Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.11.2008

OVG NRW: arzneimittel, begriff, aufzählung, anwendungsbereich, verwaltungsverfahren, beitrag, abgrenzung, verfahrensmangel, verfahrensart, erleichterung

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 2287/06
Datum:
17.11.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 2287/06
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 7. April 2006 wird auf Kosten der
Klägerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 50.000,-- EUR
festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten
Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nur im Rahmen der
Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Bei diesem Zulassungsgrund, der die
Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet, kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene
Entscheidung in allen Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob
ernstliche Zweifel im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen. Ernstliche
Zweifel sind dabei anzunehmen, wenn gegen die Richtigkeit der vorinstanzlichen
Entscheidung nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, d. h.
wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in
der angefochtenen Gerichtsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage
gestellt wird.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000,
1163; BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004,
838; OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2008 - 13 A 2201/05 -.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung
abgewiesen, das Arzneimittel sei mit der Änderungsanzeige vom 26. Januar 2001
unzulässig geändert worden. Dies ergebe sich bereits daraus, dass keine Mitteilung von
Mängeln im Sinne von § 136 Abs. 2 AMG vorgelegen habe. Zudem sei mit der
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Änderung der bisherige Anwendungsbereich verlassen worden. Die gegen diese
Überlegungen vorgebrachten Einwände der Klägerin vermögen nicht zu überzeugen.
Der rechtliche Ausgangspunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass eine
Verlängerung der fiktiven Zulassung ("Nachzulassung") des Arzneimittels nicht mehr in
Betracht kommt, wenn dieses unzulässig geändert worden ist, trifft zu und wird von der
Klägerin auch nicht angegriffen. Ebenfalls zutreffend ist die Annahme des
Verwaltungsgerichts, die Beurteilung der Zulässigkeit der Änderung habe auf der
Grundlage des im Zeitpunkt der Änderung geltenden Rechts zu erfolgen.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Mai 2008 - 3 C 14.07 -, NVwZ-RR 2008, 692,
und - 3 C 15.07 -, A & R 2008, 184; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. August
2008 - 13 A 4034/05 -, juris, und vom 15. Juli 2008 - 13 A 1707/05 -, A & R
2008, 238.
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Die am 30. Januar 2001 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) eingegangene Änderungsanzeige der Klägerin ist somit nach dem
Arzneimittelgesetz in der Fassung des am 12. Juli 2000 in Kraft getretenen Zehnten
AMG-Änderungsgesetzes vom 4. Juli 2000, BGBl. I S. 1002, (im Folgenden: AMG 2000)
zu beurteilen. § 105 Abs. 3a AMG 2000 enthielt im Gegensatz zu der Vorgängerfassung
privilegierende Regelungen für Änderungen der arzneilich wirksamen Bestandteile im
Nachzulassungsverfahren nur noch für homöopathische Arzneimittel, so dass derartige
Änderungen bei sonstigen Arzneimitteln – wie dem streitgegenständlichen – nunmehr
gemäß § 29 Abs. 3 AMG 2000 zur Neuzulassungspflicht führten.
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Der Klägerin kommt auch nicht die Übergangsregelung des § 136 Abs. 2 AMG 2000
zugute. Nach dieser Vorschrift findet § 105 Abs. 3a AMG in der bis zum 12. Juli 2000
geltenden Fassung bei Arzneimitteln Anwendung, bei denen dem Antragsteller vor dem
12. Juli 2000 Mängel bei der Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit mitgeteilt worden sind.
Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei dem – einzig in
Betracht kommenden – Schreiben des BfArM an den Rechtsvorgänger der Klägerin vom
10. April 2000 nicht um eine Mitteilung von Mängeln in diesem Sinne handelt. Es spricht
vieles dafür, als "Mitteilung" i. S. v. § 136 Abs. 2 AMG 2000 nur einen Mängelbescheid,
also eine Beanstandung nach § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG anzusehen.
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So auch Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand: Dezember
2007, § 136 Anm. 3.
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Dafür spricht abgesehen von dem – starken – Indiz, dass in dem offenbar als Ausnahme
zu § 136 Abs. 2 AMG 2000 zu verstehenden § 136 Abs. 2a AMG 2000 der Begriff
"Mängelbescheid" ausdrücklich verwendet wird, bereits die Annahme, dass der
Gesetzgeber bei der Formulierung des § 136 Abs. 2 AMG 2000 den Text des im
Mittelpunkt der Novelle stehenden § 105 AMG im Auge hatte. In diesem ist in Absatz 5
die Rede von "Mängeln" und "Mitteilung". Dafür, dass der Gesetzgeber nicht die hier
geregelte, förmliche Mitteilung von Mängeln gemeint haben könnte, bestehen keine
Anhaltspunkte. Dies gilt um so mehr, wenn man berücksichtigt, dass § 136 Abs. 2 AMG
2000 "den Unternehmen und Behörden die Anpassung der Verfahren an die neuen
Regelungen erleichtern" sollte.
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Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/2292, S. 10.
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Sähe man jeden förmlichen oder nicht förmlichen Hinweis des BfArM auf Mängel eines
im Nachzulassungsverfahren befindlichen Arzneimittels, selbst wenn er in einem völlig
anderen Kontext geäußert worden ist, als Mitteilung i. S. v. § 136 Abs. 2 AMG 2000 an,
so bedeutete diese Regelung gerade keine Erleichterung für die Behörde. Denn diese
müsste bei der späteren Beurteilung der Zulässigkeit von Änderungen zunächst
ermitteln, ob der Antragsteller in irgendeinem Zusammenhang auf Mängel seines
Arzneimittels aufmerksam gemacht worden ist.
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Bei dem Schreiben des BfArM vom 10. April 2000 handelt es sich ersichtlich nicht um
einen Mängelbescheid im förmlichen Sinne, was das BfArM am Ende des Schreibens
auch ausdrücklich erklärt. Dass der Klägerin nach Ablauf einer "angemessenen Frist"
i. S. v. § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG 2000 vorgehalten werden könnte, einer mitgeteilten
Beanstandung nicht abgeholfen zu haben, ist nicht ansatzweise erkennbar.
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Selbst wenn man jedoch – wovon die Klägerin offenbar ausgeht – den Begriff der
Mitteilung von Mängeln nicht auf förmliche Mängelbescheide beschränken wollte,
müsste man aus den vorgenannten Gründen jedenfalls verlangen, dass es sich um eine
Mitteilung in dem eigentlichen Nachzulassungsverfahren handelt. Wird der Antragsteller
in anderem Kontext auf einen Umstand hingewiesen, der (auch) als Mangel im
Nachzulassungsverfahren relevant werden könnte, so kann dies für eine Anwendbarkeit
des § 136 Abs. 2 AMG 2000 nicht ausreichen, soll die Übergangsregelung nicht völlig
konturlos werden. Auch eine Mitteilung von Mängeln in dem so umschriebenen weiteren
Sinne kann in dem Schreiben vom 10. April 2000 nicht erblickt werden.
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Mit dem Schreiben wurde der Klägerin mitgeteilt, dass die im streitgegenständlichen
Arzneimittel enthaltene Stoffkombination nicht in die Traditionsliste aufgenommen
worden sei. Bei dem Verfahren der Aufnahme eines Stoffs oder einer Stoffkombination –
also nicht des Arzneimittels – in die Traditionsliste handelt es sich um ein
eigenständiges, von dem Nachzulassungsverfahren zu unterscheidendes
Verwaltungsverfahren.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2003 - 3 C 29.02 -, NVwZ 2004, 349
(350).
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Abgesehen davon, dass es sich somit um einen Hinweis außerhalb des eigentlichen
Nachzulassungsverfahrens handelte, kann darin auch nicht die Mitteilung eines
Mangels bei der Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit gesehen werden. Zwar wurde zur
Begründung der Ablehnung einer Aufnahme in die Traditionsliste auch auf Risiken
hingewiesen, also die Unbedenklichkeit der Stoffkombination in Frage gestellt. Dadurch
sollte aber nicht die Änderung eines "mangelhaften" Arzneimittels angestoßen, sondern
die Einschätzung des BfArM begründet werden, dass es einer Prüfung des Nutzen-
Risiko-Verhältnisses im regulären Nachzulassungsverfahren bedarf. Dasselbe gilt für
die Bemerkung, der Beitrag der Kombinationspartner bei der beanspruchten Indikation
sei "nicht plausibel". Die vom BfArM selbst angenommene Plausibilität des Beitrags
eines arzneilich wirksamen Bestandteils kann nur bei der Frage der Aufnahme in die
Traditionsliste genügen. Für das reguläre Nachzulassungsverfahren bedarf es einer
Begründung des Beitrags jedes einzelnen Wirkstoffs ( § 22 Abs. 3a AMG).
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Für den in dem Schreiben vom 10. April 2000 in Verbindung mit dem beigefügten
Prüfvermerk enthaltenen Hinweis, dass das Arzneimittel nach Art und Menge einer
positiven Monographie entspreche, gilt nichts anderes. Auch hier handelt es sich nicht
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um die Mitteilung eines "Mangels bei der Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit". Der
Hinweis auf die Einschlägigkeit einer Aufbereitungsmonographie betrifft nicht die
Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit des Arzneimittels, also eine materiellrechtliche
Voraussetzung der Nachzulassung, sondern einen Umstand, der nach Auffassung des
BfArM bei der Bestimmung der einschlägigen Verfahrensart eine Rolle spielt.
Vgl. zu der Praxis des BfArM, Arzneimittel, die einer Monographie
entsprechen, vom Traditionsverfahren auszuschließen Brixius/Schneider,
Nachzulassung und AMG-Einreichungsverordnung, 2004, Anm. 14.2 (S.
205 f.), sowie BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 - 3 C 15.07 -, a. a. O., unter
Ziffer II 2 b) der Gründe.
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Soweit die Klägerin schließlich argumentiert, da das BfArM in dem Schreiben vom 10.
April 2000 (am Ende) darauf hinweise, dass es sich um "keine vollständige Mitteilung
der Mängel" handele, liege doch ersichtlich eine teilweise Mitteilung von Mängeln vor,
die sich unter § 136 Abs. 2 AMG 2000 subsumieren lasse, vermag der Senat ihr
ebenfalls nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass es sich bei dem Absatz um einen
ohne Rücksicht auf das konkrete Verfahren erstellten Textbaustein handelt, wie sich aus
Formulierungen wie "Ihres(r) Präparat(e)" ersehen lässt, ist der in Rede stehende Satz
in Verbindung mit dem vorangehenden und dem sich anschließenden Satz zu lesen.
Das BfArM beschreibt in den drei Sätzen die Bedeutung der dem Schreiben beigefügten
fachlichen Stellungnahme. Es stellt nochmals klar, dass es sich um eine Information
über die wesentlichen Gründe für die Ablehnung der Aufnahme in die Traditionsliste
handelt. Sodann folgen die Hinweise, dass es sich nicht um eine Aufzählung der
Mängel handele und dass diese in einem Mängelbescheid erfolge, der Teil des
regulären Nachzulassungsverfahrens sei. Insgesamt wird deutlich, dass das BfArM eine
klare Abgrenzung zum regulären Nachzulassungsverfahren anstrebt und dass eine
Mitteilung von Umständen, die der Aufnahme in die Traditionsliste entgegen stehen, die
aber zugleich auch als "Mängel" im regulären Nachzulassungsverfahren relevant sein
könnten, dem Antragsteller in einem noch zu erlassenden Mängelbescheid förmlich
mitgeteilt werden würden. Auf diese Klarstellung könnte der Antragsteller sich berufen,
wenn man ihm später vorhielte, einen Mangel gemäß § 105 Abs. 5 Satz 2 AMG nicht
innerhalb der Frist beseitigt zu haben. Im vorliegenden Zusammenhang muss er sie
gegen sich gelten lassen.
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Kann die Klägerin sich somit nicht auf die Übergangsregelung des § 136 Abs. 2 AMG
berufen, so bedarf die Frage, ob die Voraussetzungen für eine zulässige Änderung nach
§ 105 Abs. 3a AMG in der bis zum Inkrafttreten des zehnten AMG-Änderungs-gesetzes
geltenden Fassung vorliegen, keiner Entscheidung. Es spricht allerdings vieles dafür,
dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, mit der in Rede stehenden Änderung sei
der bisherige Anwendungsbereich des Arzneimittels verlassen worden, zutrifft. Denn
selbst wenn man mit der Klägerin annehmen wollte, dass mit der früheren
Indikationsformulierung "Aromaticum zum inneren und äußeren Gebrauch" ein
bestimmter Bereich von Krankheiten angesprochen ist, hätte sich die nunmehr infolge
der Monographieanpassung formulierte Aufzählung von Indikationen recht weit davon
entfernt. Die von der Klägerin angeführten Hinweise auf das herkömmliche Verständnis
des Begriffs "Aromaticum" beschreiben dessen Gebrauch bei Erkrankungen im
gastroenterologischen Bereich. Zumindest die nunmehr aufgenommenen Indikationen
"Katharre der oberen Luftwege" und – bei äußerlicher Anwendung – "Muskel- und
Nervenschmerzen" haben mit diesem Bereich wenig zu tun.
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Die Berufung ist ferner nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), denn die von der Klägerin aufgeworfenen
Fragen lassen sich ohne Weiteres ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens
beantworten. Über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende,
verallgemeinerungsfähige Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Art, die der
Rechtsfortbildung und/oder vereinheitlichung dienlich und in der Berufung
klärungsbedürftig und klärungsfähig sind, vermag der Senat nicht zu erkennen.
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Schließlich liegt auch kein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender
Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO). Dies ergibt sich zwingend bereits daraus, dass diejenigen Teile ihres Vortrags,
von denen die Klägerin annimmt, das Verwaltungsgericht habe sie nicht zur Kenntnis
genommen, ausnahmslos die Frage des von der Änderung betroffenen
"Anwendungsbereichs" betreffen. Auf einem Verfahrensfehler bei der Entscheidung
dieser Frage kann das Urteil indes nicht beruhen, weil es auf zwei selbständig tragende
Gründe gestützt ist. Die bereits für sich genommen die Klageabweisung rechtfertigende
Annahme, dass die Übergangsregelung des § 136 Abs. 2 AMG nicht anwendbar ist,
wäre von dem geltend gemachten Verfahrensfehler nicht betroffen.
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Im Übrigen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Verwaltungsgericht die
aufgezeigten Teile des Klägervortrags nicht zur Kenntnis genommen und bei der
Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt hat. Allein der Umstand, dass das
Verwaltungsgericht bei der Auswertung der in das Verfahren eingeführten
Literaturauszüge zu einem von der Einschätzung der Klägerin abweichenden Ergebnis
gekommen ist, vermag eine solche Annahme nicht zu begründen. Grundsätzlich ist
nämlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten auch zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 1999 - 6 B 65.98 -, NVwZ-RR 1999,
746 m. w. N.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 47 Abs. 1 u. 3, 52
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Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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