Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.01.2000

OVG NRW: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, ablauf der frist, überwiegendes interesse, aufschiebende wirkung, haus, stadt, unvereinbarkeit, zubehör, bauherr, form

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 7 B 2023/99
26.01.2000
Oberverwaltungsgericht NRW
7. Senat
Beschluss
7 B 2023/99
Verwaltungsgericht Arnsberg, 4 L 1379/99
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,-- DM
festgesetzt.
G r ü n d e:
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der
Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den
Zurückstellungsbescheid des Antragsgegners vom 10. August 1999 wiederherzustellen, im
Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Der Antrag der Antragstellerin ist - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts -
allerdings nicht bereits unzulässig. Der Antragstellerin fehlt nicht das
Rechtsschutzbedürfnis für ihr Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz.
Mit der unter dem 23. September 1999 getroffenen Anordnung der sofortigen Vollziehung
des Zurückstellungsbescheids hat der Antragsgegner bewirkt, dass die Zurückstellung trotz
des hiergegen eingelegten Widerspruchs der Antragstellerin seine rechtliche Wirkung
behält, nämlich dass der Antragsgegner aus hinreichendem Grund davon absehen kann,
den Bauantrag der Antragstellerin vom 28. Juni 1999 weiter zu bearbeiten.
Vgl. zur aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen Zurückstellungsbescheid:
OVG Lüneburg, Beschluß vom 1. Februar 1989 - 1 B 145 und 161/98 - BRS 49 Nr. 156.
Rechtschutzziel des vorliegenden Antrags der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 VwGO ist
mithin, diese Berechtigung des Antragsgegners zur Untätigkeit zu beseitigen. Daran hat die
Antragstellerin durchaus ein schützenswertes Interesse. Ist die Zurückstellung ihr
gegenüber nicht vollziehbar, ist der Antragsgegner schon zur Vermeidung von möglichen
Ersatzansprüchen gehalten, den Bauantrag zügig nach Maßgabe der geltenden
Rechtslage zu bearbeiten. Er kann nicht - wie mit der Zurückstellung beabsichtigt - ohne
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weiteres bis zum Ablauf der Zurückstellungsfrist abwarten, dass das Aufstellungsverfahren
für den Bebauungsplan Nr. 139 abgeschlossen wird. Auch kann die Antragstellerin bei
fehlender Vollziehbarkeit des Zurückstellungsbescheids nach Ablauf der Frist des § 75
VwGO zulässigerweise Untätigkeitsklage erheben und dadurch ihr eigentliches Ziel, die
begehrte Baugenehmigung zu erhalten, zügig weiterverfolgen. Selbst für den Fall, dass der
Bauantrag letztlich keinen Erfolg haben sollte, weil zwischenzeitlich entgegenstehendes
Planungsrecht geschaffen worden ist, kann die Frage, ob der Antragsgegner auf Grund
eines vollziehbaren Zurückstellungsbescheids zu Recht von einer Weiterbearbeitung des
Bauantrags abgesehen hat, namentlich für eventuelle Ersatzansprüche der Antragstellerin
von Bedeutung sein. Dies gilt insbesondere etwa dann, wenn der Interessent an der hier
strittigen Nutzung wegen der zeitlichen Dauer des Baugenehmigungsverfahrens
schließlich kein Interesse an der Aufnahme dieser Nutzung mehr hat und sich das
Begehren der Antragstellerin deshalb - verursacht durch ein möglicherweise rechtswidriges
Verhalten des Antragsgegners - letztlich erledigt.
Die vom Verwaltungsgericht für seine gegenteilige Auffassung herangezogenen
Fundstellen der Fachliteratur
- Lemmel in Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl. 1995, RdNr. 19 zu § 15; Bielenberg
in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB-Kommentar, RdNr. 13 zu § 15 -
sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Sie befassen sich mit der hier nicht
interessierenden Frage, ob bzw. unter welchen Umständen ggf. ein Rechtsschutzinteresse
für eine isolierte Anfechtungsklage gegen einen Zurückstellungsbescheid besteht. Diese
Frage tritt erst auf, wenn nach erfolglosem Widerspruch gegen den
Zurückstellungsbescheid eine eventuelle Anfechtungsklage im Raum steht, was hier (noch)
nicht der Fall ist. Zudem kommt ein fehlendes Rechtsschutzinteresse für ein Vorgehen
gegen die Zurückstellung nur in Betracht, wenn der betroffene Bauherr überhaupt darauf
verwiesen werden kann, sein Rechtsschutzziel mit einem gerichtlichen Begehren auf
Erteilung einer Baugenehmigung zu verfolgen. Dafür ist bei einer vollziehbaren
Zurückstellung kein Raum. Der Bauherr kann in diesem Fall - eben weil die
Bauaufsichtsbehörde dann zu Recht von einer Bearbeitung seines Bauantrags absieht -
jedenfalls nicht mit Aussicht auf Erfolg eine Verpflichtungsklage erheben.
Soweit das Verwaltungsgericht auf S. 5 des angefochtenen Beschlusses für den hier in
Rede stehenden einstweiligen Rechtsschutz auf eine der Verpflichtungsklage
"entsprechende einstweilige Anordnung" verweist, setzt es sich zu seinen eigenen
nachfolgenden Ausführungen in Widerspruch. Dort ist unter Hinweis auf die einschlägige
Rechtsprechung des Senats
- OVG NRW, Beschluß vom 14. Februar 1990 - 7 B 344/90 -
zutreffend ausgeführt, dass im Verfahren nach § 123 VwGO regelmäßig gerade keine
Baugenehmigung erstritten werden kann, die die Hauptsache vorweg nehmen würde. Aus
den vom Verwaltungsgericht gegenüber der vorgenannten Senatsentscheidung mit "a.A."
gekennzeichneten weiteren Entscheidungen
- OVG Lüneburg, Beschluß vom 7. Februar 1989 - 1 B 145 und 161/88 - BRS 49 Nr. 156
und OVG Berlin von 21. November 1994 - 2 S 28/94 - NVwZ 1995, 399 -
läßt sich keine andere Ansicht herleiten. Sie enthalten keineswegs die Aussage, dass eine
Baugenehmigung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erstritten
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werden kann.
Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Zurückstellungsbescheid ist
offensichtlich rechtmäßig, so dass für ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an
der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs kein Raum ist.
Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB liegen offensichtlich vor, weil die
Realisierung des strittigen Vorhabens der Antragstellerin die Durchführung Planung - hier
des Entwurfs des Bebauungsplan Nr. 139 - jedenfalls wesentlich erschweren würde. Nach
dem derzeitigen Planungsstand ist davon auszugehen, dass das beantragte Vorhaben mit
den in Aussicht genommenen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht vereinbar ist.
Die Festsetzungen für den hier in Rede stehenden Bereich des Gewerbegebiets, in dem
das strittige Vorhaben realisiert werden soll, sehen nach dem derzeitigen Planungsstand
ausdrücklich einen Ausschluß von Einzelhandelsbetrieben mit zentrenrelevanten
Sortimenten wie "Einrichtungszubehör - ohne Möbel -" und "Haus- und Heimtextilien" vor.
Darunter fällt auch ein sog. "Bettenfachmarkt", wie er nach den vorliegenden
Antragsunterlagen der Antragstellerin genehmigt werden soll.
Nach der zuletzt vorgelegten Sortimentsumschreibung sollen in diesem "Bettenfachmarkt"
mit insgesamt 450 qm Verkaufsfläche auf 370 qm Verkaufsfläche "Schlafmöbel, Betten,
Matratzen und Rahmen" als sog. Kernsortiment sowie auf 80 qm Verkaufsfläche
"Bettwäsche und Frottierwaren" als sog. Randsortiment angeboten werden. Mit diesen
Umschreibungen ist schon zweifelhaft, ob das Angebot von "Bettwäsche und
Frottierwaren", das eindeutig dem zentrenrelevanten Sortimentsbereich "Haus- und
Heimtextilien"
- zur Zentrenrelevanz dieses Sortimentsbereichs vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Juni 1998 -
7a D 108/96.NE - BRS 60 Nr. 1 -
zuzuordnen ist, überhaupt als sog. Randsortiment qualifiziert werden kann. Als
Randsortiment kommen nur solche Waren in Betracht, die - wie schon aus dem Wortlaut
"Rand"sortiment folgt - zu einem spezifischen Kernsortiment lediglich hinzutreten und
dieses gleichsam ergänzend durch solche Waren anreichern, die jedenfalls eine gewisse
Beziehung und Verwandtschaft mit den Waren des Kernsortiments haben. Zugleich muß
das Angebot des Randsortiments dem Kernsortiment in seinem Umfang und seiner
Gewichtigkeit deutlich untergeordnet sein.
Vgl. gleichfalls OVG NRW, Urteil vom 22. Juni 1998 a.a.O..
Diese Schwelle ist bei der hier vorgesehenen Aufteilung der Angebotspalette des
geplanten "Bettenfachmarkts" überschritten. Insoweit spricht bereits alles dagegen, dass
bei einem rein rechnerischen Umfang der Verkaufsfläche von rd. 18 % überhaupt noch von
einer deutlichen Unterordnung des sog. "Randsorti-ments" gesprochen werden kann. Im
vorliegenden Fall kommt hinzu, dass das sog. Kernsortiment mit Schlafmöbeln, Betten,
Matratzen und Rahmen schwerpunktmäßig großvolumige Artikel umfaßt, die naturgemäß
einen hohen Raumbedarf haben, während das für den Verkaufsflächenanteil von 18 %
vorgesehene sog. Randsortiment mit Bettwäsche (Laken, Bett- und Kissenbezüge u.a.m.)
und Frottierwaren (z.B. Handtücher u.a.m.) ausschließlich kleinvolumige Artikel erfaßt, mit
denen auf relativ geringer Fläche erhebliche Umsätze erzielt werden können. In
Konstellationen dieser Art kann von einem "Randsortiment" keine Rede mehr sein, wenn
die unter diesem Etikett angebotenen Waren unter Umsatzgesichtspunkten ersichtlich ein
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wesentlich (mit)tragendes "Standbein" des Handelsbetriebs überhaupt sind.
Ob der hier vorgesehene "Bettenfachmarkt", dessen bloße von der Antragstellerin gewählte
Etikettierung für die rechtliche Bewertung ohnehin nicht maßgeblich ist, damit schon wegen
der Gewichtigkeit des Angebots an Bettwäsche und Frottierwaren als ein Betrieb zu
qualifizieren ist, der bei objektiver Betrachtung auch schwergewichtig und nicht nur als
"Randsortiment" Haus- und Heimtextilien und damit eine nach den vorgesehenen
Planfestsetzungen unzulässige Sortimentsgruppe anbietet, kann im vorliegenden
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes jedoch letztlich dahinstehen. Eine
offensichtliche Unvereinbarkeit mit den vorgesehenen Planfestsetzungen folgt jedenfalls
schon daraus, dass selbst das sog. "Kernsortiment" nicht etwa eindeutig auf die nach
derzeitigem Planungsstand zuzulassenden "Möbel" beschränkt ist. Neben die eindeutig
dem Oberbegriff "Möbel" zuzuordnende Warenart "Schlafmöbel" sollen hier auch "Betten"
treten. Hierzu gehören nach natürlichem Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des
üblichen Marktverständnisses nicht etwa nur die - mit Rahmen und Matratzen als Zubehör
zu versehenden - Möbel, auf bzw. in denen geschlafen wird, sondern insbesondere auch
die zum Schlafen erforderlichen Ober- oder Unterbetten (Federbetten einschließlich
Kopfkissen, Einziehdecken, Matratzenauflagen u.a.m.), die mit der Bettwäsche bedeckt
bzw. umhüllt werden. Diese sind keine Möbel. Auch Matratzen und Rahmen sind für sich
betrachtet keine Möbel, sondern Zubehör zu Schlafmöbeln. Die Bestandteile "Betten",
"Matratzen" und "Rahmen" des Kernsortiments dürften damit im weiteren Sinne eher als
Einrichtungszubehör zu qualifizieren sein, das nach den vorgesehenen Planfestsetzungen
- mit Ausnahme der Möbel als solchen - im Gewerbegebiet gerade ausgeschlossen werden
soll.
Ist nach alledem von einer offensichtlichen Unvereinbarkeit des vorgesehenen
"Bettenfachmarkts" mit den derzeit vorgesehenen Planfestsetzungen auszugehen, folgt
hieraus die Zulässigkeit der strittigen Zurückstellung. Anderes würde allenfalls dann gelten,
wenn für die vorgesehenen Planfestsetzungen keine Rechtsgrundlage ersichtlich oder
sonst erkennbar ist, dass ein Plan mit dem hier vorgesehenen Inhalt rechtlich oder
tatsächlich nicht verwirklichungsfähig wäre.
Vgl.: BVerwG, Beschluß vom 17. September 1987 - 4 B 185.87 - JURIS- DokNr. 433331.
Davon kann hier keine Rede sein. § 1 Abs. 9 BauNVO läßt es zu, die allgemeinen
Differenzierungsmöglichkeiten der Baugebietstypen aus städtebaulichen Gründen einer
"Feingliederung" zu unterwerfen, um die Vielfalt der Nutzungsarten im Plangebiet zu
mindern. Grenzen bestehen lediglich insoweit, als sich die Ausschlüsse auf Nutzungsarten
beziehen müssen, die es in der sozialen und ökonomischen Realität bereits gibt.
Vgl.: BVerwG, Beschluß vom 27. Juli 1998 - 4 BN 31.98 - BRS 60 Nr. 29.
Das unterliegt bei den hier für das Gewerbegebiet vorgesehenen Ausschlüssen einzelner
zentrenrelevanter bzw. nahversorgungsrelevanter Sortimente keinem Zweifel. Auch im
übrigen ist nichts hinreichendes dafür dargetan oder sonst ersichtlich, dass die hier in Rede
stehenden Nutzungsregelungen für das Gewerbegebiet - ggf. in überarbeiteter Form - in
bindendes Recht umgesetzt werden können. Einer von der Stadt S erwogenen
Sonderregelung zu Randsortimenten bedarf es bei dem dargelegten - engen - Verständnis
des Begriffs "Randsortiment" möglicherweise nicht. Im übrigen ist es der planenden
Gemeinde im Rahmen ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit durchaus möglich,
zentrenrelevante Sortimente in bestimmten Bereichen gänzlich auszuschließen, sofern
hierfür hinreichend tragfähige städtebauliche Gründe angeführt werden können. Dies gilt
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auch dann, wenn - wie hier - in benachbarten Sondergebietsbereichen, in denen gemäß §
11 BauNVO ohnehin noch differenziertere Nutzungsregelungen - z.B. auch in Form von
dezidierten Verkaufsflächenbegrenzungen - zulässig sind
- vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - 4 C 36.87 - BRS 50 Nr. 68 -,
in rechtlich begrenztem Umfang Waren aus einzelnen zentrenrelevanten Sortimenten
zugelassen werden. Zu welcher Lösung sich hier der Rat der Stadt S , der namentlich auch
die im Planaufstellungsverfahren artikulierten Bedenken der Industrie- und Handelskammer
für das südöstliche Westfalen (Schreiben vom 31. August 1999) sowie die Ergebnisse der
ersichtlich noch nicht abgeschlossenen landesplanerischen Abstimmung (Schreiben der
Bezirksregierung vom 24. August 1999) zu berücksichtigen haben wird, entschließen wird,
bleibt abzuwarten. Die hier strittige Zurückstellung dient schließlich gerade dazu, der
planenden Gemeinde einen zeitlichen Spielraum zum sachgerechten Abschluß ihrer hier
grundsätzlich umsetzbaren planerischen Überlegungen einzuräumen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf
den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.