Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.05.2005

OVG NRW: krasses missverhältnis, ausschuss, fraktion, plenum, minderheit, anteil, verfassungsgerichtsbarkeit, stimmrecht, zivilprozessordnung, ermessen

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 B 673/05
Datum:
27.05.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 B 673/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 L 150/05
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,-- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der
Antragstellerin,
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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der
Antragstellerin in sämtlichen Ausschüssen einen ordentlichen Ausschusssitz mit
Stimmrecht zuzuteilen,
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zu Recht abgelehnt. Auch der im Beschwerdeverfahren gestellte Hilfsantrag,
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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Anzahl
der Ausschusssitze von 11 bzw. von 12 Ausschusssitzen auf 16 Ausschusssitze zu
erhöhen, sodass jede Fraktion mit einem stimmberechtigten Ausschussmitglied in den
Ausschüssen vertreten sein kann,
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bleibt ohne Erfolg. Der Rechtsschutzantrag erweist sich unter Zugrundelegung der allein
maßgeblichen im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - als unbegründet. Ein Anordnungsanspruch ist
nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung).
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Der in erster Linie geltend gemachte Anordnungsanspruch ist auf die Verpflichtung des
Antragsgegners gerichtet, in jeden Ausschuss ein stimmberechtigtes Ausschussmitglied
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für die Antragstellerin zu wählen. Diesen Anspruch hat die Antragstellerin nach der
geltenden Gesetzeslage nicht. Nach § 50 Abs. 3 Satz 2 bis 4 der Gemeindeordnung für
das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) wird, wenn - wie hier - die Ratsmitglieder sich
zur Besetzung der Ausschüsse nicht auf einen einheitlichen Wahlvorschlag geeinigt
haben, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in einem Wahlgang über
Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen des Rates nach dem d'Hondt'schen
Höchstzahlverfahren abgestimmt. Das ist hier geschehen mit dem Ergebnis, dass die
Wahlvorschläge der Antragstellerin mit jeweils zwei Stimmen nicht zum Zuge kamen.
Der Antragstellerin steht damit nach dem Gesetz allein ein - unbestrittener und bereits
erfüllter - Anspruch nach § 58 Abs. 1 Satz 7 bis 10 GO NRW zu, für jeden Ausschuss ein
Ratsmitglied oder einen sachkundigen Bürger mit beratender Stimme benennen zu
dürfen.
Soweit die Antragstellerin geltend macht, die genannte gesetzliche Regelung verstoße
gegen das Demokratieprinzip (für die Bundesrepublik Deutschland Art. 20 Abs. 1 und 2
des Grundgesetzes - GG -, über Art. 28 Abs. 1 GG auch für die Länderebene verbindlich;
Art. 2, 3 Abs. 1, 31 der Verfassung des Landes Nordrhein- Westfalen - Verf NRW - für
das Land), vermag dies weder den Erlass einer einstweiligen Anordnung noch eine
Vorlage an die Verfassungsgerichtsbarkeit nach Art. 100 Abs. 1 GG zu begründen.
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Vgl. zu den Voraussetzungen für eine Vorlage an die Verfassungsgerichtsbarkeit im
Rahmen des verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes BVerfG,
Beschluss vom 24. Juni 1992 - 1 BvR 1028/91 -, BVerfGE 86, 382 (389).
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Der Senat hält nämlich die gesetzliche Regelung zur Besetzung der Ratsausschüsse für
verfassungsgemäß. Das Demokratieprinzip gewährleistet neben der Herrschaft der
Mehrheit auch den Schutz der Minderheit. Dieser Schutz umfasst das Recht auf
verfassungsmäßige Bildung und Ausübung der Opposition mit der Möglichkeit der
Minderheit, ihren Standpunkt im Wege gleichberechtigter Mitwirkung aller Abgeordneten
bzw. Ratsmitglieder in den Willensbildungsprozess des Staates bzw. der Kommune
einzubringen. Namentlich für Ausschüsse der repräsentativen
Vertretungskörperschaften gilt, dass wegen der Vorverlagerung der Arbeit vom Plenum
in die Ausschüsse diese grundsätzlich ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in
ihrer Zusammensetzung das in ihm wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum
widerspiegeln müssen, wobei in sachlich begründeten Fällen die Mitgliederzahl eines
Ausschusses so gewählt werden darf, dass nicht jede Fraktion im Ausschuss vertreten
ist.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. März 2004 - 15 A 4168/02 -, NWVBl. 2004, 433 (435)
m.w.N.; zum Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Plenum und Ausschüssen zuletzt
BVerfG, Urteil vom 8. Dezember 2004 - 2 BvE 3/02 -, DVBl. 2005, 185 (186).
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Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Rat und Ausschüssen stützt das Begehren
der Antragstellerin nicht. Nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Verhältniswahlsystem,
das die Spiegelbildlichkeit gerade sicherstellen soll, steht ihr kein Sitz zu. Die
Antragstellerin will mehr Sitze zugeteilt bekommen, als ihr nach ihrer Stärke im Rat auch
bei streng proportionaler Verteilung zustehen (proportionaler Anteil der Antragstellerin
an den Ratsmandaten: 6,25 %; erstrebter Anteil mit einem Sitz in einem 11-köpfigen
Ausschuss: 9,09 %, bei einem 12-köpfigen Ausschuss: 8,33 %).
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Die Antragstellerin begründet ihren Wunsch nach proportionaler Überrepräsentation
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damit, dass die Anwendung eines anderen Verteilungssystems, nämlich statt des
d'Hondt'schen Höchstzahlverfahrens das Proportionalverfahren nach Hare/Niemeyer, zu
einem gerechteren Ergebnis führen und kein krasses Missverhältnis entstehen lassen
würde. Indes verkennt die Antragstellerin, dass kein Wahlsystem die Spiegelbildlichkeit
bei der Ausschussbesetzung in letzter Konsequenz herstellen kann. Insbesondere
werden bei jedem Berechnungsverfahren Fraktionen zwangsläufig teils über-, teils
unterrepräsentiert. Wie die Spiegelbildlichkeit im Detail verwirklicht werden soll, liegt
daher in der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers. Dieser hat hier das
Berechnungsverfahren nach dem d'Hondt'schen Höchstzahlverfahren vorgegeben und
von darüber hinaus gehenden Regelungen abgesehen. Dies ist zulässig.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - 8 C 18.03 -, BVerwGE 119, 305 (311).
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Dabei gibt es auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, die Verteilung der
Ratssitze nach dem Proportionalverfahren nach Hare/Niemeyer, die
Ausschusssitzverteilung auf der Basis der Ratsmandate aber nach dem d'Hondt'schen
Höchstzahlverfahren anzuordnen. Da letzteres tendenziell zu Lasten kleinerer
Gruppierungen wirkt, würde die Antragstellerin bei einer doppelten Anwendung des
d'Hondt'schen Höchstzahlverfahrens sogar eher schlechter dastehen als bei der
gegenwärtigen Regelung.
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Auch für den Hilfsantrag fehlt es an einem Anordnungsanspruch. Es besteht kein
verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein Grundmandat kleinerer Gruppen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 1993 - 7 B 19.93 -, DVBl. 1994, 216.
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Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Erhöhung der Sitzzahl in den Ausschüssen,
sodass jede Fraktion einen Sitz erhält, und zwar auch nicht bei beschließenden
Ausschüssen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 1992 - 7 B 49.92 -, DVBl. 1993, 890 f.
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Dies mag anders sein, wenn die Ausschusssitzzahl missbräuchlich so klein gewählt
wird, dass dadurch gezielt kleine Gruppierungen von einem Sitz ausgeschlossen
werden.
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Vgl. zu dem Gesichtspunkt, dass in sachlich begründeten Fällen für Ausschüsse oder
ähnliche Gremien eine Mitgliederzahl vorgesehen werden kann, die eine
Berücksichtigung aller parlamentarischen Gruppierungen nicht ermöglicht, BVerfG,
Beschluss vom 17. September 1997 - 2 BvE 4/95 -, DVBl. 1998, 90 (91).
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Hier sind Ausschüsse des 32-köpfigen Rates mit 11 oder 12 Mitgliedern gebildet
worden. Das ist unbedenklich, insbesondere besteht kein Anspruch darauf, die
Ausschusszahl auf die Hälfte der Ratsstärke festzusetzen. Die zu wählende Größe in
diesem Rahmen liegt im Ermessen des Rates. Die Einwendungen der Antragstellerin
mögen zulässige Ermessensgesichtspunkte sein, eine höhere Ausschusssitzzahl
festzulegen, sie zwingen den Rat aber nicht dazu.
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Angesichts der Tatsache, dass ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist, bedarf es
keiner weiteren Prüfung, ob ein Anordnungsgrund vorliegt.
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Vgl. zum Anordnungsgrund im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bei einem
Organstreit OVG NRW, Beschluss vom 27. September 2002 - 15 B 855/02 -, NWVBl.
2003, 101 (102).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den
Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 des
Gerichtskostengesetzes. Da die Antragstellerin angesichts der Wahlperiode großenteils
die Vorwegnahme der Hauptsache erstrebt, ist der Ansatz des vollen Streitwerts nach
Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit angezeigt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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