Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.04.2010

OVG NRW (ablauf der frist, rücknahme, behörde, frist, kenntnis, rechtswidrigkeit, zeitpunkt, richtigkeit, verwaltungsgericht, notwendigkeit)

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 A 1135/08
Datum:
23.04.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 A 1135/08
Schlagworte:
Planstelleneinweisung Rücknahme Kenntnis Verwaltungsakt
Entscheidungsfrist
Leitsätze:
Zur Rücknahme einer fehlerhaften Planstelleneinweisung
Kenntnis im Sinne des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW ist erst dann
gegeben, wenn sich die Behörde nicht nur der Rechtswidrigkeit der
Verwaltungsentscheidung, sondern zugleich der Notwendigkeit bewusst
ist, angesichts ihrer Verwaltungsaktqualität förmlich über eine
Rücknahme entscheiden zu müssen.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfah-rens.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwert-festsetzung des
Verwaltungsgerichts für die erste In-stanz auf die Wertstufe bis 40.000
Euro und für die zweite Instanz auf die Wertstufe bis 45.000 Euro
festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen
Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO.
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Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe die
Einweisungsverfügung in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 13 vom 13. August
2001 nach den zutreffenden Ausführungen im Rücknahmebescheid vom 9. November
2006 nach Maßgabe des § 48 VwVfG zurücknehmen dürfen. Die Jahresfrist nach § 48
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Abs. 4 VwVfG habe der Beklagte nicht versäumt. Die Frist beginne erst zu laufen, wenn
die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder
von Anfang an bekannte Tatsachen erkenne. Diese Voraussetzungen hätten hier erst
mit dem Berufungszulassungsbeschluss des OVG NRW vom 28. Juni 2006 (6 A
2766/04) vorgelegen. Für die zuständigen Amtswalter des Beklagten sei erst zu diesem
Zeitpunkt erkennbar gewesen, dass die fehlerhafte Planstelleneinweisung als
Verwaltungsakt anzusehen und deshalb eine förmliche Rücknahmeentscheidung zu
treffen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt habe der Beklagte davon ausgehen dürfen, dass
seine Rechtsauffassung zur Qualität der fehlerhaften Planstelleneinweisung, die durch
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 14. April 2004 (3 K 9267/01) bestätigt
worden sei, zutreffend und nichts weiter zu veranlassen war.
Dem hält die Klägerin entgegen, das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung des § 48
Abs. 4 VwVfG verkannt. In tatsächlicher Hinsicht sei die Sach- und Rechtslage der
Bezirksregierung L. seit vielen Jahren bekannt gewesen. Es sei lediglich ein
Rechtsirrtum gegeben, der sich aber nicht auf die Rechtswidrigkeit des
Verwaltungsaktes bezogen habe. Vielmehr sei die Rechtsnatur der Verfügung vom 13.
August 2001 unrichtig erfasst und damit aus dem in tatsächlicher Hinsicht bekannten
Sachverhalt eine unzutreffende rechtliche Schlussfolgerung gezogen worden. Es seien
mithin Rücknahmevoraussetzungen unrichtig gewertet worden, weshalb vom Ablauf der
Frist auszugehen sei. Zudem habe das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 14.
April 2004 deutlich auf § 48 VwVfG hingewiesen, so dass spätestens hiermit Fristbeginn
eingetreten sei. Außerdem reiche ein Kennenmüssen der Voraussetzungen der
Rechtswidrigkeit aus. Es sei in hohem Maße widersprüchlich, wenn einerseits zum
Ausdruck gebracht werde, die Klägerin habe hier den Fehler der Eingruppierung
erkennen müssen, "während andererseits bezogen auf die Kenntnis der
Bezirksregierung eine nur noch schwammig zu nennende Begründung vorgenommen"
werde.
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Diese Darstellung vermag die Richtigkeit der entscheidungstragenden Annahme, die
Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW sei eingehalten – zu weiteren
Voraussetzungen des § 48 VwVfG NRW wird mit dem Zulassungsantrag nichts
vorgebracht –, nicht in Frage zu stellen. Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis,
welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist
nach dieser Vorschrift die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der
Kennt-nisnahme zulässig. Die Frist beginnt zu laufen, wenn die Behörde die
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und damit die Notwendigkeit, über die
Rücknahme dieses Verwaltungsakts entscheiden zu müssen, erkannt hat und ihr die für
die Rücknahme erheblichen Tatsachen – auch die für ihre Ermessensbetätigung –
vollständig bekannt sind. Das entspricht dem Zweck der Jahresfrist als einer
Entscheidungsfrist.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 – GrSen 1/84, GrSen 2/84
-, BVerwGE 70, 356; BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 1988 – 7 B 8/88 -,
BayVBl. 1988, 539; BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2007 – 6 C 15/06 -, NJW
2007, 1478.
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Ausgehend von diesen Maßstäben ist Kenntnis im Sinne des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG
NRW erst dann gegeben, wenn sich die Behörde nicht nur der Rechtswidrigkeit der
Verwaltungsentscheidung, sondern zugleich der Notwendigkeit bewusst ist, angesichts
ihrer Verwaltungsaktqualität förmlich über eine Rücknahme entscheiden zu müssen.
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Denn die Behörde ist erst dann objektiv in der Lage, unter sachgerechter Ausübung
ihres Ermessens über eine Rücknahme gem. § 48 VwVfG NRW zu entscheiden, wenn
sie erkennt, dass es wegen der Rechtsnatur ihres als rechtswidrig erkannten
Verwaltungshandelns einer förmlichen Rücknahmeentscheidung bedarf. Nur unter
dieser Voraussetzung behält die in § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW normierte Frist auch
den ihr nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
zukommenden Charakter einer reinen Entscheidungsfrist. Die hier vorliegende
Fehleinschätzung zur förmlichen Rücknahmebedürftigkeit der fehlerhaften
Planstelleneinweisung ist damit entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht dem
Fall gleichzustellen, in dem die Behörde über die rechtlichen Anforderungen der
Rücknahmeermächtigung, etwa die (weiteren) Rücknahmevoraussetzungen oder die
Erforderlichkeit einer Ermessensentscheidung, irrt.
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1995 – 5 C 10/94 -, BVerwGE
100, 199; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage 2008, § 48 Rn. 157.
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Danach bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des
Verwaltungsgerichts, die Frist habe erst mit dem Bekanntwerden des
Zulassungsbeschlusses des Senats vom 28. Juni 2006 zu laufen begonnen. Die bloße
Benennung des § 48 VwVfG NRW im vorausgehenden Urteil des Verwaltungsgerichts
Köln vom 14. April 2004 setzte die Frist schon deshalb nicht in Lauf, weil das Gericht –
anders als nachfolgend der Senat – die Einschätzung der Behörde bestätigt hatte, es
handele sich bei der Planstelleneinweisung nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne
des § 35 VwVfG NRW. Unabhängig von der Frage, ob, wie im Zulassungsantrag
geltend gemacht, für die Kenntnis im Sinne des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW ein
Kennenmüssen ausreicht, war dies hier jedenfalls schon aus den vorstehenden
Gründen vor Bekanntwerden des Zulassungsbeschlusses nicht zu bejahen. Im Übrigen
erschließt sich dem Senat nicht, welcher Zusammenhang insoweit zu der im
Rücknahmebescheid geäußerten Auffassung des beklagten Landes bestehen soll, der
Klägerin hätte klar sein müssen, dass es sich bei der Einweisung in eine Planstelle A 13
nur um einen Schreibfehler handeln könne.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung und -
änderung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 63 Abs. 3 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG.
Ausgehend von dem klägerischen Antrag ist die wertmäßige Bedeutung der Sache
insgesamt mit der Differenz zwischen der erhaltenen Besoldung nach A 12 und der
erstrebten Besoldung nach A 13 zu bemessen. Zu dem mit dem Klageantrag zu 2. für
die Vergangenheit eingeklagten Betrag ist unter Anwendung der
Teilstatusrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
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BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2009 – 2 C 48/07 -, NVwZ-RR 2010,
127,
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der zweifache Jahresbetrag der Differenz zwischen diesen beiden Besoldungsgruppen
hinzuzurechnen.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des
Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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