Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.06.2005

OVG NRW: diabetes mellitus, versorgung, gesundheitswesen, amt, behandlung, vorsorge, gemeinde, ausländer, rechtskraft, tod

Oberverwaltungsgericht NRW, 11 A 4518/02.A
Datum:
14.06.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 A 4518/02.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 15 K 7450/01.A
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Hinsichtlich des Prüfungsumfanges weist der Senat zunächst auf Folgendes hin:
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a) Der Zulassungsantrag wurde ausschließlich für die Klägerin, der Klägerin zu 2. im
Verfahren erster Instanz, gestellt. Ausweislich des Schriftsatzes der früheren
Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 27. November 2002 wurde nur "namens und
mit Vollmacht der Klägerin zu 2)" beantragt, "die Berufung ... zuzulassen". Hinsichtlich
der erstinstanzlichen Kläger zu 1. und 2., d. h. des Ehemannes und des Sohnes der
Klägerin, wurde kein Rechtsmittel eingelegt. Insoweit ist das hier teilweise angefochtene
Urteil rechtskräftig.
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b) Des Weiteren wendet sich der Zulassungsantrag der Klägerin gegen das
erstinstanzliche Urteil nur "soweit es das Vorliegen von Abschiebungshindernissen
gemäß § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG betrifft". Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist daher
auch insoweit rechtskräftig geworden, als die in erster Instanz weitergehenden
Klageanträge der Klägerin abgewiesen worden sind. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG a. F. ist
auf Grund des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes
aufgehoben worden. An seine Stelle ist § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG getreten. Nach der
im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats maßgeblichen Sach- und
Rechtslage (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AsylVfG) ist somit nur Gegenstand der
Prüfung, ob in Bezug auf dieses Abschiebungshindernis ein Zulassungsgrund geltend
gemacht und gegeben ist.
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2. Die Klägerin beruft sich zur Begründung ihres Antrages allein auf den
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Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG). Sie wirft
insoweit folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam auf:
"Kann in Bosnien-Herzegowina eine Diabetes- mellitus Typ 1, wie bei der Klägerin
festgestellt, behandelt und von der Klägerin im Falle einer Rückkehrpflicht überhaupt
finanzierbar bzw. von der dortigen gesetzlichen Krankenkasse getragen werden ?"
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Die grundsätzlich Bedeutung dieser Frage wird aber nicht gemäß den Erfordernissen
des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt.
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a) Mit der Grundsatzrüge muss eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufgeworfen
werden, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts einer Klärung
bedarf.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 ff. (zu § 32 Abs. 2
Nr. 1 AsylVfG a. F.), und Beschluss vom 2. Oktober 1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985,
130 f. (zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Ein auf die grundsätzliche Bedeutung gestützter Zulassungsantrag genügt nicht den
Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG, wenn in ihm lediglich die Behauptung
aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen Verhältnisse stellten sich anders
dar, als vom Verwaltungsgericht angenommen. Es ist vielmehr im Einzelnen darzulegen
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- vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. März 1993 - 3 B 105.92 -, NJW 1993, 2825 f. (zu § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO) -,
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welche Anhaltspunkte für eine andere Tatsacheneinschätzung bestehen. Es ist also
Sache des die Berufungszulassung beantragenden Beteiligten, die Gründe, aus denen
nach seiner Ansicht die Berufung zuzulassen ist, darzutun und in rechtlicher sowie
tatsächlicher Hinsicht zu erläutern. Hierzu genügt es nicht, bloße Zweifel an den
Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf politische, soziale oder
gesellschaftliche Gegebenheiten im Herkunftsland des Ausländers zu äußern oder
schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr ist es erforderlich, durch die
Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder
sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür
darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des
Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift
zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich dann stellenden Fragen der
Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Hat das Verwaltungsgericht
Feststellungen zu einer Tatsachenfrage mit von ihm benannten Erkenntnisquellen
begründet, muss zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fallbezogene
Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnisquellen erfolgen. Dies kann durch eine
eigenständige Bewertung der bereits vom Verwaltungsgericht herangezogenen
Erkenntnismittel geschehen, oder auch durch Berufung auf weitere, neue oder von dem
Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Erkenntnismittel.
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Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 5. Mai 2004 - 11 A 1748/04.A -, n. v., m. w. N.
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Dies ist hier nicht geschehen. Ohne neue oder abweichende Erkenntnismittel konkret zu
benennen, macht die Klägerin lediglich geltend, die "vom Gericht vorgelegten Auskünfte
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(Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 15. Juli 1998 ans OVG Koblenz) sind neu
zu überprüfen". Wieso eine "neue Überprüfung" zu erfolgen hätte, wird indes nicht
substantiiert dargetan.
b) Darüber hinaus ist die Durchführung eines Berufungsverfahrens zur Klärung der von
der Klägerin aufgeworfenen Tatsachenfrage auch entbehrlich. Die Zulassung der
Berufung kommt nicht in Betracht, wenn die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete
Tatsachenfrage sich auf Grund von eindeutigen und widerspruchsfreien Auskünften und
Stellungnahmen sachverständiger Stellen ohne weiteres beantworten lässt und daher
ein Berufungsverfahren nicht erfordert.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. September 1998 - 5 A 3829/97.A -, n. v. (Langtext
in juris), und vom 9. August 2000 - 11 A 2370/00.A -, n. v. (Langtext in juris), jeweils m.
w. N.
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So liegt der Fall hier. Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen, auf die die
Beteiligten mit Verfügung vom 12. April 2005 hingewiesen worden sind, ist Diabetes
mellitus in Bosnien und Herzegowina zu behandeln.
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Trotz noch vorhandener Defizite im Gesundheitswesen von Bosnien und Herzegowina
entspricht es seit dem Jahr 2000 der übereinstimmenden Auskunftslage, dass Diabetes
mellitus im Heimatland der Klägerin grundsätzlich behandelt werden kann. Insulin ist in
ausreichendem Maße verfügbar und wird gegen Rezeptvorlage kostenlos an Patienten
abgegeben.
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Stellungnahmen der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Sarajewo vom 28.
April 2000 an das VG Düsseldorf, vom 6. Januar 2000 an das VG Köln und vom 18.
März 2003 an das VG Frankfurt (Oder); Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 13. März
2000 und vom 30. März 2000.
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Auch der UNHCR hat in einer Stellungnahme vom Juli 2001 zum "Gesundheitswesen in
Bosnien und Herzegowina im Kontext der Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen"
darauf hingewiesen, dass Insulin in vielen Orten in Bosnien und Herzegowina erhältlich
ist. Er hat lediglich einschränkend angemerkt, dass nicht alle üblichen Formen und
Mischungen durchgängig erhältlich seien, und für die Bereiche Doboj und Zvornik in der
Republika Srpska berichtet, Patienten müssten dort ihr Insulin selbst kaufen. Abgesehen
davon, dass die in Tuzla (Föderation Bosnien und Herzegowina) geborene Klägerin vor
der Ausreise aus ihrem Heimatland in Sarajewo gelebt hat und somit für eine Rückkehr
in die Republika Srpska keine Anknüpfungspunkte bestehen, haben die
Gesundheitsministerien der jeweiligen Entitäten mittlerweile ein Abkommen
geschlossen, wonach die medizinische Versorgung für alle Rückkehrer in ihrem
aktuellen Wohnort gewährleistet werden soll. Der primäre Gesundheitsschutz umfasst
insbesondere die medizinische Vorsorge, die allgemeinärztliche Behandlung und die
Arzneimittelversorgung. Er wird unter anderem durch sog. Gesundheitshäuser und
Apotheken sichergestellt. Grundsätzlich existiert in jeder größeren Gemeinde ein
Gesundheitshaus.
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Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Bosnien
und Herzegowina vom 2. Februar 2005, S. 29.
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Soweit die Klägerin geltend macht, dass sie ständig einer Insulinpumpe bedürfe und die
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Möglichkeit einer regelmäßigen Versorgung "auf diesem relativ hohen technischen
Niveau" in Bosnien und Herzegowina nicht gewährleistet sei, ist sie darauf
hinzuweisen, dass der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht dazu
dient, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu
verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am
medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in
Deutschland. Ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der
Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem
entsprechenden Niveau in Deutschland nicht entspricht. Für die Annahme, dass eine
mögliche Abschiebung die Klägerin auf Grund der medizinischen Versorgungslage in
Bosnien und Herzegowina einer extremen Gefahrenlage aussetzt, d. h. sie gleichsam
sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde
- vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 23. März 1999 - 9 B 866.98 -, Buchholz 402.240 §
53 AuslG Nr. 17, m. w. N. (zu § 53 Abs. 6 AuslG a. F.) -,
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sind jedenfalls keine Anhaltspunkte erkennbar.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG abgesehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist, soweit nach dem oben Dargelegten nicht
ohnehin bereits Rechtskraft eingetreten ist, nunmehr rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2
AsylVfG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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