Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.04.2009
OVG NRW: berufliche tätigkeit, ergänzung, forschung, berufswechsel, ausbildung, abschlussprüfung, berufsausübung, zahl, erwerb, erlass
Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 269/09
Datum:
23.04.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 269/09
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 6 L 1272/08
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 3. Februar 2009 wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO - im
Grundsatz - nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Rechtsmittelführers
befindet,
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vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 = NJW
2004, 2510, 2511; Bay. VGH, Beschluss vom 16. Januar 2003 - 1 CS 02.1922 -, NVwZ
2003, 632,
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hat keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist in diesem vorgegebenen
Prüfungsrahmen nicht zu beanstanden. Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin
rechtfertigt nicht, ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel
der Zulassung zum Studium der Tiermedizin gemäß dem zum Wintersemester
2008/2009 gestellten Zulassungsantrag stattzugeben.
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Die Antragstellerin stützt ihre Beschwerde darauf, ein Studium der Tiermedizin sei eine
sinnvolle Ergänzung des durchgeführten Lehramtsstudiums der Biologie. Einen
Berufswechsel bezwecke sie nicht. Sie strebe eine forschende Tätigkeit in einem
wissenschaftlichen fachübergreifenden Bereich der Zoologie und Botanik an und wolle
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sich dem Forschungsbereich des Tierversuchersatzes widmen.
Hiervon ausgehend kann die Beschwerde keinen Erfolg haben. Das Begehren, ein
Zweitstudium aufzunehmen, wird nach Maßgabe des § 17 der Verordnung über die
zentrale Vergabe von Studienplätzen in Nordrhein-Westfalen (VergabeVO NRW) vom
15. Mai 2008 (GV.NRW. S. 386) behandelt. Danach besteht für die Aufnahme eines
Zweitstudiums ein eigener Zugangsweg. Zwar kann auch derjenige, der bereits ein
Studium abgeschlossen hat, grundsätzlich die Möglichkeit wahrnehmen, ein weiteres
Studium aufzunehmen. Verschärfte Zulassungsbedingungen nach § 17 VergabeVO
NRW finden ihre Rechtfertigung aber darin, dass sich dieser Bewerber bereits durch
eine Ausbildung im Hochschulbereich die Grundlage für eine berufliche Tätigkeit
geschaffen hat. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf Zulassung zum
Studium der Wahl wird durch den Abschluss eines Erststudiums nicht verbraucht. Das
Grundrecht der freien Berufswahl umfasst daher auch einen Berufswechsel als Akt freier
Selbstbestimmung; wegen des inneren Zusammenhangs von Berufswahl und
Berufsausübung gilt insoweit das Gleiche für die Ausbildung zu einem weiteren Beruf.
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Vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u. a. -, BVerfGE 43, 291 = NJW
1977, 569, 575; Beschluss vom 3. November 1982 - 1 BvR 900/78 -, BVerfGE 62, 117 =
NVwZ 1983, 277, 278.
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In Studiengängen mit Zulassungsbeschränkungen ist die Zulassung zu einem
Zweitstudium auf eine Sonderquote allerdings gerechtfertigt beschränkt; der Ausschluss
von Zweitstudienbewerbern von den generellen Kriterien des allgemeinen oder
besonderen Auswahlverfahrens ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Mai 1996 - 13 B 1011/96 - und vom 27. März 2008
- 13 B 310/08 -, juris; Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der
Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 2003, § 23 Vergabeordnung Rn. 1.
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Bewerber für ein Zweitstudium werden nicht im Rahmen der Quoten nach § 6 Abs. 3 bis
5 VergabeVO NRW ausgewählt (§ 17 Abs. 1 VergabeVO NRW). Die Rangfolge wird
durch eine Messzahl bestimmt, die aus dem Ergebnis der Abschlussprüfung des
Erststudiums und dem Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium ermittelt
wird. Die Einzelheiten der Ermittlung der Messzahl ergeben sich aus Anlage 3 zur
VergabeVO NRW (§ 17 Abs. 2 Satz 1 und 2 VergabeVO NRW). Nach Abs. 1 der Anlage
3 ist die Messzahl die Summe der Punktzahlen, die für das Ergebnis der
Abschlussprüfung des Erststudiums und für den Grad der Bedeutung der Gründe für das
Zweitstudium vergeben werden. Hiernach hat die Antragsgegnerin die für die
Bewerbung der Antragstellerin maßgebliche Messzahl zutreffend ermittelt. Da die
Antragstellerin bei der Ersten Staatsprüfung für das Amt des Lehrers die Gesamtnote
"befriedigend" erzielt hatte, waren hierfür 2 Punkte zu vergeben (Abs. 2 Nr. 3 der Anlage
3). Den Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium hat die Antragsgegnerin
in rechtlich nicht anfechtbarer Weise mit einem Punkt bewertet, weil kein i. S. d. Abs. 3
Nr. 1 bis 4 der Anlage 3 anerkannter Grund gegeben ist.
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Für den Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium wird zwischen
"zwingenden beruflichen" (9 Punkte) sowie "wissenschaftlichen" (7 - 11 Punkte),
"besonderen beruflichen" (7 Punkte) und "sonstigen beruflichen Gründen" (4 Punkte)
unterschieden; wer keine dieser Gründe vorweisen kann, also einen bloßen
Berufswechsel ohne Bezug zur bisherigen Ausbildung anstrebt, erhält einen Punkt.
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Zwingende berufliche Gründe liegen vor, wenn normativ vorgeschrieben ist, dass der
angestrebte Beruf nur aufgrund zweier abgeschlossener Studiengänge ausgeübt
werden kann (Abs. 3 Nr. 1 der Anlage 3).
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Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 7. Januar 1997 - 13 E 1382/96 -.
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Unstreitig sind solche Gründe hier nicht gegeben. Gleichfalls liegen wissenschaftliche
Gründe für ein Zweitstudium der Antragstellerin i. S. v. Abs. 3 Nr. 2 der Anlage 3 fraglos
nicht vor. Die beabsichtigte spätere Mitwirkung in Forschungsprojekten ist insoweit nicht
relevant.
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Besondere berufliche Gründe bestehen, wenn die berufliche Situation dadurch
erheblich verbessert wird, dass der Abschluss des Zweitstudiums das erste Studium
sinnvoll ergänzt (Abs. 3 Nr. 3 der Anlage 3). Auch dieser Grund ist vorliegend nicht
gegeben.
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Prägend für die Auslegung - auch - des Abs. 3 Nr. 3 der Anlage 3 zur VergabeVO NRW
ist das schützenswerte Interesse von Erstbewerbern an der Zulassung zu einem
Studium, so dass der Zugang zu einem Zweitstudium von Bewerbern mit erfolgreicher
Hochschulausbildung erheblich erschwert werden darf.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 1982 - 1 BvR 900/78 -, BVerfGE 62, 117 =
NVwZ 1983, 277, 278.
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Der mit der Zweitstudienregelung bezweckte Schutz der Erststudienbewerber zwingt zu
einer engen Auslegung der Fallgruppen. Da das Zweitstudium eine sinnvolle
Ergänzung des Erststudiums darstellen muss, ist ein Berufswechsel durch ein
Zweitstudium in berufsfremden zulassungsbeschränkten Studiengängen
ausgeschlossen. Zugelassen ist aber der Erwerb einer Doppelqualifikation durch ein
interdisziplinäres Studium, wenn dies für die sachgemäße Ausübung des angestrebten
Berufs sinnvoll ist, ohne dass dabei einseitig herkömmliche Berufsbilder bevorzugt
werden.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 1982 - 1 BvR 900/78 -, a. a. O.
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Ergänzen sich die beiden Studiengänge sinnvoll, kommt es nicht darauf an, wo der
Schwerpunkt der späteren Berufsausübung liegt und in welcher zeitlichen Reihenfolge
das Erst- und das Zweitstudium betrieben werden (vgl. auch ZVS-Info WS 2008/09, S.
56).
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Das von der Antragstellerin angestrebte Zweitstudium stellt in diesem Sinne keine
sinnvolle Ergänzung des Erststudiums dar. Ob die Antragstellerin mit Abschluss des
Lehramtsstudiums bereits eine hinreichende Berufsqualifikation erreicht hat, ist bei der
Anwendung des § 17 VergabeVO, der diesbezüglich keine weitere Differenzierung
enthält, ohne ausschlaggebende Bedeutung; maßgeblich ist der - hier erfolgte -
Abschluss des Studiums. Besondere berufliche Gründe für die Aufnahme des
Zweitstudiums hat die Antragstellerin nicht nachvollziehbar dargelegt. Es ist nicht
ersichtlich, dass hier eine durch die Absolvierung von universitären Studiengängen
erlangte Doppelqualifikation angestrebt wird. Die Antragstellerin hat in der Begründung
für das Zweitstudium als angestrebtes Berufsziel eine Tätigkeit in Lehre und Forschung
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im biologischen Bereich mit veterinärmedizinischem Schwerpunkt angegeben und ohne
nähere konkrete Ausführungen zu einer sinnvollen Ergänzung des Erststudiums darauf
hingewiesen, dass sie im Biologiestudium Einblicke habe sammeln können, die für das
beabsichtigte Studium der Veterinärmedizin und einer späteren Tätigkeit in Lehre und
Forschung von Bedeutung seien. Auch die weitere Begründung bleibt allgemein und
vage und zeigt die Sinnhaftigkeit einer Doppelqualifikation nicht auf. Vielmehr
beschreibt die Antragstellerin die Tätigkeit in Lehre und Forschung sowie die
inhaltlichen Zusammenhänge beiden Studiengänge und verweist zudem auf ihr
Engagement für den Tierschutz. Schließlich gibt sie an, dass sie sich eine Tätigkeit in
der Parasitenforschung und pharmakologischen Forschung sowie auf dem Gebiet der
Forschung an Alternativmethoden zu Tierversuchen vorstellen könne. Vor diesem
Hintergrund bleibt es indessen unklar, warum die Antragstellerin das Lehramtsstudium
überhaupt absolviert hat. Eine Tätigkeit als Lehrerin strebt sie nunmehr augenscheinlich
auch nicht mehr an. Eine nachträgliche Umorientierung bezüglich der künftigen
beruflichen Perspektiven kann nicht zu einer höheren Messzahl-Bewertung für das
geplante Zweitstudium führen. Dass die von der Antragstellerin jetzt favorisierte
Forschungstätigkeit nicht allein aufgrund eines veterinärmedizinischen Studiums
möglich ist, hat sie abgesehen hiervon nicht plausibel dargetan. Der Senat folgt daher
dem Verwaltungsgericht in der Einschätzung, dass das angestrebte Zweitstudium sich
nicht als Teil einer aus zwei Abschnitten sinnvoll sich ergänzenden Gesamtausbildung
darstellt. Es liegt weder eine Ergänzung des Lehramtsstudiums durch das angestrebte
Studium der Tiermedizin vor noch ist der umgekehrte Fall gegeben. Es ist nicht zu
erkennen, dass es der Absolvierung zweier Vollstudien bedarf, um eine Tätigkeit in
Lehre und Forschung im biologischen Bereich aufzunehmen.
Zu dem Erfordernis eines Vollstudiums im Rahmen von Zweitstudiengängen vgl. OVG
NRW, Beschlüsse vom 24. Mai 1996 - 13 B 1011/96 -, vom 4. Februar 1998 - 13 B
3022/07 - und vom 27. März 2008 - 13 B 310/08 -, a. a. O.
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Schließlich scheidet eine Zuordnung zur Fallgruppe 4 des Abs. 3 der Anlage 3 aus.
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Sonstige berufliche Gründe liegen vor, wenn das Zweitstudium aufgrund der beruflichen
Situation aus sonstigen Gründen zu befürworten ist; in diesem Fall werden 4 Punkte
vergeben. Die Fallgruppe 4 hat der Verordnungsgeber in der Erkenntnis geschaffen,
dass die nach einem Erststudium erreichte berufliche Situation durch ein Zweitstudium
auch ohne inhaltliche Berührung beider Studiengänge und daher ohne - sinnvolle -
Ergänzung des Erststudiums durch das Zweitstudium faktisch verbessert werden kann,
dass mithin das Raster der Fallgruppen 3 ("besondere berufliche Gründe") und 5
("keiner der vorgenannten Gründe") zu grob sei.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2000 - 13 B 76/00 -.
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Die Schaffung der Fallgruppe 4 ist demnach Ausdruck einer verhältnismäßigen Vergabe
von Zweitstudienplätzen. Mit Rücksicht auf die nach wie vor für jeden Studienplatz
notwendigen erheblichen öffentlichen Mittel kann aber nur ein Grund in Betracht
kommen, der eine zu erwartende Verbesserung der beruflichen Situation des Bewerbers
durch das Zweitstudium erkennen lässt. Hiervon abzugrenzen ist die durch das
Zweitstudium angestrebte berufliche Situation im Zuge eines Wechsels des aufgrund
des Erststudiums erlangten oder erreichbaren Berufes. Dem schlichten Berufswechsel
kommt keine weitere als der von der Fallgruppe 5 ("keiner der vorgenannten Gründe")
mit einem Punkt versehenen Bedeutung zu.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. März 2008 - 13 B 310/08 -, a. a. O.
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So liegt es hier. Die berufliche Situation der Antragstellerin in dem von ihr bisher
angestrebten Beruf als Grundschullehrerin würde sich durch ein abgeschlossenes
Studium im Studiengang Tiermedizin nicht verbessern. Da sich die Bedeutung der
Fallgruppe 4 hauptsächlich in der Abgrenzung zu der Fallgruppe 5 erschließt, wobei
allerdings auch ein Blick auf das System des Abs. 3 der Anlage 3 mit seiner abgestuften
Punkteskala zeigt, dass nur spezifische berufliche Gründe die Zulassung zu einem
Zweitstudium rechtfertigen können, kann der bloße Wunsch eines Berufswechsels oder
eines weiteren Studiums nicht ausreichend sein, auch wenn der Studienbewerber - wie
die Antragstellerin - sich davon bessere berufliche Perspektiven verspricht.
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Da berufsspezifische Gründe i. S. d. Abs. 3 Nr. 1 bis 4 der Anlage 3 nicht gegeben sind,
ist die Antragstellerin zutreffend der Fallgruppe 5 mit dem Wert "1 Punkt" zugeordnet
worden. Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass die Einordnung der Gründe für
das angestrebte Zweitstudium nicht auf Dauer zur Versagung eines
Tiermedizinstudiums führt, sondern nur solange besser qualifizierte Konkurrenten die
begrenzte Zahl an Zweitstudienplätzen in dem Studiengang Tiermedizin einnehmen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren entsprechend der Ankündigung in dem
Schreiben des Berichterstatters vom 2. März 2009 auf 5.000,-- Euro festgesetzt (§ 47
Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 2 GKG).
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Zur geänderten Rechtsprechung des Senats in Verfahren der Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes im Hochschulzulassungsrecht vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März
2009 - 13 C 264/08 u. a. - und vom 16. März 2009 - 13 C 1/09 -, jeweils juris.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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