Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.03.2004

OVG NRW: vwvg, persönliche freiheit, objektive unmöglichkeit, pass, botschaft, vorführung, fehlerhaftigkeit, staatsangehörigkeit, zwangsmittel, erfüllung

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 E 1162/03
Datum:
31.03.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 E 1162/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 M 90/03
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird geändert. Die Anordnung einer
Ersatzzwangshaft gegen den Vollstreckungsschuldner und der Erlass
eines Haftbefehls werden insoweit aufgehoben, als die darin
angeordnete Ersatzzwangshaft einen Zeitraum von vier Tagen
übersteigt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen der
Vollstreckungsschuldner zu 2/7 und die Vollstreckungsgläubigerin zu
5/7.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.000,- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die Beschwerde des Vollstreckungsschuldners hat nur Erfolg, soweit die Anordnung der
Ersatzzwangshaft einen Zeitraum von vier Tagen übersteigt. Darüber hinaus ist die
Beschwerde zurückzuweisen, weil die Haftanordnung zu Recht erfolgt ist.
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Rechtsgrundlage für die Haftanordnung ist § 61 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW. Nach dieser
Vorschrift kann das Verwaltungsgericht auf Antrag der Vollstreckungsbehörde die
Ersatzzwangshaft anordnen, wenn ein Zwangsgeld uneinbringlich ist und der Pflichtige
bei der Anordnung des Zwangsgeldes auf die Möglichkeit der Anordnung einer
Ersatzzwangshaft hingewiesen worden ist. Voraussetzung der Haftanordnung als einem
unselbständigen Zwangsmittels ist ferner, dass die Zwangsgeldfestsetzung
unanfechtbar oder sofort vollziehbar und nicht nichtig ist. Das Verwaltungsgericht
entscheidet nach seinem freien richterlichen Ermessen in Ansehung aller Umstände
unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit des konkreten Falles.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Februar 1976 - X B 1427/95 -, NJW 1976, 1284;
vom 13. Juni 1989 - 17 B 1975/86 -, NWVBl. 1990, 19, vom 18. Dezember 1996 - 5 E
1035/95 -, jeweils m.w.N., und vom 24. Juni 1998 - 5 E 470/98 -.
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1. Hiervon ausgehend sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Haftanordnung
gegeben.
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Die mit Bescheiden vom 5. September 2002, vom 19. September 2002 und vom 4.
Oktober 2002 festgesetzten Zwangsgelder sind uneinbringlich. Die insoweit vom
Vollstreckungsgläubiger eingeleiteten Einziehungsversuche sind erfolglos geblieben.
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Vgl. hierzu Sadler, VwVG, VwZG, 4. Auflage, § 16 VwVG, Rdnr. 8; Engelhardt/App,
VwVG, VwZG, 5. Auflage, § 16 VwVG, Rdnr. 3; vgl. des weiteren zur Frage der
Uneinbringlichkeit OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 1996 - 5 E 1035/95 -
m.w.N.
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Die Kreiskasse der Vollstreckungsgläubigerin hat unter dem 10. März 2003 mitgeteilt,
dass bisherige Einziehungsversuche in Bezug auf die u. a. mit Bescheiden vom 19.
September 2002 und vom 4. Oktober 2002 festgesetzten Zwangsgelder erfolglos
geblieben seien. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass hinsichtlich des
mit Bescheid vom 5. September 2002 festgesetzten Zwangsgeldes - offensichtlich - kein
Einziehungsversuch unternommen worden ist. Schon die bisher erfolglos gebliebenen
Einziehungsversuche lassen mit hinreichender Sicherheit den Schluss zu, dass die hier
in Rede stehenden Zwangsgelder uneinbringlich sind. Dies gilt umso mehr, als der
Vollstreckungsschuldner seinen Lebensunterhalt aus Mitteln der Sozialhilfe bestreitet.
Angesichts dieser Situation würde sich das Verlangen nach der Durchführung eines -
weiteren - Einziehungsversuchs auch in Bezug auf das mit Bescheid vom 5. September
2002 festgesetzte Zwangsgeld als bloße Förmelei darstellen.
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Des Weiteren enthalten die Bescheide der Vollstreckungsgläubigerin vom 1. August
2002, vom 5. September 2002 und vom 19. September 2002, mit denen die hier
maßgeblichen Zwangsgelder angedroht worden sind, jeweils den Hinweis, dass das
Verwaltungsgericht im Falle ihrer Uneinbringlichkeit auf Antrag die Ersatzzwangshaft
anordnen könne.
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Die der Ersatzzwangshaft zugrunde liegenden Zwangsgeldfestsetzungen vom 5.
September 2002, vom 19. September 2002 und vom 4. Oktober 2002 sind auch
unanfechtbar und erweisen sich nicht als nichtig. Ihre Nichtigkeit folgt nicht aus der hier
insofern nur in Betracht kommenden Fehlerhaftigkeit der ihnen zugrunde liegenden
bestandskräftigen Ordnungsverfügung vom 1. August 2002, durch die der
Vollstreckungsschuldner unter Fristsetzung aufgefordert wurde, der
Vollstreckungsgläubigerin "den" für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet "erforderlichen
gültigen Pass vorzulegen". Diese Ordnungsverfügung ist zwar rechtswidrig (a), weil die
Vollstreckungsgläubigerin damit das ihr insoweit nach § 14 Abs. 1 OBG NRW
zustehende Ermessen überschritten hat; sie ist aber nicht nichtig (b).
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a) Bei der rechtlichen Überprüfung ist im Wege der Auslegung der Ordnungsverfügung
davon auszugehen, dass sie sich auf die Vorlage eines vom Vollstreckungsschuldner
ggf. noch zu beschaffenden Passes richtet, also auch die Verpflichtung beinhaltet, sich,
soweit es für die geforderte Vorlage erforderlich ist, einen gültigen Pass zu beschaffen.
Dies ergibt sich schon aus deren Wortlaut, wonach der Vollstreckungsschuldner nicht
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etwa zur Vorlage seines Passes, sondern des für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet
gültigen Passes aufgefordert wird. Weiterhin sprechen für diese Sichtweise die in Ziffer
I. der Verfügung vom 1. August 2002 angegebenen Vorschriften. Neben § 40 Abs. 1
AuslG, der u. a. eine Verpflichtung zur Passvorlage statuiert, sind § 4 Abs. 1 AuslG und
§ 25 DVAuslG aufgeführt, die weitere ausweisrechtliche Pflichten normieren, zu denen
u. a. gehört, einen gültigen Pass zu besitzen (§ 4 Abs. 1 AuslG) sowie bestimmte
Handlungen zur Erfüllung der Passpflicht vorzunehmen (§ 25 DVAuslG). Zudem sind
die Beteiligten bisher übereinstimmend davon ausgegangen, dass sich der
Vollstreckungsschuldner einen Pass beschaffen muss, weil er bei der Einreise nach
Deutschland nicht im Besitz eines solchen war und er ein derartiges Dokument seither
auch nicht erlangt hat.
Diese - so verstandene - Ordnungsverfügung wird zwar zutreffend auf § 14 Abs. 1 OBG
NRW gestützt. Die Vollstreckungsgläubigerin hat jedoch das ihr gemäß § 14 Abs. 1
OBG NRW eingeräumte Ermessen überschritten, als sie den Vollstreckungsschuldner
zu einer Passbeschaffung verpflichtet hat. Mit dieser Regelung ist sie über den ihr
zukommenden, durch die Vorschriften des Ausländergesetzes begrenzten
Handlungsrahmen hinaus gegangen, weil das Ausländerrecht - ebenso wie das
Asylrecht - keine abstrakte Passbeschaffungspflicht als solche, sondern nur dem
Ausländer mögliche und ihm konkret zumutbare Mitwirkungspflichten zur Erlangung
eines Passes kennt.
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Vgl. im einzelnen Senatsbeschluss vom 9. Februar 2004 - 18 B 811/03 -, dem eine
vergleichbare Ordnungsverfügung zugrunde lag.
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b) Die Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung könnte aber nur dann die Nichtigkeit
einer darauf basierenden Zwangsgeldfestsetzung nach sich ziehen, wenn sie ihrerseits
nichtig ist. Dies ist nicht der Fall. In diesem Zusammenhang kann sich der
Vollstreckungsschuldner nicht erfolgreich auf die Unmöglichkeit der ihm abverlangten
Leistung berufen.
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Insoweit liegt zunächst keiner der Nichtigkeitsgründe des § 44 Abs. 2 VwVfG NRW vor.
Namentlich greift dessen Nr. 4 nicht ein, nach dem ein Verwaltungsakt nichtig ist, den
aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann. Diese Vorschrift erfasst nur die
objektive tatsächliche Unmöglichkeit, das heißt, niemand kann den mit dem
Verwaltungsakt beabsichtigten Erfolg herbeiführen. Daraus folgt, dass der Pflichtige die
zur Erfüllung der abverlangten Leistung erforderlichen Handlungen nicht alle selbst
vornehmen muss. Es ist vor allem grundsätzlich unbedeutend, durch wen und auf
welche Weise er sich dabei durch Dritte helfen lässt bzw. helfen lassen muss.
Dementsprechend betrifft die tatbestandmäßige Voraussetzung der Nr. 4 allein die
Frage, ob der Pflichtige die von ihm verlangte Leistung unter keinen Umständen
bewirken kann.
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Vgl. Kopp/Ramsauer, § 44 VwVfG, Rdnr. 40; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, § 44
VwVfG, Rdnr. 139 ff.; Das ist hier zu verneinen. Die verlangten Leistung (Passvorlage)
ist ihrer Natur nach grundsätzlich jedem Ausländer möglich, sofern nicht der atypische
Ausnahmefall vorliegt, dass ein Staat seinem Staatsbürger unter keinen für diesen
zumutbaren Umständen einen Pass auszustellen bereit ist. Die dazu erforderlichen
Handlungen können unterschiedlichster Art sein und sich ggf. auch auf die Beantragung
eines Passes bei der zuständigen Auslandsvertretung des Heimatstaates erstrecken.
Demzufolge ist eine objektive Unmöglichkeit im vorgenannten Sinne zu verneinen,
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wenn davon ausgegangen werden kann, dass die zuständige Auslandsvertretung bereit
sein wird, dem Ausländer einen Pass auszustellen.
Vgl. hierzu Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, § 44 VwVfG, Rdnr. 143; a.A. VGH Bad.-
Württ., Beschluss vom 16. Februar 1994 - 1 S 2882/93 -, InfAuslR 1994, 243 (ohne
nähere Begründung).
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Daraus erhellt zugleich, dass - wie hier - bei der Erforderlichkeit von
Mitwirkungshandlungen erst deren endgültige Erfolglosigkeit auf eine tatsächliche
Unmöglichkeit der abverlangten Handlung führt. Davon kann hier nicht ausgegangen
werden.
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Der Vollstreckungsschuldner vermochte nicht darzutun, dass es unmöglich ist, für ihn
einen Pass zu beschaffen und ihn der Vollstreckungsgläubigerin vorzulegen. Er hat in
diesem Zusammenhang lediglich behauptet, sierra-leonischer Staatsangehöriger zu
sein; der Beschaffung eines Passes stehe entgegen, dass die sierra-leonische Botschaft
sich weigere, ihn als solchen anzuerkennen. Das reicht schon deshalb nicht, weil an der
Glaubhaftigkeit des Vorbringens zur Staatsangehörigkeit erhebliche Zweifel bestehen.
Bereits die Angaben des Vollstreckungsschuldners während seines Asylverfahrens
rechtfertigen die Annahme, dass es sich bei ihm nicht um einen sierra-leonischen
Staatsangehörigen handelt. Schon seinerzeit war er nicht in der Lage, über die Stadt
Freetown, in der er angeblich lange Jahre gelebt haben und dort zehn Jahre zur Schule
gegangen sein will, sowie über deren Umgebung anschaulich und detailliert zu
berichten. Gleiches gilt für seine Einlassungen anlässlich seiner Vorführung bei der
Botschaft Sierra- Leones. Plausible Gründe für sein Unvermögen vermochte der
Vollstreckungsschuldner bei beiden Gelegenheiten nicht darzulegen.
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Entgegen seiner Auffassung ergibt sich eine sierra-leonische Staatsangehörigkeit des
Vollstreckungsschuldners auch nicht aus der von ihm vorgelegten ID-Card, weil
erhebliche Zweifel an deren Echtheit bestehen. Diese resultieren daraus, dass die auf
diesem Schriftstück angegebene Adresse - den seitens des Vollstreckungsschuldners
unwidersprochen gebliebenen Angaben der sierra- leonischen Botschaft zufolge - in
Freetown nicht existiert.
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Dem Vollstreckungsschuldner ist es nicht ansatzweise gelungen, die aufgezeigten
Ungereimtheiten aufzulösen und zu erklären. Insbesondere hat er seine im Protokoll der
Grenzschutzdirektion Koblenz vom 3. Juli 2002 über seine Vorführung bei der Botschaft
Sierra Leones zum Ausdruck gekommene fehlende Kooperationsbereitschaft zu keiner
Zeit aufgegeben. Deshalb kann nicht angenommen werden, dass es unmöglich ist, -
gegebenenfalls mit Hilfe Dritter - einen Nationalpass eines anderen Staates, nämlich
des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er tatsächlich besitzt, zu beschaffen.
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Die bestehenden Zweifel in Bezug auf die Unmöglichkeit einer Passbeschaffung gehen
zu Lasten des Vollstreckungsschuldners, weil er für die ausschließlich seinem
Einflussbereich unterliegenden, ihm günstigen Tatsachen, und damit auch für die
Unmöglichkeit der Passbeschaffung, darlegungs- und beweispflichtig ist. Dies gilt auch
in Ansehung einer für ihn möglicherweise schwierigen Beweissituation
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Eine Nichtigkeit der Ordnungsverfügung folgt auch nicht aus § 44 Abs. 1 VwVfG NRW.
Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden
Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden
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Umstände offensichtlich ist. Ungeachtet der Frage, ob die Ordnungsverfügung
überhaupt mit einem schwerwiegenden Fehler behaftet ist, erweist sich deren
Fehlerhaftigkeit jedenfalls nicht als offenkundig. Offenkundigkeit bedeutet, dass die
schwere Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts für einen unvoreingenommenen, mit den
in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne weiteres
ersichtlich sein, sich geradezu aufdrängen muss.
Vgl. Kopp/Ramsauer, § 44 VwVfG, Rdnr. 12.
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Einer derartigen Annahme steht bereits entgegen, dass sich die Fehlerhaftigkeit der
Ordnungsverfügung vom 1. August 2002 nicht schon bei der direkten Anwendung der
insoweit maßgeblichen Vorschriften ergibt, sondern erst nach deren Auslegung und
nach Ermittlung ihres Regelungszusammenhangs, wobei Letzterem in diesem
Zusammenhang maßgebliche Bedeutung zukommt.
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Vgl. hierzu wiederum Senatsbeschluss vom 9. Februar 2004 - 18 B 811/03 -.
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Außerdem scheitert eine Offenkundigkeit auch daran, dass nicht ohne weiteres
erkennbar ist, ob der Vollstreckungsschuldner die verlangte Handlung letztlich erbringen
kann.
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2. Wenn nach allem die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Haftanordnung erfüllt
sind, dann darf sie gleichwohl nur erfolgen, wenn sie verhältnismäßig ist.
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Insoweit bestehen dem Grunde nach hier keine Bedenken. Die Haftanordnung ist das
einzige noch zur Verfügung stehende Zwangsmittel. An seiner Erforderlichkeit fehlt es
insbesondere nicht, weil der Vollstreckungsschuldner verpflichtet gewesen wäre, nach
Uneinbringlichkeit des festgesetzten Zwangsgeldes zunächst das Zwangsmittel des
unmittelbaren Zwangs (§§ 57 Abs. 1 Nr. 3, 62 VwVG NRW) als das nunmehr im
Vergleich zur Ersatzzwangshaft mildere Zwangmittel anzuwenden. Jenes ist nicht
geeignet, die geforderte Passvorlage durchzusetzen. Die wegen des vom
Vollstreckungsschuldner behaupteten fehlenden Passbesitzes hier allein angezeigten
Mitwirkungshandlungen können nur durch ihn selbst erfolgen. Seine in diesem
Zusammenhang in Betracht kommende Vorführung bei der Botschaft Sierra- Leones (§
70 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AuslG) ist bereits am 2. Juli 2002 erfolgt und erfolglos verlaufen.
Eine nach dem Ergebnis dieser Vorführung außerdem in Erwägung zu ziehende
Vorführung bei der Botschaft Nigerias verspricht derzeit keinen Erfolg; hierzu bedarf es
nach Angaben der Grenzschutzdirektion Koblenz einer Mitwirkung des
Vollstreckungsschuldners, die angesichts dessen, dass er eine nigerianische
Staatsangehörigkeit in Abrede stellt, nicht zu erwarten ist, bzw. der Vorlage von
Sachbeweisen, wie etwa Dokumente, Briefe von/nach Nigeria, Banküberweisungen
etc.; diesbezüglich bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der
Vollstreckungsschuldner derartige Unterlagen besitzt.
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Die Haftanordnung ist auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne. Hiervon wäre
allerdings wegen des mit der Ersatzzwangshaft verbundenen schwerwiegenden
Eingriffs in die persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG) des davon
Betroffenen auszugehen, wenn sie außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stünde.
Die Ersatzzwangshaft kann nur das letzte Mittel des Staates sein, um seine
Anordnungen gegenüber unnachsichtigen Bürgern durchzusetzen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1956 - 1 C 10.56 -, BVerwGE 4, 196; OVG NRW,
Beschlüsse vom 13. Februar 1976 - 10 B 1427/75 -, a.a.O., vom 13. Juni 1989 - 17 B
1975/86 -, a.a.O., vom 18. Juli 1996 - 4 E 461/95 -, NWVBl. 1996, 484 m.w.N. und vom
18. Dezember 1996 - 5 E 1035/95 -; Engelhardt/App, § 16 VwVG, Anmerkung 1.
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Im Rahmen der dabei gebotenen Abwägung sind alle Umstände des konkreten
Einzelfalles zu berücksichtigen. Die Bedeutung des mit der Ordnungsverfügung
erstrebten Erfolgs ist dem besonderen Gewicht gegenüberzustellen, dass der
beantragten Freiheitsentziehung zukommt. Zu berücksichtigen sind Umfang und Stärke
der polizeilichen Ordnungsstörung, das Gewicht der mit der Ordnungsverfügung zu
schützenden Rechtsgüter, Notwendigkeit und Schwere des Drucks auf den Willen des
Vollstreckungsschuldners sowie ggf. auch besondere persönliche Umstände des
Betroffenen.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Juni 1989 - 17 B 1975/86 -, a.a.O. und vom 18.
Dezember 1996 - 5 E 1035/95 -.
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Davon ausgehend ist die Anordnung der Ersatzzwangshaft grundsätzlich vertretbar zur
Klärung der Identität und Nationalität eines Ausländers, zur Sicherung seiner
Abschiebung und in diesem Zusammenhang zur Durchsetzung der Passpflicht. Es
handelt sich hierbei um zentrale Regelungen des Ausländerrechts, deren Einhaltung
erforderlich ist, um eine im öffentlichen Interesse liegende unerwünschte Zuwanderung
von Ausländern zu verhindern.
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Gleichwohl erwiese sich eine Haftanordnung in derartigen Fällen als
unverhältnismäßig, wenn dem Betroffenen die Befolgung des im Wege der
Verwaltungsvollstreckung durchzusetzende "Gebot", dessen hinreichende inhaltlich
Bestimmtheit vorliegend durch den Vollstreckungsschuldner nicht in Abrede gestellt
wird,
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- vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Januar 1998 - 10 B 3029/97 -, BRS 60 Nr.
171, und vom 11. Mai 2000 - 10 B 306/00 -
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subjektiv unmöglich (Unvermögen) wäre.
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Vgl. hierzu Kopp/Ramsauer, § 44 VwVfG, Rdnr. 40.
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Dies hat der Gesetzgeber einfachgesetzlich in § 65 Abs. 3 Satz 1 b) VwVG NRW für den
Fall zum Ausdruck gebracht, dass dem Betroffenen die Erfüllung der zu erbringenden
Leistung (nachträglich) unmöglich geworden ist. Gleiches gilt erst recht für den Fall des
anfänglichen Unvermögens. Auf ein solches beruft sich indessen der
Vollstreckungsschuldner vergeblich. Hierfür liegen keine Gesichtspunkte vor, die über
diejenigen hinaus gehen, die bereits oben im Zusammenhang mit der Frage nach der
objektiven Unmöglichkeit geprüft und schon dort als unerheblich bewertet wurden.
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Unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist jedoch die Dauer der angeordneten
Ersatzzwangshaft. Das Verwaltungsgericht hat mit einer Ersatzzwangshaft in Höhe von
14 Tagen das nach § 61 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW zulässige Höchstmaß vollständig in
Ansatz gebracht. Dies ist vorliegend mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu
vereinbaren. Die vollständige Ausschöpfung des für die Ersatzzwangshaft gesetzlich
vorgesehenen Rahmens ist bei der erstmaligen Anordnung dieses Zwangsmittels unter
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rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nur zulässig, wenn davon auszugehen ist, dass eine
Festsetzung in geringerer Höhe nicht zu dem mit dem Zwangsmittel beabsichtigten
Erfolg führt. Hierfür sind vorliegend hinreichende Anhaltspunkte nicht erkennbar. Zwar
konnte der Vollstreckungsschuldner durch - mittlerweile - mehrfach erfolgte
Zwangsgeldfestsetzungen nicht dazu veranlasst werden, der ihm auferlegten Pflicht
nachzukommen. Dieser Umstand lässt aber keinen zwingenden Rückschluss darauf zu,
dass er sich von einer Ersatzzwangshaft von einer geringeren Dauer als 14 Tagen
unbeeindruckt zeigen wird. Denn eine Inhaftierung stellt für ihn eine wesentlich stärkere
Beeinträchtigung dar als die zuvor gegen ihn ergangenen Zwangsgeldfestsetzungen,
die ihn als zahlungsunfähigen Sozialhilfeempfänger ohnehin nicht empfindlich trafen.
Berücksichtigt man ferner, dass der Vollstreckungsschuldner - soweit ersichtlich - noch
nicht hafterfahren ist, kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen
werden, dass nicht bereits eine kurze Haftdauer ausreichen wird, um seinen Willen zu
beugen. Bei Abwägung aller hier maßgeblichen Gesichtspunkte erscheint dem Senat
insoweit eine Haftdauer von vier Tagen als angemessen.
Ergänzend sei für Fälle der vorliegenden Art angemerkt, dass bei einer etwaigen
erneuten Haftanordnung angesichts der geringen Spanne des für eine
Ersatzzwangshaft gesetzlich vorgesehenen Rahmens (§ 61 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW)
eine weitere Differenzierung in Bezug auf die Haftdauer regelmäßig nicht geboten sein
dürfte.
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Entsprechend der Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses war auch der Haftbefehl
des Verwaltungsgerichts vom 27. August 2003 zu ändern.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 i.V.m. §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und
entspricht der Praxis des Senats in Fällen der vorliegenden Art.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 5. August 2003 - 18 E 882/03 -.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.
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