Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.04.1999

OVG NRW (schutz von grundrechten dritter, anordnung, antragsteller, verwaltungsgericht, antrag, höhe, zwangsgeld, beschwerde, androhung, befristung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 5 E 251/99
Datum:
20.04.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 E 251/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 M 9/99
Tenor:
Soweit der Antragsteller den Antrag auf Anordnung von
Ersatzzwangshaft zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Der Beschluß des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 2. März 1999
wird auf die Beschwerde des Antragsgegners geändert.
Gegen den Antragsgegner wird eine Ersatzzwangshaft von 5 Tagen
angeordnet.
Zur Vollstreckung der Ersatzzwangshaft wird gegen den Antragsgegner
Haftbefehl erlassen.
Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der
Antragsteller zu 4/5 und der Antragsgegner zu 1/5.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 17.000,-- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
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Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Anordnung von
Ersatzzwangshaft wegen Uneinbringlichkeit von Zwangsgeldern. Diese betrugen
ursprünglich insgesamt 17.000,-- DM. Während des Beschwerdeverfahrens hat der
Antragsteller seinen Antrag auf Anordnung von Ersatzzwangshaft insoweit
zurückgenommen, als er die Vollstreckung eines 5.000,-- DM übersteigenden Betrages
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betrifft. Dem aufrechterhaltenen Antrag hinsichtlich eines Zwangsgeldes in Höhe von
5.000,-- DM liegt ein Verstoß des Antragsgegners am 19. September 1998 gegen ein mit
Ordnungsverfügung vom 2. September 1998 verfügtes sechsmonatiges
Aufenthaltsverbot zur Bekämpfung der offenen Drogenszene in der A Innenstadt
zugrunde. Mit Ordnungsverfügung vom 27. Oktober 1998, zugestellt am 30. Oktober
1998, setzte der Antragsteller wegen dieses Verstoßes ein Zwangsgeld in Höhe von
5.000,-- DM fest und ordnete zugleich ein weiteres Aufenthaltsverbot von sechs
Monaten gegen den Antragsgegner an. Das Verwaltungsgericht hat unter
Berücksichtigung der ursprünglichen Zwangsgeldsumme von 17.000,-- DM auf Antrag
des Antragstellers eine Ersatzzwangshaft von insgesamt 24 Tagen angeordnet; davon
entfallen 7 Tage auf das Zwangsgeld wegen des Verstoßes am 19. September 1998.
Gegen diese Ersatzzwangshaft von 7 Tagen richtet sich die Beschwerde des
Antragsgegners. II.
Soweit der Antragsteller den Antrag zurückgenommen hat, ist das Verfahren
entsprechend §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 2 VwGO einzustellen.
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Die danach verbleibende Beschwerde ist begründet, soweit das Verwaltungsgericht
mehr als 5 Tage Ersatzzwangshaft angeordnet hat. Im übrigen ist sie unbegründet.
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Das Verwaltungsgericht hat die beantragte Ersatzzwangshaft dem Grunde nach zu
Recht angeordnet. Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 VwVG NW kann das Verwaltungsgericht auf
Antrag der Vollstreckungsbehörde die Ersatzzwangshaft anordnen, wenn das
Zwangsgeld uneinbringlich ist und der Pflichtige bei der Androhung des Zwangsgeldes
auf die Möglichkeit der Anordnung der Ersatzzwangshaft hingewiesen worden ist.
Voraussetzung der Anordnung einer Ersatzzwangshaft als einem unselbständigen
Zwangsmittel ist ferner, daß die Zwangsgeldfestsetzung unanfechtbar oder sofort
vollziehbar und nicht nichtig ist. Das Verwaltungsgericht entscheidet nach seinem freien
richterlichen Ermessen in Ansehung aller Umstände des konkreten Falles. Neben dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen
wie Krankheit oder Haftunfähigkeit zu berücksichtigen.
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Vgl. OVG NW, Beschluß vom 13. Februar 1976 - X B 1427/75 -, NJW 1976, 1284; OVG
NW, Beschluß vom 13. Juni 1989 - 17 B 1975/86 -, NWVBl. 1990, 19, 20 jeweils m.w.N.
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Hiervon ausgehend liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Haftanordnung
vor. Die Ordnungsverfügung vom 2. September 1998, mit der dem Antragsgegner ein
Zwangsgeld in Höhe von 5.000,-- DM für den Fall einer erneuten Zuwiderhandlung
angedroht wurde, enthielt den Hinweis, daß das Verwaltungsgericht auf Antrag die
Ersatzzwangshaft anordnen könne. Die der Ersatzzwangshaft zugrundeliegende
Zwangsgeldfestsetzung vom 27. Oktober 1998 ist gemäß § 8 AG VwGO sofort
vollziehbar.
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Das hier in Rede stehende festgesetzte Zwangsgeld in Höhe von 5.000,-- DM ist auch
uneinbringlich. Der Antragsteller hat vergeblich versucht, im Oktober 1998 ein
Zwangsgeld zwangsweise beizutreiben. Anhaltspunkte dafür, daß der Antragsgegner
als Sozialhilfeempfänger über verwertbares Vermögen verfügt, liegen nicht vor. Der
Nachweis der Uneinbringlichkeit setzt nicht notwendig die Abgabe einer
eidesstattlichen Versicherung des Vollstreckungsschuldners voraus.
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Vgl. BayVGH, Beschluß vom 12. Februar 1996 - 8 C 96.216 -, VGHE n.F. 49, 31 f.
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m.w.N.; anderer Ansicht VG Frankfurt, Beschluß vom 9. Juni 1993 - 9 M 1171/93 -, NJW
1994, 725.
Weder Wortlaut noch Sinn des nordrhein-westfälischen
Verwaltungsvollstreckungsgesetzes verlangen den Nachweis der Uneinbringlichkeit in
einer bestimmten Form. Bestehen - wie hier - keinerlei Anhaltspunkte, die auf ein
verwertbares Vermögen des Vollstreckungsschuldners schließen lassen, bedarf es zum
Nachweis der Uneinbringlichkeit keiner eidesstattlichen Versicherung.
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Die Anordnung der Ersatzzwangshaft wird auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gerecht. Der mit der Ersatzzwangshaft verbundene schwerwiegende Eingriff in die
persönliche Bewegungsfreiheit des Vollstreckungsschuldners (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art.
104 Abs. 1 GG) darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen. Die
Ersatzzwangshaft ist das letzte Mittel des Staates, um seine Anordnungen gegenüber
uneinsichtigen Bürgern durchzusetzen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1956 - 1 C 10.56 -, BVerwGE 4, 196, 198; OVG
NW, Beschluß vom 13. Februar 1976 - X B 1427/75 -, NJW 1976, 1284; OVG NW,
Beschluß vom 18. Juli 1996 - 4 E 461/95 -, NWVBl. 1996, 484, 485 m.w.N.
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Die erforderliche Abwägung hat alle Umstände des konkreten Einzelfalls zu
berücksichtigen. Die Bedeutung des mit der Ordnungsverfügung erstrebten Erfolges ist
dem besonderen Gewicht gegenüberzustellen, das der beantragten Freiheitsentziehung
zukommt. Zu berücksichtigen sind Umfang und Stärke der polizeilichen
Ordnungsstörung, das Gewicht der mit der Ordnungsverfügung zu schützenden
Rechtsgüter, Notwendigkeit und Schwere des Drucks auf den Willen des
Vollstreckungsschuldners sowie gegebenenfalls auch besondere persönliche
Umstände des Betroffenen.
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Vgl. OVG NW, Beschluß vom 13. Juni 1989 - 17 B 1975/86 -, NWVBl. 1990, 19, 20;
Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 539.
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Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist ferner von Bedeutung, ob
ein weiterer Verstoß gegen das mit der Anordnung von Ersatzzwangshaft
durchzusetzende befristete Aufenthaltsverbot noch möglich ist. Eine Erledigung des
Aufenthaltsverbots durch Zeitablauf nimmt der Ersatzzwangshaft zwar nicht den
Charakter als Beugemittel. Ebenso wie die nachfolgende Festsetzung und Beitreibung
eines Zwangsgeldes nach Erledigung des Grundverwaltungsakts dazu dient, der
Androhung den nötigen Nachdruck zu verleihen,
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ständige Rechtsprechung des erkennenden Gerichts, vgl. OVG NW, Urteil vom 21.
Dezember 1988 - 7 A 2555/87 -, DVBl. 1989, 889; OVG NW, Beschluß vom 10. Juli
1995 - 5 B 1353/95 -,
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erfüllt die Anordnung der Ersatzzwangshaft - soweit es um die Durchsetzung eines
Verbots geht - ihre Beugefunktion dadurch, daß sie die motivierende Wirkung der
Androhung als Druckmittel erhält. Dient die Anordnung der Ersatzzwangshaft nach
Erledigung der Grundverfügung allerdings nur noch dazu, einer Entwertung der
Androhung des Zwangsgeldes als Beugemittel zu begegnen, kommt mit Blick auf den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Ersatzzwangshaft nur ausnahmsweise bei
Vorliegen besonderer Voraussetzungen in Betracht. Eine solche Ausnahme hat der
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Senat für den Fall angenommen, daß die Androhung des Zwangsmittels der
Durchsetzung einer Ordnungsverfügung dient, die den Schutz von Leben und
Gesundheit Dritter bezweckt. In diesem Fall rechtfertigt das Einschreiten zum Schutz
von Grundrechten Dritter ausnahmsweise einen Eingriff in das Grundrecht der
persönlichen Freiheit des Schuldners. Trotz Erledigung der Grundverfügung kann daher
die Anordnung von Ersatzzwangshaft bei einem Aufenthaltsverbot gegen einen
Drogenhändler - anders als bei einem Drogenkonsumenten - angemessen sein.
Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 18. Dezember 1996 - 5 E 1035/95 -, NVwZ-RR 1997,
763 = DÖV 1997, 511 und - 5 E 349/95 -.
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Eine Erledigung des zu vollstreckenden Aufenthaltsverbots im vorstehenden Sinne liegt
allerdings nicht immer bereits dann vor, wenn die in der ursprünglichen Grundverfügung
vorgesehene Befristung an sich abgelaufen wäre. Ein Aufenthaltsverbot hat sich - trotz
Ablaufs der ursprünglichen Befristung - dann nicht erledigt und kann mit Zwangsmitteln
weiterhin durchgesetzt werden, wenn es zwischenzeitlich wegen eines konkreten
Verstoßes gegen dasselbe verlängert worden ist. Eine solche Fallkonstellation ist nicht
nur dann gegeben, wenn die "Restlaufzeit" der Grundverfügung schlicht verlängert
worden ist, sondern auch dann, wenn die "alte" noch wirksame Verfügung durch eine
"neue" Verfügung mit neuer Befristung ersetzt worden ist. Die Ersetzung durch eine
"neue" Verfügung anläßlich eines Verstoßes bezweckt nicht die "Erledigung" des
Aufenthaltsverbots, sondern gerade die ununterbrochene Fortsetzung desselben, weil
der Adressat die Gefahr, die bekämpft werden soll, durch sein Verhalten erneut
aktualisiert hat. In beiden Fällen - der Ersetzung wie der schlichten Verlängerung - liegt
ein einheitliches, zeitlich nicht unterbrochenes Aufenthaltsverbot vor. Die Fortsetzung
der Verwaltungsvollstreckung nach Ablauf der ursprünglichen, zwischenzeitlich aber
verlängerten Befristung dient nicht lediglich dazu, die Entwertung der
Zwangsgeldandrohung als Beugemittel zu verhindern, sondern bezweckt die
Durchsetzung der ununterbrochenen Ordnungspflicht, des Aufenthaltsverbots.
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Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Anordnung einer Ersatzzwangshaft
hinsichtlich der Zwangsgeldfestsetzung vom 27. Oktober 1998 in Höhe von 5.000,-- DM
angemessen. Zwar ist die ursprüngliche sechsmonatige Befristung der
Ordnungsverfügung vom 2. September 1998 am 5. März 1999 abgelaufen. Bereits vor
ihrem Ablauf aber, nämlich mit Ordnungsverfügung vom 27. Oktober 1998, zugestellt am
30. Oktober 1998, hat der Antragsteller wegen des erneuten Verstoßes des
Antragsgegners ein Aufenthaltsverbot von sechs Monaten verfügt, das erst mit Ablauf
des 30. April 1999 endet. Die vom Verwaltungsgericht angeordnete Ersatzzwangshaft
dient mithin noch der Durchsetzung eines andauernden Aufenthaltsverbots.
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Angesichts der Gesamtumstände erscheint die Anordnung einer Ersatzzwangshaft von
5 Tagen erforderlich und angemessen. Dabei hat der Senat einerseits berücksichtigt,
daß der Antragsteller wiederholt gegen die angeordneten Aufenthaltsverbote verstoßen
hat. Zum anderen hat er berücksichtigt, daß der Antragsteller offenbar bei Festsetzung
des Zwangsgeldes in Höhe von 5000.- DM pauschal Einkünfte oder Vermögenswerte
des Antragsgegners neben dem Bezug von Sozialhilfe vermutet hat. Der Senat hat dafür
derzeit mit Blick auf die ergebnislose Pfändung keine Anhaltspunkte, zumal nach
Aktenlage unklar ist, ob der Antragsgegner lediglich Drogenkonsument oder auch
Drogenhändler ist. Diese Frage wird gegebenenfalls im Widerspruchsverfahren zu
klären sein. Für den vorliegenden Zusammenhang ist allein von Bedeutung, daß der
Antragsteller angesichts des unterstellten Einkommens des Antragsgegners mit der
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Höhe des festgesetzten Zwangsgeldes ein Zwangsmittel mit niedrigerem Druck- und
Drohpotential eingesetzt hat als vom Verwaltungsgericht angenommen. Der Senat hält
deshalb 5 statt 7 Tage Ersatzzwangshaft für angemessen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1 und 2 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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