Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.10.2010

OVG NRW (kläger, anlage, standort der anlage, öffentliche aufgabe, zulassung, in angemessener weise, stadt, vorschrift, systematische auslegung, grundstück)

Oberverwaltungsgericht NRW, 7 A 1298/09
Datum:
25.10.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 A 1298/09
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfah¬rens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreck-bar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten um eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die
Errichtung eines Krematoriums in einem Gewerbegebiet.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung E. -L. , Flur 51,
Flurstück 64 (X. I. 9) in E. . Das Grundstück ist mit einem gewerblich genutzten
Gebäude und einem vom Kläger selbst bewohnten Wohnhaus bebaut. Das gewerblich
genutzte Gebäude hat der Kläger an die C. & Co. GmbH vermietet, deren
Geschäftsführer er ist. Die Gesellschaft betreibt dort ein Zuliefergewerbe für
Fertigungsanlagen von Kraftfahrzeugen.
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Die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung E. -L. , Flur 51,
Flurstücke 161 bis 163 (H. C1. 10), das mit dem streitbetroffenen Krematorium
bebaut ist. Das Grundstück der Beigeladenen ist von dem Grundstück des Klägers in
nordöstlicher Richtung ca. 130 m entfernt. Zwischen den beiden Grundstücken liegen
die Betriebsgrundstücke der Firmen Kehrmaschinen I1. und G. .
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Die Grundstücke des Klägers und der Beigeladenen liegen im östlichen
Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 95/4 "Industriegebiet E1. – Teil VII", der
das hier betroffene Gebiet nördlich der Straße X. I. als Gewerbegebiet festsetzt.
Das Grundstück der Beigeladenen befindet sich dabei im nördlichen Grenzbereich des
Gewerbegebiets zum Waldgebiet "I2. /H. C1. " sowie zu einer aus einer
Waldwiese und einer Aufforstung bestehenden Ausgleichfläche für den Neubau der
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östlich des Plangebiets verlaufenden Bundesstraße 474 n.
Am 6. September 2006 schloss die Stadt E. mit der Beigeladenen einen öffentlich-
rechtlichen Vertrag, in dem die Stadt die Beigeladene als "Übernehmerin" zur Errichtung
und zum Betrieb einer Feuerbestattungsanlage berechtigte und verpflichtete. Darin ist
geregelt, dass die Übernehmerin kraft des Vertrages Beliehene sei und als Trägerin des
Krematoriums hoheitliche Aufgaben wahrnehme. Der Vertrag enthält u.a. Regelungen
zu einem Kontrahierungszwang der Beigeladenen in Bezug auf alle verstorbenen
Einwohner der Stadt E. , zur Verpflichtung der Beigeladenen, die Totenwürde und die
Vorgaben des Gesundheitsschutzes nach dem Bestattungsgesetz – BestG NRW – zu
beachten und die Ausstattung und Gestaltung der für den Publikumsverkehr
zugänglichen Räume mit der Stadt abzustimmen, sowie zu einer Ersatzvornahme der
Stadt E. , falls die Beigeladene ihren Einäscherungspflichten nicht nachkommen
sollte. Eine Gewinnerzielung und –optimierung ist nach dem Vertrag ausdrücklich
möglich. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 46 ff. der Beiakte Heft 5 Bezug
genommen.
6
Unter dem 28. Dezember 2006 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die
streitgegenständliche Baugenehmigung zur Errichtung einer Feuerbestattungsanlage
und zugehörigen 13 Stellplätzen, wobei sie hinsichtlich der Art der Nutzung eine
Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zuließ und
ferner von den Festsetzungen des Bebauungsplans insoweit befreite, als die
nordöstliche Baugrenze um 7,5 m überschritten und die Stellplätze einschließlich ihrer
Zufahrt innerhalb der festgesetzten Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und
zur Entwicklung von Natur und Landschaft errichtet werden. Die Bauvorlagen zur
Baugenehmigung sehen einen in nördlicher Richtung gegenüber der südwestlichen
Nachbarbebauung zurückweichenden Baukörper mit einem in der Mitte nach Süden
vorspringenden Gebäudeteil vor, der für die technischen Bereiche der Anlage
vorgesehen ist. Westlich dieses Gebäudeteils ist ein von Norden zugänglicher
Abschiedsraum geplant, der über eine Glaswand zum Beschickungsraum verfügt. Im
östlichen Gebäudebereich sind Räumlichkeiten für die Verwaltung des Betriebs
vorgesehen. Die Zufahrt zum Grundstück erfolgt außerhalb des Gewerbegebiets aus
nordöstlicher Richtung über eine Stichstraße, die in den parallel zur Bundesstraße 474
n verlaufenden N.------weg (ehemalige Kreisstraße 55) einmündet. Nach der der
Baugenehmigung beigefügten Nebenbestimmung Nr. 29 ist das Grundstück der
Beigeladenen entlang der westlichen, südlichen und östlichen Grundstücksgrenzen mit
einer 2 m hohen umlaufenden und blickdichten Abgrenzung einzufrieden. Darüber
hinaus enthält die Baugenehmigung unter den Nrn. 5 bis 16 Nebenbestimmungen zur
Begrenzung der Geräuschimmissionen und Schadstoffemissionen sowie zur
Sicherstellung der Betriebssicherheit der Feuerbestattungsanlage, die auf einer
Stellungnahme des Staatlichen Umweltamtes M.---- vom 12. Dezember 2006 zum
Ergebnis der der Baugenehmigung vorangegangenen immissionsschutzrechtlichen
Prüfung beruhen. Darin hatte das Staatliche Umweltamt M.----- mitgeteilt, gegen die
Erteilung der Baugenehmigung würden bei Aufnahme der genannten
Nebenbestimmungen keine Bedenken erhoben; es entspreche nach den vorgelegten
Unterlagen den Anforderungen der 27. BImSchV.
7
Die Beklagte hatte ausweislich interner Vermerke vom 7. August und 8. November 2006
das Krematorium als Anlage für kulturelle Zwecke gewertet und seine
Gebietsverträglichkeit aufgrund seiner Lage, seiner Ausrichtung zum Waldgebiet, der
eingeschränkten Sichtbeziehung der Grundstücke im Gewerbegebiet zum Krematorium,
8
insbesondere zu seinen das Pietätsgefühl betreffenden Bereichen, sowie der Lage der
Zuwegung bejaht. Eine Verletzung des Rücksichtnahmege-bots im Hinblick auf
Emissionen hatte die Beklagte aufgrund der gemäß dem Vorschlag des Staatlichen
Umweltamtes in die Baugenehmigung aufgenommenen Nebenbestimmungen
ausgeschlossen.
Am 5. Januar 2007 übersandte die Beklagte den damaligen Prozessbevollmächtigten
des Klägers die Baugenehmigung. Der Kläger erhob unter dem 2. Februar 2007
Widerspruch und stellte am 9. Februar 2007 beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, mit dem er u.a. um Anordnung der
aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs nachsuchte. Das Verwaltungsgericht
lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 21. März 2007 (2 L 93/07) ab, die hiergegen
gerichtete Beschwerde wies der erkennende Senat durch Beschluss vom 15. August
2007 (7 B 554/07) zurück.
9
Zwischenzeitlich hatte die Beklagte der Beigeladenen unter dem 30. April 2007 eine
Nachtragsgenehmigung zur Änderung des Entsorgungswegs der in der
Feuerbestattungsanlage anfallenden Filterstäube erteilt. Auch gegen diese
Nachtragsgenehmigung hatte der Kläger Widerspruch erhoben.
10
Unter dem 4. September 2007 erteilte die Beklagte der Beigeladenen eine weitere
Nachtragsgenehmigung für aus den zugehörigen Bauvorlagen ersichtliche Änderungen
im Grundriss und in den Ansichten. Ein Rechtsbehelf hiergegen wurde nicht eingelegt.
11
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2007 wies der Landrat des Kreises D.
die Widersprüche des Klägers zurück. Krematorien mit Pietätsräumen, die als Orte für
Ruhe, Besinnung und innere Einkehr dienten, könnten als Anlagen für kulturelle oder
soziale Zwecke in Gewerbegebieten ausnahmsweise zulässig sein. Durch die vom
Beklagten im Rahmen der Ausnahme genehmigte Feuerbestattungsanlage sei daher
der nachbarschutzrelevante Gebietscharakter des Gewerbegebiets nicht verletzt
worden. Auch ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sei zu verneinen, weil der
durch den Betrieb der Anlage bedingte Kraftfahrzeugverkehr nicht durch das
Bebauungsplangebiet führe und durch den besonderen Standort der Anlage in einem
ruhigen und abgeschiedenen Bereich dem Bedürfnis nach einer würdevollen
Einäscherung und dem sittlichen Empfinden der Allgemeinheit in angemessener Weise
Rechnung getragen worden sei. Auch sei sichergestellt, dass der Kläger durch den
genehmigten Betrieb keinen unzumutbaren Belästigungen ausgesetzt werde.
12
Der Kläger hat am 19. Januar 2008 Klage erhoben.
13
Er hat eine Verletzung des Gebietsgewährleistungsanspruchs geltend gemacht. Eine
Feuerbestattungsanlage sei in einem Gewerbegebiet weder allgemein noch
ausnahmsweise zulässig. Es handele sich nicht um eine Anlage für kulturelle Zwecke
im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Der Begriff sei eng zu verstehen und umfasse
vor allem Anlagen, die der Kunst, der Wissenschaft und der Bildung dienten. Bei
Zugrundelegung eines weiten, die Einäscherung als Teil der Bestattungskultur
einschließenden Kulturbegriffs könnte nahezu jedes Bauwerk unter § 8 Abs. 3 Nr. 2
BauNVO subsumiert werden, weil es beispielsweise als Fabrikgebäude der
Industriekultur, als Gaststätte der Trinkkultur oder als Wohnhaus der Wohnkultur diene.
Ein Pietätsraum in einem Krematorium sei auch nicht mit einer Kapelle oder einem
Betraum vergleichbar. Weder handele es sich um eine kirchliche Einrichtung noch
14
enthalte der vorgesehene Abschiedsraum für eine kulturelle Zeremonie notwendige
Kultgegenstände. Darüber hinaus komme eine ausnahmsweise Zulassung der in § 8
Abs. 3 Nr. 2 BauNVO genannten Anlagen nur dann in Betracht, wenn ihre Funktion in
Zusammenhang mit den in einem Gewerbegebiet allgemein zulässigen
Hauptnutzungen stehe. Hieran fehle es. Es bestehe auch kein Bedarf für die Zulassung
einer Einäscherungsanlage in einem Gewerbegebiet. Das Planungsrecht sehe in erster
Linie Sondergebiete, Gemeinbedarfsflächen oder Flächen für Friedhofsnutzungen als
Standorte für eine solche Anlage vor. Dem Vorhaben stehe § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO
entgegen, weil es nach seiner Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets
widerspreche. Die Gebietsverträglichkeit im Sinne dieser Vorschrift setze voraus, dass
das Vorhaben dem Leitbild des in Rede stehenden Baugebiets entspreche, d.h.
gemessen an seiner Zweckbestimmung in das Baugebiet hinein passe. Diese
Voraussetzung sei nach der Rechtsprechung u.a. des Bundesverwaltungsgerichts nicht
erfüllt, weil die in einem Gewerbegebiet vorzufindende Umgebung regelmäßig geeignet
sei, die Totenverbrennung in einer Weise gewerblich-technisch zu prägen, die mit einer
pietätvollen Bestattung nach herkömmlicher Anschauung und Erwartungshaltung nicht
zu vereinbaren sei. Zwar bezögen sich diese Aussagen der Rechtsprechung auf die
allgemeine (Un-)Zulässigkeit von Einäscherungsanlagen in Gewerbegebieten, in Bezug
auf deren ausnahmsweise Zulässigkeit könne jedoch nichts anderes gelten. Die Lage
des streitgegenständlichen Vorhabens am Rand des Gewerbegebiets rechtfertige keine
andere Bewertung, weil sich die Bebauung des Gebiets mit störenden Einrichtungen in
Richtung des Krematoriums ausdehnen könne. Die Möglichkeit einer ausnahmsweisen
Zulassung im Gewerbegebiet würde ferner die Planungsfreiheit der Gemeinde
beschneiden, weil die jeweilige Bauaufsichtsbehörde hierüber entscheide. Schließlich
sei keine hinreichende Ermessensentscheidung über die Zulassung einer Ausnahme
getroffen worden. Weder der Genehmigungsbescheid noch der Widerspruchsbe-scheid
ließen entsprechende Ermessenserwägungen erkennen; insbesondere fehle jegliche
Auseinandersetzung mit den widerstreitenden Interessen der im Einzelfall betroffenen
Nachbarn.
Der Kläger hat (schriftsätzlich) sinngemäß beantragt,
15
die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 28.
Dezember 2006 zur Errichtung einer Feuerbestattungsanlage sowie einer
Stellplatzanlage mit 13 Stellplätzen sowie die Nachtragsgenehmigung vom
30. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrats des
Kreises D. vom 20. Dezember 2007 aufzuheben.
16
Die Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
18
Die Beklagte hat im Wesentlichen vorgetragen, ein Krematorium mit einem
Abschiedsraum könne nicht auf seinen gewerblichen Zweck reduziert werden. Es diene
vielmehr der Bestattungskultur, die die mit der Totenbestattung und dem Totengedenken
zusammenhängenden Erscheinungsformen erfasse. Pietäts- bzw. Abschiedsräume
seien in ihrer kulturellen Zweckbestimmung mit Kapellen und Betsälen vergleichbar.
Seine kulturelle Bedeutung erfahre ein solcher Abschiedsraum nicht durch kultische
Gegenstände, sondern durch die Möglichkeit für Hinterbliebene, in angemessener und
würdevoller Weise vom Verstorbenen Abschied zu nehmen. Eine bestimmte kulturelle
Zeremonie, wie sie der Kläger anspreche, sei dabei nicht notwendig. Die vom Kläger
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befürchtete Gefahr einer uferlosen Ausdehnung des Begriffs der Anlage für kulturelle
Zwecke bestehe nicht. Wohnhäuser, Fabrikationsgebäude und Gaststätten seien in der
BauNVO speziell geregelt und hinsichtlich der kulturellen Bedeutung nicht mit
Krematorien zu vergleichen. Auch der vom Kläger vermisste Zusammenhang eines
Krematoriums mit den in § 8 Abs. 2 BauNVO aufgeführten Hauptnutzungen in einem
Gewerbegebiet sei zu bejahen, weil eine solche Anlage ein Gewerbebetrieb sei. Der
ausnahmsweisen Zulässigkeit stehe die kulturelle Einbindung eines Krematoriums nicht
entgegen. Im Gewerbegebiet könnten sogar Anlagen für kirchliche Zwecke wie etwa
Kirchen, Klöster und Kapellen ausnahmsweise zugelassen werden, die in gleicher
Weise wie ein Krematorium eine auf das Sittlichkeitsempfinden Rücksicht nehmende
Umgebung erforderten.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Gründe
Bezug genommen wird, abgewiesen.
20
Am 7. Juli 2010 erteilte die Beklagte der Beigeladenen eine Baugenehmigung für die
Errichtung einer zweiten Verbrennungsanlage in der inzwischen errichteten
Feuerbestattungsanlage. Eine Feuerbestattungsanlage mit einer zweiten
Verbrennungsanlage war bereits Gegenstand der streitgegenständlichen
Baugenehmigung vom 28. Dezember 2006; die Beigeladene hatte jedoch zunächst
lediglich einen Verbrennungsofen installiert.
21
Der Senat hat die Berufung des Klägers mit Beschluss vom 8. Juli 2010 zugelassen.
Der Kläger hat die Berufung am 21. Juli 2010 begründet und einen Berufungsantrag
gestellt.
22
Der Kläger wiederholt und vertieft im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen.
Ergänzend trägt er insbesondere vor, eine weite Auslegung des Kulturbegriffs, etwa im
Sinne der Gesamtheit der menschlichen Leistungen, welche über die Gewährleistung
des Grundbedarfs hinausgehe, widerspreche dem Sinn und Zweck der BauNVO,
möglichst genau zu bestimmen, welche Nutzungen in welchen Baugebieten zulässig
sein sollen. Würde ein Krematorium als Anlage für kulturelle Zwecke qualifiziert, wäre
es in Kleinsiedlungsgebieten und reinen Wohngebieten ausnahmsweise und in
allgemeinen Wohngebieten sogar allgemein zulässig. Das könne der
Verordnungsgeber nicht gewollt haben. Der Pietätsraum sei zudem räumlich und
wirtschaftlich ein untergeordneter Teil der Gesamtanlage und könne daher nicht
bestimmend für die planungsrechtliche Ein-ordnung des Krematoriums sein. Dessen
Hauptfunktion bestehe vielmehr in dem technischen Vorgang der Einäscherung. Würde
das Krematorium statt mit einer technischen Anlage mit einem Friedhof verglichen,
widerspräche es wie ein solcher nach seiner Zweckbestimmung der Eigenart des
Baugebiets. Im Rahmen der gemäß § 8 Abs. 3 BauNVO zu treffenden
Ermessensentscheidung hätte dargelegt werden müssen, warum ausnahmsweise keine
Störung der Totenruhe und pietätvollen Abschiednahme auch bei zulässiger
Weiterentwicklung des Gewerbegebiets zu erwarten sei. Hieran fehle es. Insbesondere
fänden sich in den angefochtenen Bescheiden keinerlei Erwägungen zum besonderen
Charakter des Gewerbegebiets, zur Lage des Krematoriums in diesem Gebiet oder zu
topographischen Gegebenheiten. Auch die Frage, ob angesichts des im Gewerbegebiet
westlich des Grundstücks des Klägers genehmigten Kindergartens und südlich der
Straße X. I. vorhandener Einzelhandelsgeschäfte die Zulassung des
Krematoriums den Gebietscharakter in Frage stellen würde, sei nicht erörtert worden.
23
Der Kläger beantragt,
24
das angefochtene Urteil zu ändern und die der Beigeladenen erteilte
Baugenehmigung der Beklagten vom 28. Dezember 2006 zur Errichtung
einer Feuerbestattungsanlage sowie einer Stellplatzanlage mit 13
Stellplätzen in der Fassung der Nachtragsgenehmigungen vom 30. April
2007 und 4. September 2007, der Baugenehmigung vom 7. Juli 2010 und
des Widerspruchsbescheides des Landrats des Kreises D. vom 20.
Dezember 2007 aufzuheben.
25
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
26
die Berufung zurückzuweisen.
27
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und tritt dem Berufungsvorbringen des
Klägers unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens
entgegen. Ergänzend macht sie geltend, sie habe ihre Ermessensentscheidung gemäß
§ 39 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW nicht begründen müssen, weil sie bei Erteilung der
Baugenehmigung zutreffend davon ausgegangen sei, dass diese nicht in
Nachbarrechte eingreife. Der Landrat des Kreises D. habe in seinem
Widerspruchsbescheid die Möglichkeit der Verletzung von Nachbarrechten in seinen
Ermessenserwägungen umfassend geprüft und in seine Entscheidung über die
ausnahmsweise Zulassung des Vorhabens eingestellt. Dabei habe er sich
insbesondere mit dem Standort des Krematoriums und der Führung des durch das
Vorhaben ausgelösten Kraftfahrzeugverkehrs auseinandergesetzt.
28
Die Beigeladene führt im Wesentlichen aus, die vom Kläger befürwortete Beschränkung
des Begriffs der Anlage für kulturelle Zwecke sei zu starr, um die notwendige
Fortentwicklung bzw. Anpassung des Rechts im Hinblick auf neue bauliche
Erscheinungsformen zu gewährleisten, die vom Verordnungsgeber noch nicht in den
Blick hätten genommen werden können. Ein weiter gefasster Kulturbegriff wie etwa die
vom Kläger genannte Definition sei vor diesem Hintergrund sachgerecht. Die Gefahr
einer ausufernden Ausdehnung dieses Begriffs sei damit nicht verbunden. Das
Krematorium sei mit einem Friedhof nicht zu vergleichen. Ein Friedhof diene der
dauerhaften Bestattung eines Verstorbenen und der Möglichkeit von Angehörigen und
Freunden, dessen Grab jederzeit besuchen zu können. Diesem Zweck diene das
Krematorium nicht, es lasse sich eher mit einer Friedhofskapelle vergleichen.
29
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Pläne sowie der
Gerichtsakten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes (VG Münster - 2 L 93/07 -
, OVG NRW - 7 B 554/07 -) verwiesen.
30
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
31
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
32
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Anfechtungsklage (§
42 Abs. 1, 1. Var. VwGO) ist zulässig, aber unbegründet.
33
Die angefochtene Baugenehmigung vom 28. Dezember 2006 in der Fassung der
34
Nachtragsgenehmigungen vom 30. April und 4. September 2007 und der
Baugenehmigung vom 7. Juli 2010 sowie der Widerspruchsbescheid des Landrats des
Kreises D. vom 20. Dezember 2007 verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§
113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie verstoßen nicht gegen den Kläger schützende
Vorschriften des öffentlichen Baurechts.
Das im Wege einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 8 Abs. 3 Nr. 2
BauNVO zugelassene Vorhaben widerspricht keinen nachbarschützenden
Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 95/4 der Stadt E. . Der Kläger kann sich
insbesondere nicht auf eine Verletzung des sog. Gebietsgewährleistungsanspruchs
berufen.
35
Die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat nachbarschützende
Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Der
Gebietsgewährleistungsanspruch berechtigt sie, sich gegen ein hinsichtlich der Art der
baulichen Nutzung im Baugebiet nicht zulässiges Vorhaben selbst dann zur Wehr zu
setzen, wenn es an einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Nachbarn fehlt. Dieser
bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen
Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen
Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren
Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen.
36
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 4 B 55.07 -, BRS 71 Nr.
68, m. w. N.
37
Der Anspruch greift gegenüber Vorhaben, die in dem Bebauungsplan weder allgemein
zulässig sind noch nach § 31 Abs. 1 oder 2 BauGB im Wege einer Ausnahme oder
Befreiung zugelassen werden können.
38
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Dezember 2006 10 A 930/05 -, juris.
39
Diese Anspruchsvoraussetzung ist nicht erfüllt, denn das streitgegenständliche
Vorhaben konnte gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO
ausnahmsweise zugelassen werden.
40
Es ist allerdings nicht schon nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig. Zwar ist
ein Krematorium, das von einem Privaten in der Absicht der Gewinnerzielung betrieben
wird, ein Gewerbebetrieb. Welche Gewerbebetriebe in einem Gewerbegebiet bei
typisierender Betrachtung allgemein zulässig sind, richtet sich aber nicht nur nach dem
Wortlaut des § 8 BauNVO, sondern auch nach der Zweckbestimmung des Gebiets.
Gewerbegebiete zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen gearbeitet wird. Nach dem
Leitbild der BauNVO sind sie den produzierenden und artverwandten Nutzungen
vorbehalten. Eine Feuerbestattungsanlage widerspricht jedenfalls dann diesem Leitbild,
wenn sie – wie hier – über einen Raum verfügt, der es Trauergästen ermöglichen soll, in
einem würdevollen, dem Anlass angemessenen äußeren Rahmen von dem
Verstorbenen Abschied zu nehmen. Denn im Gegensatz zu dem kontemplativen
Umfeld, in das eine pietätvolle Totenbestattung nach herkömmlicher Anschauung und
Erwartungshaltung einzubetten ist, sind Gewerbegebiete nicht durch Stille und
Beschaulichkeit, sondern durch werktägliche Geschäftigkeit geprägt. Deshalb sind mit
Räumlichkeiten für die Abschiednahme von Verstorbenen ausgestattete Krematorien
der allgemeinen Zweckbestimmung von Gewerbegebieten fremd.
41
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2005 - 4 B 71.05 -, BRS 69 Nr.
69.
42
Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich die genannten
Anschauungen über den Umgang mit Verstorbenen in einer Weise gewandelt hätten,
die eine andere Beurteilung erforderten.
43
Ein über einen Abschiedsraum verfügendes Krematorium stellt jedoch eine Anlage für
kulturelle Zwecke im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO dar.
44
Vgl. (offen lassend) BVerwG, Beschluss vom
45
20. Dezember 2005 - 4 B 71.05 -, a. a. O.; (bejahend) Bay. VGH, Urteil vom
30. Juni 2005
46
- 15 BV 04.576 -, BRS 69 Nr. 68; (bejahend als Anlage für kulturelle oder
soziale Zwecke) OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 28. Oktober 2005
47
- 8 B 11345/05 -, BRS 69 Nr. 70; a. A. VG Osnabrück, Urteil vom 23. April
2010 - 2 A 21/09 -, juris; verneinend auch Fickert/Fieseler,
Baunutzungsverordnung, 11. Aufl. 2008, Vorbem. §§ 2-9, Rdnr. 13.1, m. w.
N.
48
Diese Bestimmung erfasst nur solche Anlagen, die zusätzlich zu der genannten
Zweckbestimmung einem Gemeinbedarf dienen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in
Bezug auf § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO und § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausgeführt, der
systematische und historische Zusammenhang mache deutlich, dass die dort genannten
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke nur die
in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB definierten Gemeinbedarfsanlagen erfassen.
49
Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1996
50
- 4 C 17.95 -, BVerwGE 102, 351 = BRS 58 Nr. 59, und vom 28. April 2004 -
4 C 10.03 -, BRS 67 Nr. 68 = BauR 2004, 1567; ferner etwa
51
OVG NRW, Beschluss vom 3. Juni 1997
52
- 10 B 941/97 -, BRS 59 Nr. 65; Thür. OVG,
53
Urteil vom 20. November 2002 - 1 KO 817/01 -, BRS 65 Nr. 86.
54
Für § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO kann nichts anderes gelten. Die Vorschrift verwendet –
abgesehen von den Anlagen für sportliche Zwecke - dieselbe Begriffsgruppe wie § 4
Abs. 2 Nr. 3 BauNVO. Die vom Bundesverwaltungsgericht in dem zitierten Urteil vom
12. Dezember 1996 im Einzelnen dargelegte, sich maßgeblich auf die bewusste
terminologische Angleichung des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni 1960 und der
Baunutzungsverordnung stützende historische und systematische Auslegung bezieht
sich auf die generelle Verwendung dieser Begriffsgruppe in der
Baunutzungsverordnung; sie belegt, dass diese Begriffsgruppe schon von Anfang an in
der - gesamten - Baunutzungsverordnung auf Gemeinbedarfsanlagen beschränkt war.
55
Derartige Gemeinbedarfsanlagen sind solche, die - ohne dass das Merkmal des
Gemeingebrauchs erfüllt zu sein braucht - einem nicht fest bestimmten, wechselnden
Kreis der Bevölkerung zugänglich sind. Aus § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB und den
Gesetzesmaterialien ergibt sich ferner, dass es sich um eine Einrichtung der Infrastruktur
im Rahmen der Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen des
öffentlichen und privaten Bereichs handeln muss.
56
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 4 CN 7.03 -, BVerwGE 121, 192 =
BRS 67 Nr. 88.
57
Auf die Rechtsform des Trägers kommt es nicht entscheidend an. Zwar hat das
Bundesverwaltungsgericht den erforderlichen Gemeinwohlbezug einer Anlage oder
Einrichtung im Fall eines privaten Rechtsträgers früher (nur) bejaht, wenn eine
öffentliche Aufgabe erfüllt wird, hinter der ein privates Gewinnstreben deutlich zurücktritt.
58
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996
59
- 4 C 17.95 -, a. a. O.
60
Es hat jedoch in seiner jüngeren Rechtsprechung klargestellt, dass es sich hierbei zwar
um ein herkömmliches und typisches, aber nicht zwingendes Merkmal von
Gemeinbedarfsanlagen handele. Danach kann im Hinblick auf neuere Formen der
Grundversorgung der Allgemeinheit mit Dienstleistungen, die das Modell
privatwirtschaftlicher Leistungserbringung mit einer besonderen staatlichen
Infrastrukturverantwortung verbinden, die marktwirtschaftlich bedingte Nachteile für die
Bevölkerung verhindern soll, auch eine hoheitliche Gewährleistungs- und
Überwachungsverantwortlichkeit je nach ihrer konkreten rechtlichen Ausgestaltung
geeignet sein, den Gemeinwohlbezug auch solcher Anlagen herzustellen, deren
Leistungserbringung sich nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen vollzieht und auf
Gewinnerzielung ausgerichtet ist.
61
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 4 CN 7.03 -, BVerwGE 121, 192 =
BRS 67 Nr. 88.
62
Nach diesen Maßstäben ist das hier streitige Krematorium eine Gemeinbedarfsanlage
im vorstehenden Sinne. Es handelt sich um eine Einrichtung der Infrastruktur im
Rahmen der Versorgung der Bevölkerung mit Bestattungsdienstleistungen, die einem
nicht fest bestimmten, wechselnden Teil der Bevölkerung zur Verfügung steht. Seit 1997
haben sich zunehmend neuere Formen privatwirtschaftlicher Leistungserbringung im
Feuerbestattungswesen etabliert, das bis dahin ausschließlich öffentliche Aufgabe war.
63
Vgl. Schreyger, Kommunale Krematorien im Wettbewerb, in: Friedhofskultur,
Zeitschrift für das gesamte Friedhofswesen 2006, 13 (Bl. 22 der Beiakte Heft
3).
64
Diese die kommunale Ebene betreffende Entwicklung erfordert nicht zuletzt vor dem
Hintergrund der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die – über den Tod
hinausreichende – Menschenwürde zu schützen (Art. 1 Abs. 1 GG), eine besondere
kommunale Infrastrukturverantwortung, um marktwirtschaftlich bedingte Nachteile für die
Bevölkerung zu verhindern. Eine in ihrer konkreten rechtlichen Ausgestaltung diesem
65
Erfordernis gerecht werdende hoheitliche Gewährleistungs- und
Überwachungsverantwortlichkeit ist im Bestattungswesen gegeben; sie stellt den
erforderlichen Gemeinwohlbezug her.
Vgl. zum bayrischen Landesrecht: Bay. VGH, Urteil vom 30. Juni 2005 - 15
BV 04.576 -, a. a. O.
66
Nach § 1 Abs. 1 BestG NRW gewährleisten die Gemeinden, dass Tote auf einem
Friedhof bestattet und ihre Aschenreste beigesetzt werden können. Die Gemeinde kann
die Errichtung und den Betrieb einer Feuerbestattungsanlage gemäß § 1 Abs. 5 BestG
NRW mit Zustimmung der Genehmigungsbehörde widerruflich einem Übernehmer
übertragen. Dieser ist nach § 6 Satz 1 BestG NRW verpflichtet, den zur Überwachung
der für Feuerbestattungsanlagen geltenden Rechtsvorschriften zuständigen Behörden
Grundstücke, Räume und Sachen zugänglich zu machen sowie auf Verlangen die
erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen unverzüglich
vorzulegen. Diese gesetzlich bestimmte hoheitliche Gewährleistungs- und
Überwachungsverantwortlichkeit ist vorliegend zudem durch den zwischen der Stadt
E. und der Beigeladenen geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 6.
September 2006 abgesichert. Die Beigeladene nimmt gemäß § 1 Abs. 2 des Vertrages
als Beliehene hoheitliche Aufgaben wahr. Änderungen des Eigentümerkreises oder der
Geschäftsführung der Beigeladenen bedürfen nach § 1 Abs. 4 des Vertrages der
Zustimmung der Stadt; diese kann sie verweigern, wenn die neu eintretende Person
nicht die Gewähr dafür bietet, die übertragenen hoheitlichen Aufgaben ordnungsgemäß
zu erfüllen. Gemäß § 4 des Vertrages hat sich die Beigeladene gegenüber der Stadt
E. dazu verpflichtet, allen Einwohnern die Feuerbestattung zugänglich zu machen; für
den Fall, dass die Beigeladene dieser Pflicht nicht nachkommt, sieht § 12 Abs. 1 des
Vertrages die Berechtigung und Verpflichtung der Stadt zur Durchführung einer
Ersatzvornahme vor. Schließlich ist die Beigeladene nach § 7 des Vertrages gehalten,
die Totenwürde und die Vorgaben des Gesundheitsschutzes nach § 7 BestG NRW zu
beachten und die Ausstattung und Gestaltung der für den Publikumsverkehr
zugänglichen Räume des Krematoriums mit der Stadt E. abzustimmen.
67
Das genehmigte Krematorium dient auch kulturellen Zwecken.
68
Zu den Anlagen für kulturelle Zwecke werden unzweifelhaft Anlagen aus den Bereichen
Kunst, Wissenschaft und Bildung gezählt.
69
Vgl. Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautz-berger, BauGB-Kommentar,
Stand: April 2010, § 4 BauNVO Rdnr. 86; ferner die Beispiele bei
Fickert/Fieseler, a. a. O., Rdnr. 13.
70
Das schöpft den Begriff der Kultur jedoch nicht aus. Schon der Wortlaut der Vorschrift,
der die kulturellen Zwecke der Anlage weder näher bestimmt noch abschließend
festlegt, legt eine offenere Begriffsbestimmung nahe. Eine offene Interpretation des
Kulturbegriffs entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch. Dieser bezeichnet im
weitesten Sinne als Kultur alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, und
umfasst neben formenden Umgestaltungen eines gegebenen Materials auch geistige
Gebilde wie etwa im Recht, in der Moral, der Religion, der Wirtschaft und der
Wissenschaft.
71
Vgl. etwa http://de.wikipedia.org/wiki/Kultur, vom 25. Oktober 2010.
72
Kultur kann dementsprechend in dem Sinne der Gesamtheit der einzigartigen geistigen,
materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte definiert werden, die sich in einer
Gesellschaft ausgeprägt haben.
73
Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 30. Juni 2005
74
- 15 BV 04.576 -, a. a. O., m. w. N.
75
Durchgreifende Gründe, die eine gegenüber diesem allgemeinen Sprachgebrauch
wesentlich engere Auslegung des in § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO verwandten Kulturbegriffs
erforderten, sind nicht gegeben. Soweit der Verordnungsgeber bei Erlass der Vorschrift
einem traditionellen Begriffsverständnis folgend mit "Anlagen für kulturelle Zwecke" vor
allem die Bereiche der Kunst, Wissenschaft und Bildung im Blick gehabt haben sollte,
76
vgl. VG Osnabrück, Urteil vom 23. April 2010
77
- 2 A 21/09 -, a. a. O.; Fickert/Fieseler, a. a. O., Rdnr. 13.1, m. w. N.,
78
hat eine Beschränkung auf derartige Einrichtungen – wie oben schon ausgeführt – im
Normtext keinerlei Niederschlag gefunden. Entgegen steht einer derartigen Verengung
des Begriffs auch der Vergleich mit den anderen in § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO genannten
Anlagen. Deren Zwecke sind nämlich ebenfalls weitgehend offen definiert. So werden
als Anlagen für soziale Zwecke alle Anlagen, die in einem weiten Sinn der sozialen
Fürsorge und der öffentlichen Wohlfahrt dienen, und als Anlagen für kirchliche Zwecke
alle kirchlich geleiteten Anlagen verstanden, soweit sie nicht unter die Anlagen für
soziale Zwecke fallen. Auch die gesundheitlichen Zwecke werden tendenziell weit
definiert; die Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift erfolgt im
Wesentlichen über das Erfordernis des Gemeinbedarfs der Anlage.
79
Vgl. Fickert/Fieseler, a. a. O., Rdnrn. 13,
80
14 und 15.
81
Auch das Ziel der BauNVO, eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung und eine dem
Wohl der Allgemeinheit entsprechende geordnete Bodennutzung zu gewährleisten,
gebietet keine engere Auslegung.
82
So aber VG Osnabrück, Urteil vom 23. April 2010 - 2 A 21/09 -, a. a. O.;
Fickert/Fieseler, a. a. O., Rdnr. 13.1.
83
Vielmehr impliziert diese Zielsetzung, dass die Regelungen der BauNVO für neue
Erscheinungsformen baulicher Vorhaben offen sind, die vom Verordnungsgeber noch
gar nicht in den Blick genommen werden konnten.
84
Vgl. Gatz, Anmerkung vom 29. Mai 2006 zu BVerwG, Beschluss vom 20.
Dezember 2005
85
4 B 71/05 -, a. a. O., juris.
86
Diesem Erfordernis wird ein starres, auf traditionelle Erscheinungsformen kultureller
87
Anlagen wie etwa Stadtbüchereien, Theatern, Konzerthallen, Museen und Hochschulen
begrenztes Verständnis des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nicht gerecht. Entgegen der
Auffassung des Klägers verliert der Begriff der Anlage für kulturelle Zwecke damit nicht
die für eine praktikable Handhabung erforderliche Bestimmtheit. Eine uferlose
Ausdehnung seines Anwendungsbereichs ist nicht zu befürchten.
In diese Richtung tendierend aber VG Osnabrück, Urteil vom 23. April 2010
- 2 A 21/09 -, a. a. O.; Fickert/Fieseler, a. a. O., Rdnr. 13.1.
88
Denn die notwendige Eingrenzung erfährt der Normtatbestand dadurch, dass es sich bei
den genannten Anlagen um Gemeinbedarfsanlagen im oben beschriebenen Sinne
handeln muss, also um Anlagen, bei denen das private Gewinnstreben deutlich hinter
den Gemeinwohlbezug zurücktritt oder bei denen dieser durch eine rechtlich verankerte
hoheitliche Gewährleistungs- und Überwachungsverantwortlichkeit hergestellt wird. Die
vom Kläger zum Beleg für seine Befürchtung einer konturenlosen Ausweitung der
Vorschrift angeführten Beispiele - Fabrikationsgebäude, Gaststätten und Wohnhäuser -
verfangen vor diesem Hintergrund schon deshalb nicht, weil sie keine
Gemeinbedarfsanlagen darstellen. Darüber hinaus sind sie in der
Baunutzungsverordnung – als Gewerbebetriebe, Schank- und Speisewirtschaften und
Wohngebäude – speziell geregelt. Einer uferlosen Ausdehnung des
Anwendungsbereichs der Norm steht ferner entgegen, dass die betreffende Anlage mit
dem jeweiligen Gebietscharakter vereinbar sein muss. Das ungeschriebene Erfordernis
der Gebietsverträglichkeit bestimmt die Zulässigkeit der den einzelnen Baugebieten
allgemein (regelhaft) zugewiesenen Nutzungsarten ebenso wie die Zulässigkeit der
Nutzungen, die nach dem Willen des Verordnungsgebers in den einzelnen Baugebieten
ausnahmsweise zugelassen werden können. Es gilt für sämtliche Baugebietstypen der
§§ 2 bis 9 BauNVO und rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz dieser
Vorschriften.
89
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2008 4 B 60.07 -, BRS 73 Nr. 70,
und Urteil vom 21. März 2002 4 C 1.02 -, BVerwGE 116, 155 = BRS 65 Nr.
63
90
Damit ist entgegen der vom Kläger geäußerten Befürchtung ausgeschlossen, dass die
Qualifizierung von Krematorien als Anlagen für kulturelle Zwecke in Folge einer
allgemeinen oder ausnahmsweisen Zulässigkeit in nahezu allen in der
Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebieten zu Ergebnissen führt, die diesem
typisierenden Ansatz zuwiderlaufen.
91
So jedoch VG Osnabrück, Urteil vom 23. April 2010 - 2 A 21/09 -, a. a. O.;
Fickert/Fieseler, a. a. O., Rdnr. 13.1.
92
Schließlich vermag auch der Einwand des Klägers, die Möglichkeit einer
ausnahmsweisen Zulassung einer Feuerbestattungsanlage als Anlage für kulturelle
Zwecke würde zu einer Beschneidung der Planungshoheit der Gemeinde führen, weil
nicht diese, sondern die Bauaufsichtsbehörde über die Zulassung der Ausnahme
entscheide, keine einschränkende Auslegung des Kulturbegriffs zu begründen. Denn
diese Konsequenz ist mit jeder Zulassung von Ausnahmen auf der Grundlage der
BauNVO i. V. m. § 31 Abs. 1 BauGB verbunden und bietet daher keinen tragfähigen
Anknüpfungspunkt, um deren Reichweite näher zu bestimmen.
93
Nach diesen Maßgaben dient das genehmigte Krematorium kulturellen Zwecken. Seine
Nutzung erschöpft sich nicht in der technischen, gewerblich betriebenen Verbrennung
Verstorbener, sondern ist in einen kulturellen Kontext eingebettet. Denn die
Einäscherung ist Teil der Totenbestattung und als solche Teil der (Bestattungs-) Kultur.
In allen Kulturen findet seit jeher die Ehrfurcht vor dem Tod und der pietätvolle Umgang
mit den Verstorbenen in den verschiedenen Bestattungsformen ihren symbolischen
Ausdruck. Die Bestattungskultur erfasst die mit der Totenbestattung und dem
Totengedenken zusammenhängenden Erscheinungsformen. Bei der Feuerbestattung
gehört dazu nach der – allgemeinem Verständnis folgenden – Vorschrift des § 15 BestG
NRW die Einäscherung in einer Feuerbestattungsanlage.
94
Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 30. Juni 2005 - 15 BV 04.576 -, a. a. O.; OVG Rh.-
Pf., Beschluss vom 28. Oktober 2005 - 8 B 11345/05 -, a. a. O.
95
Dem kulturellen Bezug wird in dem genehmigten Krematorium auch dadurch Rechnung
getragen, dass es über einen abgesonderten Bereich verfügt, in dem den Angehörigen
das Abschiednehmen von dem Verstorbenen ermöglicht wird.
96
Der Einwand des Klägers, der von der Beigeladenen vorgesehene Pietätsraum sei
räumlich und wirtschaftlich ein untergeordneter Teil der Gesamtanlage und könne daher
nicht bestimmend für die planungsrechtliche Einordnung des Krematoriums sein, geht
an diesen Zusammenhängen vorbei. Er lässt außer acht, dass das Krematorium nicht
nur mit seinem Abschiedsraum, sondern mit der Gesamtheit seiner Räumlichkeiten der
Einäscherung Verstorbener zu dienen bestimmt ist. Dieser einheitliche - nach den
vorstehenden Ausführungen kulturelle - Zweck verbietet es, die Gesamtanlage
gedanklich gleichsam in einen aus technischen Einrichtungen und Verwaltungsbereich
zusammengesetzten Gewerbebetrieb und eine lediglich aus dem Abschiedsraum
bestehende kulturelle Anlage aufzuteilen. Fehl geht auch der Einwand des Klägers, der
Abschiedsraum verfüge über keinerlei für bestimmte Zeremonien "notwendige"
Kultgegenstände. Zur Ausstattung des Abschiedsraums muss sich die
Baugenehmigung nicht verhalten. Die maßgebliche kulturelle Funktion des
Abschiedsraums, den Angehörigen ein würdevolles Abschiednehmen von dem
Verstorbenen zu ermöglichen, setzt keine bestimmte Zeremonie voraus; vielmehr
entspricht es diesem Zweck, wenn der Raum nach den Wünschen der jeweiligen
Trauergemeinde gestaltet werden kann.
97
Die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO auf eine Feuerbestattungsanlage mit
Pietätsraum wird entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht dadurch
ausgeschlossen, dass eine solche Anlage wegen des Bedürfnisses, das Ab-
schiednehmen von den Verstorbenen aus Gründen der Pietät in ein kontemplatives
Umfeld einzubetten, dem Leitbild eines Gewerbegebiets widerspricht, mithin der
allgemeinen Zweckbestimmung von Gewerbegebieten fremd ist. Dies hindert gerade
auch nach den vom Kläger in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs lediglich die
allgemeine Zulässigkeit derartiger Feuerbestattungsanlagen als Gewerbebetriebe im
Gewerbegebiet auf der Grundlage von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO.
98
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2005 - 4 B 71.05 -; Bay. VGH,
Urteil vom 30. Juni 2005 - 15 BV 04.576 -, jeweils a. a. O.
99
Die genannten Gründe gebieten es hingegen nicht, Krematorien mit Pietätsräumen von
100
vornherein ausnahmslos, ungeachtet ihrer konkreten Lage und Nachbarschaft in
Gewerbegebieten als gebietsunverträglich auszuschließen.
Vgl. OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 28. Oktober 2005 - 8 B 11345/05 -, a. a. O.
101
Soweit Abschiedsräume in Feuerbestattungsanlagen als Orte für Ruhe, Besinnung und
innere Einkehr eine unter dem Gesichtspunkt der Pietät angemessene Umgebung
erfordern, sind sie u.a. mit Kapellen und Betsälen vergleichbar, deren ausnahmsweise
Zulässigkeit in Gewerbegebieten unbestritten ist.
102
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2005 - 4 B 71.05 -, a. a. O.;
Gatz, a. a. O.
103
Von derartigen Anlagen unterscheidet sich ein privat betriebenes Krematorium im
Wesentlichen durch den hinzutretenden gewerblich-technischen Charakter. Dieser ist
mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets für sich gesehen sogar
eher vereinbar als etwa eine kirchliche Anlage, die ausschließlich als Ort des Gebets,
der Andacht und der inneren Einkehr konzipiert ist.
104
§ 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO setzt tatbestandlich nicht voraus, dass die Funktion der dort
aufgeführten Anlagen im Zusammenhang mit einer der in § 8 Abs. 2 genannten
Hauptnutzungen steht. Eine derartige Einschränkung findet im Wortlaut der Vorschrift
keine Stütze; vielmehr lässt der Umstand, dass lediglich in § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ein
derartiger Zusammenhang vorausgesetzt wird, im Umkehrschluss darauf schließen,
dass die in § 8 Abs. 3 Nr. 2 und 3 BauNVO genannten Anlagen nicht unter einem
solchen Vorbehalt stehen. Eine anderslautende Aussage hat auch das erkennende
Gericht in dem vom Kläger angeführten Urteil vom 3. November 1988 - 11 A 56/86 -
(BRS 49 Nr. 89) nicht getroffen. Dort ist lediglich ausgeführt, dass ein Bedürfnis für die
Zulassung einer der in § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO genannten Anlagen regelmäßig nur im
Falle eines solchen Zusammenhangs besteht. Unabhängig davon, ob diesen
Ausführungen zu folgen ist, beziehen sie sich nicht auf den Tatbestand des § 8 Abs. 3
Nr. 2 BauNVO, sondern auf die Ausübung des durch § 31 Abs. 1 BauGB eingeräumten
Ermessens; im Übrigen schließen sie die Berücksichtigung anderer, eine Abweichung
von der angenommenen Regel rechtfertigender Gesichtspunkte in diesem Rahmen
nicht aus.
105
Vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautz-berger, a. a. O., § 8
BauNVO Rdnr. 44.
106
Die ausnahmsweise Zulassung des streitgegenständlichen Krematoriums wird
schließlich auch nicht durch § 15 Abs. 1 BauNVO ausgeschlossen. Nach Abs. 1 Satz 1
dieser Vorschrift sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten Anlagen im Einzelfall
unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart
des Baugebiets widersprechen. Ein solcher Widerspruch des - konkreten - Vorhabens
zur Eigenart des - konkreten - Baugebiets setzt entgegen der Auffassung des Klägers
mehr voraus, als dass das Vorhaben aufgrund seiner - im vorliegenden Zusammenhang
allein in den Blick zu nehmenden - Zweckbestimmung ihr lediglich nicht entspricht.
Erforderlich ist darüber hinaus ein eindeutiger Gegensatz zu der nach dem konkreten
Bebauungsplan unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse angestrebten Struktur
des betreffenden Gebiets.
107
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. November 1984 - 4 B 244.84 -, BRS 42
Nr. 206; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. März 1975 - III 326/74 -, BRS 29 Nr.
25; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielen-berg/Krautzberger, a. a. O., § 15
BauNVO Rdnr. 13; Fickert/Fieseler, a. a. O., § 15 Rdnr. 9.1.
108
Ein derartiger Gegensatz ist hier nicht festzustellen. Auch im Hinblick auf das
Erfordernis eines Umfelds, das es ermöglicht, in einem würdevollen, dem Anlass
angemessenen äußeren Rahmen von dem Verstorbenen Abschied zu nehmen, ist das
genehmigte Krematorium unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Situation mit
dem angestrebten Gebietscharakter des betroffenen Gewerbegebiets vereinbar. Denn
durch den gewählten Standort des Krematoriums, seiner baulichen Gestaltung und der
Ausrichtung seiner auf Publikumsverkehr ausgerichteten Bereiche ist eine pietätvolle
Totenbestattung gewährleistet, die mit der werktäglichen Geschäftigkeit des
Gewerbegebiets verträglich ist. Das Vorhaben befindet sich am Rand des
Gewerbegebiets an der Grenze zu dem Waldgebiet "I3. /H. C1. ", einer
Waldwiese und einer Aufforstung. Die Anlage ist nach den zur Baugenehmigung
gehörenden Bauvorlagen so konzipiert, dass lediglich die technischen Bereiche der
Anlage dem Gewerbegebiet zugewandt sind, während die unter Pietätsgesichtspunkten
maßgeblichen Bereiche für die Besucher, insbesondere der Abschiedsraum, in
Richtung der unbebauten Landschaft außerhalb des Gewerbegebiets zurückweichen
und gegenüber den technischen Bereichen in der äußeren baulichen Gestaltung
deutlich zurückgenommen sind. Die Baugenehmigung sieht vor, dass das Krematorium
von den Grundstücken im Gewerbegebiet an allen Seiten durch eine 2 m hohe
blickdichte Abgrenzung abzuschirmen ist; eine Sichtbeziehung der im Gewerbegebiet
befindlichen Gewerbebetriebe zu dem Krematorium ist hierdurch erheblich
eingeschränkt, zu den Besucherbereichen sogar nahezu ausgeschlossen. Dadurch,
dass die Zufahrt zum Grundstück der Beigeladenen nicht durch das Gewerbegebiet
führt, sondern außerhalb des Gewerbegebiets über eine in den N.------weg
einmündende Stichstraße erfolgt, ist zudem sichergestellt, dass Leichenwagen und
Trauergäste die Anlage diskret anfahren können, ohne vom Gewerbegebiet aus
wahrgenommen zu werden. Bei dieser Sachlage wird der Charakter des betroffenen
Gewerbegebiets durch das Vorhaben der Beigeladenen nicht in Frage gestellt. Dies gilt
auch in Ansehung des Vortrags des Klägers, die gewerbliche Bebauung könne sich in
Richtung des Krematoriums ausdehnen, denn dieser Einwand bezieht sich nicht auf die
mit dem Vorhaben zu wahrende Gebietsstruktur.
109
Es ist auch nicht erkennbar, dass das Krematorium in Zusammenschau mit der
Zulassung eines Kindergartens westlich des Grundstücks des Klägers und von zwei
Einzelhandelsgeschäften südlich der Straße X. I. den Gebietscharakter gefährdet.
Abgesehen davon, dass sich die angesprochenen Einzelhandelsgeschäfte nicht in dem
hier in Rede stehenden Gewerbegebiet, sondern in gesondert ausgewiesenen Industrie-
und Gewerbegebieten befinden, hat der erkennende Senat bereits in seinem Beschluss
vom 15. August 2007 7 B 554/07 ausgeführt, dass im Hinblick auf die nach den eigenen
Angaben des Klägers in der Umgebung des Krematoriums zahlreich anzutreffenden
typischen Gewerbebetriebe eine solche Gefährdung nicht besteht. Auf diese
Ausführungen nimmt der Senat Bezug.
110
Die angefochtene Baugenehmigung verstößt auch nicht zu Lasten des Klägers gegen
das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerte Rücksichtnahmegebot. Der Senat hat hierzu in
dem genannten Beschluss festgestellt, dass der Kläger durch das Vorhaben weder
unzumutbaren Immissionen insbesondere durch Rauch und Gerüche ausgesetzt wird
111
noch im Hinblick auf die Nutzung des Krematoriums Einschränkungen der gewerblichen
Nutzung seines eigenen Grundstücks zu befürchten hat. Auf die entsprechenden
Erwägungen wird verwiesen, zumal der Kläger ihnen nicht substantiiert
entgegengetreten ist.
Schließlich kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die angefochtene
Baugenehmigung in der maßgeblichen Gestalt des Widerspruchsbescheides keine
hinreichenden Ermessenserwägungen zur ausnahmsweisen Zulassung des Vorhabens
nach § 31 Abs. 1 BauGB erkennen lasse. Der Nachbar hat keinen über den
Gebietsgewährleistungsanspruch und das Rücksichtnahme-gebot hinausreichenden
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung oder gar Begründung der
Entscheidung, ob ein Vorhaben im Bebauungsplangebiet ausnahmsweise zugelassen
werden soll oder nicht.
112
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Dezember 2004 - 7 B 2327/04 -, juris.
113
Unabhängig hiervon lässt der Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2007 die für
die Erteilung der Ausnahme maßgeblichen Ermessenserwägungen im Rahmen der
Ausführungen zum Rücksichtnahmegebot erkennen. Der Landrat des Kreises D.
stellt dort sachgerecht darauf ab, dass der durch den Betrieb der
Feuerbestattungsanlage bedingte Kraftfahrzeugverkehr nicht durch das
Bebauungsplangebiet führt und durch den Standort der Anlage dem Interesse an einer
pietätvollen Bestattung in Achtung der Totenwürde sowie dem sittlichen Empfinden der
Allgemeinheit in angemessener Art und Weise Rechnung getragen ist.
114
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. den
§§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.
115
Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Rechtssache hat
im Hinblick auf die entscheidungserhebliche, bislang vom Bundesverwaltungsgericht
offen gelassene Frage grundsätzliche Bedeutung, ob der Begriff der Anlage für
kulturelle Zwecke in § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO auch (Gemeinbedarfs-) Anlagen umfasst,
die wie ein Krematorium - nicht den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Bildung
zuzurechnen sind.
116