Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.08.2007

OVG NRW: repressalien, befreiung, pauschal, organisation, sekretär, austritt, fürsorge, hilfsarbeiter, internetseite, rechtsstaatsprinzip

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 277/07
Datum:
22.08.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 277/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 11 K 1012/06 (11 K 7736/04 VG Köln)
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die
außergerichtlichen Kosten des früheren Beigeladenen sind nicht
erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Zulassungsantrag hat unter keinem der geltend gemachten Gesichtspunkte Erfolg.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag nicht die
entscheidungserhebliche Annahme des Verwaltungsgerichtes in Frage zu stellen, dass
der Kläger die Rechtsstellung als Spätaussiedler nach § 4 Abs. 1 BVFG nicht erworben
hat, weil er i. S. v. § 5 Nr. 2 b) BVFG in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion
ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems
gewöhnlich als bedeutsam galt.
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Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes des § 5 Nr. 2 b)
BVFG sowohl darauf gestützt, dass der Kläger in den Jahren 1959 bis 1961 die
Funktion eines Sekretärs der Komsomol inne gehabt hat (vgl. S. 8 Mitte des Urteils-
abdrucks), als auch auf seine hauptamtliche Tätigkeit für die KPdSU in verschiede-nen
Funktionen zwischen 1965 und 1977 nach Abschluss seines Studiums (vgl. S. 8 unten
des Urteilsabdrucks). Ist eine Entscheidung - wie demnach hier - in jeweils selbständig
tragender Weise mehrfach begründet, so muss in Hinblick auf jeden der
Begründungsteile ein Zulassungsgrund dargelegt werden und gegeben sein.
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Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1973 - IV B 92.73 -, Buchholz 310, § 132
VwGO Nr. 109; Beschluss vom 17. April 1985 - 3 B 26.85 -, Buchholz 451.90, EWG-
Recht Nr. 53; Beschluss vom 1. Februar 1990 - 7 B 19.90 -, Buchholz 310, § 153 VwGO
Nr. 22; Beschluss vom 10. Mai 1990 - 5 B 31.90 -, Buchholz 310, § 132 VwGO Nr. 284
(nur Leitsatz); Beschluss vom 16. Dezember 1994 - 11 B 182.94 -, Juris.
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Mit seiner Zulassungsbegründung vom 15. Februar 2007 macht der Kläger aber
ausschließlich geltend, unter Aufrechterhaltung des Vertreibungsdrucks nur - im
Anschluss an die Zulassung zum Studium - zu seiner Parteiarbeit als sog.
"Quotendeutscher" gezwungen worden zu sein. Es ist dem Zulassungsvortrag nicht zu
entnehmen, dass sich die Darlegungen auch auf die Tätigkeit des Klägers als Sekretär
der Komsomol-Organisation in den Jahren 1959 bis 1961 beziehen.
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Ungeachtet dessen kann mangels hinreichend substantiierter Darlegungen auch nicht
davon ausgegangen werden, dass eine für den Kläger zuvor wegen seiner deutschen
Nationalität (durchgängig) bestehende Gefahrenlage trotz der im Zeitraum von 1965 bis
1977 erfolgten Ausübung hauptamtlicher Parteifunktionen noch fortbestanden hat.
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Vgl. zu diesem Zusammenhängen: BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 17.00 -,
BVerwGE 114, 116.
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Sowohl dem Klagevorbringen (Schriftsätze vom 15. August 2005 und vom 12.
September 2006) als auch dem Zulassungsvortrag sind keine konkreten, detaillierten
und plausiblen Angaben dazu zu entnehmen, mit welchen zusätzlichen Repressalien
oder sonstigen Mitteln der Kläger von der Partei gezwungen worden sein soll, die
verschiedenen hauptamtlichen Parteiämter zu übernehmen. Dass dem Kläger bei
Eintritt in den Parteidienst der Verlust eines anderen Arbeitsplatzes drohte, ist in
Anbetracht des unmittelbar vorausgegangenen Studiums nicht nachvollziehbar. Die
Behauptung, ihm hätten bei einer Verweigerung Freiheitsbeschränkungen, wenn nicht
sogar die Exekution gedroht, ist substanzlos und wirkt ohne greifbaren Anhaltspunkt aus
der Luft gegriffen. Soweit lediglich die allgemeinen Restriktionen für deutsche
Volkszugehörige - wie die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit - seinerzeit
fortbestanden haben sollten, besagt dies in Bezug auf den Kläger nichts. Denn er hat
schon nicht substantiiert vorgetragen, sondern lediglich pauschal behauptet, keine
"Befreiung von dem Verbot der Rücksiedlung in seine Heimat" erhalten zu haben. Es
bleibt danach völlig im Dunkeln, ob der Kläger überhaupt jemals eine solche
Rücksiedlung angestrebt hat und wann ihm ggfs. unter welchen näheren Umständen die
Befreiung versagt worden ist. Dass die Übernahme der Parteiämter nur formalen
Charakter besaß und nicht den - das Kriegsfolgenschicksal beendenden - Schutz durch
das System zur Folge hatte, wird schließlich entgegen der Behauptung des Klägers
auch nicht dadurch indiziert, dass dieser nach der angeblichen Enthebung seiner Ämter
im September 1977 wegen der Abweichung von der Nationalitätenpolitik der KPdSU
trotz seiner akademischen Ausbildung nur noch Hilfsarbeiten verrichtet haben soll.
Bereits die als Anknüpfungspunkt einer solchen, seit 1977 erfolgten beruflichen
"Degradierung" behauptete Amtsenthebung ist durch nichts belegt. Diese Behauptung
ist auch nicht glaubhaft, weil der Kläger noch im Verwaltungsverfahren gänzlich andere
Angaben gemacht hat. Nach dem Vortrag im Schriftsatz vom 16. Juni 2004 hat er
nämlich "seine Arbeit im Dorfparteikomee im Jahr 1977" aufgegeben bzw. ist er aus der
Partei ausgetreten, was für ihn nach dem Austritt mit "Unannehmlichkeiten" verbunden
gewesen sei. Außerdem trifft auch die Behauptung, nach 1977 nur noch als
"Hilfsarbeiter" eingesetzt worden zu sein, nicht zu. Denn aus dem Arbeitsbuch des
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Klägers ergibt sich vielmehr eine Fortsetzung seiner Karriere in Leitungspositionen in
der regionalen Fürsorge, der regionalen Wohnungswirtschaft des Stadtbezirks M. , C. ,
als Kombinatsdirektor des M1. bis zum Prorektor für administrative- und wirtschaftliche
Arbeit an der staatlichen B. Universität. Von Hilfsarbeiten kann bei diesen Tätigkeiten
nicht die Rede sein. Es ist kaum anzunehmen, dass der Kläger diese Positionen nach
Beendigung seiner Tätigkeit als Parteifunktionär gegen den Willen der Partei noch
erreichen hätte können. Wenn aber der Kläger trotz des Zerwürfnisses mit der Partei
seine Karriere lückenlos fortsetzen konnte, kann nicht davon ausgegangen werden,
dass er vorher irgendwelche ernsthaften Repressalien zu befürchten gehabt hätte.
Vor diesem Hintergrund dürften die pauschal gehaltenen und nicht im einzelnen
untermauerten Behauptungen des Klägers zu seinem beruflichen Werdegang nicht
einmal für die Annahme ausreichen, er sei als sog. "Quotendeutscher" zu der
Übernahme der Parteiämter gezwungen worden. Irgendwelche Nachweise oder
Dokumentationen zu dem angeblichen Phänomen "Quotendeutsche" hat der Kläger
auch mit seinem nach Ablauf der Zulassungsbegründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4
VwGO abgegebenen Stellungnahme vom 26. Juni 2007 nicht beigebracht. Namentlich
verhält sich die von ihm angegebene Internetseite nicht zu diesem Problemkreis,
sondern zu den Planungen der Nationalsozialisten für den osteuropäischen Raum. Das
Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 16. Dezember
2003 vielmehr darauf hingewiesen, dass die vom Kläger durchlaufene Karriere nur
durch eine nach außen hin dokumentierte besondere Bindung an das totalitäre System
habe erreicht werden können. Voraussetzung für die kontinuierliche berufliche
Entwicklung sei sicherlich eine dauerhaft bekundete besondere Bindung an das
Herrschaftssystem (z. B. durch dazu geeignetes Auftreten im Arbeitskollektiv oder bei
öffentlichen Kundgebungen) gewesen. Damit lässt sich nicht vereinbaren, dass der
Kläger seine Parteiämter nur deswegen (zwangsweise) verliehen bekommen haben
will, um den politischen Vorgaben zur quotenmäßigen Beteiligung der nichtrussischen
Nationalitäten an der Parteiarbeit Rechnung zu tragen.
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Nach alledem kann die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen
werden. Der vom Kläger aufgeworfenen Frage, ob auch bei den Personen, die von dem
Parteiapparat aufgrund der Quoten für nichtrussische Volkszugehörige dazu gezwungen
wurden, als deutsche Volkszugehörige für die Partei tätig zu werden, davon
ausgegangen werden kann, dass der vermutete Vertreibungsdruck hierdurch
unterbrochen wurde, besitzt nicht die ihr vom Kläger zugemessene grundsätzliche
Bedeutung. Denn eine solche Frage würde sich im Rahmen eines Berufungsverfahrens
von vornherein nicht stellen, weil eine zwangsweise Übertragung der systemtragenden
Funktion und deren Auswirkungen auf das Kriegsfolgenschicksal in Hinblick auf die
Tätigkeit des Klägers als Sekretär der Komsomol-Organisation in den Jahren 1959 bis
1961 als selbständig tragenden Entscheidungsmoment hier nicht in Frage steht und im
übrigen mangels hinreichend substantiierter Darlegungen auch nicht einmal von einer
erzwungenen Tätigkeit des Klägers für die Partei ausgegangen werden kann.
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Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich auch nicht aus der
Behauptung, § 5 Nr. 2 b) BVFG verstoße gegen Grundrechte. Soweit der Kläger in
diesem Zusammenhang die "Gewissensfreiheit" sowie "Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip" bemühen will, fehlt es bereits an jeglicher
Darlegung. Soweit der Kläger ferner einen Verstoß der Norm gegen Art. 3 GG
behauptet, besteht offensichtlich kein Klärungsbedarf. Denn das
Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass die von § 5 Nr. 2 b) BVFG
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vorgesehene Ungleichbehandlung solcher deutscher Volkszugehöriger, die zu den
Stützen des kommunistischen Herrschaftssystems gehörten, gegenüber der Gruppe der
nicht in dieses System integrierten deutschen Volkszugehörigen sachlich gerechtfertigt
ist.
BVerwG, Urteile vom 29. März 2001 - 5 C 17.00 -, a.a.O., und 5 C 24.00 -, Buchholz
412.3 § 5 BVFG Nr. 5.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3
Satz 3 GKG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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