich des
Planfeststellungsbeschlusses und der planfestgestellten Unterlagen sowie der von den
Beteiligten überreichten Stellungnahmen und sonstigen Unterlagen verwiesen.
22
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nur zu einem geringen Teil begründet. Der Kläger kann beanspruchen,
dass die Beklagte den Planfeststellungsbeschluss um einen Vorbehalt des aus der
Entscheidungsformel ersichtlichen Inhalts ergänzt. Der Planergänzung bedarf es, um
die Problematik des im Wohnhaus des Klägers auftretenden Körperschalls in einer § 74
Abs. 2 Sätze 2 und 3 VwVfG entsprechenden Weise bewältigen zu können. Im Übrigen
ist die Klage unbegründet.
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Der Antrag zu 1. muss erfolglos bleiben. Der damit verfolgte Anspruch auf erneute
Entscheidung über Maßnahmen verbesserten aktiven Lärmschutzes findet in der
maßgeblichen Regelung der §§ 41, 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BImSchG i.V.m. § 2
Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) keine Grundlage. Nach dieser
Regelung ist bei der wesentlichen Änderung eines Schienenwegs grundsätzlich durch
aktive Schallschutzmaßnahmen sicherzustellen, dass der nach § 3 der 16. BImSchV
berechnete Beurteilungspegel auf den in der Nachbarschaft gelegenen Grundstücken
bestimmte Immissionsgrenzwerte nicht überschreitet. Auf passiven Schallschutz muss
sich der Betroffene nur verweisen lassen, soweit die Kosten aktiver Schutzmaßnahmen
außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen (§ 41 Abs. 2 BImSchG).
Zwar werden die von dem Betrieb des veränderten Schienenwegs auf das Grundstück
des Klägers einwirkenden Lärmimmissionen die maßgeblichen Grenzwerte
überschreiten. Weitergehenden aktiven Lärmschutz hat die Beklagte aber in
Anwendung des § 41 Abs. 2 BImSchG zu Recht abgelehnt.
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Die Voraussetzungen, unter denen vorbehaltlich der Ausnahmeregelung des § 41 Abs.
2 BImSchG weitergehender aktiver Lärmschutz verlangt werden könnte, sind erfüllt.
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Die Immissionsgrenzwerte des § 2 der 16. BImSchV kommen zum Tragen, da durch das
planfestgestellte Vorhaben der dem Klägergrundstück benachbarte Schienenweg um
mehrere durchgehende Gleise baulich erweitert und damit wesentlich geändert wird (§ 1
Abs. 1, Abs 2 Satz 1 Nr. 1 der 16. BImSchV).
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Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte zu Recht die für Mischgebiete
geltenden Grenzwerte von 64 dB(A) tags und 54 dB(A) nachts gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3
der 16. BImSchV zugrunde gelegt. Welcher Gebietsart ein Grundstück zuzurechnen ist,
ergibt sich nach § 2 Abs. 2 Satz 1 der 16. BImSchV vorrangig aus den Festsetzungen
einschlägiger Bebauungspläne. Das Grundstück des Klägers liegt im Geltungsbereich
des Bebauungsplans Nr. T 89 Blatt 6 der Stadt U. . Dieser Bebauungsplan weist das
Grundstück in der Fassung seiner zweiten Änderung als Teil eines allgemeinen
Wohngebietes aus, während die früheren Fassungen des Plans insoweit die
Festsetzung eines Mischgebietes enthielten. In dem für die Beurteilung der Sach- und
Rechtslage grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des
Planfeststellungsbeschlusses vom 30. April 1998 war die Neufassung des
Bebauungsplans nach der Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB schon in Kraft
getreten; da der Bebauungsplan nicht nach § 10 Abs. 2 BauGB der Genehmigung durch
die höhere Verwaltungsbehörde bedurfte, knüpfte sein Inkrafttreten an die am 7. April
1998 erfolgte Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses an (§ 10 Abs. 3 Sätze 1 und
4 BauGB). Gleichwohl kann für die Gebietseinstufung nicht auf die Neufassung des
Bebauungsplans abgestellt werden.
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Es bestehen schon Zweifel, ob die zweite Planänderung überhaupt wirksam geworden
ist. Die mit ihr bewirkte Änderung der Nutzungsart führt zu einer erhöhten
gebietstypischen Schutzwürdigkeit der planbetroffenen Bebauung und verschärft damit
das Spannungsverhältnis zwischen der eisenbahnrechtlichen Fachplanung und der
Bauleitplanung. Ob das mit dem aus dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot (§ 1
Abs. 6 BauGB) abzuleitenden Grundsatz der Problembewältigung vereinbar ist, obwohl
der Bebauungsplan keine Schutzvorkehrungen gegen die Schallimmissionen des
Bahnbetriebs vorsieht, erscheint fraglich, braucht aber nicht entschieden zu werden.
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Unabhängig von dieser Frage kommt es auf den Bebauungsplan in der Fassung vor
seiner zweiten Änderung an. Für die Zeit vor Inkrafttreten der
Verkehrslärmschutzverordnung kam nach den von der Rechtsprechung hierzu
entwickelten Grundsätzen der Schutz der Festsetzung einer Nutzungsart in einem
Bebauungsplan den betroffenen Grundstückseigentümern gegenüber einer
konkurrierenden Fachplanung nur zugute, wenn letztere sich nicht schon früher
verfestigt hatte. Nur unter dieser Voraussetzung erlangten die Betroffenen durch den
Bebauungsplan eine Position, kraft deren sie darauf vertrauen konnten, dass eine
nachfolgende Verkehrswegeplanung auf die nach dem Bebauungsplan gegebene
Nutzbarkeit ihrer Grundstücke Rücksicht nahm. Hatte sich die Fachplanung hingegen
vorher verfestigt, so mussten sich die Betroffenen eine entsprechende plangegebene
Vorbelastung entgegenhalten lassen.
30
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 33 - 35.83 -, BVerwGE 77, 285 (292 f.).
31
Ähnliche Einschränkungen des durch geltende planerische Festsetzungen vermittelten
Schutzes gegenüber noch nicht rechtsverbindlichen Planungen haben auch in anderen
Regelungszusammenhängen Ausdruck gefunden, so in den Bestimmungen über
Veränderungssperren (vgl. etwa § 19 Abs. 1 AEG), in darauf bezogenen
Entschädigungsregelungen (vgl. etwa § 95 Abs. 2 Nr. 4 BauGB) und in der Vorschrift
über die Zurückstellung von Baugesuchen (§ 15 Abs. 1 BauGB). Entsprechender Schutz
wird einer verfestigten eisenbahnrechtlichen Fachplanung auch im Rahmen des § 2
Abs. 2 Satz 1 der 16. BImSchV zuteil. Der Wortlaut der Vorschrift zwingt zwar nicht zu
dieser Auslegung, schließt sie aber auch nicht aus; ihm ist nicht zu entnehmen, dass für
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die Gebietszuordnung stets und ausnahmslos auf die bei Erlass des
Planfeststellungsbeschlusses geltenden Festsetzungen abzustellen ist. Näheren
Aufschluss geben Sinn und Zweck der Regelung. Ihnen wird nur eine Auslegung
gerecht, die bereits verfestigte Verkehrswegeplanungen gegenüber nachfolgenden
Bauleitplanungen, die einen erhöhten Schutzstandard für die von der Fachplanung
betroffene Bebauung bewirken würden, absichert. § 2 der 16. BImSchV bemisst den
Schutzstandard differenzierend nach der Schutzwürdigkeit der jeweils betroffenen
Bebauung. Maßgeblich ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 die rechtlich zulässige Nutzung; das
Schutzniveau wird - abgesehen vom hier nicht einschlägigen Fall der Nr. 1 -
gebietstypisch festgelegt. Das hat zur Folge, dass die Gebietsausweisung in einem
Bebauungsplan gleichermaßen schutzbegründend und schutzbegrenzend wirkt. Dem
liegt der Gedanke zugrunde, dass die Fachplanung die bebauungsrechtliche Situation
zu respektieren und sich auf diese einzustellen hat; umgekehrt wird das Vertrauen der
betroffenen Grundstückseigentümer auf die Festsetzung der Nutzungsart im
Bebauungsplan geschützt. Dieser Grundgedanke trägt aber nur, soweit sich die
Bebauungsplanung früher verfestigt hat als die Fachplanung. Nur dann haben der
Planungsträger und die Planfeststellungsbehörde Anlass, sich auf die Bauleitplanung
einzustellen und der betroffenen Bebauung entsprechenden Schutz zuteil werden zu
lassen. Demzufolge kann nach § 2 Abs. 2 Satz 1 der 16. BImSchV eine zu verschärften
Immissionsgrenzwerten führende Bebauungsplanänderung nur berücksichtigt werden,
wenn sie sich früher verfestigt hat als die konkurrierende Fachplanung.
Davon ausgehend ist die zweite Änderung des Bebauungsplans Nr. T 89 Blatt 6
unbeachtlich; maßgebend ist vielmehr der Bebauungsplan in der Fassung seiner ersten
Änderung, wonach das Grundstück des Klägers als Teil eines Mischgebiets
ausgewiesen war. Die Fachplanung hatte sich nämlich mit Auslegung der
ursprünglichen Planunterlagen im Herbst 1993 verfestigt. Mit dem Verfahren zur
Änderung des Bebauungsplans wurde erst nach diesem Zeitpunkt begonnen; der
Aufstellungsbeschluss wurde im März 1995 öffentlich bekannt gemacht.
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Der Bebauungsplan in seiner Vorfassung war nicht etwa unwirksam. Die Behauptung
des Klägers, die ursprüngliche Festsetzung der Gebietsart habe nur dem Zweck
gedient, der faktisch vorhandenen Wohnbebauung Schutzansprüche gegenüber dem
Bahnbetrieb zu nehmen, findet in den Aufstellungsunterlagen keine Stütze. Sie
enthalten keinen greifbaren Hinweis, dass die Bebauung an der S. straße mit Rücksicht
auf den schon damals vorhandenen Schienenweg als Mischgebiet ausgewiesen
worden ist. Die fragliche Festsetzung greift ohnehin weit über den bahnnahen Bereich
hinaus. Im Übrigen ist dem Schreiben des Klägers vom 22. September 1994 an die
Stadt U. , das den Anstoß für die zweite Änderung des Bebauungsplans gegeben hat,
zu entnehmen, dass in dem betreffenden Gebiet früher neben Wohnhäusern Betriebe
(Spedition, Fuhrunternehmen) ansässig waren, die ihm auch faktisch den Charakter
eines Mischgebiets vermittelten. Von einer sogenannten Placebo-Planung kann
deshalb keine Rede sein. Den Erläuterungen des Vertreters der Stadt U. in der
mündlichen Verhandlung ist vielmehr zu entnehmen, dass die Stadt mit der Festsetzung
die Zielvorstellung verband, in dem zentrumsnahen Gebiet die Voraussetzungen für die
Nutzung durch nicht wesentlich störendes Gewerbe, insbesondere in Form von Büro-
und Geschäftsgebäuden, zu schaffen.
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Die hiernach von der Beklagten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 der 16. BImSchV zutreffend
zugrunde gelegten Grenzwerte von 64 dB(A) tags und 54 dB(A) nachts werden nach der
im Planfeststellungsverfahren erarbeiteten Lärmprognose auch unter Berücksichtigung
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des im festgestellten Plan vorgesehenen Schallschutzes nachts - teilweise weit -
überschritten. Für das Haus des Klägers sind unter Berücksichtigung der geplanten 4 m
hohen Schallschutzwand Tag-/Nachtwerte von 57/57 dB(A) im Erdgeschoss und 59/59
dB(A) im ersten Obergeschoss ermittelt worden. Die Werte im Dachgeschoss sollen
nach den schalltechnischen Zusatzuntersuchungen des von der Beigeladenen
beauftragten Büros V. vom 23. Januar/ 6. Februar 1996 um 2 bis 3 dB(A) höher liegen;
im Klageverfahren hat die Beklagte eine Übersicht vorgelegt, derzufolge dort Werte von
62 dB(A) tags/61 dB(A) nachts erreicht werden.
Diese Werte sind sogar noch geringfügig nach oben zu korrigieren.
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Allerdings ist der Schienenbonus von 5 dB(A) zur Berücksichtigung der geringeren
Störwirkung des Schienenverkehrslärms (Anlage 2 zu § 3 und § 3 Satz 2 der 16.
BImSchV) in der Lärmuntersuchung zu Recht in Ansatz gebracht worden. Das
Bundesverwaltungsgericht hat unter Auswertung des Standes der
Lärmwirkungsforschung eingehend begründet, dass der Verordnungsgeber mit der
Bemessung des Bonus auf 5 dB(A) der Vorgabe des § 43 Abs. 1 Satz 2 BImSchG, den
Besonderheiten des Schienenverkehrs Rechnung zu tragen, in vertretbarer Weise
entsprochen hat.
37
Vgl. Urteil vom 18. März 1998 - 11 A 55.96 -, NVwZ 1998, 1071 (1072 ff.); ferner Urteil
vom 3. März 1999 - 11 A 9.97 -, NVwZ-RR 1999, 720 (725).
38
Weitergehende Erkenntnisse, die diese Einschätzung in Frage stellen könnten, sind
dem Senat nicht bekannt geworden. Dass die Bemessung des Bonus auf 5 dB(A)
Ausdruck einer typisierenden Betrachtung ist, stellt die Wirksamkeit der
verordnungsrechtlichen Regelung und ihre Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall
nicht in Frage.
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Die Lärmprognose bedarf der Korrektur jedoch insofern, als die Zugzahlen aus dem
Betriebsprogramm der Beigeladenen nicht vollständig in die lärmtechnischen
Berechnungsunterlagen eingegangen sind. Ausweislich der Angaben des Büros V. im
Parallelverfahren 20 D 75/98.AK schlägt dieser Umstand mit 1 dB(A) tags und 0,5 dB(A)
nachts zu Buche.
40
Die Entscheidung der Beklagten gegen zusätzlichen aktiven Schallschutz trotz
verbleibender Grenzwertüberschreitung ist nicht zu beanstanden; weder die aufgezeigte
Korrekturbedürftigkeit der Lärmprognose noch andere Gesichtspunkte stellen das
Entscheidungsergebnis in Frage.
41
§ 41 Abs. 2 BImSchG normiert den Vorrang des aktiven Schallschutzes vor Maßnahmen
des passiven Schallschutzes. Nach dem Stand der Technik verfügbare Maßnahmen
aktiven Schallschutzes brauchen zum Schutz gegen schädliche Umwelteinwirkungen
durch Verkehrsgeräusche nur insoweit nicht ergriffen zu werden, als die Kosten der
Schutzmaßnahme außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen würden.
Um darüber zu entscheiden, bedarf es einer Kosten-Nutzen-Analyse, wobei die
Gesamtumstände des Falles wertend zu betrachten sind.
42
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2000 - 11 A 42.97 -, Buchholz 406.25 § 41 BImSchG
Nr. 33 (S. 73, 75).
43
Zu den bei der Entscheidung zu berücksichtigenden Gesichtspunkten zählen
namentlich das Maß der Lärmminderung durch die in Betracht kommenden aktiven
Schutzmaßnahmen und der dafür jeweils entstehende Kostenaufwand, ferner negative
Auswirkungen der Maßnahmen auf sonstige Schutzgüter wie die städtebauliche
Entwicklung sowie das Orts- und Landschaftsbild. Das der Lärmminderung
beizumessende Gewicht wird wesentlich beeinflusst durch tatsächliche und planerische
Vorbelastungen der geschützten Bebauung. Die Notwendigkeit, diese verschiedenen,
teilweise in einem Spannungsverhältnis zueinander stehenden Gesichtspunkte zu
berücksichtigen, macht deutlich, dass es sich bei der Entscheidung nach § 41 Abs. 2
BImSchG um eine Abwägungsentscheidung handelt. Der Senat folgt der Auffassung
des 11. Senats des Bundesverwaltungsgerichts, für diese Abwägung stehe der
Planungsbehörde ein Spielraum zu, der vom Gericht nur auf die Einhaltung seiner
rechtlichen Grenzen hin zu überwachen sei.
44
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2000 a.a.O., S. 73 m.w.N. gegen BVerwG, Urteil vom
28. Januar 1999 - 4 CN 5.98 -, DVBl. 1999, 1288 (1289 f.).
45
Die von der Norm geforderte Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Maßgabe der
vorgenannten Kriterien ist untrennbar mit der allgemeinen fachplanerischen Abwägung
verbunden, die Entwicklung eines Lärmschutzkonzepts ist selbst ein Akt planerischer
Gestaltung. Das hat zur Folge, dass sich die gerichtliche Kontrolle einerseits an den von
der Planfeststellungsbehörde angestellten Erwägungen auszurichten hat und
andererseits Fehler der gebotenen Abwägung unter den Voraussetzungen des § 20
Abs. 7 Satz 1 AEG die gewählte Lärmschutzkonzeption unberührt lassen.
46
Hiervon ausgehend hält die Entscheidung der Beklagten, über die vorgesehene 4 m
hohe Schallschutzwand hinaus keine weiteren Maßnahmen aktiven Schallschutzes zu
treffen, der Überprüfung Stand. Die abwägungserheblichen Aspekte sind in die
Entscheidung eingegangen. Im Planfeststellungsverfahren ist das Verhältnis von Kosten
und Nutzen verstärkten Schallschutzes durch Berechnung alternativer Höhenmaße von
5 und 6 m für die Schallschutzwand ermittelt worden, nachdem vorher bereits
Berechnungen zu geringeren Wandhöhen angestellt worden waren. Dabei hat sich die
Betrachtung zutreffend nicht speziell auf das Grundstück des Klägers, sondern auf die
lärmbetroffene Bebauung nördlich der in Rede stehenden Schallschutzwand als Ganze
gerichtet. Für insgesamt sechs Objekte in dem durch die Wand geschützten Bereich -
darunter auch das Haus des Klägers - hat das Büro V. die Lärmpegel für Wandhöhen
von 4, 5 und 6 m alternativ prognostiziert und den jeweils anfallenden Kosten sowie der
Vorbelastung gegenübergestellt. Dass das Dachgeschoss im Haus des Klägers in diese
Alternativberechnungen nicht einbezogen worden ist, begründet keinen erheblichen
Abwägungsfehler. Wie eine im Klageverfahren ergänzend vorgelegte Berechnung
belegt, würde der Lärmminderungseffekt einer Erhöhung der Lärmschutzwand um 1
bzw. 2 m insoweit ähnliche Werte erreichen wie für das erste Obergeschoss; der Nutzen
einer Wanderhöhung ist also in seiner Größenordnung zutreffend erfasst worden. Die
ermittelte Kosten-Nutzen-Relation ist in die Abwägung ebenso eingestellt worden wie
die verstärkte Trennwirkung und größere Beeinträchtigung des Ortsbildes, die mit
Wandhöhen von mehr als 4 m verbunden wären. Die auf dieser Basis getroffene
Entscheidung lässt Fehlgewichtungen nicht erkennen. Beträchtliche Lärmminderungen
von 3 dB(A) oder mehr würden sich zumeist erst bei einer Wandhöhe von 6 m ergeben.
Andererseits würden sich die Kosten der Wand nach den Erfahrungswerten der
Beigeladenen aus anderen Vorhaben, die die Beklagte sich zu eigen gemacht hat, dann
nahezu verdoppeln. Dies entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass bei zunehmender
47
Höhe von Schallschutzwänden die Kosten überproportional ansteigen, während die
erzielbaren Verbesserungen der Lärmsituation zunehmend geringer werden. Die für
Mischgebiete geltenden Grenzwerte würden gleichwohl nicht überall eingehalten;
passiver Schallschutz bliebe also teilweise weiterhin nötig.
Diese der Abwägung zugrunde gelegten Erwägungen belegen plausibel, warum die
Planfeststellungsbehörde die Grenze aktiven Lärmschutzes bei einer Wandhöhe von 4
m gezogen hat. Das Ergebnis ihrer Abwägung steht im Einklang mit der vom
Bundesverwaltungsgericht formulierten Regel, nach der bei planfestgestellten
Wandhöhen von 4 m die Schlussfolgerung naheliegt, eine weitere Wanderhöhung
würde wegen der auftretenden "Sprungkosten" einen unverhältnismäßigen Aufwand
verursachen.
48
Vgl. Urteil vom 15. März 2000 a.a.O., S. 80.
49
Es begegnet umso weniger rechtlichen Bedenken, als die prognostizierte
Lärmbelastung in dem geschützten Gebiet bereits durch eine 4 m hohe Wand
gegenüber der als Vorbelastung berücksichtigten Situation mit Ausnahme des
Tagwertes für das Dachgeschoss, der aber bereits unter dem entsprechenden
Grenzwert liegt, abnimmt und damit zu einer Lärmsanierung führt. Auch das hat die
Beklagte berücksichtigt.
50
Ein Abwägungsfehler ist ihr in dieser Hinsicht nicht etwa deshalb unterlaufen, weil die
tatsächliche Vorbelastung durch die vorhandene Siegstrecke ausweislich der in der
Anlage 2 zur Klageerwiderung aufgeführten Werte um bis zu 6 dB(A) höher liegt als in
dem den Ausbau dieser Strecke betreffenden Planfeststellungsbeschluss vom 9. August
1989 vorausgesetzt. Nimmt die Immissionsbelastung durch einen Verkehrsweg stärker
zu als in dem zugrunde liegenden Zulassungsakt angenommen, so mag dies zwar dazu
führen, dass die Mehrbelastung für ein späteres Vorhaben nicht als Vorbelastung zu
Buche schlagen darf. Berücksichtigungsfähig ist nur eine von dem Betroffenen
hinzunehmende Vorbelastung. Kann er gegen sie im Wege des § 75 Abs. 2 und 3
VwVfG vorgehen, weil es sich bei ihr um unvorhersehbare Auswirkungen eines früheren
Planfeststellungsbeschlusses handelt, so erscheint sie nicht als geeignet, die
Grundstückssituation zu prägen. Ob ein solcher Fall hier vorliegt und ob der Kläger
einen Anspruch auf nachträgliche Schutzauflagen gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG
innerhalb der Frist des § 75 Abs. 3 VwVfG geltend gemacht hat, braucht aber nicht
entschieden zu werden. Denn die Beklagte hat im Planfeststellungsbeschluss die
tatsächliche Vorbelastung nicht umfassend, sondern nur - mit 62 dB(A) - insoweit
zugrunde gelegt, wie sie im Planfeststellungsverfahren für den Ausbau der Siegstrecke
prognostiziert worden war.
51
Dass die Entscheidung nach § 41 Abs. 2 BImSchG von fehlerhaft ermittelten
Prognosewerten ausgeht, ist nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AEG unerheblich. Das
Abwägungsergebnis ist dadurch nicht beeinflusst worden. Nach den obigen
Ausführungen ist der Korrekturbedarf wegen unvollständig aus dem Betriebsprogramm
der Beigeladenen übernommener Zugzahlen sehr gering. Das Verhältnis zwischen dem
Nutzen und den Kosten einer Erhöhung der Lärmschutzwand wird dadurch nicht
erheblich verschoben. Die Überlegung, dass selbst bei einer Wandhöhe von 6 m
ergänzend passiver Schallschutz nötig würde, gilt auf der Grundlage der nach oben zu
korrigierenden Prognosewerte erst recht.
52
Soweit die Beklagte im Planfeststellungsbeschluss für ihre Verhältnismäßigkeitsprüfung
auch auf die Relation der Mehrkosten für verstärkten aktiven Schallschutz und die
korrespondierende Kostenersparnis beim passiven Schallschutz abgestellt hat, ist ihr
gleichfalls kein ergebnisrelevanter Abwägungsfehler unterlaufen. Zwar fehlt dieser
Erwägung ein unmittelbarer Bezug zum Schutzzweck des § 41 Abs. 2 BImSchG. Nicht
auf das Verhältnis der Kosten für aktiven und für passiven Schutz, sondern auf
dasjenige von Kosten und Nutzen aktiven Schutzes kommt es nach der gesetzlichen
Regelung an.
53
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2000 a.a.O., S. 79.
54
Ein darin etwa liegender Abwägungsmangel hat sich aber wiederum nicht im Sinne des
§ 20 Abs. 7 Satz 1 AEG ausgewirkt. Denn der Planfeststellungsbeschluss stellt
selbständig tragend auch auf die nach der gesetzlichen Regelung maßgebliche Kosten-
Nutzen-Relation ab.
55
Die Entscheidung, es bei 4 m hohen Seitenwänden zu belassen, wäre im Übrigen
selbst dann nicht zu beanstanden, wenn anders als oben ausgeführt die für
Wohngebiete geltenden Immissionsgrenzwerte (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. BImSchV) zum
Tragen kämen. In die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach §
41 Abs. 2 BImSchG wäre dann eine plangegebene Vorbelastung einzustellen, die
daraus resultiert, dass sich bei Beginn des Verfahrens zur zweiten Änderung des
Bebauungsplans T 59 Blatt 6 die streitige eisenbahnrechtliche Planung bereits verfestigt
hatte. Diese Vorbelastung würde es rechtfertigen, die Grenzwerte, die für die im
Zeitpunkt der Verfestigung maßgebliche Nutzungsart (Mischgebiet) gelten, immerhin der
Prüfung zugrunde zu legen, welches Gewicht der mit größeren Wandhöhen erzielbaren
Lärmminderung zukommt. An dem Ergebnis der Abwägung würde sich dadurch im
Vergleich zu der vom Senat vertretenen Auffassung, dass der Schutzstandard sich nach
den Festsetzungen des Bebauungsplans vor seiner zweiten Änderung richtet, nichts
ändern.
56
Die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde gegen die Planungsalternative einer
Schallschutz-Mittelwand zwischen den Gleisen der Siegstrecke und der ICE-Strecke
enthält ebenfalls keine Fehler, die dem Planergänzungsbegehren zum Erfolg verhelfen
könnten. Die Angabe in den der Planfeststellung zugrunde gelegten schalltechnischen
Untersuchungen, eine zusätzliche Mittelwand von 5 m Höhe bewirke "weitere
Schallpegelminderungen von bis zu 2 dB(A)", trifft für das Wohnhaus des Klägers im
ersten Obergeschoss und im Dachgeschoss zwar nicht zu; den Angaben der Beklagten
im Klageverfahren zufolge würde die Lärmminderung im ersten Obergeschoss 3 dB(A)
tags/nachts und im Dachgeschoss 4 dB(A) tags und 3 dB(A) nachts betragen. Die
frühere, nachträglich als typisierend interpretierte Angabe einer Minderung von bis zu 2
dB(A) zeichnet demnach zumindest ein schiefes Bild. Aber auch insoweit lässt ein
etwaiger Ermittlungsfehler das Abwägungsergebnis unberührt.
57
Der Bau einer Mittelwand hätte nämlich Konsequenzen, die es als ausgeschlossen
erscheinen lassen, dass sich die Beklagte durch den tatsächlichen
Lärmminderungseffekt einer solchen Wand in ihrer Entscheidung hätte beeindrucken
lassen. Um die ICE-Strecke und die L 332 a zwischen der vorhandenen Siegstrecke
und der Bebauung an der L. -Q. -Straße gebündelt verwirklichen zu können, waren Lage
und Abgrenzung der beiden Planungstrassen frühzeitig aufeinander abgestimmt
worden; der Straßenbaulastträger hat sich in seinen Planungen und deren Ausführung
58
ausweislich einer Stellungnahme an die Anhörungsbehörde vom 14. Oktober 1996
darauf eingestellt. Für die ICE-Strecke stand danach ein in der planfestgestellten
Schnittzeichnung B-B (Anlage 4.2 zum festgestellten Plan) ausgewiesener
Zwischenraum von 15,20 m zwischen der Achse des südlichen Gleises der Siegstrecke
und der Grenze zur Straße zur Verfügung. Um in diesem Querschnitt neben der zur
Straße hin geplanten Stützwand auch die Leitungsanker der Strommasten unterbringen
zu können, wurde im Verlauf des Planfeststellungsverfahrens der Achsabstand
zwischen den Gleisen der ICE-Strecke von 4,5 auf 4 m verringert. Zusätzlicher Platz für
eine Mittelwand als solche und den von ihr einzuhaltenden Gleisabstand hätte, wie sich
aus der Schnittzeichnung in Verbindung mit der von der Beigeladenen vorgelegten
Richtlinie 800.0130 ergibt, nicht zur Verfügung gestanden. Durch die Richtlinie ist
belegt, dass die Gleise von festen Anlagen mit mehr als geringer Längenentwicklung -
also auch einer Schallschutz-Mittelwand - im Falle der ICE- Strecke
(Entwurfsgeschwindigkeit gemäß II.2.2 des Erläuterungsberichts bis zu 200 km/h) einen
Abstand von 3,80 m, im Falle der Siegstrecke (Entwurfsgeschwindigkeit bis zu 160
km/h) von 3,30 m, jeweils gerechnet ab Gleismitte, zu halten haben. Ausweislich des
Schnitts B-B steht der dafür und für die Mittelwand selbst (0,2 m) erforderliche Platz nicht
zur Verfügung; der Abstand zwischen der ICE- und der Siegstrecke (jeweils Mitte der
einander zugewandten Gleise) beträgt lediglich 6,3 m. Die vom Kläger vorgelegten
Skizzen, mit denen er belegen will, das Platzangebot sei ausreichend, berücksichtigen
nicht alle Elemente der Neubaustrecke und führen deshalb nicht weiter. Da die Grenze
zwischen Schienenweg und Landesstraße festliegt, ließe sich der Platzbedarf nur durch
Verschiebung der Gleise der Siegstrecke auf beträchtlicher Länge befriedigen; als Folge
davon müssten der Bahndamm verbreitert, vorhandener Bewuchs beseitigt und
Brückenbauwerke angepasst werden. Diese weitreichenden, zu den Mehrkosten für die
eigentliche Wand hinzutretenden Konsequenzen lassen es als ausgeschlossen
erscheinen, dass sich die Beklagte durch den teilweise höher als angenommen
liegenden Lärmminderungseffekt der Wand in ihrer Entscheidung hätte beeindrucken
lassen.
Der Antrag zu 2. hat teilweise Erfolg. Der Kläger kann zwar nicht verlangen, dass die
Beklagte verpflichtet wird, erneut über Maßnahmen des Schutzes vor Erschütterungs-
und Körperschallimmissionen zu entscheiden. Er hat aber einen - dahinter
zurückbleibenden und deshalb vom Klagebegehren mit umfassten - Anspruch auf
Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um einen Entscheidungsvorbehalt, der
Maßnahmen passiven Körperschallschutzes betrifft.
59
Nach der als Grundlage des mit dem Antrag zu 2. gestellten Begehrens allein in
Betracht zu ziehenden Regelung in § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG sind dem Träger des
Vorhabens Schutzmaßnahmen aufzuerlegen, wenn das Vorhaben anderenfalls für
Dritte unzumutbare Nachteile hervorrufen würde. Die Zumutbarkeit ist unter Beachtung
des Gebietscharakters und der Vorbelastung zu bestimmen. Erschütterungswirkungen
machen Schutzvorkehrungen erforderlich, wenn eine vorhandene Vorbelastung in
beachtlicher Weise erhöht wird und gerade dadurch eine unzumutbare Belastung
eintritt.
60
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2000 a.a.O., S. 81.
61
Gleiches trifft für den Körperschall zu, der als Folgewirkung von
Erschütterungseinwirkungen in Erscheinung tritt.
62
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 11 B 100.95 -, NVwZ- RR 1997, 336
(338).
63
Die Verpflichtung greift allerdings nur, sofern die Maßnahmen nicht untunlich oder mit
dem Vorhaben unvereinbar sind; anderenfalls hat der Betroffene einen Anspruch auf
angemessene Entschädigung im Geld (§ 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG).
64
Das Erschütterungsschutzkonzept des Planfeststellungsbeschlusses wird diesen
Vorgaben im Ansatz gerecht, bedarf aber der Ergänzung. Das Konzept beruht auf der
Annahme, der Standard des rechtlich gebotenen Erschütterungsschutzes sei an den
Werten der DIN 4150, Teil 2 (Erschütterungen im Bauwesen, Einwirkungen auf
Menschen in Gebäuden) auszurichten. Der Beschluss enthält zwar den Hinweis, die
Werte dieser technischen Norm seien bloße Anhaltswerte und die Norm finde außerdem
grundsätzlich nur bei reinen Neubaustrecken Anwendung. Gleichwohl - so wird aber
betont - werde sie "als Beurteilungsgrundlage" herangezogen (C II 3.1.2 des
Planfeststellungsbeschlusses). Soweit nachfolgende Ausführungen diese Feststellung
relativieren, beziehen sie sich nur auf den Fall, dass die Anlagenänderung die
vorhandenen Immissionen nicht in beachtlicher Weise erhöht. Den im Grundsatz für
maßgeblich erachteten Anhaltswerten der DIN-Norm hat die Beklagte die durch
Messung und Prognose für ausgewählte Immissionsorte ermittelten Belastungswerte
gegenübergestellt. Da die prognostizierten Immissionen die Anhaltswerte teilweise
deutlich überschreiten, ist sie zu dem Ergebnis gelangt, prinzipiell seien
Schutzmaßnahmen geboten. Aus den getroffenen Feststellungen zum voraussichtlichen
Eintritt als unzumutbar bewerteter Erschütterungen zieht der Planfeststellungsbeschluss
allerdings nicht die Konsequenz, über einen fachgerechten Regelunterbau
hinausgehende Maßnahmen zum Erschütterungsschutz zu treffen. Der Einbau
spezieller Gleisbettungssysteme wird als im Zeitpunkt des Erlasses des
Planfeststellungsbeschlusses nicht dem Stand der Technik entsprechend abgelehnt.
Darauf beschränkt sich das Regelungskonzept des Beschlusses indes nicht. Es richtet
sich vielmehr darauf, die Beigeladene zu einer weiteren Prüfung der Möglichkeit des
Einbaus von Gleisbettungssystemen entsprechend dem Fortschritt der Technik bis zum
Zeitpunkt des Baubeginns und zum Bericht darüber zu verpflichten und dann
gegebenenfalls den Einbau solcher Systeme anzuordnen. Eine entsprechende
Entscheidung ist im Planfeststellungsbeschluss nicht ausdrücklich, jedoch der Sache
nach vorbehalten worden. Das erhellt namentlich aus dem Umstand, dass in der
Beschlussbegründung von der gemäß § 74 Abs. 2 VwVfG noch zu treffenden
"Entscheidung der Planfeststellungsbehörde" die Rede ist (C II 3.1.2 des
Planfeststellungsbeschlusses). Für den Fall, dass Maßnahmen am Gleis auch bei
Baubeginn technisch nicht möglich seien oder dass sie von der
Planfeststellungsbehörde als untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar beurteilt
werden sollten, wird den unzumutbar Betroffenen ein Entschädigungsanspruch
zugesprochen. Bezogen auf den Kläger trifft der Planfeststellungsbeschluss die
Feststellung, sein Haus werde keinen Erschütterungen oberhalb der Anhaltswerte der
DIN-Norm ausgesetzt sein; zu seinen Gunsten ist mithin kein Erschütterungsschutz
vorgesehen. Neben den Regelungen zu den prognostizierten
Erschütterungseinwirkungen enthält der Planfeststellungsbeschluss einen Vorbehalt,
nach Inbetriebnahme Anlagen oder Vorkehrungen gegen nicht vorhersehbare
Erschütterungseinwirkungen anzuordnen oder ersatzweise den Betroffenen einen
Anspruch auf Entschädigung zuzusprechen. Zu Körperschallimmissionen als Folge von
Erschütterungen heißt es im Planfeststellungsbeschluss ergänzend, mangels normativ
festgelegter Grenzwerte sei von einem Mittelungspegel von 37 dB(A) für Wohnräume
65
und von 27 dB(A) für überwiegend zum Schlafen genutzte Räume als Richtwerten
auszugehen. Zugleich wird betont, die Überschreitung dieser Werte führe nicht
zwangsläufig zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung oder unzumutbaren Schmälerung
der Eigentumsnutzung. Die Beklagte ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, bezogen auf
Erschütterungen als solche schieden Schutzansprüche für den Kläger aus, weil schon
die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht erfüllt seien. Die Beurteilung,
auch ohne Schutzmaßnahmen werde sein Haus keinen unzumutbaren
Erschütterungsbelastungen ausgesetzt sein, ist nicht zu beanstanden. Das ergibt sich
auf der Grundlage der im Planfeststellungsverfahren erarbeiteten Belastungsprognose.
Die Prognose ist zugeschnitten auf das Beurteilungsverfahren nach der DIN 4150, Teil 2
erstellt worden, bei dem die ermittelten Beurteilungsgrößen mit den Anhaltswerten der
DIN- Norm verglichen werden. Mangels eines normativ geregelten Verfahrens ist es
zulässig, dass in den Untersuchungen auf diese technische Norm, die nach den nicht
bestrittenen Angaben der Beigeladenen unter Beteiligung von Vertretern des
Umweltbundesamts und der Landesumweltämter erarbeitet worden ist und den
Erkenntnisstand der einschlägigen Fachkreise wiedergibt, zurückgegriffen worden ist.
Für das Wohnhaus des Klägers (IO MO 22/5) hat das Ingenieurbüro V. maximale
bewertete Schwingstärken (KBF max) prognostiziert, die den unteren Anhaltswert Au
überschreiten, den oberen Anhaltswert Ao hingegen unterschreiten. Für diesen Fall
sieht die DIN-Norm einen Vergleich der Beurteilungsschwingstärke KBFTr mit dem
Anhaltswert Ar vor, der für Mischgebiete tags 0,1 und nachts 0,07 beträgt. Die Prognose
hat ergeben, dass sich die Nachtwerte der Beurteilungsschwingstärke künftig
verdoppeln, aber mit 0,06 im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss sowie 0,04 im
Dachgeschoss den für Mischgebiete maßgeblichen Anhaltswert unterschreiten werden.
Die vom Kläger erhobenen Einwände gegen die Belastungsprognose greifen nicht
durch. Es trifft zwar zu, dass die Übertragung von Messwerten, die an einer anderen
ICE- Strecke gewonnen worden sind, auf die Situation seines Grundstücks wegen
teilweise abweichender Randbedingungen (Bodenbeschaffenheit, Zugmaterial) mit
Unsicherheiten behaftet ist. Dies muss aber in Kauf genommen werden, da ein
physikalisch voll abgesichertes Prognoseverfahren bislang noch nicht zur Verfügung
steht. Der Planfeststellungsbeschluss negiert diese Unsicherheiten nicht, sondern trägt
ihnen durch den Nachprüfungsvorbehalt unter A II 1 in angemessener Weise Rechnung.
Soweit sich der Kläger gegen Pegelkorrekturen in der erschütterungstechnischen
Untersuchung wendet, die mit Rücksicht auf die jeweiligen Abstände der
Geländemesspunkte vom Gleis vorgenommen worden sind (Anlage 10.2 b/6 und 7 zum
festgestellten Plan), erscheint das Vorgehen des Gutachters sachgerecht. Methodische
Fehler hat der Kläger in dieser Hinsicht nicht substantiiert dargetan.
66
Dass die ermittelten Prognosewerte anhand der Anhaltswerte der DIN 4150, Teil 2
bewertet worden sind, lässt Fehler zu Lasten des Klägers nicht erkennen. Mit ihrer
Entscheidung, die Beurteilung an den Anhaltswerten der DIN-Norm auszurichten, ist die
Planfeststellungsbehörde im Grundsatz sogar über die Anforderungen der technischen
Norm hinausgegangen. Die DIN 4150, Teil 2 bezieht die Anhaltswerte nämlich nur auf
den Neubau von Schienenwegen, nicht auf deren Erweiterung (Nr. 5.5.2.2 der Ausgabe
1992 und Nr. 6.5.3.4 Buchst. a und c der Ausgabe 1999).
67
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2000 a.a.O., S. 81.
68
Im Falle der Erweiterung sollen der DIN-Norm, Ausgabe 1999, zufolge insbesondere
nach Maßgabe der jeweiligen Vorbelastung auch über die Anhaltswerte hinausgehende
69
Erschütterungen zumutbar sein.
Aber selbst wenn man diesen Gesichtspunkt außer Betracht lässt, spricht nichts dafür,
dass bei Einhaltung der Anhaltswerte die Betroffenen mit unzumutbaren
Erschütterungen belastet würden. Der obere Anhaltswert Ao, dem die maximale
bewertete Schwingstärke KBF max gegenübergestellt wird, liegt für Erschütterungen
durch Schienenverkehr mit 0,6 zwar gebietsunabhängig doppelt so hoch wie der für
andere Erschütterungen im Mischgebiet maßgebliche Wert Ao. Damit wird ersichtlich
dem Umstand Rechnung getragen, dass vergleichsweise hohe Einzelwerte im
Schienenverkehr schwerlich zu vermeiden sind. Dieser Aspekt in Verbindung mit dem
besonderen Gemeinwohlbezug des Betriebs von Eisenbahnen rechtfertigt es nach
Auffassung des Senats, der Nachbarschaft von Schienenwegen in Konkretisierung der
Schutzanforderungen des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG die Hinnahme eines entsprechend
höheren Maximalwertes zuzumuten, als er im Verhältnis zu anderen Nutzungen als
zumutbar angesehen wird. Dass bei Erreichen dieses Wertes betroffene Anlieger in
ihrer Gesundheit gefährdet würden, ist nicht ersichtlich und auch von dem Kläger nur
unsubstantiiert behauptet worden; ohnehin bleibt die für sein Haus ermittelte maximale
bewertete Schwingstärke selbst in dem am stärksten belasteten Erdgeschoss mit 0,5
noch deutlich hinter dem Anhaltswert Ao zurück. Dem Kläger ist diese Belastung umso
mehr zuzumuten, als die KBF max-Werte gegenüber dem Ist-Zustand, der - wie noch
auszuführen sein wird - als Vorbelastung Berücksichtigung findet, zwar häufiger
auftreten, sich aber nicht erhöhen.
70
Die Anhaltswerte für die Beurteilungsschwingstärke Ar für den Schienenverkehr
gleichen den sonst maßgeblichen Ar-Werten und geben ebenfalls keinen Anlass zu
rechtlichen Bedenken. Insoweit besteht nur die Besonderheit, dass der sonst übliche
Ruhezeitenzuschlag (Nr. 5.4.2 der DIN 4150, Teil 2, Ausgabe 1992, bzw. Nr. 6.4.2 der
DIN 4150, Teil 2, Ausgabe 1999) entfällt (Nr. 5.5.2.2 der älteren und Nr. 6.5.3.1 der
neueren Normfassung). Auch diese Besonderheit ist sachlich gerechtfertigt. Sie
entspricht nämlich der auch der Verkehrslärmschutzverordnung zugrunde liegenden
Erkenntnis, dass der Betrieb von Eisenbahnen nur unter Inkaufnahme unakzeptabler
Nachteile für einen funktionierenden Bahnverkehr auf die Ruhezeiten abgestimmt
werden könnte. Für die Nachtwerte ist sie ohnehin nicht von Bedeutung.
71
Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass die Beklagte die Beurteilungsschwingstärken
an den für Mischgebiete einschlägigen Anhaltswerten gemessen hat. Der vom Kläger
unter Bezugnahme auf die Erläuterungen in der Anhaltswerttabelle vertretenen
Auffassung, es komme nicht auf die bauplanungsrechtliche Einstufung, sondern auf den
tatsächlichen Gebietscharakter an, kann nicht gefolgt werden. Soweit durch
Bebauungsplan ein bestimmter Gebietscharakter festgelegt ist, bestimmt sich die
Schutzwürdigkeit der dortigen Bebauung nach dieser Festlegung. Sollte der DIN 4150,
Teil 2 etwas anderes zu entnehmen sein, sieht der Senat diese Vorgabe unter
Berücksichtigung normativer Entscheidungen etwa in § 2 Abs. 2 Satz 1 der 16.
BImSchV nicht als maßgeblich an. Für die Beurteilung der Erschütterungen ist ebenso
wie für die Lärmbeurteilung auf den Bebauungsplan in der Fassung vor seiner zweiten
Änderung abzustellen. Wie oben unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt wurde, kommt einem Betroffenen eine ihm
günstige Bebauungsplanänderung nur zugute, wenn sich die konkurrierende
Fachplanung - anders als hier - nicht schon früher verfestigt hat.
72
Da die Anhaltswerte Ar auch künftig voraussichtlich eingehalten werden, kommt es auf
73
die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Vorbelastung seines Grundstücks mit
Erschütterungen durch den Schienenverkehr berücksichtigt werden darf, nicht an. Im
Übrigen greifen diese Bedenken auch nicht durch. Ansprüche nach § 75 Abs. 2 und 3
VwVfG wegen unvorhersehbarer Erschütterungseinwirkungen aufgrund des mit
Beschluss vom 9. August 1989 festgestellten Ausbaus der Siegstrecke bestehen nicht;
sie stellen deshalb keinen Grund dar, die Vorbelastung außer Acht zu lassen. Zwar mag
es zutreffen, dass im damaligen Planfeststellungsverfahren die Erschütterungsbelastung
nicht ermittelt worden ist. Ungeachtet der Frage, ob sie aus diesem Grund als nicht
voraussehbar im Sinne des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zu werten ist, scheitern
Ansprüche des Klägers auf nachträgliche Schutzauflagen insoweit an § 75 Abs. 3
VwVfG. Die in dieser Vorschrift festgelegte Frist von drei Jahren für die Geltendmachung
des Anspruchs ist verstrichen. Der Kläger hat von der Dimension der vorhandenen
Belastung seines Grundstücks mit Erschütterungen durch Einsicht in die
erschütterungstechnischen Unterlagen der streitbefangenen Planung, auf die er sich in
seinem Einwendungsschreiben vom 25. August 1993 und seiner Stellungnahme vom
19. August 1997 bezieht, schon frühzeitig erfahren. Er hatte damit Kenntnis von der
Größenordnung der Erschütterungsimmissionen aufgrund des 1989 planfestgestellten
Vorhabens. Im Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Planfeststellungsbeschlusses hätte
er deshalb nicht mehr mit Erfolg nachträgliche Schutzauflagen verlangen können.
Bezogen auf die voraussichtlichen Körperschallimmissionen kann der Kläger keine
Entscheidung der Beklagten über aktive oder passive Schutzmaßnahmen verlangen; er
hat aber immerhin einen - vom Antrag zu 2. umfassten - Anspruch auf Ergänzung des
Planfeststellungsbeschlusses um einen Entscheidungsvorbehalt, der Vorkehrungen
passiven Schutzes betrifft.
74
Der Kläger ist mit seinen Einwendungen zum Körperschall nicht, wie die Beigeladene
meint, nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG präkludiert. Er hat bereits im Anhörungsverfahren
für die Ursprungsplanung auf die Körperschallproblematik hingewiesen und damit seine
Rechte gewahrt.
75
Die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG liegen hinsichtlich der
Körperschallimmissionen vor. Ohne Schutzmaßnahmen wird das Haus des Klägers
über die Zumutbarkeitsgrenze hinaus mit Körperschall belastet sein. Dies belegt das im
Planfeststellungsverfahren eingeholte Körperschallgutachten des Ingenieurbüros V.
vom 20. Juni 1996. Die Untersuchung hat für zwei im Erdgeschoss des Hauses
gelegene Räume ergeben, dass der Beurteilungspegel für den Schlafraum von 24,4 auf
28 dB(A) nachts sowie für den Wohnraum von 27,7 auf 30 dB(A) tags ansteigen wird.
Die entsprechende Gesamtbelastung durch Luft- und Körperschall wird im Schlafraum
von 29,7 auf 32,1 dB(A) und im Wohnraum von 29,7 auf 30,8 dB(A) anwachsen.
Während der für den Wohnraum prognostizierte Wert hinzunehmen ist, wird für den
Schlafraum die Grenze des Zumutbaren überschritten.
76
Gesetzlich festgelegte Grenzwerte für Körperschalleinwirkungen gibt es nicht. Auch sind
keine technischen Regelwerke vorhanden, die sich mit Körperschallimmissionen durch
Schienenverkehr befassen. Angesichts dessen hält der Senat die Beurteilung der
Beklagten im Grundsatz für angemessen, wonach von einem Mittelungspegel von 37
dB(A) für Wohnräume und von 27 dB(A) für überwiegend zum Schlafen genutzte Räume
als Richtwerten auszugehen ist, die Überschreitung dieser Werte jedoch nicht
zwangsläufig zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung oder unzumutbaren Schmälerung
der Eigentumsnutzung führt. Die genannten Werte orientieren sich an den Grenzwerten
77
der Tabelle 1 der Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmenverordnung, die ebenfalls
Innenraumwerte sind, aber nur für den (primären) Luftschall gelten. Der Wert für
Schlafräume hält zudem einen ausreichenden Abstand von denjenigen
Beurteilungspegeln im Rauminnern, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht
überschritten werden sollten (30 bis 35 dB(A)).
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 1999 - 11 A 4.98 -, BVerwGE 110, 81 (90).
78
Dafür besteht vor allem deshalb ein Bedürfnis, weil der Körperschall mit dem Luftschall
zusammenwirkt, sich also mit diesem zu höheren Gesamtwerten summiert. Gewiss
dürfen die vorgenannten Richtwerte nicht schematisch angewandt werden. Werden sie
durch die Vorbelastung bereits ausgeschöpft oder liegt diese sogar höher, so kann auch
ein die Richtwerte überschreitender Belastungspegel ohne Schutzmaßnahmen
hinzunehmen sein.
79
Der Forderung des Klägers, die strengeren Innenwerte der VDI 2058, Blatt 1
"Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft" (Nr. 3.3.2) von 35 dB(A) tags und 25
dB(A) nachts zugrunde zu legen, kann nicht gefolgt werden. Die Richtlinie samt ihrer
Immissionsrichtwerte ist zugeschnitten auf Arbeitslärm durch Gewerbebetriebe. Der
Blick auf die unterschiedlichen Luftschallwerte, die für Arbeitslärm einerseits und
Verkehrslärm andererseits als maßgeblich angesehen werden, verdeutlicht, dass die
Richtwerte der VDI- Richtlinie keinen abschließenden Maßstab für den Körperschall
durch Verkehrsanlagen abgeben. Soweit der Senat in früheren Verfahren Planungen
nach dem Personenbeförderungsgesetz gebilligt hat, die die Richtwerte der VDI-
Richtlinie zum Maßstab nahmen,
80
vgl. Beschluss vom 1. September 1997 - 20 B 713/95.AK -, S. 7 f. m.w.N.,
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steht das nicht im Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung. In jenen Verfahren ist
nämlich nicht entschieden worden, die VDI-Werte markierten schon die Grenze des
Zumutbaren.
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Die Körperschalluntersuchung hat ergeben, dass in dem überprüften Wohnraum der
Beurteilungspegel sich auf 30,8 dB(A) erhöhen wird. Der als Richtschnur dienende Wert
von 37 dB(A) ist damit weit unterschritten. Die Gutachter haben zwar allein den Verkehr
auf der Siegstrecke in ihre Überlegungen einbezogen, wie die auf Seiten 13 und 15 des
Gutachtens ausgewiesenen Zugzahlen belegen. Die Beklagte räumt ein, dass der
Beurteilungspegel unter Berücksichtigung des Betriebs der ICE-Strecke nach oben
korrigiert werden muss. Mit Blick auf die geringere Zahl der auf der ICE-Strecke
verkehrenden Züge sowie den größeren Abstand dieser Strecke vom Grundstück des
Klägers und die dementsprechend niedrigeren Maximalpegel der ICE-Züge überzeugt
aber die von der Beklagten mitgeteilte gutachterliche Einschätzung, die
Körperschallsituation des Klägergrundstücks werde vornehmlich durch die Siegstrecke
geprägt werden, die Beurteilungspegel unter Einschluss der ICE-Immissionen würden
daher nur wenig höher liegen. Auch bei einer Pegelkorrektur wird der Orientierungswert
von 37 dB(A) demnach bei weitem nicht erreicht werden. Demgegenüber ist in der
Untersuchung für den Schlafraum im Erdgeschoss des Hauses des Klägers ermittelt
worden, dass der als maßgeblich zugrunde gelegte Wert von 27 dB(A) künftig um 1
dB(A) überschritten wird. Diese Überschreitung erscheint zwar für sich genommen
gering, kann aber wegen der deutlichen Zunahme gegenüber dem Ist-Wert von 24,4
dB(A) nach Auffassung des Senats gleichwohl nicht vernachlässigt werden. Das gilt
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umso mehr, als der Beurteilungspegel unter Berücksichtigung der künftigen ICE-
Fahrten noch - wenn auch um einen geringen Wert - nach oben korrigiert werden muss.
Nimmt man hinzu, dass auch die für den Kläger einheitlich in Erscheinung tretende
Summe von Körperschall und Luftschall gegenüber dem Ist-Zustand auf immerhin 32,1
dB(A) (schon ohne ICE-bedingte Korrektur) anwachsen wird, so muss die
Zumutbarkeitsgrenze nach den Umständen des Falles als überschritten angesehen
werden. Hierfür berücksichtigt der Senat zusätzlich, dass der Körperschall künftig nicht
mehr in gleicher Weise wie bisher durch den Luftschall überlagert und deshalb von den
Hausbewohnern nach den Feststellungen des Gutachtens stärker empfunden werden
wird (S. 16 des Gutachtens). Die Einhaltung des erwähnten Richtwertes von 27 dB(A) ist
überdies deshalb geboten, weil infolge des Bahnbetriebs gehäuft verhältnismäßig hohe
Maximalpegel auftreten werden.
Obwohl hiernach die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vorliegen, hat der
Planfeststellungsbeschluss keine Anlagen oder Vorkehrungen zum Schutz gegen
Körperschall angeordnet. Dies ist rechtmäßig, soweit aktive Maßnahmen in Rede
stehen. Soweit es um passive Maßnahmen geht, besteht ebenfalls kein Anspruch auf
Neubescheidung, wohl aber auf Aufnahme eines solche Maßnahmen betreffenden
Entscheidungsvorbehalts in den Beschluss.
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Die Anordnung aktiver Maßnahmen scheitert an § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG.
Gleisbettungssysteme, die vor dieser Ausschlussklausel Bestand hätten, stehen nicht
zur Verfügung. Den gutachtlichen Stellungnahmen des Ingenieurbüros V. vom 22.
November 1999 und 8. Dezember 1999 zufolge wäre von den in Betracht kommenden
Gleisbettungssystemen am ehesten das System USM-Grötz BSO/MK geeignet, den
Körperschall zu vermindern. Selbst wenn dieses System bei Erlass des
Planfeststellungsbeschlusses bereits dem Stand der Technik entsprochen haben sollte,
wäre sein Einbau aber untunlich, weil mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden.
Um das Haus des Klägers zu schützen, müsste ein 100 m langer Gleisabschnitt der
Siegstrecke mit diesem System ausgestattet werden. Dafür fielen nach den Angaben
der Gutachter, die nicht substantiiert in Zweifel gezogen worden sind, Kosten von
500.000,-- DM an. Trotz dieser hohen Aufwendungen käme der Schutz nur wenigen
Gebäuden zugute, die in gleichem oder ähnlichem Abstand vom Schienenweg liegen
wie das Haus des Klägers. Angesichts dessen und wegen der vergleichsweise
geringen Überschreitung des vorgenannten Richtwertes war die
Planfeststellungsbehörde nicht gehalten, die Ausstattung der Siegstrecke mit diesem
System im Planfeststellungsbeschluss anzuordnen. Andere Systeme kamen bei Erlass
des Beschlusses unter dem Aspekt des Körperschallschutzes erst recht nicht in
Betracht.
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Sollten Vorkehrungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG auch betriebliche
Maßnahmen wie die Einrichtung von Langsamfahrstrecken sein können, so besteht
jedenfalls im vorliegenden Fall kein Anspruch auf eine derartige Maßnahme. Dass mit
einer ICE-Strecke wirkungsvolle Geschwindigkeitsbegrenzungen unvereinbar wären,
liegt auf der Hand. Aber auch für andere Bahnstrecken ist zu bedenken, dass
Geschwindigkeitsbegrenzungen, die nach der Streckencharakteristik nicht geboten sind,
der eigentlichen Zielsetzung der Schienenwege zuwider laufen. Sie sind deshalb
allenfalls dann näher in Erwägung zu ziehen, wenn die Realisierung eines
eisenbahnrechtlichen Vorhabens andernfalls unter Gesichtspunkten des
Nachbarschutzes in Frage gestellt wäre. Belastungen dieses Ausmaßes stehen hier
ersichtlich nicht in Rede.
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Für Maßnahmen passiven Körperschallschutzes, wie sie in Gestalt
erschütterungsdämpfender Maßnahmen am Haus des Klägers vorstellbar erscheinen,
lässt sich hingegen nicht feststellen, dass sie untunlich wären. Es ist weder untersucht
worden, ob und mit welchem Erfolg solche Maßnahmen technisch realisiert werden
könnten, noch hat die Beklagte den dafür notwendigen Kostenaufwand ermittelt und
bewertet. Daraus allein ergibt sich indessen kein dem Begehren auf Neubescheidung
über derartige Maßnahmen zum Erfolg verhelfender Mangel und ebenso keine
Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung im vorliegenden Verfahren. Mit Rücksicht auf
die vorbehaltene nachträgliche Entscheidung über erschütterungsmindernde
Gleisbettungssysteme, die je nach System auch den Körperschall als Folgewirkung der
Erschütterungen vermindern würden, brauchte die Beklagte im
Planfeststellungsbeschluss noch nicht abschließend über die Alternative passiver
Maßnahmen zum Schutz vor Körperschall zu befinden. Fehlerhaft und
ergänzungsbedürftig ist der Beschluss jedoch insofern, als er die Entscheidung über
passive Maßnahmen zum Schutz vor Körperschall nicht einmal offen gehalten hat.
Notwendig wäre es demgegenüber gewesen, in Ergänzung des Gleisbettungssysteme
betreffenden Entscheidungsvorbehalts sicherzustellen, dass die Entscheidung über
passive Körperschallschutzmaßnahmen zu Gunsten des Klägers gegebenenfalls
nachgeholt wird.
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Der Grundsatz der Problembewältigung verpflichtet zwar die Planfeststellungsbehörde,
über die Zulässigkeit des Vorhabens mit seinen rechtserheblichen Auswirkungen im
Planfeststellungsbeschluss prinzipiell umfassend und abschließend zu entscheiden.
Jedoch kann die Entscheidung über einzelne Punkte ausnahmsweise vorbehalten
werden, soweit eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich ist (§ 74 Abs. 3
VwVfG). Hierbei muss hinreichend gewährleistet sein, dass der zunächst ungelöst
gebliebene Konflikt später in einer Weise bewältigt werden kann, die die
Planungsentscheidung nicht nachträglich als unausgewogen erscheinen lässt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 - 4 C 49.83 -, NVwZ 1989, 147 (148); Urteil
vom 5. März 1997 - 11 A 25.95 -, UPR 1997, 295 (298).
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Nach dem Erschütterungsschutzkonzept des Planfeststellungsbeschlusses durfte die
Beklagte die Entscheidung über Maßnahmen passiven Körperschallschutzes im
Beschluss noch aussparen. Passive Schutzmaßnahmen würden sich erübrigen oder in
ihrer Dringlichkeit in einem anderen Licht darstellen, wenn die im
Planfeststellungsbeschluss vorbehaltene Entscheidung über Gleisbettungssysteme
positiv ausfiele. Die Entscheidung über diese Systeme, die die
Planfeststellungsbehörde gerade im Interesse der Betroffenen als möglichen
Nutznießern eines weiteren technischen Fortschritts auf den Zeitpunkt des Baubeginns
verschoben hat, ist mithin gegenüber derjenigen über passive Schutzmaßnahmen, auch
soweit sie den Körperschall betreffen, vorgreiflich; dies unabhängig davon, dass der
Vorbehalt nicht dem Schutz des Klägers zu dienen bestimmt ist, ein Erschütterungen
und Körperschall minderndes Gleisbettungssystem ihm also nur reflexweise zugute
käme. Diese Vorgreiflichkeit rechtfertigt es, dass über die in Rede stehenden passiven
Maßnahmen gleichfalls noch nicht im Planfeststellungsbeschluss entschieden worden
ist. Eine nachträgliche Problemlösung bleibt ohne weiteres möglich, da
Schutzmaßnahmen am Haus des Klägers unabhängig von der fortschreitenden
Realisierung des Vorhabens verwirklicht werden können. Unter diesen Umständen ist
ein Anspruch auf Entscheidung über die Anordnung ergänzender Maßnahmen zum
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Körperschallschutz im Planfeststellungsbeschluss zu verneinen, auch ohne dass geklärt
werden müsste, ob derartige Maßnahmen an § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG scheitern
würden.
Andererseits folgt aus den vorstehenden Ausführungen, dass die Beklagte für den Fall,
dass es nicht zur nachträglichen Anordnung körperschallmindernder
Gleisbettungsmaßnahmen kommen würde, die Möglichkeit einer alternativen
Problemlösung durch Anordnung von Maßnahmen passiven Schutzes mittels eines
entsprechenden Entscheidungsvorbehalts offen halten musste. Der Senat ist gehalten,
die Beklagte zur Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um einen solchen zur
Wahrung der Rechte des Klägers gebotenen Vorbehalt zu verpflichten. Das Begehren
einer hierauf gerichteten Verpflichtung wird von dem Antrag zu 2. umfasst. Der
Vorbehalt, über Schutzmaßnahmen bestimmter Art zu entscheiden, ist kein aliud
gegenüber der Anordnung derartiger Maßnahmen, sondern bleibt lediglich hinter ihr
zurück. Zeitlich ist der Vorbehalt auf den Termin des Baubeginns zu beziehen, zu dem
aus der maßgeblichen Sicht bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses abschließend
über Gleisbettungssysteme befunden werden sollte. Dass dieser Zeitpunkt mittlerweile
verstrichen ist, steht dem nicht entgegen, zumal die vorzubehaltende Entscheidung
noch nachgeholt werden kann.
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Der Antrag zu 3. hat gleichfalls nur teilweise Erfolg. Auf ihn hin ist die Beklagte zur
Aufnahme eines Entscheidungsvorbehalts in den Planfeststellungsbeschluss
hinsichtlich der Entschädigung für unzumutbare Körperschallimmissionen zu
verpflichten. Der Planfeststellungsbeschluss billigt in seiner angegriffenen Fassung dem
Kläger eine Immissionsentschädigung nur für (primären) Luftschall oberhalb der
Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV zu (A II 1.3). Dass er eine Entschädigung für
Erschütterungen als solche bezogen auf den Kläger nicht vorsieht, ist nach den obigen
Ausführungen zur Einhaltung der maßgeblichen Anhaltswerte nicht zu beanstanden.
Was indes eine Entschädigung für Körperschalleinwirkungen anbelangt, musste die
Beklagte mit Rücksicht auf die noch offen gehaltene Möglichkeit der Anordnung
nachträglicher Erschütterungsschutzmaßnahmen hierüber zwar noch nicht
abschließend entscheiden. Um eine Problemlösung für den Fall, dass
Schutzmaßnahmen nicht getroffen würden, offen zu halten, hätte aber auch insoweit ein
entsprechender Vorbehalt in den Planfeststellungsbeschluss aufgenommen werden
müssen. Dies nachzuholen ist die Beklagte verpflichtet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO, die
Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.
10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach §§ 132 Abs. 2, 137
Abs. 1 VwGO nicht gegeben sind.
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