Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.12.2003

OVG NRW: versetzung, englisch, schüler, mitarbeit, beurteilungsspielraum, besuch, erlass, unterrichtung, vertretung, vergleich

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 2561/03
Datum:
23.12.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 B 2561/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 L 2448/03
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000 EUR
festgesetzt.
Der Tenor des Beschlusses ist den Beteiligten vorab telefonisch bekannt
zu geben.
Gründe:
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Die Beschwerde ist zurückzuweisen, weil die mit der Beschwerde dargelegten Gründe,
die vom Oberverwaltungsgericht nur zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), nicht
erkennen lassen, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) fehlerhaft abgelehnt hat.
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Dabei kann dahinstehen, ob der begehrten Verpflichtung des Antragsgegners, die
Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig in die Klasse 9 zu
versetzen, bereits entgegensteht, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung
des Senats - und auch schon bei Eingang der Beschwerdebegründung am 19.
Dezember 2003 - eine erfolgreiche Mitarbeit der Antragstellerin in der Klasse 9 schon
nicht mehr erwartet werden kann. Sie wiederholt seit dem Beginn des Unterrichts im
Schuljahr 2003/2004 am 15. September 2003 die Klasse 8 und hat damit über einen
Zeitraum von mehr als drei Monaten nicht am Unterricht der Klasse 9 teilgenommen. Vor
diesem Hintergrund erscheint eine erfolgreiche Mitarbeit in der Klasse 9 schon auf
Grund des Zeitablaufs, der weitgehend von der Antragstellerin zu vertreten ist, weil sie
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erst am 9. Oktober 2003 gestellt
hat und die Begründung ihrer Beschwerde gegen den ihren Prozessbevollmächtigten
am 21. November 2003 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts erst am Abend
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des 19. Dezember 2003 beim Oberverwaltungsgericht eingegangen ist, unmöglich. Es
ist insbesondere nicht ersichtlich und damit nicht glaubhaft, dass der Antragstellerin
außerschulisch durch ihren Vater, der stellvertretender Schulleiter eines Gymnasiums
ist, der bisherige Unterrichtsstoff der Klasse 9 - in allen Fächern (!) - erfolgreich vermittelt
worden ist. Insoweit fehlen bereits nähere Angaben dazu, wie die Antragstellerin zeitlich
in der Lage sein will, nach Unterrichtsende neben der ordnungsgemäßen Anfertigung
ihrer Hausaufgaben in den Fächern der 8. Klasse zusätzlich den Unterrichtsstoff der
Klasse 9 zu erlernen, zumal sie sich selbst jedenfalls bezogen auf das Schuljahr
2002/2003 als "schwächere Schülerin" bezeichnet hat. Außerdem fehlen konkrete
Angaben dazu, dass der Vater der Antragstellerin in der Lage ist, seine Tochter in allen
Fächern der Klasse 9 fachkundig zu unterrichten, und hat die Antragstellerin selbst
eingeräumt, dass das Erlernen des Unterrichtsstoffes der Klasse 9 nach den
Herbstferien "kaum noch zu bewältigen sein wird".
Das Verwaltungsgericht ist jedenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass die
Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Auch aus der
Beschwerdebegründung ergibt sich kein Anspruch auf vorläufige Versetzung in die
Klasse 9.
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Die Voraussetzungen für eine Versetzung gemäß § 21 Abs. 1 iVm § 26 Buchstabe a
AVO-S I sind nicht erfüllt.
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Die Antragstellerin macht in diesem Zusammenhang ohne Erfolg geltend, die
Nichtversetzung sei "formell rechtswidrig", weil die Versetzungskonferenz lediglich 30
Minuten beraten habe, das Protokoll über die Sitzung der Versetzungskonferenz
insbesondere zur Entscheidung gemäß § 21 Abs. 2 AVO-S I keine "textlichen
Feststellungen" enthalte und die Konferenz keine Prognoseentscheidung gemäß § 21
Abs. 2 AVO-S I getroffen habe. Mit diesem Vortrag werden lediglich Verfahrensfehler
gerügt, die nicht geeignet sind, einen Anspruch auf vorläufige Versetzung in die Klasse
9 zu begründen. Der Zweck der Versetzungsentscheidung, einen Schüler (nur) dann zu
versetzen, wenn er die Leistungsanforderungen der bisherigen Klasse oder
Jahrgangsstufe erfüllt hat (§ 27 Abs. 1 Satz 1 ASchO NRW), würde vereitelt, wenn der
Schüler allein auf Grund eines Verfahrensfehlers versetzt würde.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Dezember 2003 - 19 B 2479/03 -, 13. Februar
2002 - 19 B 1601/01 -, und 23. November 2001 - 19 B 1480/01 -.
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Abgesehen davon hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Versetzungskonferenz
(auch) darüber beraten und entschieden hat, ob die Antragstellerin gemäß § 21 Abs. 2
AVO- S I versetzt werden kann. Dies hat der Vorsitzende der Versetzungskonferenz
ausdrücklich unter dem 6. November 2003 erklärt. Der gegenteilige Vortrag der
Antragstellerin erschöpft sich in Mutmaßungen, die nicht mit konkreten Tatsachen belegt
worden sind.
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Die Antragstellerin hat weiter nicht glaubhaft gemacht, dass die Versetzungskonferenz
das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für eine Versetzung gemäß § 21 Abs. 1
iVm § 26 Buchstabe a AVO-S I zu Unrecht verneint hat. Einwände gegen die Note
mangelhaft im Fach Englisch werden nicht geltend gemacht. Die Antragstellerin trägt
lediglich vor, dass sie ihre mangelhaften Leistungen im Fach Englisch durch ihre
Leistungen im Fach Deutsch ausgleichen könne. Die Leistungen im Fach Deutsch
seien im Versetzungszeugnis zu Unrecht mit ausreichend bewertet worden; ihre
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Leistungen in diesem Fach seien mit befriedigend zu benoten. Für die Richtigkeit dieser
eigenen Einschätzung ihrer Leistungen im Fach Deutsch hat die Antragstellerin (auch)
mit der Beschwerde keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen.
Soweit sie eine mangelnde aussagekräftige Begründung der Note im Fach Deutsch
rügt, wird lediglich ein Verfahrensfehler geltend gemacht, der aus den bereits
dargelegten Gründen weder einen Anspruch auf Besserbewertung einzelner
schulischer Leistungen noch einen Anspruch auf vorläufige Versetzung in die Klasse 9
begründet.
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Der weitere Vortrag der Antragstellerin, sie sei dem Inhalt der Stellungnahme der
Deutschlehrerin vom 2. August 2003 in der Antragsschrift vom 8. Oktober 2003
entgegengetreten, genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO. Danach sind in der Beschwerdebegründung unter anderem die Gründe
darzulegen, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern und
aufzuheben ist, und muss sich die Beschwerdebegründung mit der angefochtenen
Entscheidung auseinander setzen. Dem genügt nicht die bloße Bezugnahme auf
früheres Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren.
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Die Antragstellerin hat schließlich keinen Anspruch auf (vorläufige) Versetzung in die
Klasse 9 gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 AVO-S I glaubhaft gemacht. Danach kann eine
Schülerin oder ein Schüler auch dann versetzt werden, wenn die
Versetzungsanforderungen aus besonderen Gründen nicht erfüllt werden konnten,
jedoch erwartet werden kann, dass auf Grund der Leistungsfähigkeit, der
Gesamtentwicklung und der Förderungsmöglichkeiten der Schule in der nachfolgenden
Klasse eine erfolgreiche Mitarbeit möglich ist.
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Es kann dahinstehen, ob einer Versetzung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 AVO-S I bereits
das Fehlen besonderer Gründe im Sinne dieser Vorschrift entgegensteht. In diesem
Zusammenhang ist u.U. im bereits anhängigen Klageverfahren unter anderem zu klären,
ob besondere Gründe im Sinne des § 21 Abs. 2 Satz 1 AVO-S I dann nicht in Betracht
kommen, wenn die Schülerin oder der Schüler die Möglichkeit hat, die Versetzung durch
eine Nachprüfung (§ 22 AVO-S I) zu erreichen. Diese Möglichkeit stand der
Antragstellerin offen. Sie ist zur Nachprüfung im Fach Englisch zugelassen worden, hat
sich dieser aber nach den vorliegenden Unterlagen nicht unterzogen, weil sie, wie in der
Beschwerdebegründung dargelegt, nicht "die Erwartung" hatte, im Fach Englisch eine
"Verbesserung erzielen" zu können.
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Jedenfalls ist die, wie bereits ausgeführt, tatsächlich erfolgte Prognoseentscheidung der
Versetzungskonferenz, eine erfolgreiche Mitarbeit der Antragstellerin in der Klasse 9 sei
nicht zu erwarten, nicht zu beanstanden. Diese Prognoseentscheidung ist gerichtlich nur
eingeschränkt zu überprüfen. Bei der Entscheidung über die Frage, ob ein Schüler, der
die Versetzungsanforderungen nicht erfüllt hat, in der nächsthöheren Klasse erfolgreich
mitarbeiten kann, obliegt der Versetzungskonferenz ein Beurteilungsspielraum, dessen
Umfang im Einzelnen im vorliegenden Verfahren keiner näheren Erörterung bedarf. In
diesen Beurteilungsspielraum dürfen die Verwaltungsgerichte allenfalls
ausnahmsweise und nur in Evidenzfällen eingreifen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1999 - 6 C 13.98 -, NVwZ 2000, 915 (919 f.), m. w. N.,
OVG NRW, Beschluss vom 4. November 2002 - 19 B 2036/02 -, sowie zur Beurteilung
der Eignung eines Schülers für den weiteren Besuch der Realschule: OVG NRW,
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Beschluss vom 22. April 2002 - 19 B 575/02 -.
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin hat keine
Gesichtspunkte vorgetragen, die die Prognoseentscheidung der Versetzungskonferenz
als evident fehlerhaft erscheinen lassen.
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Sie trägt insoweit vor, dass sie in der Lage sei, im Fach Deutsch die Note befriedigend
oder besser zu erreichen und damit ihre im Versetzungszeugnis mit mangelhaft
bewerteten Leistungen im Fach Englisch auszugleichen. Eine zu erwartende
Leistungsverbesserung in einem anderen Fach macht die Antragstellerin nicht geltend.
Deshalb kommt eine für sie günstige Prognose im Sinne des § 21 Abs. 2 Satz 1 AVO-S I
nur dann in Betracht, wenn die Versetzungskonferenz bei ihrer Prognoseentscheidung
evident fehlerhaft eine Leistungsverbesserung im Fach Deutsch verneint hat. Dafür
bietet der Vortrag der Antragstellerin keine hinreichenden Anhaltspunkte.
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Ihre Auffassung, sie hätte im Fach Deutsch bei einer kontinuierlichen Unterrichtung
durch die Fachlehrerin oder im Falle einer ordnungsgemäßen Vertretung während der
Zeit der Erkrankung der Fachlehrerin mindestens die Note befriedigend im Fach
Deutsch erzielen können, zumal ihre Leistungen im ersten Halbjahr des Schuljahres
2003/2004 im Fach Deutsch mit gut bewertet worden seien, ist eine bloße subjektive
Einschätzung der Antragstellerin und als solche zu spekulativ, um eine evident
fehlerhafte Prognoseentscheidung der Versetzungskonferenz begründen zu können.
Dass sie bei der 6. Klassenarbeit im Fach Deutsch ein ausreichend erzielte, lässt bei
einem Vergleich der 6. mit der 5. - mit mangelhaft bewerteten - Klassenarbeit entgegen
der Auffassung der Antragstellerin allenfalls einen geringen, nicht aber einen derartigen
"Aufwärtstrend" erkennen, der zwingend den Schluss erfordert, dass der im zweiten
Halbjahr des Schuljahres 2003/2004 erfolgte Leistungsabfall im Fach Deutsch beendet
ist und deshalb die Versetzungskonferenz evident fehlerhaft davon ausgegangen ist,
dass die Antragstellerin in der Klasse 9 mit befriedigend oder besser zu bewertende
Leistungen im Fach Deutsch erbringen kann. Im Übrigen hat die Bewertung der 6.
Klassenarbeit auch nur eingeschränkte Aussagekraft in Bezug auf das
Leistungsvermögen der Antragstellerin, weil nach dem "Protokoll der
Widerspruchskonferenz" vom 30. Juli 2003 "bei der Bewertung" der 6. Klassenarbeit im
Fach Deutsch die Belastungen auch der Antragstellerin "durch den Austausch (Besuch
englischer Gäste) berücksichtigt" worden ist, wobei dahinstehen kann, ob eine solche
Bewertung den Regelungen in §§ 21, 25 ASchO NRW widerspricht. Eine bloße
subjektive Einschätzung ist auch der Vortrag der Antragstellerin, sie habe "in Ansehung
ihres Leistungsstandes im ersten Halbjahr mit der Note gut durchaus das
Leistungspotential für eine Verbesswertung auf die Note befriedigend alleine durch eine
gesteigerte sonstige Mitarbeit". Diese Einschätzung lässt eine evidente Fehlerhaftigkeit
der Prognoseentscheidung der Versetzungskonferenz schon deshalb nicht erkennen,
weil die Antragstellerin nach der insoweit nicht substantiiert bestrittenen Stellungnahme
der Fachlehrerin im Fach Deutsch vom 2. August 2003 im ersten Halbjahr des
Schuljahres 2003/2004 "überaus zurückhaltend im Unterricht" war und sich "im
gesamten zweiten Halbjahr außerordentlich passiv im Unterricht verhielt, sich fast nie
meldete, auch nach Aufforderung kaum in der Lage war, einen Beitrag zu leisten; die
ganz seltenen Beiträge beschränkten sich auf knappe Äußerungen;
zusammenhängende Darstellungen wurden nicht geliefert". Anhaltspunkte dafür, dass
sich diese Arbeitshaltung grundlegend geändert hat, sind weder vorgetragen noch sonst
ersichtlich. Die Antragstellerin hat insbesondere keine Angaben zu ihrer
Leistungsentwicklung und ihrem Verhalten im Unterricht während des laufenden
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Schuljahres gemacht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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