Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.06.2006

OVG NRW: aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, vergleich, flughafen, beschränkung, interessenabwägung, zahl, start, kündigung, anfechtungsklage

Oberverwaltungsgericht NRW, 20 B 2165/05.AK
Datum:
26.06.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 B 2165/05.AK
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die
Änderungsgenehmigung des Antragsgegners vom 9. November 2005
wird insoweit wieder hergestellt, als es um die Erhöhung des
Koordinierungseckwertes für diejenigen 56 Wochenstunden geht, in
denen zunächst nur 40 Slots zugelassen sind. Im Übrigen wird der
Antrag abgelehnt.
Von den Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen trägt die Antragstellerin 4/5; der
Antragsgegner sowie die Beigeladene tragen jeweils 1/5 ihrer eigenen
außergerichtlichen Kosten und jeweils 1/10 der Kosten im Übrigen.
Der Streitwert beträgt 30.000,- EUR.
G r ü n d e
1
Die Antragstellerin, eine Stadt in der Umgebung des Düsseldorfer Flughafens, wendet
sich gegen eine Änderung der Betriebsgenehmigung für den Flughafen. Der Flughafen
verfügt gemäß dem Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahre 1983 über zwei parallele
Start- und Landebahnen, die aber nur eine wechselseitig abhängige Nutzung erlauben.
Aufgrund des Planfeststellungsbeschlusses wurde die 1976 erteilte
Betriebsgenehmigung angepasst. Sie ist mitgeprägt von einer im Ansatz auf einen
Vergleich der Beigeladenen mit umliegenden Gemeinden, darunter solchen, deren
Rechtsnachfolgerin die Antragstellerin im Rahmen der kommunalen Gebietsreform
geworden ist, und unter Beteiligung des Antragsgegners (Angerland- Vergleich)
zurückgehenden Beschränkung der Nutzung des Bahnsystems, um der Besorgnis einer
nachhaltigen Verkehrszunahme über das frühere Einbahnsystem hinaus zu begegnen.
Nach zwischenzeitlichen, zum Teil nicht in Bestandskraft erwachsenen
Änderungsbescheiden gestaltete der Antragsgegner die im Weiteren wesentlichen
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Regelungen der Genehmigung durch Bescheid vom 21. September 2000 um. Auf der
Grundlage der Änderungen dieses Bescheides, der mit Rechtskraft des Urteils des
Senats vom 10. Dezember 2004 (20 D 134/00.AK u. a.) infolge des die
Nichtzulassungsbeschwerden zurückweisenden Beschlusses des
Bundesverwaltungsgerichts bestandskräftig wurde, gilt gemäß III.5 Satz 1 für die später
errichtete Nordbahn eine Nutzungsbeschränkung auf Zeiten der Betriebsunterbrechung
auf der Südbahn, der Hauptstart- und -landebahn, und auf Zeiten des Spitzenverkehrs
über Tage. Die Zeiten des Spitzenverkehrs definiert Satz 2 so: "wenn für Luftfahrzeuge
im Luftraum oder am Boden Wartezeiten bestehen". Nummer III.6. bestimmt für beide
Bahnen eine Kapazitätsbeschränkung auf die Endkapazität der Südbahn; eine
entsprechende zahlenmäßige Vorgabe für Flugbewegungen in den sechs
verkehrsreichsten Monaten eines Jahres ist anders als zuvor nicht mehr enthalten,
jedoch wurde von gut 122.000 möglichen Bewegungen ausgegangen. Die für den
Linien- und Charterverkehr vorgesehenen Koordinierungseckwerte, die zuvor für die
Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr für sechs Stunden auf 34 Slots und im Übrigen auf 30 pro
Stunde festgelegt waren, sind gemäß einer Erweiterungsstufe ab Sommer 2001 auf 38
Slots von 6.00 bis 21.00 Uhr, 35 von 21.00 bis 22.00 Uhr und 15 (Winter) bzw. 25
(Sommer) Landungen zwischen 22.00 und 23.00 Uhr festgesetzt. Daneben können
noch bis zu zwei Flüge stündlich koordiniert werden. Unter III.9 sind Schutzgebiete
ausgewiesen, in denen die Beigeladene den Betroffenen Ausgleichsleistungen
schuldet.
Unter dem 13. Oktober 2004 beantragte die Beigeladene eine weitere Änderung der
Betriebsgenehmigung. Der Antrag umfasst die Streichung der Definition der
Spitzenzeiten in III.5 Satz 2, zielt auf die Zulassung von 131.000 Flugbewegungen in
den sechs verkehrsreichsten Monaten eines Jahres und konkretisierend auf 45 Slots für
Flugbewegungen pro Stunde von 6.00 bis 22.00 Uhr und 45 für Landungen zwischen
22.00 und 23.00 Uhr sowie eine Erhöhung um zwei für 8 Stunden am Tag, wobei
letzteres auf Spitzenverkehr bezogen ist und wegen der bei 45 Flugbewegungen als
erschöpft betrachteten Möglichkeit der Südbahn zur Mitbenutzung der Nordbahn soll
führen können. Zu dem Antrag wurde neben anderen die Antragstellerin gehört, ferner
fand eine öffentliche Auslegung statt. Die Antragstellerin wandte sich entschieden
gegen das Antragsvorhaben.
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Unter dem 9. November 2005 erließ der Antragsgegner die nunmehr streitige
Änderungsgenehmigung. Unter Ablehnung weitergehenden Begehrens der
Beigeladenen wurde verfügt: Zeiten des Spitzenverkehrs sind höchstens 50 % der
Betriebszeit des Flughafens (III.5 Satz 2). Die Anzahl der auf den Bahnen zulässigen
Flugbewegungen in den sechs verkehrsreichsten Monaten eines Jahres wird auf
131.000 beschränkt, wovon 122.176 dem Linien- und Charterverkehr zugewiesen sind
(III.6.1). Die Zahl der Slots im Linien- und Charterverkehr wird für 56 Tagesstunden pro
Woche auf 45 und für die weiteren 56 auf 40 festgesetzt, wobei für die letztgenannten
Zeiten eine Erhöhung auf 45 zugelassen ist, wenn der Nachweis einer entsprechenden
Leistungsfähigkeit der Südbahn erbracht wird (III.6.2). Die Mitbenutzung der
Parallelbahn zwischen 21.00 und 22.00 Uhr sowie die wöchentliche Mitteilung der
Stunden der Nichtinanspruchnahme der Nordbahn sind vorgeschrieben (III.6.3). Für die
Zeit zwischen 22.00 und 23.00 Uhr ist die zulässige Anzahl koordinierter Landungen auf
36 beschränkt (III.6.4). In den Zeitstunden, für die 45 Slots zugelassen sind, ist die
zusätzliche Koordinierung von zwei Flugbewegungen erlaubt, jedoch maximal für 8
Zeitstunden pro Tag. In der übrigen Zeit müssen sich eventuelle zusätzliche Flüge im
Rahmen der 40 Flugbewegungen halten (III.6.5). Unter III.6.6 sind der Beigeladenen
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verschiedene Verpflichtungen auferlegt, damit die Umsetzung der im Einzelnen
getroffenen Betriebsregelungen nachgehalten werden kann. Im Weiteren sind noch die
Schutz- und Ausgleichsregelungen für die Flughafenumgebung unter III.9 der
Genehmigung geändert worden.
Gegen den Bescheid vom 9. November 2005 hat die Antragstellerin Anfechtungsklage
erhoben. Im vorliegenden Verfahren beantragt sie,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom
9. November 2005 wiederherzustellen.
6
Der Antragsgegner und die Beigeladene treten dem Begehren entgegen.
7
II.
8
Der Antrag ist zulässig.
9
Im Rahmen der im Verfahren gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO nach erfolgter und
mit hinreichender Begründung versehener - wovon hier noch auszugehen ist -
Anordnung der sofortigen Vollziehung gebotenen Interessenabwägung wird dem
Begehren der Antragstellerin nur zu einem geringen Teil entsprochen. Im Übrigen bleibt
das Begehren erfolglos, weil sich das Gewicht der durch den zugelassenen
zusätzlichen Betrieb drohenden Beeinträchtigungen nicht gegen den Vorteil der
betrieblichen Erleichterungen und der erweiterten Nutzungsmöglichkeit des Flughafens
durchsetzen kann.
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Das Gericht belässt es vorliegend bei einer eher allgemeinen Interessenabwägung, weil
der streitige Bescheid des Antragsgegners nicht offensichtlich so mängelbehaftet ist,
dass sicher mit seiner Aufhebung im Klageverfahren zu rechnen ist, er sich allerdings
auch nicht als von vornherein zweifelsfrei darstellt. Über die Offensichtlichkeit hinaus
der Frage der Rechtmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit der Änderung der
Betriebsgenehmigung nachzugehen, ist nicht veranlasst. Denn es spricht nichts für
verbleibende Beeinträchtigungen der Antragstellerin im Falle eines vollen Erfolgs in der
Hauptsache nach vorheriger weitgehender Nutzung der erweiterten Flugmöglichkeiten
noch für durchgreifende und nachwirkende Beeinträchtigungen der Beigeladenen
aufgrund der aus dem Tenor ersichtlichen Beschränkung der Ausnutzbarkeit. Ob die
Änderungsgenehmigung auf die Klage der Antragstellerin hin Bestand haben wird oder
nicht, kann derzeit nicht beantwortet werden, obwohl ein wesentlicher Teil der
Beanstandungen der Antragstellerin dem Aufhebungsbegehren nicht zum Erfolg
verhelfen kann und in vielen Punkten in der Rechtsprechung des Senats bereits
behandelt und als nicht durchgreifend erachtet worden ist - ohne dass die
Antragstellerin insofern nunmehr neue Aspekte bringt, die eine abweichende
Betrachtung, zumal im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, auch nur
erwägenswert erscheinen lassen könnten. Das Gericht nimmt deshalb vorab Bezug auf
das Senatsurteil vom 10. Dezember 2004 - 20 D 134/00.AK u. a. -, das auch die
Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die vorangegangene
Änderungsgenehmigung vom 21. September 2000 betrifft, sowie auf den zugehörigen
Beschluss vom 24. Mai 2002 - 20 B 1632/00.AK -.
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Als für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes relevante und
näherer Betrachtung werte Aspekte verbleiben nur die Auswirkungen der Erweiterung
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des zulässigen Flugbetriebs auf gemeindliche Einrichtungen und die vertraglichen
Rechte aus dem Angerland-Vergleich; hinsichtlich der für klagende Kommunen
regelmäßig auch relevanten Planungshoheit sei hier nochmals auf die
landesplanerische Vorentscheidung, der die Antragstellerin Rechnung zu tragen hat,
sowie darauf verwiesen, dass es der Antragstellerin weiterhin nicht gelungen ist - und
bei verantwortungsvollem Vorgehen in ihrer Planung auch nicht gelingen kann -,
insofern eine Beeinträchtigung auch nur darzutun. In Bezug auf die Intensivierung des
Flugverkehrs gewinnen im vorliegenden Verfahren - auch aus der Sicht der
Antragstellerin - in rechtlicher Hinsicht die Frage einer Bindung an den
Planfeststellungsbeschluss vom 16. Dezember 1983 hinsichtlich der Einbahnkapazität
und in faktischer Hinsicht vor allem der Lärmaspekt Gewicht. In Bezug auf den
Angerland-Vergleich steht der Umfang der Mitbenutzung der Nordbahn in Rede, die
vom Verständnis von "Zeiten des Spitzenverkehrs" abhängt.
Der Planfeststellungsbeschluss vom 16. Dezember 1983 enthält - wie hier nochmals
betont sei - keine Schranke, gegen die der streitige Bescheid verstoßen könnte. Das
Zusammentreffen der Zulassung des Baus der Nordbahn mit Regelungen der Nutzung
des Flughafens in einem Bescheid ändert nichts an der grundsätzlichen Trennung
zwischen Errichtung und Nutzung sowie der Zuweisung der einen zur Planfeststellung
und der anderen zur Betriebsgenehmigung, vgl. § 6 Abs. 1 und 4 sowie § 8 Abs. 1 und 4
LuftVG. Der Umfang, in dem eine Infrastruktureinrichtung zur Nutzung zur Verfügung
gestellt wird, bestimmt sich bei Flughäfen nach der Betriebsgenehmigung und unterliegt
den grundsätzlich anerkannten Änderungsmöglichkeiten von Bescheiden. Denn für eine
prinzipielle Unabänderlichkeit einer solchen Regelung spricht nichts, insbesondere gibt
es auch keine Aussagen im Planfeststellungsbeschluss, die auf eine ein für allemal
abschließende Regelung des Betriebsumfangs hindeuten könnten. Es kann nur darum
gehen, ob die Änderung bezogen auf den Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens und
angesichts auch der Erwägungen, die zu der bisherigen Regelung geführt hatten, den
Anforderungen an eine bezogen auf die Rechte und Belange der Umgebung fehlerfreie
Abwägung genügt. Dabei sind Funktion und Gewichtung, die betrieblichen Regelungen
in der früheren Abwägung der beteiligten Interessen zugewiesen wurden, im Blick zu
behalten und auf ihre Fortdauer oder ein Überholtsein, auf einen Bedeutungswandel
und auf eventuelle Ersetzungsmöglichkeiten hin zu prüfen.
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Von diesem Ansatz her ergeben sich aus den Einwänden gegen die
Kapazitätsermittlung für die Festlegung der Zahl der zulässigen Flugbewegungen und
für die Slotvergabe keine für einen weitgreifenden Erfolg im Hauptsacheverfahren
sprechenden Hinweise. Die Einbahnkapazität ist seit der Schaffung der Nordbahn ein
fester Angelpunkt für die Betriebsregelung, der allerdings dem Antragsgegner nicht
zwingend - insbesondere nicht durch den Angerland-Vergleich ,
14
vgl. dazu das oben genannte Urteil des Senats vom 10. Dezember 2004 , S. 27 -
15
vorgegeben ist, sondern einer Vorstellung vom angemessenen Interessenausgleich
entsprach. Theoretisch sind daher ein Wechsel der Vorstellung und Einschätzung -
gegebenenfalls bis hin zur Aufgabe des Kriteriums - und eine Veränderung des
Verständnisses der Einbahnkapazität denkbar, ohne schon im Ansatz durchgreifenden
rechtlichen Bedenken zu begegnen. Dazu sei etwa auf die in Bezug genommenen
Beurteilungszeiträume hingewiesen, die bei langer Dauer wie einem Sechs-Monats-
Zeitraum wesentlich andere Möglichkeiten eröffnen als etwa bei der Orientierung an
einer einzelnen Stunde. Ob und gegebenenfalls welche Gründe für eine Aufgabe des
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Einbahnkriteriums tragend sein könnten, sei dahingestellt. Denn der Antragsgegner hat
die bisherige Grundausrichtung in der streitigen Änderungsgenehmigung nicht
verlassen. Der Senat hat schon zur Regelung im Planfeststellungsbeschluss aus dem
Jahre 1983 ausgeführt, dass es mit dem vom Antragsgegner verwandten Begriff
durchaus vereinbar ist, sich an dem zu orientieren, was bei hoher Nachfrage und
entsprechendem Bemühen um die Befriedigung des an den Flughafen herangetragenen
Bedarfs zu bewältigen ist, zumal es wegen der Möglichkeit der Mitbenutzung der
Nordbahn in Zeiten des Spitzenverkehrs möglich ist, sich ergebende Zuspitzungen
aufzufangen, also keine zwingende Notwendigkeit besteht, jederzeit eine gewisse
Reserve für Unregelmäßigkeiten im Fluggeschehen vorzuhalten.
Vgl. schon Urteil des Senats vom 28. April 1989 - 20 A 1853/87 -, Seite 57.
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Danach erscheinen die im Raum stehenden Zahlen für den 6-Monats-Zeitraum, aber -
trotz der Bedenken des Antragsgegners, die zu einer teilweisen Ablehnung des Antrags
geführt haben - auch für Kurzzeiträume nicht so unvertretbar, dass eine Aufgabe des
Kriteriums der Einbahnkapazität zu mutmaßen wäre. Denn die Zahlen sind aus
Erkenntnissen von Modellrechnungen und Simulationen gefolgert und in einer
vergleichenden Betrachtung des Flughafens Stuttgart, der über ein Einbahnsystem
verfügt, auf Faktenbasis kontrolliert worden (GfL, Erläuternde Stellungnahme vom 6.
November 2005). Auch die antragstellerseitig angesprochenen Sicherheitsaspekte
erfordern keine nähere Befassung mit der Grenze dessen, was allein auf der Südbahn
(Hauptstart- und -landebahn) abzuwickeln wäre, und erlangen auch sonst in der
Interessenabwägung zur Ausnutzbarkeit der Änderungsgenehmigung kein Gewicht. Die
eingeräumte Anzahl an Slots umreißt den Rahmen, in dem Flugbewegungen
abgewickelt werden dürfen; dass dieser Rahmen nicht von den allgemeinen
Sicherheitserfordernissen suspendiert, ist selbstverständlich. Ob und wann genau ein
Start oder eine Landung tatsächlich stattfindet, hängt, auch wenn ein Slot zugeteilt ist,
von Faktoren ab, die vorrangig durch Aspekte der Flugsicherheit bestimmt werden, über
die die Piloten und vor allem die Flugsicherung befinden. Es hieße, verschiedenen
Personen eine grobe Verantwortungslosigkeit zu unterstellen, wenn zugrunde gelegt
wird, es könne allein wegen der Stundeneckwerte bei der Slotvergabe zu einer kritisch
engen Abfolge von Flugbewegungen kommen.
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Die von der Antragstellerin behaupteten logischen Brüche in der Festlegung von Zahlen
in Bezug auf die Einbahnkapazität erschließen sich nicht recht und leiten sich letztlich
wohl auch eher von einer bestimmten Grenzziehung ab, die als vorgegeben betrachtet
wird.
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Hinsichtlich der Lärmwirkungen ist ein im Klage- wie im vorliegenden Verfahren allein
erhebliches eigenes Interesse der Antragstellerin mit möglicher Ergebnisrelevanz für die
Nacht nicht und für den Tag allenfalls eingeschränkt festzustellen. Die Funktion der
angeführten gemeindlichen Einrichtungen im Einwirkungsbereich der Veränderung der
Lärmauswirkungen - Schulen, Kindergärten sowie Tagesstätten für Kinder und Alte,
aber auch ein Friedhof - wird tagsüber erfüllt und von der zugelassenen Steigerung des
Verkehrs in der ersten Nachtstunde nicht berührt (vgl. zu diesem Regelungsbereich in
Bezug auf Private: Beschluss des Senats vom heutigen Tage im Verfahren - 20 B
156/06.AK -). Da vorliegend eine Situationsveränderung infolge einer erweiterten
Nutzung des Flughafens in Rede steht, sind schwergewichtig die Differenzen der
Lärmentwicklung zu betrachten, die von gerügten Mängeln der Lärmermittlung nicht
entscheidend geprägt sein dürften. Dass es zu Lärmbelastungen kommen könnte, die
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selbst unter Berücksichtigung von bestehenden Schutz- und
Entschädigungsansprüchen abwägend nicht mehr, zumindest nicht mehr ohne weiteren
Ausgleich zuzumuten wären, ist nicht wahrscheinlich.
Bezogen auf den Taglärm sind im Rahmen der Interessenabwägung die Unterschiede
als eher gering einzuschätzen; es dürfte von Differenzen zwischen dem Gegenwärtigen
und dem bei 131.000 Flugbewegungen zu Erwartenden um etwa 1 dB(A) auszugehen
sein. Das Gericht stützt sich insofern auf die für die einzelnen Einrichtungen der
Antragstellerin zusammengetragenen Angaben der Beigeladenen in ihrem Schriftsatz
vom 28. April 2006. Diese leuchten angesichts des Umfangs der Verkehrsverdichtung
und gerade vor dem Hintergrund der auch in den Konturen in den Karten zur streitigen
Änderungsgenehmigung zum Ausdruck kommenden Erkenntnisse der Lärmgutachter
hinreichend ein. Daran zu zweifeln, dass sie aus den Begutachtungen abzuleiten sind
und zutreffend abgeleitet wurden, besteht auch angesichts des Antragsvorbringens kein
Anlass. Der äquivalente Dauerschallpegel, in den Anzahl und Stärke der einzelnen
Lärmereignisse eingehen, bringt nach bisheriger Überzeugung des Gerichts auch für
den Flughafen der Beigeladenen die Belästigung und Beeinträchtigung durch den
Luftverkehr verwertbar zum Ausdruck. Der geringe Umfang der für die höchst zulässige
Inanspruchnahme des Flughafens erwarteten Veränderung deutet auf eine eher geringe
spürbare Auswirkung auf die Umgebung hin, wenngleich bei einem äquivalenten
Dauerschallpegel nicht von einer Relevanzschwelle für die
Differenzierungsmöglichkeiten des menschlichen Gehörs wie bei einem
Einzelschallereignis auszugehen ist. Dass die für Maximalstunden (38 + 2 / 45 + 2)
künftig möglichen zusätzlichen Ereignisse unter Berücksichtigung der Aufteilung auf
Start und Landung tatsächlich eine eigenständig wahrzunehmende gewichtige
Situationsveränderung bringen, leuchtet nicht ohne Weiteres ein. Das alles bedeutet
aber nicht, dass die Antragstellerin gegenüber der der Beigeladenen eingeräumten
zusätzlichen Nutzungsmöglichkeit nichts in die Waagschale zu werfen hätte. Vielmehr
bleiben jedenfalls das Faktum einer Zusatzbelastung und eine schon kritische
Anspannung des Kriteriums der Einbahnkapazität, dem wie in der Rechtsprechung des
Senats geklärt -
21
vgl. Beschluss zur Änderungsgenehmigung vom
22
21. September 2000, vom 24. Mai 2002 - 20 B
23
1632/00.AK. -, Seite 10 m.w.N. -
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eine drittschützende Lärmbegrenzungsfunktion zugewiesen ist.
25
Die Frage, ob vor diesem Hintergrund von einem angemessenen Interessenausgleich
ausgegangen werden kann, ist im vorliegenden Verfahren mit Eindeutigkeit weder zu
Gunsten der Antragstellerin zu verneinen noch - selbst bei Einstellen öffentlicher
Belange - zu Gunsten der Beigeladenen zu bejahen.
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Auf der einen Seite ist nicht zweifelhaft, dass eine Nachfrage bei der Beigeladenen
besteht, der sie - gerade was bestimmte Tageszeiträume angeht - nicht voll
nachkommen kann, obwohl sie annimmt, nach der Ausstattung ihres Flughafens dazu in
der Lage zu sein, und die entsprechenden wirtschaftlichen Vorteile wahrnehmen
möchte. Die Annahme einer realistischen Chance der Beigeladenen, die durch den
streitigen Bescheid erweiterten Möglichkeiten nutzen zu können, liegt auch dem
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Begehren der Antragstellerin zugrunde. Dass sich in dem Grad der Nutzung des
Flughafens durch Luftfahrtunternehmen auch ein Interesse der Bevölkerung im
Einzugsgebiet des Flughafens widerspiegelt, bedarf keiner Erläuterung. Diesen
Aspekten kann nicht jede Bedeutung abgesprochen werden. Zwar mag der Flughafen
auch ohne die zusätzlichen Einnahmen existieren können und können potenzielle
Fluggäste zum Teil auf andere Verkehrsmittel oder andere Flughäfen ausweichen oder
von bestimmten Reisen Abstand nehmen, im Rahmen der Bewertung eines
Nachbarschaftsverhältnisses begegnet eine solche Kontrolle und Wertung der
wirtschaftlichen Betätigung und der freien Entscheidung der Bürger in der Mobilität
allerdings erheblichen Bedenken, wenn ihnen ohne Hinzunahme weiterer und
gewichtiger Aspekte Durchschlagskraft zugebilligt wird. Ebenso gilt umgekehrt, etwa für
das Arbeitsplatzargument, mit dem vor allem auch ein öffentliches Interesse untermauert
werden soll, dass es im Luftverkehr wie auch in anderen Wirtschaftsbereichen nicht
pauschal geeignet ist, sich bei gegenläufigen Belangen durchzusetzen; im Übrigen
bedürften die diesbezüglichen Behauptungen auch in tatsächlicher Hinsicht ggf. noch
der Prüfung. Ob die weiteren Regelungen, die der Antragsgegner unter Nummer III.9 als
Beitrag zum Interessenausgleich geschaffen hat, soweit sie sich nicht speziell auf den
Nachtflug beziehen, angesichts der Ausklammerung jeglicher betriebsbezogener
Ansätze für eine Begünstigung der Umgebung Anerkennens- und Nennenswertes
bringen, bedarf ebenfalls weiterer Untersuchungen.
Auf der anderen Seite ist ebenfalls nicht zweifelhaft, dass Teile des Gemeindegebietes
und eigene Einrichtungen der Antragstellerin schon erheblichen Auswirkungen des
Luftverkehrs von der Anlage der Beigeladenen her ausgesetzt sind und die
Antragstellerin schon von daher eine genaue Beachtung und Abwägung jeglicher
weiterer Verschlechterung der Situation erwarten kann. Ein weitergreifendes Vertrauen
im Sinne einer absoluten Nichtverschlechterung kann jedoch vorbehaltlich des
Aussagegehaltes des Angerland-Vergleichs auf keine taugliche Grundlage bezogen
werden. Anders gerichtete Anhaltspunkte sind nicht aufgezeigt und dürften angesichts
der aus allgemein zugänglichen Quellen seit der Planfeststellung ersichtlichen
Bemühungen der Beigeladenen, sich von als zu eng empfundenen Beschränkungen zu
befreien, die bis hin zu einer Kündigung des Angerland- Vergleichs geführt haben,
sowie der politischen Behandlung und Bewertung des Luftverkehrs in Nordrhein-
Westfalen, ferner nicht zuletzt angesichts der weit gezogenen Lärmkonturen im
Landesentwicklungsplan auch nicht zu finden sein.
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Für die Antragstellerin ist allerdings in Bezug auf die Tageszeit zudem zu
berücksichtigen, dass sie aufgrund des Angerland-Vergleichs eine Beschränkung der
Nutzung der Nordbahn auf Zeiten des Spitzenverkehrs beanspruchen kann. Dass die
Mitbenutzung der Nordbahn nicht lärmneutral sein muss und kann, ist geklärt. Der Senat
hat schon in seinem oben benannten Urteil vom 28. April 1989 betreffend den
Planfeststellungsbeschluss darauf hingewiesen, dass das Ziel gerade dahingeht, in der
Spitzenzeit mehr an Flugbewegungen zu bewältigen als bei einer Bahn möglich ist.
Andererseits aber ist die Lärmwirkung bei der Betrachtung von langen Zeiträumen und
Einhaltung der vom Antragsgegner postulierten Beschränkung auf den möglichen
Verkehr im Einbahnbetrieb - insbesondere bezogen auf den 6- Monats-Zeitraum -
letztlich auf die mit der Nutzung der Nordbahn verbundene seitliche Erstreckung des
Lärmgeschehens begrenzt. Da die Antragstellerin aber aufgrund des Vertrags verlangen
kann, dass ein Kapazitätsgewinn durch die Mitbenutzung der Nordbahn nicht
durchgehend, sondern nur in Zeiten des Spitzenverkehrs stattfindet, gewinnt die
vergleichsvertragliche Bindung ihre eigentliche - eigenständige und entscheidend
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wichtige - Bedeutung vor allem in dem Fall, dass die durch den Vertrag Gebundenen -
Beigeladene und Antragsgegner - unter vollständiger oder teilweiser Lösung von dem
Kriterium der Einbahnkapazität so viele Flugbewegungen durchführen wollen, wie beide
Bahnen unter Berücksichtigung ihres Abstandes zusammen zulassen. Eine solche
Situation ist derzeit zwar nicht gegeben, weil der Antragsgegner - wie oben ausgeführt -
an dem Einbahnkriterium festhält, aber dessen ungeachtet ist der bestehende
vertragliche Anspruch der Antragstellerin vorliegend nicht ohne Bedeutung. Denn die
Beschränkung der Mitbenutzung der Nordbahn auf Zeiten des Spitzenverkehrs kann
auch bezogen werden auf Lärmwirkungen in kürzeren Zeiträumen als den sechs
Monaten, für die die Gesamtzahl der Flugbewegungen festgelegt ist, und hier einen
Rhythmus von stärker und weniger stark belasteten Zeiten vorgeben. Der
Antragsgegner hat dies aufgegriffen, indem er trotz Zweifeln an den gutachterlich
gestützten Angaben der Beigeladenen über die Stundenkapazität der Südbahn die von
der Beigeladenen genannte Zahl für 56 Wochenstunden auf der Grundlage akzeptiert
hat, dass hier die Nordbahn wegen gegebenen Spitzenverkehrs mitgenutzt werden
dürfe. Für die verbleibenden Wochenstunden tagsüber sind vom Antragsgegner gestützt
vor allem auf frühere gutachterliche Aussagen weniger Flugbewegungen zugelassen
worden, sodass damit jedenfalls auch ein Unterschied der Verkehrsmenge mit und ohne
Nutzung der Nordbahn zugrunde gelegt ist. Ob und welche Annahmen zur stündlichen
Kapazität zutreffen, ab welcher Zahl und bei welcher Zusammensetzung der
Flugbewegungen die Nordbahn zur Vermeidung von Verzögerungen welcher
Größenordnung einzubeziehen ist, ist freilich zwischen den Verfahrensbeteiligten
ungeklärt und wegen der - bei der erstmaligen Einführung in die Genehmigungspraxis
für den Flughafen der Beigeladenen wohl nicht voll erkannten - Offenheit des Begriffs
der Einbahnkapazität für unterschiedliche Ansätze von den Zeiträumen bis zu den
verkehrlichen Rahmenbedingungen hin kompliziert. Hinzu kommt, dass die
Einbahnkapazität kein abstrakt-objektives Kriterium ist, sondern ein vom Antragsgegner
eingeführtes Element mit Bedeutung für seine abwägende Entscheidung über die
Zumutbarkeit von Fluglärm vor dem Hintergrund der nicht zuletzt auch durch den
Angerland-Vergleich anerkannten Besonderheiten infolge der Nähe des Flughafens der
Beigeladenen zu Siedlungsgebieten. Insofern kommt dem Antragsgegner maßgebliches
Gewicht in der Bestimmung des Gehaltes des Begriffs der Einbahnkapazität zu, das
freilich zur Vermeidung von Abwägungsmängeln und Irreführung eine Grenze an den
allgemeinen Auslegungskriterien findet.
Wird die Einbahnkapazität in Verbindung zur Mitbenutzung der Nordbahn und damit zu
Zeiten des Spitzenverkehrs gesetzt, ist im Hinblick auf die Antragstellerin zu beachten,
dass über Erwägungen zur Kapazität nicht das Kriterium des Spitzenverkehrs aus dem
Angerland-Vergleich unterlaufen wird. Eine diesbezügliche Besorgnis der
Antragstellerin ist insbesondere deshalb nicht von der Hand zu weisen, weil die
Beigeladene - insofern vom Antragsgegner argumentativ unterstützt - gegenüber der
Antragstellerin eine rechtlich verfehlte Kündigung des Vertrages ausgesprochen hatte
(vgl. Urteil des Senats vom 5. September 2002 - 20 D 53/99.AK -) und nicht bekannt
geworden ist, dass die seitens des Gerichtes aufgezeigte verbleibende Möglichkeit, im
Verhandlungswege zu anderen Regelungen zu kommen, ernsthaft versucht worden ist.
Dass mit dem vorliegend streitigen Bescheid zugleich eine Änderung der
Vergleichsregelungen verfolgt würde, die im Hauptsacheverfahren mit zu klären wäre
(vgl. zu diesem Weg das Urteil des Senats vom 5. September 2002 - 20 D 145/97.AK -),
ist auszuschließen, da die Beigeladene und der Antragsgegner vorliegend von einer
Beachtung der Vorgaben des Vergleichs ausgehen.
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Auf die Regelungen zur Mitbenutzung der Nordbahn ist nach alldem besonders Bedacht
zu nehmen. Während die bisherige Umschreibung des Spitzenverkehrs über Elemente
des konkreten, tatsächlichen Verkehrsgeschehens keinen Bedenken begegnet, leuchtet
die neu eingeführte hälftige Aufteilung der Wochenstunden nicht recht ein. Die zugrunde
liegenden Annahmen über besondere Charakteristika des Verkehrs, die ihn zum
Spitzenverkehr machen sollen, bedürfen vor allem im Hinblick darauf näherer
Untersuchung, dass sie sich über die Hälfte der Betriebszeit tagsüber beziehen sollen
und deshalb fraglich ist, ob so weitreichende Umstände nicht eher die Normal- als die
Spitzenzeiten am Flughafen der Beigeladenen prägen (vgl. dazu das schon genannte
Urteil des Senats vom 10. Dezember 2004, Seite 64).
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Die zuletzt angesprochenen Fragen betreffen die Antragstellerin unmittelbar faktisch
und damit in Bezug auf die für die Interessenabwägung im vorliegenden Verfahren
relevanten Umstände allenfalls in geringem Umfang im Rahmen der oben
angesprochenen Lärmwirkungen auf die kommunalen Einrichtungen während der
Tageszeit. Im Übrigen betreffen sie eher die prinzipiellen Beziehungen aus dem
vergleichsweise geregelten Nachbarschaftsverhältnis Antragstellerin/Beigeladene.
Angesichts des - jedenfalls bei zeitlich weiträumigerer Betrachtung - relativ geringen
Grades der Veränderung der Lärmsituation tagsüber ist es nach Einschätzung des
Gerichts angebracht, es zugunsten der Beigeladenen und der Flughafenbenutzer - also
der Flugunternehmen wie auch der Flugreisenden - bei der Ausnutzbarkeit der
erweiterten Flugmöglichkeiten jedenfalls insoweit zu belassen, wie es um die
Koordinierung von 45 Slots in der einen Hälfte der Wochenstunden geht. Die im
streitigen Bescheid vorbehaltene Erhöhung auch für die andere Hälfte der
Wochenstunden zu nutzen, ist hingegen nicht angebracht, weil zum einen es bedenklich
ist, eine solche Möglichkeit gewissermaßen intern, also ohne dass die Antragstellerin,
die immerhin in einer vertraglichen Sonderbeziehung zur Beigeladenen steht, Kenntnis
von den vorgelegten Nachweisen erhält, abzuwickeln und zum anderen dabei das
gesamte Vorstellungsgefüge von Normal- und Spitzenverkehr und damit die Grundlage
für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Mitbenutzung der Nordbahn infrage gestellt ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 3, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 1, §
162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, §
52 Abs. 1 GKG.
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