Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.05.2002

OVG NRW: zusammenschaltung, treu und glauben, unternehmen, bestandsgarantie, initiativrecht, ermessen, wettbewerber, vorrang, vollziehung, kündigung

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 307/02
Datum:
08.05.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 307/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 1 L 2574/01
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragstellerin, die auch die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, zurückgewiesen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3 Mio. EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
2
Der Senat entscheidet über die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO idFd.
RmBereinVpG nur im Rahmen der von der Antragstellerin dargelegten Gründe. Hiervon
ausgehend hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung der Klage 1 K 8636/01 VG Köln gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom
30. Oktober 2001 - BK 4c -01-028/Z 20.08.01 - zu Recht abgelehnt. Die im Verfahren
nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen
einerseits der Antragstellerin an Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes bis zur
Hauptsacheentscheidung, andererseits der Antragsgegnerin und der Beigeladenen an
alsbaldiger Vollziehung der angeordneten Zusammenschaltung fällt zu Lasten der
Antragstellerin aus.
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Die Antragstellerin greift den o.a. Bescheid nur bezüglich seiner Tenorziffern 3. - betr.
Netzstruktur -, 2. - betr. Als-ob-Regelung - und 4. - betr. Bestandsgarantie - an. Die
hiergegen gerichtete Klage in der Hauptsache erweist sich bei der in der vorliegenden
Verfahrensart lediglich möglichen überschlägigen Prüfung entgegen der Ansicht der
Antragstellerin als nicht offensichtlich erfolgreich; ihr Ausgang ist vielmehr offen. Der
Fortbestand der o.a. Zusammenschaltungsordnung hängt in erster Linie von der ihr
zugrunde gelegten Netzstruktur (Tenorziffer 3.) ab, mit der die übrigen
Anordnungsregelungen, insbesondere die Als-ob-Regelung und die Bestandsgarantie
in untrennbarem, innerem Zusammenhang stehen und deren rechtliches Schicksal sie
teilen.
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Zu Tenorziffer 3.: Ermächtigungsgrundlage für die Bestimmung der netztechnischen
Grundlage der Leistungserbringung der Antragstellerin und der Bestellungen der
Beigeladenen im Rahmen der Zusammenschaltung ist § 37 Abs. 1 Satz 1 TKG. Die
Anwendung dieser Vorschrift ist nicht durch die Regelungen der § 33 Abs. 1 und 2 TKG
ausgeschlossen. Es kann die Frage offen bleiben, ob bei Vorliegen der
Voraussetzungen sowohl der einen wie der anderen Vorschrift dem § 33 TKG Vorrang
gegenüber dem § 37 Abs. 1 TKG zukommen könnte. Denn jedenfalls in dem Falle, in
welchem zwischen dem zusammenschaltungspflichtigen Unternehmen und dem
Zusammenschaltung nachfragenden Unternehmen nicht das Ob der
Zusammenschaltung, sondern lediglich deren Modalitäten umstritten sind, es mithin
nicht um die Frage des grundsätzlichen Anspruchs auf Zugang zum Netz geht, genießt
§ 37 TKG als die speziellere Vorschrift gegenüber § 33 TKG Vorrang. Dies ist schon
deshalb geboten, weil ansonsten das zusammenschaltungspflichtige
marktbeherrschende Unternehmen mit dem zweistufigen Verfahren des § 33 TKG
verfahrensmäßig besser gestellt wäre als das ebenfalls zusammenschaltungspflichtige
nichtmarktbeherrschende Unternehmen, das allein im einstufigen Verfahren nach § 37
TKG zur Zusammenschaltung angehalten werden könnte. Im Übrigen dürfte sich ein
zusammenschaltungspflichtiges marktbeherrschendes Unternehmen nicht auf eine auf
einer ersten Verfahrensstufe angesiedelte Abmahnung (§ 33 Abs. 2 Satz 1 TKG)
berufen können, wenn es zuvor eindeutig und endgültig die klaren Forderungen der
Regulierungsbehörde zu den Modalitäten der Zusammenschaltung abgelehnt hat, wie
das hier hinsichtlich der selben Netzstruktur die Antragstellerin im parallelen
Entgeltregulierungsverfahren und im dem Verfahren 13 B 69/01 zugrunde liegenden
früheren Zusammenschaltungsverfahren getan hat.
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Soweit § 37 Abs. 1 und 2 TKG die Regulierungsbehörde zur Anordnung der
Zusammenschaltung - soweit eine entsprechende Vereinbarung zwischen den
Zusammenschaltungspartnern nicht zustande gekommen ist - ermächtigt, ist die
Vorschrift dahin zu verstehen, dass die Regulierungsbehörde jedenfalls die technischen
Modalitäten der Zusammenschaltung anordnet. Denn die schlichte Anordnung der
Koppelung der Netze ohne Bestimmung der Maßgaben ihrer Durchführung, an denen
regelmäßig eine Vereinbarung zwischen den Partnern scheitert, führte nicht zu der von
§ 37 TKG verfolgten Konfliktlösung und machte keinen Sinn. Aus der inhaltlichen
Beschränkung der Anordnungsbefugnis der Regulierungsbehörde in § 37 Abs. 2 TKG
folgt im Umkehrschluss, dass sie jedenfalls über diejenigen Inhaltspunkte einer
Zusammenschaltung Anordnungen treffen kann, über die eine Vereinbarung nach der
Anlage zu § 5 Abs. 2 NZV hätte erfolgen sollen, aber nicht zustande gekommen ist.
Nach dieser Anlage soll aber die Vereinbarung über einen besonderen Netzzugang und
damit auch über eine Zusammenschaltung u.a. die Beschreibung der einzelnen
Leistungen sowie die Festlegung, wie diese bereit zu stellen sind [Buchst. a)], Standorte
der Anschlusspunkte [Buchst. d)] und technische Normen für den besonderen
Netzzugang [Buchst. f)] beinhalten, womit im weitesten Sinne auch die netztechnischen
Grundlagen der Zusammenschaltung wie die Struktur des Netzes, an welches
angekoppelt werden soll, als von der Regulierungsbehörde ersetzbarer möglicher
Vereinbarungsinhalt erfasst sein dürften.
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Der Senat hat im mit dem vorliegenden Verfahren in gewissem Zusammenhang
stehenden, die Festsetzung von Entgelten für Zusammenschaltungsleistungen
betreffenden Verfahren 13 B 1636/01 festgestellt, dass die den dortigen
Entgeltfestsetzungen zugrunde liegende selbe Netzstruktur - zwei Ebenen mit 475
LEZB - nicht offensichtlich rechtswidrig ist, vielmehr bei entgeltrechtlicher Betrachtung
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als vermittelndes Konzept Grundlage für eine effiziente Leistungsbereitstellung sein
dürfte. Hieran hält er fest.
Die Festlegung der Netzstruktur als Grundlage der Zusammenschaltungsleistungen der
Antragstellerin und der Bestellungen der Beteiligten unterliegt nicht deshalb Bedenken,
weil sie etwa die Antragstellerin zu unzumutbaren kostenintensiven Veränderungen in
ihrem Ist-Netz verpflichtete. Die mit dieser Festlegung mittelbar bewirkte Erbringung der
Terminierungs- und Zuführungsleistungen der Antragstellerin an
Zusammenschaltungspunkten der Einzugsbereiche der Anlage F (Stand 19.12.00)
verpflichtet die Antragstellerin lediglich zum Netzzusammenschluss an real
existierenden Punkten, also nicht zur Neuanlegung solcher Punkte. Die Antragstellerin
hat auch nicht zur Überzeugung des Senats dargelegt, dass sie bei einer auf der
Grundlage des Netzkonzepts der Antragsgegnerin durchgeführten Koppelung ihrers
Netzes mit dem der Beigeladenen, die bisher an 23 Orten des GEZB angeschlossen
war, auf der lokalen Ebene der Einzugsbereiche gezwungen wäre, ihr Netz zwischen
den Vermittlungsstellen in Richtung auf diejenigen mit Netzübergangsfunktion zu
verstärken. Denn die Beigeladene hat von der Antragstellerin unwidersprochen
vorgetragen, dass der von ihr dort generierte zusätzliche Verkehr von den
gegenwärtigen Leitungen verkraftet werde. Zwar erscheint es nicht undenkbar, dass
nach einer möglichen Erhebung der streitbefangenen Zusammenschaltungsanordnung
zum Grundangebot und einer Vielzahl künftiger inhaltsgleicher
Zusammenschaltungsanordnungen zugunsten anderer Wettbewerber die Kapazität des
Ist-Netzes der Antragstellerin auf bestimmten Linien trotz routinemäßiger Ersetzung alter
durch neue Technik erschöpft und deren Erweiterung notwendig sein könnte. Wann
dieser Zeitpunkt erreicht ist, lässt sich gegenwärtig nicht feststellen; in dieser Hinsicht
hat die Antragstellerin nichts vorgetragen. Schließlich erscheint es auch nicht
undenkbar, ein Zusammenschaltungsbegehren eines weiteren - "verspätet" auf den
Plan tretenden - Unternehmens bei erreichter Kapazitätsgrenze des Ist-Netzes der
Antragstellerin, die zum Netzausbau zu Gunsten ihrer Konkurrenten nicht verpflichtet ist,
zurückzuweisen.
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Zu Tenorziffer 2.: Soweit die Antragstellerin die Als-ob-Regelung damit angreift, es
handele sich insoweit um eine Entgeltregelung, die, wenn sie nicht das Initiativrecht des
zusammenschaltungspflichtigen Unternehmens verletzen solle, nicht durch
Zusammenschaltungsanordnung nach § 37 TKG, sondern außerhalb dessen durch eine
Entgeltentscheidung nach §§ 39, 27 ff. TKG getroffen werden müsse, greift das nicht
durch. Zwar begründet Tenorziffer 2. ein Tarifwahlrecht zu Gunsten des
Zusammenschaltung nachfragenden Unternehmens und trifft die Antragstellerin im
Ergebnis wie eine Entgeltfestsetzung, doch handelt es sich damit noch nicht um eine
nach §§ 39, 27 ff. TKG zu treffende Entgeltregulierung und wird erst recht nicht das
Initiativrecht des zusammenschaltungspflichtigen Unternehmens berührt. Mit dem
Verwaltungsgericht qualifiziert auch der Senat diese Regelung als eine
Schadensersatzregelung wegen Nichterfüllung von Vertragspflichten mit
Vertragsstrafecharakter. Die Beigeladene wird, was ihre Entgeltpflicht angeht, so
gestellt, wie wenn die Antragstellerin ihrer Leistungspflicht nachgekommen wäre.
Letztere hatte bereits Gelegenheit, ihr Entgelt-Initiativrecht auszuüben und hat dies auch
durch entsprechenden Antrag getan; sie wird lediglich wegen Leistungsnichterfüllung
auf einen bestimmten, im Vorab-Regulierungsverfahren gefundenen Tarif festgelegt. Im
Übrigen steht dem marktbeherrschenden Unternehmen ein Initiativrecht im Hinblick auf
die Bestimmung von Art und Höhe von Schadensersatz nicht zu.
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Zu Tenorziffer 4.: Soweit die Antragstellerin die Regelung der Bestandsgarantie wegen
fehlender Ermächtigungsgrundlage für rechtswidrig hält, vermag sie damit ebenfalls
nicht durchzudringen. Auch diese Regelung ist von § 37 TKG gedeckt. Es kann offen
bleiben, ob die Ansicht der Antragstellerin, nach der im Wege der
Zusammenschaltungsanordnung nach § 37 TKG nur solche Regelungen getroffen
werden können, zu denen das zusammenschaltungspflichtige Unternehmen kraft
Gesetzes oder Rechtsverordnung verpflichtet ist, zutreffend ist. Denn selbst bei
Zugrundelegung dieses Ausgangspunktes hält der Senat die Antragstellerin im Falle
einer Zusammenschaltungsvereinbarung auf Grund Gesetzes für verpflichtet, dem
Zusammenschaltung nachsuchenden Wettbewerber eine Bestandsgarantie
einzuräumen. Letzteres folgt aus einer Gesamtschau der Regelungen aus §§ 242, 154
Abs. 1 Satz 1 und 317 BGB. Eine Zusammenschaltungsvereinbarung ist ein
privatrechtliches Vertragsverhältnis, auf welches das Recht der Schuldverhältnisse des
BGB Anwendung findet, soweit spezialgesetzlich nichts anderes bestimmt ist, was hier
nicht der Fall ist. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass ein
Zusammenschaltungsverhältnis nicht sinnvoll praktizierbar ist, wenn dem
nachfragenden Zusammenschaltungspartner alsbald nach Herstellung der
Netzverbindung, die auf seiner Seite nicht unerheblich Investitionen erfordert hat, die
Kündigung der Zusammenschaltungspunkte droht. Regelmäßig wird daher letzterer auf
der Vereinbarung einer zeitlichen Bestandsgarantie bestehen. Als redlicher angehender
Zusammenschaltungspartner kann sich das zusammenschaltungspflichtige
Unternehmen, das seine Leistung auch auf bestimmte Zeit in gleicher Art und Weise so
zu bewirken hat, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern,
einer Bestandsschutzvereinbarung zugunsten des nachfragenden Unternehmens nicht
entziehen. Regelmäßig ist deshalb von einer wirksam geschlossenen
Zusammenschaltungsvereinbarung erst dann auszugehen, wenn auch über alle Punkte,
über die der nachfragende Zusammenschaltungspartner redlicherweise eine
Vereinbarung fordern kann, und dass ist eben auch die Bestandsgarantie, Einigung
erzielt ist. Ist die Regulierungsbehörde bei nicht zustande gekommener
Zusammenschaltungsvereinbarung gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 TKG dazu aufgerufen,
diese zu ersetzen, ist ihr entsprechend § 317 Abs. 1 BGB bei der Ausgestaltung der
auszutauschenden Leistungen ein Freiraum - billiges Ermessen - eingeräumt, der auch
die Festlegung der Dauer der Leistungserbringung in ihrer örtlichen Ausgestaltung
umfasst.
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Bei überschlägiger Betrachtung und unter Berücksichtigung der der Antragstellerin
eingeräumten Auflösung von Standorten nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 der Nr. 4
des angefochtenen Beschlusses erscheint es dem Senat mit billigem Ermessen noch
vereinbar, für die Grundeinzugsbereiche und die Lokaleinzugsbereiche für bis Ende
2001 realisierte Zusammenschaltungsorte einen Bestand von 5 Jahren zu garantieren.
Dasselbe gilt für die rund 7 1/2-jährige Bestandsgarantie für die bis Ende 2001
realisierten Zusammenschaltungsorte.
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Ist demnach der Ausgang des Hauptsacheverfahrens zumindest offen, kommt dem
Interesse der Antragstellerin an Vollzugsverschonung bis zum Abschluss des
Hauptsacheverfahrens kein durchschlagendes Gewicht zu. Die Zusammenschaltung
des Netzes der Antragstellerin mit dem der Beigeladenen auf der Grundlage der
Netzstruktur der Antragsgegnerin läuft seit Anfang Januar 2002 unproblematisch.
Notwendig gewordene Netzumbau- oder Netzverstärkungsmaßnahmen sind von der
Antragstellerin nicht vorgetragen worden. Die bei einer Vielzahl gleichartiger
Zusammenschaltungsvereinbarungen oder -anordnungen zu erwartende
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Verkehrszunahme auf bestimmten Linien ist gegenwärtig nicht überschaubar und kann
als eine Ungewissheit der Zukunft nicht die Aussetzung der Vollziehung der
streitgegenständlichen Zusammenschaltungsanordnung rechtfertigen. Eine solche
Vollziehungsaussetzung würde im Übrigen dazu führen, dass wieder auf ein
Zusammenschaltungsmodell nach früheren DBC-Maßstäben zurückzugreifen wäre, von
denen selbst die Antragstellerin abrücken will.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 13 Abs.
1, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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