Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.06.2004

OVG NRW: beurlaubung, diskriminierung, erlass, lehrer, gymnasium, dienstzeit, geburt, wahrscheinlichkeit, gewährleistung, rechtsschutz

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 981/04
Datum:
14.06.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 981/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 4 L 563/04
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
aufgegeben, die Bewerbungsunterlagen der Antragstellerin an die
Bezirksregierung E. zwecks Teilnahme der Antragstellerin an dem
Auswahlverfahren für die zur Besetzung ausgeschriebene Planstelle der
Besoldungsgruppe A 13 BBesO an dem Gymnasium Am T. , L. ,
weiterzuleiten. Der weitergehende Anordnungsantrag wird abgelehnt;
die Beschwerde wird insoweit zurückgewiesen.
Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen
je zur Hälfte.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde ist teilweise begründet. Die mit ihr dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4
Sätze 3 und 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) führen auf den von der
Antragstellerin verfolgten Hilfsantrag hin zu einem Teilerfolg.
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Die Antragstellerin besitzt die Befähigung für das Lehramt für die Sekundarstufe II und
für das Lehramt für die Sekundarstufe I. Sie ist seit 00.0000 beamtete Lehrerin im
öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen (gehobener Dienst) und einer
Realschule in E. zur Dienstleistung zugewiesen. Seit ihrer Ernennung befand sie sich
bis einschließlich 00.0000 im Erziehungsurlaub (§ 2 Erziehungsurlaubsverordnung); sie
ist Mutter von drei Kindern. Seit Anfang 00.0000 befindet sie sich in einem Urlaub ohne
Dienstbezüge aus familienpolitischen Gründen (§ 85 a des Beamtengesetzes für das
Land Nordrhein-Westfalen - LBG NRW -). Die Beurlaubung endet mit Ablauf des
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00.00.0000.
Im 00.0000 bewarb die Antragstellerin sich um eine von der Bezirksregierung E.
ausgeschriebene Planstelle der Besoldungsgruppe A 13 BBesO (höherer Dienst) an
einem Gymnasium in L. . Dort erteilt sie zur Zeit mit 12 Wochenstunden
Vertretungsunterricht. Die Bezirksregierung N. (Stammdienststelle der Antragstellerin)
lehnte ihre Einbeziehung in das Auswahlverfahren ab; sie habe noch nicht eine
Beschäftigungszeit von fünf Jahren im Dauerbeschäftigungsverhältnis im aktiven
Schuldienst hinter sich gebracht (Nr. 5.2 des Runderlasses des Ministeriums für Schule,
Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2003 -
115.6.05.01 - 6461 -). Die Antragstellerin erstrebt im vorliegenden Verfahren, dem
Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, sie zu dem
Auswahlverfahren und den am 00.00.0000 stattfindenden Auswahlgesprächen
zuzulassen, hilfsweise, die Voraussetzungen für ihre Teilnahme zu schaffen. Das
Verwaltungsgericht hat den Anordnungsantrag mangels eines Anordnungsanspruchs
abgelehnt: Die Weigerung des Dienstherrn, sie an dem Ausschreibungsverfahren
teilnehmen zu lassen, sei nicht selbständig angreifbar. Es handele sich insoweit
lediglich um einen rechtlich unselbständigen Zwischenschritt in dem
Stellenbesetzungsverfahren. Die Antragstellerin könne ihre Rechte in einem gegen die
noch ausstehende Auswahlentscheidung (der Bezirksregierung E. ) gerichteten
Verfahren geltend machen.
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Die Antragstellerin bringt mit der Beschwerde vor: Da durch die
Verwaltungsentscheidung der Bezirksregierung N. , sie an dem Auswahlverfahren gar
nicht erst zu beteiligen, ihr Bewerbungsverfahrensanspruch betroffen sei, müsse
Rechtsschutz für sie auch schon jetzt (ohne ein Abwarten der Entscheidung der
Bezirksregierung E. , mit welchem Bewerber die Planstelle besetzt werde) möglich sein.
Unter den jetzigen Umständen erfahre die Bezirksregierung E. nichts von ihrer
Bewerbung; die Bezirksregierung N. habe ihr, der Antragstellerin, die
Bewerbungsunterlagen zurückgesandt. Des Weiteren sei das Abstellen auf eine
fünfjährige aktive Dienstzeit rechtswidrig. Die Beurlaubung aus familienpolitischen
Gründen dürfe das berufliche Fortkommen nicht beeinträchtigen (§§ 85 a Abs. 5, 78 g
LBG NRW). Wenn für einen Laufbahnwechsel mindestens fünf Jahre tatsächlicher
Dienst verlangt würden, liege darin außerdem eine mittelbare Diskriminierung der
Frauen (§ 1 Landesgleichstellungsgesetz). Frauen seien durch diese Praxis wesentlich
häufiger nachteilig als Männer betroffen. Kinder würden, wie auch in ihrem Fall, nämlich
meistens von ihren Müttern betreut. Dieser Benachteiligung werde entgegen der
Auffassung des Antragsgegners nicht schon dadurch Rechnung getragen, dass bei der
Rückkehr aus dem Erziehungsurlaub und aus der Beurlaubung nach § 85 a LBG NRW
die familiäre Situation berücksichtigt und ein möglichst wohnortnaher Einsatz
gewährleistet werde. Ein Anordnungsgrund und ein Rechtsschutzbedürfnis für den
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seien nach wie vor gegeben; die
Auswahlgespräche seien vom 0.00.0000 auf den 00.00.0000 verschoben worden.
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Die Beschwerde hat zum Teil Erfolg. Der Antragsgegner ist (gemäß dem sinngemäß
auch darauf gerichteten Hilfsantrag der Antragstellerin) zu verpflichten, ihre
Bewerbungsunterlagen an die Bezirksregierung E. weiterzuleiten, damit die
Antragstellerin von dieser Bezirksregierung an dem Auswahlverfahren beteiligt werden
und zu den dabei vorgesehenen Auswahlgesprächen eingeladen werden kann.
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Ein Anordnungsgrund ist zu bejahen. Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist wegen
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der anderenfalls zu erwartenden anderweitigen Besetzung der A 13- Planstelle, um die
sich die Antragstellerin beworben hat, zur Sicherung ihrer Rechte geboten.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch mit dem vorstehenden Inhalt
glaubhaft gemacht. Dieser erstreckt sich allerdings nicht (gemäß dem Hauptantrag) auf
eine Verpflichtung des Antragsgegners, sie zu dem Auswahlverfahren zuzulassen. Die
Verwaltungsentscheidung, gegen die sich die Antragstellerin wehrt, stammt von der
Bezirksregierung N. . Die Entscheidung in dem Auswahlverfahren, an welchem die
Antragstellerin teilnehmen will, d.h. die Stellenbesetzung als solche sowie die
Durchführung des dahin führenden Verfahrens, obliegt hingegen der Bezirksregierung
E. . Demzufolge kann sich der Anordnungsanspruch nur auf den von der Antragstellerin
hilfsweise verfolgten "Zwischenschritt", nämlich die Weiterleitung ihrer
Bewerbungsunterlagen, erstrecken.
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In der Sache folgt der Senat dem Verwaltungsgericht nicht darin, bei dem Begehren, an
dem Auswahlverfahren beteiligt zu werden, gehe es um die - gerichtlich nicht isoliert
überprüfbare - Durchsetzung einer Verfahrenshandlung (vgl. § 44 a VwGO). Eine
Sicherungsanordnung dient in Fällen der vorliegenden Art der Gewährleistung eines
rechtlich einwandfreien Auswahlverfahrens bei der Besetzung der streitigen Planstelle.
Demgemäß kann der betreffende Bewerber zur Sicherung seiner Rechte bereits vor der
Entscheidung des Dienstherrn, mit welchem Beamten die Planstelle besetzt wird, eine
ihm zu Unrecht verwehrte Einbeziehung in das Auswahlverfahren im Wege einer
einstweiligen Anordnung durchsetzen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung
des Senats.
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Vgl. etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom
15. August 1994 - 6 B 1874/94 -, vom 22. August 2001 - 6 B 784/01 - und vom 1. Juli
2003 - 6 B 718/03 -; vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht,
Beschluss vom 14. Dezember 1993 - 3 M 65/93 -, Der Öffentliche Dienst 1994, 68.
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Nach der in Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden
summarischen Prüfung steht die Weigerung des Dienstherrn, die Antragstellerin an dem
Auswahlverfahren zu beteiligen, nicht im Einklang mit der Rechtslage. Die
Verwaltungspraxis geht allerdings unter Zugrundelegung der Nr. 5.2 des erwähnten
ministeriellen Runderlasses vom 16. Dezember 2003 dahin, bei Lehrern mit der
Befähigung für das Lehramt für die Sekundarstufe II und das Lehramt für die
Sekundarstufe I einen Laufbahnwechsel vom gehobenen in den höheren Dienst nur
dann zuzulassen, wenn der betreffende Lehrer mindestens fünf Jahre in einem
Dauerbeschäftigungsverhältnis des öffentlichen Schuldienstes Nordrhein- Westfalen
Dienst geleistet hat. Danach reicht es nicht aus, dass der Lehrer, wie die Antragstellerin,
zwar seit mehr als fünf Jahren in einem Dauerbeschäftigungsverhältnis steht, aber
wegen Erziehungsurlaubs und Urlaubs aus familienpolitischen Gründen noch nicht fünf
Jahre unterrichtet hat. Diese Praxis mit samt der darin liegenden Ausübung
organisatorischen Ermessens des Dienstherrn ist jedoch mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit vom Gesetz nicht gedeckt. Die Antragstellerin weist mit der
Beschwerde zutreffend auf §§ 85 a Abs. 5, 78 g LBG NRW hin. Danach darf eine
Beurlaubung aus familienpolitischen Gründen das berufliche Fortkommen nicht
beeinträchtigen. Diese für die Beurlaubung nach § 85 a LBG NRW ausdrücklich
getroffene Regelung dürfte dem Rechtsgedanken nach auch für die Inanspruchnahme
von Erziehungsurlaub gelten. In beiden Fällen geht es um Nachteile, die aus der Geburt
und der Betreuung von Kindern erwachsen können. Hierzu kann auch die Verzögerung
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eines der Vorbildung der Beamtin entsprechenden Laufbahnwechsels gerechnet
werden. Solche und ähnliche Nachteile sollen nach den angeführten Vorschriften
vermieden werden. Hiernach ist ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Auf den
weiteren mit der Beschwerde geltend gemachten Aspekt einer geschlechtsspezifischen
Diskriminierung durch die Verwaltungspraxis des Antragsgegners kommt es nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes.
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