Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.10.2005

OVG NRW: grundsatz der unmittelbarkeit, hausarbeit, postsendung, erleichterter beweis, entschuldigung, anschrift, amt, absender, zustellung, verwechslung

Oberverwaltungsgericht NRW, 14 A 642/05
Datum:
28.10.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 A 642/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 15 K 8892/02
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 7.500,- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag, dessen Begründung per Fax am 9. Februar 2005 beim Verwaltungsgericht
Düsseldorf eingegangen ist, hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2
VwGO sind nicht dargelegt bzw. liegen nicht vor.
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Die vom Kläger geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils,
vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, bestehen nicht.
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Das Verwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung von Folgendem ausgegangen: Die
Wiederholungsprüfung des Klägers gelte gemäß § 10 Abs. 1 Buchst. b JAO, der -
gemäß § 66 Abs. 1 JAG - auf das Prüfungsverfahren des Klägers anzuwenden ist, als
nicht bestanden, weil er ohne genügende Entschuldigung die häusliche Arbeit nicht bei
dem beklagten Amt abgeliefert habe. Der Prüfling habe die Arbeit zum Beklagten zu
verbringen. Wenn er sich dabei eines Gehilfen, wie hier der Deutschen Post AG,
bediene, geschehe das auf seine Gefahr. Soweit durch § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 JAO
geregelt sei, dass die Abgabefrist durch die Aufgabe der Hausarbeit bei einem Postamt
gewahrt werde und dass die Rechtzeitigkeit der Abgabe durch bestimmte
Einlieferungsbelege nachgewiesen werden könne, betreffe das nur die Frage der
Fristwahrung, d. h. setze voraus, dass die Hausarbeit bei dem Beklagten eingegangen
sei. Weder durch den vom Kläger vorgelegten Einlieferungsbeleg über ein Einwurf-
Einschreiben noch durch den Auslieferungsbeleg für dieses Einschreiben werde der
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Nachweis geführt, dass der Kläger die Hausarbeit bei der Post aufgegeben habe. Auch
die vom Verwaltungsgericht eingeholten Stellungnahmen der zuständigen
Vertriebsdirektion und der Postmitarbeiterin, die das vom Kläger aufgegebene Einwurf-
Einschreiben an eine Anschrift in C. ausgeliefert hat, ließen einen entsprechenden
Schluss nicht zu.
Der Kläger ist der Meinung, dass die Auffassung des Verwaltungsgericht zur Folge
habe, eine Entschuldigung im Sinne des § 10 Abs. 1 JAO sei entgegen der normierten
Regelung nur möglich, wenn die Hausarbeit beim Beklagten eingegangen sei. Das
widerspricht zum einen den Gründen des angegriffenen Urteils. Denn das
Verwaltungsgericht ist ausdrücklich von dem Gegenteil ausgegangen, wie der von ihm
durchgeführten Amtsermittlung und den Urteilsgründen (Seite 8 bis 11 UA) entnommen
werden kann. Soweit es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, dass die vom Kläger
vorgelegten Nachweise und die sonstigen Ermittlungsergebnisse nicht den Schluss
erlauben, er habe eine zutreffend und unmissverständlich adressierte Postsendung mit
seiner Hausarbeit als Inhalt bei der Post aufgegeben hat, steht dies dazu nicht im
Widerspruch. Insbesondere sind entgegen der Auffassung des Klägers andere
Möglichkeiten denkbar, mit denen bei Nichteingang einer Hausarbeit beim Beklagten
der Nachweis geführt werden kann, dass tatsächlich eine Hausarbeit bei der Post
aufgegeben worden ist und diese auch ordnungsgemäß adressiert war. Ob und wie der
Nachweis der genügenden Entschuldigung für die Nichtablieferung einer Hausarbeit
geführt werden kann, hängt im übrigen vom Einzelfall ab, insbesondere vom Grund für
die Nichtablieferung.
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Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet auch die Tatsachen- und
Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts keinen ernsthaften Zweifel. Insbesondere ist
nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht der Tatsache keine
ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat, dass auf dem Einlieferungsbeleg für
das vom Kläger aufgegebene und an eine Anschrift in C. zugestellte Einwurf-
Einschreiben die Anschrift des Beklagten als Empfängeranschrift eingetragen ist. Dem
tritt der Kläger lediglich mit der - im übrigen unsubstanziierten - Behauptung entgegen,
der annehmende Postbeamte habe die Übereinstimmung der Adressangaben auf
Postsendung und Einlieferungsbeleg überprüft und auch dafür sei der
Einlieferungsbeleg ausreichender Nachweis. Damit setzt er sich mit dem Ergebnis der
auf seine Anregung hin erfolgten Sachaufklärung durch das Verwaltungsgericht nicht
auseinander.
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Die Vertriebsdirektion der Post hatte angegeben, es sei davon auszugehen, dass die
Sendung an der Anschrift zugestellt worden sei, die sowohl durch die Lesetechnik der
Sortiermaschine als auch durch die beteiligten Personen (Videocodierkraft, Verteilkraft,
Zusteller) als Empfängerangabe erkannt worden sei. Den Mitarbeitern der Post könnte
bei der Einlieferung der Postsendung durch den Kläger nicht aufgefallen sein, wenn die
Empfängerangaben auf dem Einlieferungsbeleg und auf der Sendung verschieden
gewesen seien. Die Zustellerin hatte angegeben, dass sie zwar keine Erinnerung mehr
an die Zustellung habe, es aber für unmöglich halte, dass sie eine eindeutig an das
beklagte Amt adressierte Einschreibesendung in ihrem Zustellbezirk zugestellt habe.
Der Kläger hat nie behauptet oder auch nur angedeutet, dass er als Absender eine
Anschrift auf der Postsendung aufgebracht hatte, die eine Zustellung in dem
tatsächlichen Zustellbezirk aufgrund einer Verwechslung von Absender- und
Empfängerangaben durch Verteil- und Zustellkräfte der Post möglich erscheinen ließ.
Deshalb ist dies als mögliche Erklärung für den Nichtzugang der Hausarbeit beim
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beklagten Amt auch nicht zu erwägen. Es besteht kein Anlass, den Beweis für die
Entschuldigung im Sinne des § 10 Abs. 1 JAO zu erleichtern, wenn aufgrund der
Sachaufklärung von einem gesicherten Hergang ausgegangen werden kann. Darauf, ob
durch den Einlieferungsbeleg für ein Einwurfeinschreiben, das nicht zugestellt worden
ist, ein - eventuell erleichterter - Beweis darüber geführt werden kann, welchen Inhalt die
aufgegebene Postsendung hatte, kommt es nämlich hier nicht an. Angesichts des
eindeutigen Aufklärungsergebnisses drängte es sich auch nicht auf zu ermitteln,
welcher Mitarbeiter oder welche Mitarbeiterin der Post die Postsendung des Klägers
angenommen hat und ob dieser oder diese sich Gewissheit über die Identität der
Empfängerangaben auf Einlieferungsbeleg und Postsendung verschafft hat.
Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass die Rechtssache besondere tatsächliche oder
rechtliche Schwierigkeiten, vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist. Der Umstand, dass
der Ausgang des Rechtsstreits für ihn weitreichende Bedeutung hat, weil es um das
endgültige Nichtbestehen der Ersten Staatsexamens geht, begründet solche
Schwierigkeiten nicht. Dass es bisher keine verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung
zur Auslegung des Begriffs "abliefern" in §§ 6 Abs. 2 und 10 Abs. 1 JAO gibt, erlaubt
nicht den Schluss, dass dies Rechtsfragen aufwirft, deren Beantwortung "erhebliche
rechtliche Schwierigkeiten aufweist". Das Gegenteil ist der Fall. Das Tätigkeitswort
"abliefern" hat einen unzweifelhaften Inhalt ("bringen und abgeben"). Dazu, dass dieser
Begriff aus dem normativen Sinnzusammenhang oder aus anderen Gründen entgegen
diesem Wortsinn auszulegen sein könnte, hat der Kläger nichts dargelegt. Der Kläger
hat auch nichts dafür vorgetragen, dass die Frage, ob und wie der Nachweis der
genügenden Entschuldigung der Nichtablieferung der Hausarbeit geführt werden kann,
besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, soweit sie sich überhaupt stellen würde.
Schließlich hat der Kläger keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten dargelegt.
Er hat insoweit lediglich darauf hingewiesen, dass unter Umständen weitere
Sachaufklärung von Amts wegen, z. B. durch Vernehmung des die Postsendung
entgegennehmenden Postbediensteten, erforderlich sei. Welche Schwierigkeiten sich
dabei oder dadurch stellen könnten, ist nicht dargelegt.
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Der Kläger hat auch die grundsätzliche Bedeutung des Rechtstreits, vgl. § 124 Abs. 2
Nr. 3 VwGO, nicht dargetan. Die von ihm als grundsätzlich klärungsbedürftige
Rechtsfrage bezeichnete Frage, ob die Nichtablieferung einer Hausarbeit durch Vorlage
des Einlieferungsbelegs für ein Einwurf-Einschreiben entschuldigt werden kann, ist,
soweit hier von Bedeutung, nicht in einem Berufungsverfahren grundsätzlich
klärungsbedürftig. Denn nach dem Inhalt des vom Kläger vorgelegten
Einlieferungsbeleges kann zwar die Aufgabe einer bestimmten Postsendung nach Ort
und Zeit nachgewiesen werden, nicht aber deren Inhalt. Dieser Umstand hat entgegen
der Auffassung des Klägers nicht zur Folge, dass trotz der Regelung in § 10 Abs. 1 JAO
eine Entschuldigung der Nichtablieferung einer Hausarbeit nicht möglich wäre.
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Schließlich hat der Kläger auch keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2
Nr. 5 VwGO geltend gemacht und dargelegt, dass er vorliegt. Er meint zwar, dass das
Verwaltungsgericht gegen die Pflicht zur Sachaufklärung verstoßen habe, weil es nicht
von Amts wegen auch denjenigen Postbediensteten vernommen hat, der die
Postsendung des Klägers entgegen genommen hat. Außerdem habe es gegen den
Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, weil es sich mit
schriftlichen Auskünften der Post begnügt und nicht die Bediensteten als Zeugen
vernommen habe. Grundsätzlich verletzt ein Verwaltungsgericht seine Pflicht zur
Sachaufklärung jedoch nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine
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anwaltlich vertretene Partei nicht beantragt. Entsprechende Anträge hat der auch in der
mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretene Kläger trotz
des bereits vorliegenden Ergebnisses der von Amts wegen durchgeführten
Sachaufklärung nicht gestellt, obwohl die Richterin ausweislich der Niederschrift
ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Klage keinen Erfolg haben dürfte. Der
Kläger hat nichts dazu vorgetragen, warum sich dem Gericht dennoch die vermisste
Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht aus § 154 Abs. 2 VwGO. Bei der Streitwertfestsetzung
gemäß § 52 Abs. 1 GKG hat der Senat sich an Nr. 36.1 des Streitwertkatalogs 2004 für
die Verwaltungsgerichte orientiert.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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