Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.03.2004

OVG NRW: begriff, haushalt, einkommen aus erwerbstätigkeit, schwager, geschwister, kreis, einkünfte, anerkennung, asylbewerber, beschränkung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 3543/01
Datum:
01.03.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 A 3543/01
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 6 K 1901/97
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerinnen die Verpflichtung
des Beklagten begehren, ihnen für den Zeitraum vom 1. Dezember 1995
bis zum 31. Januar 1997 Grundleistungen nach § 3 des
Asylbewerberleistungsgesetzes zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug tragen die Klägerinnen
zu je ¼ und der Beklagte zu ¼. Die Kosten des Berufungsverfahrens
tragen die Klägerinnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die am geborenen Klägerinnen zu 1) und 2) sowie die am geborene Klägerin zu 3) sind
Geschwister. Die Klägerin zu 3) ist, die Klägerinnen zu 1) und 2) waren bis zu ihrer nach
1997 erfolgten Einbürgerung syrische Staatsangehörige. Die Klägerinnen reisten im
Jahr 1986 gemeinsam mit ihrem am geborenen Bruder L. C. und ihrer Stiefmutter in die
Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten ihre Anerkennung als
Asylberechtigte. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte
diese Anträge mit Bescheid vom 13. Oktober 1988 als offensichtlich unbegründet ab; der
Bescheid wurde im Jahr 1990 bestandskräftig. Im Juli 1992 stellten die Klägerinnen, ihr
Bruder und ihre Stiefmutter Anträge auf Durchführung weiterer Asylverfahren; das
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Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte sie mit Bescheiden
vom 4. August 1993 ab. Die in diesen Bescheiden enthaltenen
Abschiebungsandrohungen wurden im September 1993 vollziehbar. Bereits im Juli
1990 war die 1962 geborene Schwester der Klägerinnen, L. C. , mit ihrem Ehemann A.
O. in die Bundesrepublik Deutschland eingereist; sie stellten ebenfalls einen Antrag auf
Anerkennung als Asylberechtigte, den das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 2. März 1994 ablehnte. Dagegen erhoben
die Schwester und der Schwager Klage, über die zunächst nicht entschieden wurde.
Am 9. November 1995 erteilte die Ausländerbehörde den Klägerinnen Bescheinigungen
über die Aussetzung der Abschiebung (Duldungen), die im Jahr 1996 mehrfach erneuert
wurden. Auch der Bruder der Klägerinnen verfügte über eine wiederholt erneuerte
Duldung. Am 31. Juli 1996 erteilte die Ausländerbehörde den Klägerinnen und ihrem
Bruder jeweils eine Aufenthaltsbefugnis. Die Aufenthaltsbefugnisse der Klägerinnen
waren bis zum 31. Januar 1997 gültig und wurden am 29. Januar 1997 bis zum 31.
Januar 1998 verlängert. Die Aufenthaltsbefugnis des Bruders war bis zum 18.
Dezember 1996 gültig. Am 6. Januar 1997 erteilte die Ausländerbehörde ihm eine
weitere, bis zum 18. Juni 1997 gültige Aufenthaltsbefugnis.
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Die Klägerinnen hatten Anfang September 1993 zusammen mit ihrem Bruder L. , ihrer
Schwester L. und deren Ehemann eine Wohnung im städtischen Übergangsheim I.
straße bezogen, in die sie vom Funktionsvorgänger des Beklagten eingewiesen worden
waren. Dieser gewährte den Klägerinnen zunächst Hilfe zum Lebensunterhalt nach den
Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes und ab dem 1. November 1993
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
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Im November 1995 erfuhr er, dass der Bruder der Klägerinnen im Oktober 1995 von der
Krankenkasse Verletztengeld erhalten hatte und ihr Schwager seit Februar 1992
Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit als Lagerarbeiter erzielte. Daraufhin stellte er mit
Bescheid vom 7. Dezember 1995 die den Klägerinnen bisher gewährten Leistungen mit
Wirkung ab dem 1. Dezember 1995 ein und führte zur Begründung aus, durch das
anzurechnende Einkommen der Familienangehörigen übersteige das Einkommen die
möglichen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dabei brachte er als
Einkommen für den Monat Dezember 1995 Verletztengeld des Bruders in Höhe von
1.616,86 DM und Einkünfte des Schwagers aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 3.244,63
DM in Ansatz.
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Gegen diesen Bescheid legten die Klägerinnen am 20. Dezember 1995 Widerspruch
ein. Zur Begründung machten sie geltend, die Berücksichtigung des Einkommens des
Schwagers sei nicht gerechtfertigt und finde keine Stütze im
Asylbewerberleistungsgesetz. Nur das Einkommen von Familienangehörigen, die im
gleichen Haushalt wohnten, sei zu berücksichtigen. Der Schwager sei jedoch kein
Familienangehöriger. Er sei ihnen gegenüber auch nicht zum Unterhalt verpflichtet.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1997 wies der Funktionsvorgänger des
Beklagten den Widerspruch der Klägerinnen gegen seinen Bescheid vom 7. Dezember
1995 zurück. Zur Begründung führte er aus, grundsätzlich seien die Klägerinnen
leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 AsylbLG. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG seien
Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden könne, von dem
Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben Haushalt lebten,
vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen. Der Begriff der
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Familienangehörigen umfasse nach den vorläufigen Hinweisen zur Durchführung des
Asylbewerberleistungsgesetzes nicht nur Verwandte in gerader Linie wie nach dem
Unterhaltsrecht, sondern alle Mitglieder der Großfamilie, soweit sie in einem Haushalt
lebten. Familienangehörige in diesem Sinne, die im selben Haushalt wie die
Klägerinnen lebten, seien ihr Bruder, ihre Schwester L. und deren Ehemann. Bei der
Berechnung des Leistungsanspruchs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für den
Monat Dezember 1995 habe sich ein Betrag von 3.724,77 DM ergeben. Dem seien
Einkommen aus Erwerbstätigkeit des Schwagers abzüglich Freibetrag und
Verletztengeld des Bruders in Höhe von insgesamt 4.599,32 DM gegenübergestellt
worden. Da das Einkommen den errechneten Betrag übersteige, sei die Einstellung der
Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu Recht erfolgt.
Die Klägerinnen haben am 16. Juni 1997 Klage erhoben und zur Begründung im
Wesentlichen vorgetragen: Die gesetzliche Regelung des § 7 AsylbLG sei keinesfalls
so auszulegen, dass zu den Familienangehörigen auch ein im gleichen Haushalt
lebender Schwager gehöre, zumal dieser auch nicht unterhaltspflichtig gegenüber den
Geschwistern seiner Ehefrau sei. Die Hinweise des Innenministers zur Durchführung
des Asylbewerberleistungsgesetzes, auf die der Beklagte sich berufe, könnten die
gesetzlichen Bestimmungen nicht abändern.
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Die Klägerinnen haben beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Dezember 1995 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1997 zu verpflichten, ihnen für den Zeitraum
vom 1. Dezember 1995 bis 31. Mai 1997 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz bzw. dem Bundessozialhilfegesetz zu gewähren.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat im Wesentlichen ausgeführt: Er sei weiterhin der im Widerspruchsbescheid
dargestellten Auffassung, dass unter den Begriff des Familienangehörigen eines
Leistungsberechtigten im Sinne des § 7 AsylbLG nicht nur die Kernfamilie (Ehegatten
oder minderjährige Kinder), sondern alle Mitglieder der Großfamilie, soweit sie in einem
Haushalt lebten, zu subsumieren seien. Eine Beschränkung nur auf die Mitglieder der
Kernfamilie habe der Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt. Das ergebe sich daraus,
dass er im Rahmen des ersten Gesetzes zur Änderung des
Asylbewerberleistungsgesetzes vom 26. Mai 1997 den Begriff "Familienangehörige"
aus § 2 AsylbLG herausgenommen habe. Von daher verbiete sich die Anknüpfung an
den vormals in § 2 Abs. 2 AsylbLG gebrauchten Begriff des Familienangehörigen.
Außerdem könne die Vorschrift des § 16 BSHG für die Auslegung des § 7 AsylbLG
herangezogen werden. Auch wenn es sich bei § 16 BSHG um eine angesichts der
ansonsten im Sozialhilferecht zu Grunde zu legenden "Bedarfsgemeinschaft" atypische
Regelung handele, rechtfertige sie sich aus dem Zusammenleben des Hilfe Suchenden
in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten; sie treffe daher gerade
auch den Regelungsbereich des § 7 AsylbLG.
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Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25. Juli 2001 den Beklagten unter Aufhebung
des Bescheides vom 7. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14. Mai 1997 verpflichtet, den Klägerinnen für den Zeitraum vom 1. Dezember 1995
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bis zum 31. Januar 1997 Grundleistungen gemäß § 3 des
Asylbewerberleistungsgesetzes und für den Zeitraum vom 1. Februar 1997 bis zum 31.
Mai 1997 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz in
gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerinnen hätten nach § 1 i.V.m. § 3 AsylbLG einen Anspruch auf Gewährung von
Leistungen nach diesem Gesetz für den Zeitraum vom 1. Dezember 1995 bis zum 31.
Januar 1997. Sie seien in diesem Zeitraum Leistungsberechtigte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2
bzw. § 1 Abs. 2 AsylbLG und hätten damit, da sie unstreitig kein eigenes Einkommen
und Vermögen hätten, einen Anspruch auf Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG.
Entgegen der Auffassung des Beklagten stehe diesem Anspruch die Regelung des § 7
Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht entgegen. Diese Vorschrift finde vorliegend keine
Anwendung, weil es sich weder bei dem Bruder noch bei dem Schwager um einen
"Familienangehörigen" der Klägerinnen handele. Darunter seien vielmehr nur der
Ehegatte und die minderjährigen Kinder zu verstehen. Das
Asylbewerberleistungsgesetz definiere an keiner Stelle ausdrücklich den Begriff des
Familienangehörigen eines Leistungsberechtigten im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1
AsylbLG. Jedoch werde in § 2 Abs. 2 AsylbLG der Kreis der Familienangehörigen eines
nach § 2 AsylbLG Leistungsberechtigten durch den Verweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 3
AsylbLG ausdrücklich auf Ehegatten und Kinder beschränkt. Dafür, dass eine derartige
Beschränkung des Begriffs des Familienangehörigen nur für den durch § 2 AsylbLG
besonders angesprochenen Personenkreis gelten solle, während für den nach § 1
AsylbLG leistungsberechtigten Personenkreis ein weiterer Begriff zu gelten hätte,
bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Für diese Auslegung spreche auch, dass damit der
Kreis der Familienangehörigen in gleicher Weise wie durch die Bestimmungen des
BSHG gezogen werde, das sowohl für die Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 11 Abs. 1 Satz
2 BSHG) als auch für die Hilfe in besonderen Lebenslagen (§ 28 BSHG) für die Frage
der Leistungsberechtigung auf Einkommen und Vermögen allein dieser Personen als so
genannter "Bedarfsgemeinschaft" abstelle. Die Regelung des § 16 BSHG, die auf
Verwandte und Ver-schwägerte abstelle, sei dagegen eine atypische Regelung. Diese
könne zur Bestimmung des Begriffs des Familienangehörigen im Sinne des § 7
AsylbLG nicht herangezogen werden. Denn es sei davon auszugehen, dass der
Gesetzgeber, wenn er in § 7 AsylbLG eine entsprechende Regelung hätte treffen
wollen, auch den Begriff der Verwandten und Verschwägerten übernommen hätte. Für
den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 31. Mai 1997 fielen die Klägerinnen unter den
Anwendungsbereich des BSHG. Da ihnen im Anschluss an die bis zum 31. Januar
1997 geltende sechsmonatige Aufenthaltsbefugnis eine Aufenthaltsbefugnis von einem
Jahr erteilt worden sei, seien sie gemäß § 1 Abs. 2 AsylbLG vom Kreis der
Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgeschlossen. Sie
hätten damit einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 11 Abs. 1 Satz 1,
12 BSHG.
Durch Beschluss vom 6. März 2002 hat der seinerzeit zuständige 16. Senat des
erkennenden Gerichts die Berufung des Beklagten entsprechend seinem Antrag
zugelassen, soweit das angefochtene Urteil ihn verpflichtet, den Klägerinnen für die Zeit
vom 1. Dezember 1995 bis zum 31. Januar 1997 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu
gewähren. Mit der Berufung macht der Beklagte im Wesentlichen geltend: Die
Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Familienangehörige" in § 7 Abs. 1 Satz 1
AsylbLG nach dem Wortlaut, der Gesetzessystematik und nach Sinn und Zweck der
Regelung im Verhältnis zum Sozialhilferecht führe zu einem weiten Verständnis dieses
Tatbestandsmerkmals, sodass auch der Bruder und der Schwager der Klägerinnen als
Familienangehörige erfasst würden. Dem Wortlaut des Begriffs sei zunächst lediglich zu
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entnehmen, dass es sich um "Angehörige einer Familie" handeln müsse. Zu einer
Familie gehörten nach allgemeinem Sprachgebrauch und Verständnis alle diejenigen
Personen, die miteinander verwandt oder verschwägert seien. Dieses weit gefasste
Verständnis des Begriffs finde seinen Niederschlag auch im Sinne eines
Sprachgebrauchs der Verwaltungspraxis in einer Vielzahl von
Durchführungsverordnungen einzelner Länder, z.B. den vorläufigen Hinweisen zur
Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 30. Juni 1993 des
Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen. Diese Auslegung werde noch
weiterhin gestützt von dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung. Der
Angehörigenbegriff finde sich beispielsweise legal definiert in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB,
wonach Angehörige auch Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, Ehegatten der
Geschwister und Geschwister der Ehegatten seien. Aus dem Sozialleistungsrecht sei §
2 Abs. 4 Nr. 1 und 2 SGB VII anzuführen. Hiernach gälten als Angehörige auch
Verwandte bis zum 3. Grad und Verschwägerte bis zum 2. Grad. Weiterhin erfassten
auch die Verfahrensvorschriften die Angehörigen in dem weit verstandenen Sinne. Als
Angehörige würden sowohl in § 20 Abs. 5 VwVfG als auch in § 16 Abs. 5 SGB X
Verwandte und Verschwägerte gerader Linie sowie Ehegatten der Geschwister und
Geschwister der Ehegatten legal definiert. Auch die Gesetzessystematik lasse eine
Reduzierung des Begriffs auf den Personenkreis der Ehegatten und minderjährigen
Kinder nicht zu. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf § 2 Abs. 2 AsylbLG sei nicht
überzeugend. Wenn diese Bestimmung den Kreis der Familienangehörigen
ausdrücklich auf Ehegatten und Kinder beschränke und dazu das gesetzgeberische
Mittel des Verweises - hier auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG - gebrauche, diese
Gesetzestechnik aber im Rahmen des § 7 Abs. 1 AsylbLG nicht anwende, müsse im
Gegenteil davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 7
AsylbLG gerade keine Beschränkung auf den Personenkreis des Ehegatten und der
minderjährigen Kinder gewollt habe. Das gesetzessystematische Verhältnis zu der
Regelung in § 16 BSHG gebe ebenfalls keinen Anhaltspunkt für den gesetzgeberischen
Willen, den Begriff des Familienangehörigen einengend zu verstehen. § 7 Abs. 1
AsylbLG übernehme gerade mit dem Begriff des Familienangehörigen die Funktionen,
die § 16 BSHG innerhalb des Sozialhilferechts habe. In aller Deutlichkeit habe der
Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das Leistungsrecht für Asylbewerber mit
Erlass des Asylbewer-berleistungsgesetzes als eines speziellen Gesetzes aus dem
Zusammenhang des Sozialhilferechts habe herausgelöst werden sollen, um strengere
Regelungen zu normieren. Das werde auch daran deutlich, dass § 16 BSHG eine
Haushaltsgemeinschaft verlange, während § 7 AsylbLG lediglich das Leben im selben
Haushalt voraussetze. Zudem normiere § 7 AsylbLG im Gegensatz zu § 16 BSHG nicht
lediglich eine Vermutung, sondern schreibe die Einkommens- und
Vermögensanrechnung zwingend vor. Damit stehe fest, dass das
Asylbewerberleistungsgesetz eine strengere Regelung enthalte als die
sozialhilferechtliche Regelung nach § 16 BSHG. Wenn aber schon die bloße
Vermutungsregelung des § 16 BSHG Verwandte und Verschwägerte in den Kreis der
Familie einbeziehe, dann müsse dieses erst recht für die strengere Regelung des § 7
AsylbLG gelten. Anderenfalls wären die Berechtigten nach dem Bundessozialhilferecht
schlechter gestellt als solche nach dem Asylbewerberleistungsrecht. Gerade dies sei
vom Gesetzgeber mit Erlass des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht beabsichtigt
worden.
Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit die Verpflichtung
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des Beklagten begehrt wird, den Klägerinnen für den Zeitraum vom 1. Dezember 1995
bis zum 31. Januar 1997 Grundleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes
zu gewähren.
Die Klägerinnen beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung tragen sie vor, entgegen der Ansicht des Beklagten könne alleine aus
dem Wortlaut des Begriffs "Familienangehörige" nicht auf ein weites Verständnis, das
sämtliche Verwandte im Sinne einer Großfamilie umfasse, geschlossen werden.
Vielmehr sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Asylbewerberleistungsgesetz
um einen Abkömmling des Bundessozialhilfegesetzes handele und demgemäß die
Auslegung des Begriffs des Familienangehörigen entsprechend den Definitionen und
der Rechtsprechung zum Bundessozialhilfegesetz vorzunehmen sei. Danach würden
außer Ehegatten und Kindern keine weiteren Verwandte oder Verschwägerte von dem
Begriff erfasst. Die Ausführungsbestimmungen der Länder zum
Asylbewerberleistungsgesetz könnten für die Auslegung nicht herangezogen werden,
weil sie in vielen Fällen die (einseitige) Interessenlage der öffentlichen Hand
widerspiegelten. Von Bedeutung sei schließlich auch, dass keineswegs von vornherein
eine Haushaltsgemeinschaft zwischen den Mitgliedern der Familie O. und ihnen, den
Klägerinnen, bestanden habe. Vielmehr seien sie durch Bescheid des Beklagten Ende
1995 in die Wohnung eingewiesen worden, in der seinerzeit bereits die Familie O.
gelebt habe, sodass eine Zwangshaushaltsgemeinschaft von der Behörde herbeigeführt
worden sei. Das Asylbewerberleistungsgesetz sei nicht so anzuwenden und
auszulegen, dass die Ausländerbehörden Mitglieder einer Großfamilie zusammen in
einen Haushalt einweisen könnten und die Leistungsbehörden dann unter
Berücksichtigung des Gesamteinkommens der Großfamilie Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz versagen dürften.
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Der Vertreter des öffentlichen Interesses nimmt wie folgt Stellung: Er teile die
Rechtsauffassung des Beklagten, wonach der Begriff des Familienangehörigen im
Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht nur Verwandte in gerader Linie umfasse, die
einander zivilrechtlich unterhaltsverpflichtet seien, sondern grundsätzlich alle Mitglieder
einer Großfamilie, soweit sie in einer Haushaltsgemeinschaft lebten. Demgemäß sei
diese Rechtsauffassung auch in der aktuellen Fassung der Hinweise des
Landesinnenministeriums zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes
aufrecht erhalten worden. Der Begriff "Familienangehörige" sei schon nach dem
allgemeinen Sprachgebrauch nicht auf Ehegatten und minderjährige Kinder beschränkt.
Auch der vom Verwaltungsgericht in der Begründung des angefochtenen Urteils
herangezogene Umstand, dass in § 2 Abs. 2 AsylbLG der Kreis der
Familienangehörigen eines nach § 2 AsylbLG Leistungsberechtigten durch den Verweis
auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG ausdrücklich auf Ehegatten und minderjährige Kinder
beschränkt worden sei, sei nicht geeignet, den Begriff "Familienangehörige" im Sinne
des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zu definieren. Da ein ausdrücklicher Verweis auf § 1 Abs.
1 Nr. 3 AsylbLG in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG anders als in § 2 Abs. 2 AsylbLG
unterblieben sei, könne davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Begriff
des Familienangehörigen im Rahmen des § 7 AsylbLG in einem weiteren Sinne habe
verstanden wissen wollen als im Rahmen des § 2 Abs. 2 AsylbLG. Im Übrigen spreche
der vom Gesetzgeber mit dem Asylbewerberleistungsgesetz verfolgte Sinn und Zweck
gegen eine enge Auslegung des Begriffs des Familienangehörigen im Rahmen des § 7
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Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz habe der Gesetzgeber
insbesondere das Ziel verfolgt, den wirtschaftlichen Anreiz für politisch nicht verfolgte
Ausländer, nach Deutschland zu kommen, durch eine Absenkung der Sozialleistungen
gegenüber der Sozialhilfe zu mindern. Das Asylbewerberleistungsgesetz werde daher
im Gegensatz zum Bundessozialhilfegesetz vom Sachleistungsprinzip beherrscht. Eine
Beschränkung der Berücksichtigung des verfügbaren Einkommens bzw. Vermögens
von Familienangehörigen eines Leistungsberechtigten nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz auf das Einkommen und Vermögen von Ehegatten und
minderjährigen Kindern führe zu einer deutlichen leistungsrechtlichen Benachteiligung
von Personen, die leistungsberechtigt nach dem Bundessozialhilfegesetz seien (vgl. §
16 BSHG), gegenüber Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Diese Ungleichbehandlung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Eine entsprechende
Klarstellung sei mittlerweile durch eine Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG
vollzogen worden. Nach der geltenden Fassung des § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG finde §
122 BSHG entsprechende Anwendung. Daraus ergebe sich die Einbeziehung aller in
einer Haushaltsgemeinschaft lebenden Familienmitglieder einschließlich ver-
schwägerter Personen in den Begriff des Familienangehörigen im Sinne des § 7 Abs. 1
Satz 1 AsylbLG. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG finde § 122 BSHG insgesamt
entsprechende Anwendung, also auch dessen Satz 2, der wiederum § 16 BSHG für
entsprechend anwendbar erkläre.
Die Klägerinnen haben auf die Bitte des Gerichts um Mitteilung ihrer
Einkommenssituation und um Vorlage von Nachweisen über das Einkommen des
Bruders und des Schwagers im Zeitraum vom 1. Dezember 1995 bis 31. Januar 1997
mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 1. März 2004 vorgetragen: Die
Klägerin zu 1) sei bis August 1996 Schülerin gewesen und habe bis zu diesem
Zeitpunkt keinerlei Einkünfte gehabt. Am 1. Oktober 1996 habe sie eine Ausbildung zur
Arzthelferin begonnen. Sie habe dort ein monatliches Netto-Einkommen in Höhe von
400,00 DM bis 500,00 DM erzielt. Die Klägerin zu 2) sei ebenfalls bis August 1996
Schülerin und danach bis Ende des Jahres 1996 arbeitssuchend gewesen. Später habe
sie dann als Verkäuferin im Einzelhandel gearbeitet. Im fraglichen Zeitraum habe sie
keine Einkünfte erzielt. Die Klägerin zu 3) sei bis einschließlich Januar 1997 Schülerin
gewesen und habe keine Einkünfte erzielt. Ihr Schwager sei im fraglichen Zeitraum als
Lagerarbeiter beschäftigt gewesen; ein Einkommensnachweis liege nicht vor. Ihr Bruder
habe seinerzeit eine Ausbildung zum Dachdecker absolviert und eine normale
Ausbildungsvergütung erhalten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Ausländerakten der Klägerinnen zu 2) und
3), ihres Bruders, ihrer Schwester L. sowie ihres Schwagers Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.
25
Die Klage ist hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Dezember 1995 bis 31. Januar 1997
unbegründet. Die Klägerinnen haben für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf
Grundleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes in der Fassung vom 30.
Juni 1993, BGBl. I S. 1074 (im Folgenden: AsylbLG 1993). Insoweit ist der
Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 7. Dezember 1995 in der Gestalt des
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Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1997 rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen
deshalb nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Zwar gehörten sie nach ihren Aufenthaltsverhältnissen zu dem durch das
Asylbewerberleistungsgesetz berechtigten Personenkreis. Das nach
Asylbewerberleistungsrecht zu berücksichtigende Einkommen schloss aber Leistungen
nach diesem Gesetz aus.
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Die grundsätzliche Leistungsberechtigung der Klägerinnen im Zeitraum vom 1.
Dezember 1995 bis 30. Juli 1996 ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG 1993, weil sie
Ausländerinnen waren, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhielten und jedenfalls
infolge des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 4. August 1993 nach § 42 Abs. 1 und 2 AuslG vollziehbar zur Ausreise
verpflichtet waren. Für den Zeitraum vom 31. Juli 1996 bis 31. Januar 1997 waren sie
gemäß § 1 Abs. 2 AsylbLG 1993 leistungsberechtigt. Diese Vorschrift bestimmt unter
anderem, dass Personen nach Absatz 1 nicht für die Zeit leistungsberechtigt nach
diesem Gesetz sind, für die ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung mit einer
Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten erteilt ist. Daraus folgt im
Umkehrschluss, dass die in Absatz 1 genannten Ausländer, denen - wie den
Klägerinnen am 31. Juli 1996 - eine befristete Aufenthaltsgenehmigung mit einer
Gesamtgeltungsdauer von (nur) bis zu sechs Monaten erteilt worden ist, nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt sind.
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Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. Februar 1999 - 4 M 137/99 -, FEVS 51, S. 43.
29
Damit ist der Weg zur Anwendung der §§ 3 und 7 AsylbLG eröffnet.
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Daran ändert auch § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG 1993 nichts. Nach dieser Regelung ist
abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG 1993 das Bundessozialhilfegesetz auf
Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, wenn sie eine Duldung erhalten
haben, weil ihrer freiwilligen Ausreise und ihrer Abschiebung Hindernisse
entgegenstehen, die sie nicht zu vertreten haben.
31
Die Klägerinnen erfüllten diese Voraussetzung nicht. Sie waren zwar im Besitz von
Duldungen, die die Ausländerbehörde ihnen am 9. November 1995 erteilt und im Jahr
1996 mehrfach erneuert hatte. Aus den Ausländerakten ergibt sich aber, dass die
Klägerinnen die Duldungen nicht erhalten hatten, weil ihre Abschiebung aus rechtlichen
oder tatsächlichen Gründen unmöglich war oder nach § 53 Abs. 6 oder § 54 AuslG
ausgesetzt werden sollte (vgl. § 55 Abs. 2 AuslG), sondern weil die Ausländerbehörde
es ihnen offenbar ermöglichen wollte, bis zum Abschluss des Asylverfahrens ihrer
Schwester in Deutschland zu bleiben.
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Einem Anspruch der sonach im entscheidungserheblichen Zeitraum dem Leistungsrecht
des Asylbewerberleistungsgesetzes zuzuordnenden Klägerinnen auf Gewährung von
Grundleistungen nach § 3 AsylbLG 1993 steht indes § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG 1993
entgegen. Danach sind Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden kann, von
dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben Haushalt
leben, vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen. Die
Einbeziehung der Familienangehörigen bedeutet, dass ein Leistungsberechtigter im
Sinne des § 1 Abs. 1 AsylbLG 1993 erst dann Leistungen nach § 3 AsylbLG 1993
beanspruchen kann, wenn zuvor sein eigenes Einkommen und Vermögen sowie das -
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ihm zurechenbare - Einkommen und Vermögen seiner im selben Haushalt lebenden
Familienangehörigen aufgebraucht worden sind.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Juli 1996 - 8 B 771/96 -, abgedruckt in
Fritz/Hohm/Vormeier (Hrsg.), Gemeinschafts-kommentar zum
Asylbewerberleistungsgesetz (GK-AsylbLG), Stand: Dezember 2003, VII - zu § 7 Abs. 1
(OVG-Nr. 2); Hohm in GK-AsylbLG, § 7 Rn. 12; Birk in Bundessozialhilfegesetz, Lehr-
und Praxiskommentar (LPK-BSHG), 6. Aufl. 2003, § 7 AsylbLG, Rn. 2.
34
Aus § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG 1993 folgt, dass - wie auch im
Sozialhilferecht - derjenige keinen Anspruch auf Leistungen hat, der in der Lage ist, den
Bedarf an notwendigem Lebensunterhalt entweder aus eigenem (bzw. ihm
zurechenbaren) Einkommen oder aus eigenem (bzw. ihm zurechenbaren) Vermögen zu
decken. Da das (Nicht-)Vorhandensein vorrangig einzusetzender eigener Mittel
Voraussetzung für den Anspruch auch auf Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz ist, obliegt es dem Hilfe suchenden Asylbewerber,
darzulegen und nachzuweisen, dass er nicht über Einkommen oder Vermögen verfügt,
das zur Deckung des Bedarfs gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG 1993 eingesetzt
werden kann. Die Nichtaufklärbarkeit dieser Anspruchsvoraussetzung geht zu seinen
Lasten.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Juli 1996 - 8 B 771/96 -, a.a.O., und vom 17. Juni
1997 - 8 B 203/97 -, GK-AsylbLG VII - zu § 7 Abs. 1 (OVG- Nr. 3).
36
Auf Grund der nach diesen Grundsätzen getroffenen Feststellungen stand den
Klägerinnen im entscheidungserheblichen Zeitraum zur Bedarfsdeckung ausreichendes
Einkommen zur Verfügung. Die Klägerin zu 1) hat für den Zeitraum vom 1. Oktober 1996
bis 31. Januar 1997 schon deshalb keinen Anspruch auf Grundleistungen nach § 3
AsylbLG 1993, weil sie während dieser Zeit eigenes Einkommen erzielt und nicht
nachgewiesen hat, dass das Einkommen zur Deckung ihres Bedarfs nicht ausgereicht
hat. Ihre Prozessbevollmächtigten haben nämlich mit Schriftsatz vom 1. März 2004
mitgeteilt, dass sie am 1. Oktober 1996 eine Ausbildung zur Arzthelferin begonnen und
dort ein monatliches Netto-Einkommen von 400,00 DM bis 500,00 DM erzielt hat;
Einkommensnachweise für den genannten Zeitraum sind allerdings nicht vorgelegt
worden. Schon wegen der unzureichenden Darlegung ist zu Lasten der Klägerin zu 1)
davon auszugehen, dass ihre Einkünfte zumindest ebenso hoch waren wie ihr Bedarf
an Grundleistungen gemäß § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG 1993.
37
Abgesehen davon konnten die Klägerin zu 1) wie auch die Klägerinnen zu 2) und 3)
ihren Bedarf im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum aus dem Einkommen ihres
Bruders L. C. und ihres Schwagers A. O. , die im selben Haushalt lebten, decken. Der
Bruder hatte für den Monat Dezember 1995 von der J. Verletztengeld in Höhe von - nach
Abzug der Sozialversicherungsbeiträge - 1.616,86 DM erhalten. Der Schwager war
während des gesamten hier in Rede stehenden Zeitraums in einem Fliesenfachhandel
beschäftigt und erzielte Erwerbseinkommen. Nach einer vom Beklagten eingeholten
Lohnauskunft des Arbeitgebers hatte das monatliche Netto-Einkommen des Schwagers
im Zeitraum von August 1994 bis Juli 1995 durchschnittlich 3.244,63 DM betragen. Da
die Klägerinnen der Aufforderung des Gerichts, Nachweise über das Einkommen ihres
Bruders und Schwagers für den streitgegenständlichen Zeitraum vorzulegen, nicht
nachgekommen sind, ist entsprechend der Beweislastverteilung davon auszugehen,
dass sich deren Einkommen in diesem Zeitraum jedenfalls nicht verringert hat. Die
38
Angabe im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 1. März 2004, der Bruder der
Klägerinnen habe im fraglichen Zeitraum eine Ausbildung zum Dachdecker absolviert,
kann nach dem Inhalt der Ausländerakten des Bruders nicht zutreffen. Daraus ergibt
sich nämlich, dass der Bruder am 7. März 1995 einen schweren Arbeitsunfall erlitten
hatte, deshalb Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten hat und eine
von der Berufsgenossenschaft geplante Umschulung zunächst wegen seines
ungesicherten Aufenthaltsstatus nicht durchgeführt werden konnte.
Das Einkommen des Bruders und des Schwagers reichte zur Deckung des Bedarfs aller
im Haushalt lebenden Personen aus. Da das Erwerbseinkommen des Schwagers
gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG 1993 in Höhe von 60 vom Hundert des maßgeblichen
Betrages aus § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG 1993 (= 264,00 DM) außer Betracht bleibt,
beläuft sich das insgesamt verfügbare und anrechenbare Einkommen auf 4.597,49 DM.
Diesem Einkommen steht ein Gesamtbedarf der Klägerinnen, ihres Bruders, ihrer
Schwester und ihres Schwagers von 3.557,00 DM (bis 30. Juni 1996) bzw. 3.566,00 DM
(ab 1. Juli 1996) gegenüber, der sich wie folgt zusammensetzt: Der Bedarf der
Klägerinnen bemisst sich nach § 3 AsylbLG 1993 und beträgt jeweils 310,00 DM (§ 3
Abs. 2 Satz 2 Nr. 3) zuzüglich 80,00 DM (§ 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2). Der Bedarf ihres
Bruders bemisst sich ebenfalls nach § 3 AsylbLG 1993, weil er im fraglichen Zeitraum
ebenso wie die Klägerinnen Leistungsberechtigter nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 1 Abs. 2
AsylbLG 1993 war. Auf den Umstand, dass er wegen seines Einkommens tatsächlich
keine Leistungen erhalten hat, kommt es im Rahmen des § 7 Abs. 1 AsylbLG nicht an.
Der Bedarf des Bruders beläuft sich demnach gleichfalls auf 390,00 DM. Die Schwester
L. der Klägerinnen und deren Ehemann waren im streitgegenständlichen Zeitraum
Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG 1993, auf die nach § 2 Abs. 1 Nr. 1
AsylbLG 1993 das Bundessozialhilfegesetz entsprechend anzuwenden war, weil über
ihren Asylantrag zwölf Monate nach Antragstellung noch nicht unanfechtbar
entschieden war. Bei der Berechnung ihres Bedarfs sind daher die Regelsätze nach
dem BSHG zugrundezulegen, die für den Schwager 526,00 DM (bis zum 30. Juni 1996)
bzw. 531,00 DM (ab dem 1. Juli 1996) und für die Schwester 421,00 DM bzw. 425,00
DM betragen haben. Hinzu kommen die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe
von monatlich 1.050,00 DM.
39
Die Klägerinnen haben sich das Einkommen ihres Bruders und ihres Schwagers
anrechnen zu lassen, weil es sich bei diesen Personen um ihre Familienangehörigen im
Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG 1993 handelt. Familienangehörige in diesem
Sinne sind entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung über den
Ehegatten und die minderjährigen Kinder des Leistungsberechtigten hinaus generell
Verwandte und Verschwägerte (vgl. § 16 BSHG).
40
Das Asylbewerberleistungsgesetz definiert den Begriff des Familienangehörigen im
Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht. Eine Legaldefinition ergibt sich auch nicht
mittelbar aus § 2 Abs. 2 AsylbLG 1993. Diese Vorschrift enthält eine Regelung über die
Anwendung des Absatz 1 Nr. 2 auf „Familienangehörige im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3",
der seinerseits nur Ehegatten und minderjährige Kinder eines leistungsberechtigten
Ausländers nennt. Entsprechendes gilt für die durch das zweite Gesetz zur Änderung
des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 25. August 1998 (BGBl. I S. 2505) eingefügte
Bestimmung des § 1a, in der von Leistungsberechtigten und ihren Familienangehörigen
nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 die Rede ist. § 1 Abs. 1 Nr. 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes
in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022) - AsylbLG
1997 - erwähnt ebenfalls nur Ehegatten und minderjährige Kinder. Aus diesen
41
Vorschriften wird abgeleitet, dass der Begriff „Familienangehörige" in § 7 Abs. 1 Satz 1
AsylbLG sich gleichfalls nur auf Ehegatten und minderjährige Kinder beziehe.
In diesem Sinne auch VG Münster, Beschluss vom 30. März 1995 - 5 L 326/95 -, GK-
AsylbLG VII - zu § 7 Abs. 1 (VG-Nr. 1) = NVwZ 1996, S. 96; Hohm in GK-AsylbLG, § 7
Rn. 52 f.; ders. in W.Schellhorn/H.Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, AsylbLG § 7 Rn.
12; Birk, a.a.O., § 7 AsylbLG, Rn. 2; Fasselt in Fichtner, BSHG, 2. Aufl. 2003, § 7
AsylbLG, Rn. 6 jeweils m.w.N.; in diese Richtung tendierend auch OVG Lüneburg,
Beschluss vom 26. Mai 1999 - 4 L 2032/99 -, GK-AsylbLG VII - zu § 7 Abs. 1 (OVG-Nr.
4).
42
Diese Argumentation überzeugt nicht; im Gegenteil sprechen § 2 Abs. 2 AsylbLG 1993
und der 1998 eingefügte § 1a AsylbLG für eine weite Auslegung des Be-griffs
„Familienangehörige" in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Aus dem Umstand, dass § 1 Abs. 1
Nr. 3 AsylbLG 1993 bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG 1997 nur Ehegatten oder
minderjährige Kinder eines leistungsberechtigten Ausländers nennt, kann nicht
geschlossen werden, dass das Asylbewerberleistungsgesetz generell nur diesen
Personenkreis meint, wenn es von „Familienangehörigen" spricht. Wenn das so wäre,
hätte es des Zusatzes „im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3" in § 2 Abs. 2 AsylbLG 1993 bzw.
„nach § 1 Abs. 1 Nr. 6" in § 1a AsylbLG 1998 nicht bedurft. Dass der Gesetzgeber
diesen Zusatz für erforderlich gehalten hat, zeigt, dass er von einem weiter gefassten -
dem allgemeinen - Begriffsverständnis ausgegangen ist und in § 2 Abs. 2 AsylbLG 1993
bzw. § 1a AsylbLG 1998 eine Regelung nur für bestimmte Familienangehörige, nämlich
Ehegatten und minderjährige Kinder, treffen wollte. Da der Zusatz „im Sinne des § 1
Abs. 1 Nr. 3" in der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG 1993 fehlt, gibt es keine
Grundlage für die Annahme, unter Familienangehörigen seien hier ebenfalls nur der
Ehegatte und die minderjährigen Kinder des Leistungsberechtigten zu verstehen, zumal
diese selbst nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG 1993 leistungsberechtigt sind, so dass es
der gesonderten Erwähnung der Familienangehörigen insoweit nicht bedurft hätte.
43
Vgl. dazu VG Hamburg, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 8 VG 3451/98 -, GK-AsylbLG
VII - zu § 7 Abs. 1 (VG-Nr. 7) = NVwZ-RR 1999, S. 685.
44
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden als (Familien-)Angehörige auch Verwandte
wie die Großeltern oder Onkel und Tante sowie Schwager und Schwägerin bezeichnet,
wenn auch unter "Familie" nicht selten die aus Eltern und ihren minderjährigen Kindern
bestehende Kleinfamilie verstanden wird.
45
Dieser allgemeine - an der Großfamilie orientierte - Gebrauch des Begriffs "(Familien-
)Angehörige" hat in verschiedenen Gesetzen seinen Niederschlag gefunden. Das gilt
etwa für § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wonach Verwandte und Verschwägerte gerader Linie,
der Ehegatte, der Lebenspartner, der Verlobte, Geschwister, Ehegatten der Geschwister,
Geschwister der Ehegatten, Pflegeeltern und Pflegekinder Angehörige im Sinne des
Strafgesetzbuches sind. Einen noch größeren Personenkreis umfassen die -
gleichlautenden - Definitionen in § 20 Abs. 5 VwVfG und § 16 Abs. 5 SGB X. Nach § 2
Abs. 4 SGB VII sind Familienangehörige unter anderem Verwandte bis zum dritten
Grade und Verschwägerte bis zum zweiten Grade. Diese Legaldefinitionen zeigen, dass
der Gesetzgeber unter Familienangehörigen im allgemeinen neben dem Ehegatten
nicht nur die minderjährigen Kinder, sondern Verwandte und Verschwägerte in einem
weiteren - im einzelnen beschriebenen - Umfang versteht.
46
Im gleichen Sinne legen Rechtsprechung und Literatur den Begriff des
Familienangehörigen aus, wenn Gesetze den Begriff gebrauchen, ohne ihn selbst zu
definieren. Als Beispiel kann aus dem Sozialhilferecht, zu dem das
Asylbewerberleistungsrecht eine gewisse Nähe aufweist, die Vorschrift des § 119 Abs.
2 BSHG angeführt werden, die nach Art. 68 Abs. 2 des Gesetzes zur Einordnung des
Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022) am
31. Dezember 2003 außer Kraft getreten ist. Zur Erläuterung des dort verwendeten
Begriffs „Familienangehörige" wird auf die weite Legaldefinition in § 16 Abs. 5 SGB X
verwiesen,
47
so Birk, a.a.O., § 119 Rn. 3,
48
oder ausgeführt, Familienangehörige seien alle Verwandten und Verschwägerten ohne
Rücksicht auf den Grad der Verwandtschaft oder Schwägerschaft.
49
So Bräutigam in Fichtner, a.a.O., § 119 Rn. 6.
50
Auch für den Begriff des Familienangehörigen in § 3 Abs. 2 der Verordnung zur
Durchführung des § 76 BSHG wird eine weite Auslegung befürwortet.
51
Vgl. W.Schellhorn/H.Schellhorn, a.a.O., VO zu § 76 BSHG, § 3 Rn. 7.
52
Es spricht Überwiegendes dafür, dass der Gesetzgeber in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG an
diesen weiten - im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Rechtssprache
vorgefundenen - Begriff des Familienangehörigen angeknüpft hat.
53
Allerdings wird dem Wortlaut vereinzelt ein erster Hinweis auf die Notwendigkeit einer
engen Auslegung entnommen, da er nicht gleichzusetzen sei etwa mit der
Formulierung: „Einkommen und Vermögen des Leistungsberechtigten und seiner
Familienangehörigen, über das sie verfügen können, ... sind aufzubrauchen."
54
So Hohm in GK-AsylbLG, § 7 Rn. 50; VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25. Mai
2000 - 3 G 2350/00 (V) -, GK-AsylbLG VII - zu § 7 Abs. 1 (VG-Nr. 18); zustimmend VG
München, Urteil vom 23. Februar 2001 - M 6a K 00.5157 -, GK-AsylbLG VII - zu § 7 Abs.
1 (VG-Nr. 21).
55
Es ist einzuräumen, dass durch einen solchen Gesetzeswortlaut die Verpflichtung des
Leistungsberechtigten, vor Eintritt von Asylbewerberleistungen auch Einkommen und
Vermögen seiner Familienangehörigen aufzubrauchen, noch deutlicher zum Ausdruck
hätte gebracht werden können. Dass sich aus den unterschiedlichen Formulierungen
Konsequenzen für die Auslegung des Begriffs „Familienangehörige" ergeben, ist jedoch
nicht ersichtlich.
56
Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass mit dem Begriff
„Familienangehörige" in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nur der Ehegatte und die
minderjährigen Kinder des Leistungsberechtigten gemeint sind. In der Begründung zu §
6 des Regierungsentwurfs wird ausgeführt, dass der Leistungsberechtigte sein
Vermögen ausnahmslos und sein Einkommen bis auf den Freistellungsbetrag nach
Absatz 2 einzusetzen hat, bevor er Leistungen für sich und seine im selben Haushalt
lebenden Familienangehörigen in Anspruch nimmt.
57
Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an
Asylbewerber, BT-Drucks. 12/4451, S. 10.
58
Diese Begründung betrifft lediglich die Frage, in welchem Umfang Einkommen und
Vermögen einzusetzen sind, bevor Leistungen nach dem AsylbLG in Anspruch
genommen werden können. Zu dem nach dem Gesetz auch denkbaren Fall, dass ein
Familienangehöriger, der nicht Leistungsberechtigter im Sinne des
Asylbewerberleistungsgesetzes ist und im selben Haushalt lebt, Einkommen und
Vermögen hat, äußert sich die Gesetzesbegründung nicht. Sie enthält auch sonst keine
Hinweise für das Verständnis des Begriffs „Familienangehörige". Insbesondere kann
man aus der beiläufigen Verwendung des Possessivpronomens „sein" nicht folgern,
dass sich die Aufbrauchpflicht nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur auf eigenes
Einkommen und Vermögen des Leistungsberechtigten bezieht.
59
So zutreffend VG Hamburg, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 8 VG 3451/98 -, a.a.O.;
a.A. Hohm in GK-AsylbLG, § 7 Rn. 51.
60
Für eine weite Auslegung des Begriffs „Familienangehörige" in § 7 Abs. 1 Satz 1
AsylbLG sprechen entscheidend Sinn und Zweck der Vorschrift und des gesamten
Asylbewerberleistungsgesetzes. § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG dient gemeinsam mit § 8
Abs. 1 Satz 1 AsylbLG 1997 und § 9 Abs. 2 AsylbLG 1993/1997 dem Zweck, den
Nachrang der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gegenüber
vorrangigen Leistungen Dritter zu gewährleisten.
61
Vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 8 VG 3451/98 -, a.a.O.; Hohm in
W.Schellhorn/H.Schellhorn, a.a.O., AsylbLG § 7 Rn. 1.
62
Während § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 9 Abs. 2 AsylbLG den Nachrang der
Asylbewerberleistungen gegenüber bestimmten Leistungsverpflichtungen Dritter regeln,
knüpft § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG an die Erfahrungstatsache an, dass
Familienangehörige, die in einem Haushalt zusammenleben, in der Regel zueinander
stehen und sich gegenseitig unterstützen. Diese Unterstützungsbereitschaft besteht
erfahrungsgemäß über den Bereich der Kernfamilie hinaus, vor allem in der besonderen
Lebenssituation, in der sich Leistungsberechtigte nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz befinden, die in Deutschland als Asylbewerber,
Flüchtlinge oder aus humanitären Gründen Aufnahme gefunden haben. Von daher ist
eine weite Auslegung des Angehörigenbegriffs geboten, damit nur diejenigen
Berechtigten nach § 1 AsylbLG staatliche Leistungen erhalten, die mangels
anderweitiger Unterstützung darauf unbedingt angewiesen sind.
63
Vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 8 VG 3451/98 -, a.a.O..
64
Die Erforderlichkeit einer weiten Auslegung ergibt sich vor allem aus dem vom
Gesetzgeber mit der Schaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes verfolgten Ziel.
Dieses Gesetz stellt eine vom Bundessozialhilfegesetz weitgehend abgekoppelte, an
Vorschriften des Ausländer- und Asylrechts anknüpfende, eigenständige
einfachgesetzliche Grundlage zur Sicherung des Mindestunterhalts von Asylbewerbern
und sonstigen Ausländern mit noch nicht verfestigtem Bleiberecht für die Dauer ihres
Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland dar.
65
Vgl. Hohm in W.Schellhorn/H.Schellhorn, a.a.O., AsylbLG, Vorbemerkung Rn. 1.
66
Durch das im Vergleich zu Sozialhilfeleistungen deutlich niedrigere Niveau der
Asylbewerberleistungen und durch weitere Einschränkungen, z.B. den prinzipiellen
Vorrang von Sachleistungen nach § 3 Abs. 1 AsylbLG, sollte jeder Anreiz für Ausländer,
aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen, beseitigt werden.
67
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. Dezember 2000 - 22 A 3164/99 -, S. 13 des
Urteilsabdrucks, mit weiteren Nachweisen.
68
Dem Gesetzeszweck, Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
gegenüber Leistungsberechtigten nach dem Bundessozialhilfegesetz herabzustufen
und strengeren Beschränkungen zu unterwerfen, muss auch bei der Auslegung des § 7
AsylbLG Rechnung getragen werden. Die Vorschrift regelt nicht nur, in welchem
Umfang Einkommen und Vermögen zur Bedarfsdeckung einzusetzen sind, sondern
durch das Tatbestandsmerkmal „Familienangehörige" auch die Frage, wessen
Einkommen und Vermögen bei der Prüfung, ob ein Leistungsanspruch nach § 3
AsylbLG besteht, zu berücksichtigen ist. Für Personen, die potenziell Anspruch auf
Sozialhilfeleistungen haben, finden sich Regelungen betreffend die zuletzt genannte
Frage in §§ 11 Abs. 1, 16 und 122 BSHG. Danach sind zu berücksichtigen das
Einkommen und Vermögen des Ehegatten, der Eltern oder eines Elternteiles
minderjähriger Kinder (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG), des Partners einer eheähnlichen
Gemeinschaft (§ 122 BSHG) sowie - im Wege einer Vermutung - das Einkommen und
Vermögen von Verwandten und Verschwägerten, mit denen der Hilfe Suchende in
Haushaltsgemeinschaft lebt (§ 16 BSHG).
69
Hinsichtlich des von § 11 Abs. 1 und § 16 BSHG erfassten Personenkreises kann der
Grundgedanke des Asylbewerberleistungsgesetzes, Leistungsberechtigte nach diesem
Gesetz strengeren Regelungen zu unterwerfen als Sozialhilfeempfänger, zwanglos
dadurch verwirklicht werden, dass man unter „Familienangehörige" sowohl die in § 11
Abs. 1 BSHG genannten Ehegatten und minderjährigen Kinder als auch die in § 16
BSHG genannten Verwandten und Verschwägerten versteht. Das führt zu dem
Ergebnis, dass Leistungsberechtigte im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes, die
mit einem Verwandten oder Verschwägerten im selben Haushalt leben, sich dessen
Einkommen und Vermögen uneingeschränkt zurechnen lassen müssen. Dadurch sind
sie leistungsrechtlich schlechter gestellt als Sozialhilfeberechtigte, zu deren Lasten
nach § 16 Satz 1 BSHG lediglich die widerlegbare Vermutung eingreift, dass sie von
Verwandten oder Verschwägerten Leistungen zum Lebensunterhalt erhalten, soweit
dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Außerdem setzt § 16
Satz 1 BSHG das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft voraus, an die höhere
Anforderungen zu stellen sind als an ein Leben im selben Haushalt. Das bedeutet, dass
§ 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG die Funktion des § 16 BSHG im Asylbewerberleistungsrecht
übernimmt und die dort getroffene Regelung verschärft.
70
So VG Hamburg, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 8 VG 3451/98 -, a.a.O.; vgl. zu
diesem Gesichtspunkt auch VG Braunschweig, Beschluss vom 30. März 1998 - 3 B
3071/98 -, ZfF 2000, S. 109 (110).
71
In diesem Zusammenhang ist dem jetzigen - 1998 eingefügten - Satz 2 des § 7 Abs. 1
AsylbLG ein Argument für eine weite Auslegung des Begriffs „Familienangehörige" zu
entnehmen. § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG in der seit dem 1. September 1998 geltenden
Fassung ordnet die entsprechende Anwendung des § 122 BSHG an. Nach § 122 Satz 1
72
BSHG dürfen Personen, die in eheähnlicher Gemeinschaft leben, hinsichtlich der
Voraussetzungen sowie des Umfanges der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als
Ehegatten. Da Asylbewerberleistungsberechtigte nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG
Einkommen und Vermögen ihres Ehegatten, der im selben Haushalt lebt, vor Eintritt von
Leistungen nach diesem Gesetz aufbrauchen müssen, folgt aus der entsprechenden
Anwendung des § 122 Satz 1 BSHG, dass sie auch Einkommen und Vermögen einer
Person, mit der sie in eheähnlicher Gemeinschaft leben, aufbrauchen müssen.
Vgl. etwa Hohm in W.Schellhorn/H.Schellhorn, a.a.O., § 7 Rn. 14.
73
Nach § 122 Satz 2 BSHG gilt § 16 entsprechend. Das bedeutet in Bezug auf einen
Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, der in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, dass
auch Einkommen und Vermögen von Verwandten des Partners vorrangig einzusetzen
sind, wenn sie im selben Haushalt leben wie der Leistungsberechtigte. Denn nach dem
eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG findet § 122 BSHG insgesamt, also
auch dessen Satz 2, entsprechende Anwendung.
74
A.A. VG München, Urteil vom 23. Februar 2001 - M 6a K 00.5157 -, a.a.O., sowie Hohm
in GK- AsylbLG, § 7 Rn. 87 ff.
75
Eine enge Auslegung des Begriffs „Familienangehörige" in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG
hätte zur Folge, dass verheiratete Leistungsberechtigte demgegenüber privilegiert
würden, weil sie nicht darauf verwiesen werden könnten, zunächst das Einkommen und
Vermögen der im selben Haushalt lebenden Verwandten ihres Ehegatten
aufzubrauchen. Ein derartiges Ergebnis entspräche nicht der Absicht des Gesetzgebers,
der durch die 1998 erfolgte Ergänzung des § 7 Abs. 1 AsylbLG die Partner einer
eheähnlichen Gemeinschaft mit Ehegatten gleichstellen, nicht aber schlechter stellen
wollte als diese.
76
Vgl. Hohm in GK-AsylbLG, § 7 Rn. 54; Fasselt, a.a.O., § 7 AsylbLG, Rn. 7.
77
Spricht demnach Überwiegendes dafür, Verwandte und Verschwägerte als
Familienangehörige im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG anzusehen, lässt sich der
vom Begriff erfasste Personenkreis eindeutig bestimmen. Es kann deshalb dahinstehen,
ob die durch § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG begründete Verpflichtung, Einkommen nahezu
vollständig und Vermögen ausnahmslos aufzubrauchen, einen Eingriff in den
Schutzbereich des grundrechtlich gewährleisteten Eigentums der Familienangehörigen
bewirkt, der einer hinreichend bestimmten einfachgesetzlichen Festlegung des in die
Aufbrauchpflicht einbezogenen Personenkreises bedarf. Selbst wenn man diese Frage
bejahte, folgte daraus nicht die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung
des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG im Sinne einer Verengung der Einsatzpflicht auf
Einkommen und Vermögen des Leistungsberechtigten, seines Ehegatten und der
minderjährigen Kinder.
78
So aber VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25. Mai 2000 - 3 G 2350/00 (V) -, a.a.O.;
VG München, Urteil vom 23. Februar 2001 - M 6a K 00.5157 -, a.a.O.; VG Düsseldorf,
Urteile vom 23. März 2001 - 13 K 7524/98 -, GK-AsylbLG VII - zu § 7 Abs. 1 (VG-Nr. 23),
und vom 29. Juni 2001 - 13 K 2527/99 -, SAR-aktuell 2002, S. 31; Hohm in GK-AsylbLG,
§ 7 Rn. 59.
79
Denn durch das dargelegte Verständnis gewinnt der Begriff „Familienangehörige" eine
80
scharfe Kontur, sodass er den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes genügt. Aus
diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob die verfassungsrechtlichen Bedenken
durch das Argument ausgeräumt werden können, § 7 Abs. 1 AsylbLG greife nicht
unmittelbar in das Grundrecht der Familienangehörigen aus Art. 14 Abs. 1 GG ein, weil
die Aufnahme eines Asylbewerberleistungsberechtigten in ihren Haushalt auf einer
freiwilligen Entscheidung beruhe.
So VG Hamburg, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 8 VG 3451/98 -, a.a.O; kritisch VG
Frankfurt am Main, Beschluss vom 25. Mai 2000 - 3 G 2350/00 (V) -, a.a.O., und Hohm in
GK-AsylbLG, § 7 Rn. 60.
81
Der Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG im hier zugrundegelegten Sinne steht
nicht entgegen, dass die Klägerinnen, ihr Bruder, ihre Schwester und ihr Schwager auf
der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes in die Unterkunft I. straße eingewiesen
worden sind. Es fehlen nämlich jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die
Einweisungsverfügungen mit dem Ziel, die Folge des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG
herbeizuführen, also missbräuchlich, erfolgt wären. Der Beklagte verfolgte mit der
gemeinsamen Unterbringung der Klägerinnen mit ihrem Bruder, ihrer Schwester und
deren Ehemann ersichtlich nicht den Zweck, öffentliche Mittel einzusparen; vielmehr
sollte dadurch die Betreuung und Versorgung der damals minderjährigen Klägerinnen
sichergestellt werden. Im Übrigen können Asylbewerber ihre Einweisung in eine
Gemeinschaftsunterkunft mit Rechtsbehelfen angreifen, wenn sie der Ansicht sind, dass
die Einweisung durch sachfremde Erwägungen motiviert ist.
82
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1, 159 Satz 1, 188
Satz 2 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO.
83
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr.
10, 711 ZPO.
84
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, weil höchstrichterlich
noch nicht geklärt ist, wie der Begriff „Familienangehörige" in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG
auszulegen ist.
85