Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.05.2003
OVG NRW: besondere härte, ausreise, behörde, aufnahmebewerber, alter, herkunft, verfahrensablauf, verwaltungsverfahren, anschluss, dringlichkeit
Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 2145/03
Datum:
23.05.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 A 2145/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 13 K 4702/00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 8.000,- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
(§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte
durch das angefochtene Urteil verpflichtet, die Klägerinnen zu 1. und 3. nachträglich
gemäß § 27 Abs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG in den der Mutter der Klägerin zu 1.
erteilten Aufnahmebescheid vom 1. September 1994 einzubeziehen. Diese
Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zur
"verfahrensbedingten Härte".
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Es ist in Einbeziehungsfällen nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 12. April 2001 - 5 C 19.00 -, DVBl. 2001, 1527,
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anerkannt, dass auch im Verfahren selbst liegende Gründe einen Härtegrund darstellen
können. Der Senat hat im Anschluss an diese Rechtsprechung es grundsätzlich als eine
"verfahrensbedingte Härte" angesehen, dem Einzubeziehenden bezüglich seines
Anspruchs auf Einbeziehung die vorzeitige Ausreise der Bezugsperson
entgegenzuhalten, wenn bei objektiver Betrachtungsweise dem Bundesverwaltungsamt
im Rahmen der ihm obliegenden Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhalts von
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Amts wegen (§ 24 VwVfG) eine Zusammenführung der Aufnahmeverfahren möglich
gewesen wäre und eine Einbeziehung noch hätte erfolgen können, bevor die
Bezugsperson das Aussiedlungsgebiet verlassen hat. Dabei ist mit Rücksicht auf die
Besonderheiten des vertriebenenrechtlichen Verfahrens und unter Berücksichtigung der
Ausgestaltung des jeweiligen Verfahrens im Einzelfall zu prüfen, ob es in diesen Fällen
eine besondere Härte darstellen würde, dem Einzubeziehenden die Ausreise der
Bezugsperson einem Anspruch auf Einbeziehung entgegenzuhalten, obwohl der
Aufnahmeantrag noch vor der Ausreise der Bezugsperson gestellt worden ist. Auch
wenn in rechtlicher Hinsicht bei einer Einbeziehung von Abkömmlingen nur das
Abstammungsverhältnis zu prüfen ist, kann ein Aufnahmebewerber bei objektiver
Betrachtungsweise nicht erwarten, dass im Rahmen einer ordnungsgemäßen und
förderlichen Behördentätigkeit die Einbeziehungsmöglichkeit sofort nach Eingang des
Aufnahmeantrags festgestellt wird und ihm allein deswegen die nachträgliche
Einbeziehungsmöglichkeit im Härtewege durch eine unmittelbar nach Stellung des
Aufnahmeantrages erfolgte Ausreise der Bezugsperson in keinem Fall verloren geht.
Vielmehr ist der Behörde grundsätzlich eine angemessene Bearbeitungsfrist
zuzubilligen. Was angemessen ist, bestimmt sich dabei nach den jeweiligen Umständen
des Einzelfalles. Werden von Seiten des Aufnahmebewerbers besondere Umstände für
die Dringlichkeit der Entscheidung geltend gemacht, ist die Behörde gehalten, hierauf
Rücksicht zu nehmen und das Verwaltungsverfahren soweit wie möglich zu
beschleunigen. Allgemein ist zu berücksichtigen, dass in vertriebenenrechtlichen
Verfahren neben der rechtlichen Prüfung durch das Bundesverwaltungsamt auch die
Zustimmung eines aufnehmenden Landes gemäß § 28 Abs. 2 BVFG einzuholen ist. Der
gesamte Verfahrensablauf bis zu einer positiven Entscheidung nimmt deshalb objektiv
auch bei sachdienlicher Förderung regelmäßig einige Wochen in Anspruch. Legt die
Behörde nachvollziehbar dar, dass auf Grund der im Vertriebenenverfahren
bestehenden verfahrensrechtlichen Besonderheiten eine Bescheiderteilung innerhalb
des zwischen Antragstellung und Ausreise der Bezugsperson liegenden Zeitraums von
unter drei Monaten objektiv nicht möglich war, stellt es gegenüber dem
Aufnahmebewerber keine "verfahrensbedingte Härte" dar, ihm die vorzeitige Ausreise
der Bezugsperson in Bezug auf eine Einbeziehung entgegenzuhalten.
Vgl. Urteile des Senats vom 17. März 2003 - 2 A 4647/01 -; sowie vom 31. März 2003 - 2
A 4514/01 -.
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Hiervon ausgehend wird im Zulassungsantrag nicht hinreichend dargelegt, dass die
Versagung einer nachträglichen Einbeziehung für die Klägerinnen zu 1. und 3.
entgegen der die näheren Umstände des von den Klägern betriebenen
Aufnahmeverfahrens berücksichtigenden Beurteilung durch das Verwaltungsgericht in
dem angefochtenen Urteil keine "verfahrensbedingte Härte" darstellen würde. Es ist im
Zulassungsantrag nicht nachvollziehbar dargetan, dass innerhalb des zwischen
Stellung des Aufnahmeantrages durch die Klägerinnen und der Ausreise der Mutter der
Klägerin zu 1. liegenden Zeitraumes von etwa sechs Wochen bei objektiver
Betrachtungsweise eine abschließende Bearbeitung des Aufnahmeantrages der
Klägerinnen zu 1. und 3. in bezug auf eine nachträgliche Einbeziehung nicht möglich
gewesen wäre. Weder dem Umstand, dass es sich bei dem vertriebenenrechtlichen
Aufnahmeverfahren um ein Massenverfahren handelt, noch dem nicht weiter
konkretisierten Gesichtspunkt, dass "eine nicht unbedeutende Anzahl von Vorgängen
aufgrund von erkennbaren Krankheitsfällen, Alter der Antragsteller, Herkunft aus
Krisengebieten, u.ä. beschleunigt bzw. vorrangig hätten bearbeitet werden müssen",
kommen dabei im vorliegenden Zusammenhang entscheidende Bedeutung zu. Ebenso
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ist nicht nachvollziehbar dargetan, dass die erforderliche Beteiligung des zu
beteiligenden Bundeslandes nicht hätte durchgeführt werden können. Dass der
Aufnahmeantrag der Klägerin zu 1. auch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides
gemäß § 27 Abs. 1 BVFG gerichtet gewesen ist, steht der Annahme einer
"verfahrensbedingten Härte" nach der ständigen Rechtsprechung des Senats gleichfalls
nicht entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG). Das
Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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