Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.08.2001

OVG NRW: stadt, behörde, verwaltungsakt, periode, irrtum, form, wasserwerk, öffentlich, berechtigung, unterliegen

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 5592/00
Datum:
23.08.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 A 5592/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 9 K 555/99
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Minden zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des
Verwaltungsgerichts vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Wegen des Tatbestandes wird gemäß § 130 b Satz 1 VwGO auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils Bezug genommen.
2
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu
ihr Einverständnis erklärt haben (§ 125 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Berufung führt entsprechend § 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht.
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Gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht durch Urteil die
angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Verwaltungsgericht
zurückverweisen, wenn dieses noch nicht in der Sache selbst entschieden hat. Diese
Vorschrift ist auch anwendbar, wenn das Verwaltungsgericht zwar über die
Begründetheit der Klage, aufgrund einer unzutreffenden Rechtsauffassung aber
gleichwohl nicht über den eigentlichen Gegenstand des Streites entschieden hat, z.B.
weil es bei einer entscheidungserheblichen rechtlichen Vorfrage "die Weichen falsch
gestellt hat".
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. November 1981 - 8 B 189.81 - NVwZ 1982, 500.
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Das ist hier der Fall. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die angefochtenen
"Jahresverbrauchsabrechnungen" wegen eines offenkundigen und besonders
schweren Fehlers nichtig seien, und damit "die Weichen falsch gestellt". Nach
Auffassung des Verwaltungsgerichts lassen die Abrechnungen aus der Sicht eines
Adressaten nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen, dass hier eine Behörde auf
dem Gebiet des öffentlichen Rechts eine Regelung getroffen habe; die
Gesamtumstände sprächen vielmehr dafür, dass ein Adressat diese Schreiben als nach
privatrechtlichen Grundsätzen erteilte Rechnungen habe ansehen müssen. Dieser
Auffassung ist nicht zu folgen. Die angefochtenen Gebührenbescheide sind nicht
nichtig. Die Wertung des Verwaltungsgerichts ist deshalb als Grundlage der
Klageabweisung ungeeignet. Sie hat zudem dazu geführt, dass das Verwaltungsgericht
zum eigentlichen Streitgegenstand nicht vorgedrungen ist.
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Ein Gebührenbescheid ist nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 b KAG i.V.m. § 125 Abs. 1 AO nichtig,
soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger
Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Wann diese
Voraussetzungen erfüllt sind, lässt sich nicht generell, sondern nur von Fall zu Fall
entscheiden. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Denn die Nichtigkeit eines
Verwaltungsaktes gilt als Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein Akt der staatlichen
Gewalt die Vermutung der Gültigkeit in sich trägt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1966 - VII CB 149.64 -, BVerwGE 23, 237.
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Nichtig ist ein Verwaltungsakt deshalb nur dann, wenn er die an eine ordnungsgemäße
Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maße verletzt, dass
von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen.
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Vgl. BFH, Urteil vom 1. Oktober 1981 - IV B 13/81 -, NVwZ 1982, 216.
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Dies ist hier zu verneinen. Vielmehr sind die angefochtenen Bescheide ungeachtet der
Frage, ob auf ihren Rückseiten eine Rechtsbehelfsbelehrung mit weiteren Hinweisen
abgedruckt gewesen ist oder nicht, als Verwaltungsakte zu qualifizieren. Ein
Verwaltungsakt ist nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 b KAG NRW, § 118 Abs. 1 Satz 1 AO jede
Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur
Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf
unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Diese Kriterien erfüllen die hier
streitgegenständlichen Gebührenbescheide; durch sie hat der Beklagte
Benutzungsgebühren und Vorausleistungen u.a. für die Inanspruchnahme des
städtischen Wasserwerks festgesetzt. Die Vermutung der Gültigkeit der Bescheide wird
nicht dadurch in Frage gestellt, dass in den Gebührenbescheiden Begriffe wie etwa
Jahresverbrauchsrechnung und Grundpreis benutzt werden, die auch im
privatrechtlichen Bereich gebräuchlich sind. Denn für das Verständnis und die
Bestimmung des wirklichen Regelungsgehalts eines Bescheides ist der durch
Auslegung zu ermittelnde objektive Erklärungsinhalt aus der Sicht des Empfängers
maßgeblich und nicht der äußere Eindruck, auch nicht die Bezeichnung oder
Begründung.
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Vgl. BFH, Urteil vom 14. März 1990 - X R 104/88, BFHE 160, 207.
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Bei verständiger Würdigung des objektiven Erklärungswertes der verwendeten Begriffe
und unter Berücksichtigung des übrigen Inhalts sind die Gebührenbescheide nur so zu
verstehen, dass eine Jahresgebühr und Vorauszahlungen für die Inanspruchnahme des
Wasserwerks bezogen auf die jeweils angegebene zeitliche Periode festgesetzt
werden. In diesem Sinne hat der Kläger als Adressat der beiden Bescheide diese auch
verstanden und jeweils den gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelf eingelegt. Es ist
ferner nicht erkennbar, dass die äußere Form der Gebührenbescheide geeignet ist,
einen Irrtum dahin zu erwecken, dass sie von einem privatrechtlich organisierten
Wasserwerk erstellt worden sind. Aus der Absenderangabe auf dem Bescheid ergibt
sich eindeutig, dass die Gebührenbescheide von der Stadt H. erlassen worden sind.
Dies wird auch durch die Widerspruchsbescheide bestätigt, in denen ausdrücklich vom
Widerspruch "gegen meinen Bescheid" die Rede ist. Gegen eine öffentlich-rechtliche
Regelung spricht schließlich nicht die in den Bescheiden vorgenommene Festsetzung
der Umsatzsteuer. Denn die Gemeinde - wie hier die Stadt H. - kann die Umsatzsteuer
den Gebührenpflichtigen auferlegen, soweit die Umsätze ihrer Einrichtung der
Umsatzsteuerpflicht unterliegen (für den den Bescheid vom 27. Januar 1997 nach § 6
Abs. 2 Satz 3 KAG in der bis zum 31. Dezember 1998 gültigen Fassung und für den
Bescheid vom 25. Januar 1999 nach § 6 Abs. 2 Satz 5 KAG nach der durch Art. 3 des
Gesetzes vom 17. Dezember 1998, GV. NRW. S. 666, geänderten Fassung).
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Die Zurückverweisung ist angemessen, weil zur weiteren Klärung der Rechtmäßigkeit
der angegriffenen Gebührenbescheide und der damit einhergehenden Überprüfung der
Kalkulation sowie der Berechtigung der Einwendungen des Klägers der hierfür in erster
Linie berufenen ersten Instanz Gelegenheit gegeben werden soll und damit die hierzu
erforderlichen Feststellungen ohne Instanzverlust getroffen werden können.
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Die Kostenentscheidung bleibt wegen der noch offenen Kostenlast der
Endentscheidung vorbehalten.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür (§ 132
Abs. 2 VwGO) nicht vorliegen.
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