Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.01.2009

OVG NRW: aufenthaltserlaubnis, abschiebung, aufschiebende wirkung, unmöglichkeit, ausländer, form, verfügung, aussetzung, ausnahme, ermessen

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 B 1775/08
Datum:
14.01.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 B 1775/08
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis Erteilungsverfahren Abschiebungsschutz
Bleiberecht Fiktion Aussetzungsverfahren erforderliches Visum
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 2 Satz 2; AufenthG § 60a Abs. 2; VwGO § 123
Leitsätze:
Es bleibt offen, ob in Fällen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ein
Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung bzw. auf
Gewährung von Abschiebungsschutz für die Dauer des Verfahrens auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gegeben sein kann, obgleich der
gestellte Antrag ein Bleiberecht in Form einer Fiktion nicht ausgelöst hat
und demzufolge ein nach Antragsablehnung gestellter
Aussetzungsantrag unzulässig ist.
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.250,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde des Antragstellers, die dieser am 23. November 2008 ohne anwaltliche
Vertretung erklärtermaßen gemeinsam mit der Antragstellerin eingelegt hat, ist
unzulässig. Der Antragsteller war nicht Beteiligter des erstinstanzlichen Verfahrens,
daher nicht gemäß § 146 Abs. 1 VwGO beschwerdebefugt, und er ist auch nicht gemäß
§ 67 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO ordnungsgemäß vertreten, da der
Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin rechtzeitig die Beschwerde nur für diese,
nicht aber für den Antragsteller eingelegt hat.
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Auch die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Aus den von der
Antragstellerin dargelegten, gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 der
Verwaltungsgerichtsordnung VwGO vom Senat nur zu prüfenden Gründen ergibt sich
nicht, dass die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
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durch das Verwaltungsgericht zu Unrecht erfolgt ist.
Die Beschwerde ist mit dem anwaltlicherseits formulierten Antrag,
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anzuordnen, dass bis zu einer Entscheidung über die Klage 27 K 4633/08
gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 12. Juni 2008
sowie die Klage 27 K 4632/08 gegen die Ordnungsverfügung des
Antragsgegners vom 25. Juni 2008 von dem Vollzug aufenthaltsbeendender
Maßnahmen abzusehen ist,
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unzulässig. Ein solcher Antrag nach § 123 VwGO ist nämlich in erster Instanz nicht
gestellt und daher vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht
beschieden worden. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht allein den in erster Instanz
ausdrücklich gestellten Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Klagen der Antragstellerin gegen die
Ordnungsverfügungen des Antragsgegners vom 12. Juni 2008 und 25. Juni
2008 anzuordnen bzw. wieder herzustellen,
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durch Ablehnung beschieden und ausdrücklich davon abgesehen, einen Antrag nach §
123 VwGO, wie ihn die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren verfolgt, anzuregen
oder den Antrag dahingehend umzudeuten. Dies ist im Übrigen auch zu Recht
geschehen. Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend dargetan hat, hätte der
mit der Beschwerde für richtig gehaltene Antrag wegen Fehlens eines
Anordnungsanspruchs keinen Erfolg gehabt.
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Soweit die Antragstellerin, die nach dem Widerruf ihres Schengen-Visums durch
Verfügung des Antragsgegners vom 12. Juni 2008 wegen unerlaubter Ausübung einer
Erwerbstätigkeit (Prostitution) am 19. Juni 2008 in Dänemark einen deutschen
Staatsangehörigen geheiratet und am 25. Juni 2008 die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, ohne im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder
eines Visums zu sein und deren Abschiebung auch nicht nach § 60a AufenthG
ausgesetzt war, geltend macht, sie habe einen Anspruch auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und die ihren Antrag
ablehnende Verfügung des Antragsgegners vom 25. Juni 2008 leide an einem
entscheidungserheblichen Ermessensmangel hinsichtlich der Anwendung des § 5 Abs.
2 Satz 2 AufenthG, ist ihr folgendes entgegenzuhalten:
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Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung zum Bestehen eines Anspruchs auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis können einem Antrag nach § 123 VwGO auf Schutz
von Abschiebung bzw. Verpflichtung des Antragsgegners auf Erteilung einer Duldung
nicht zum Erfolg verhelfen. Ob auch in Fällen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ein
Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung bzw. auf Gewährung von
Abschiebungsschutz für die Dauer des Verfahrens auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis aus gesetzessystematischen Gründen nicht gegeben sein kann,
wenn – wie hier – der gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ein
Bleiberecht in Form einer Fiktion nicht ausgelöst hat und demzufolge ein nach
Antragsablehnung gestellter Aussetzungsantrag – wie vom Verwaltungsgericht
zutreffend ausgeführt und mit der Beschwerde nicht angegriffen - unzulässig ist, kann
hier offen bleiben.
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Für eine Ausnahme von diesem Grundsatz für die Fälle des § 5 Abs. 2 Satz
2 AufenthG: Benassi in InfAuslR 2006, 178 (186).
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Entgegen der in der Beschwerdebegründung geäußerten Ansicht hat der Antragsgegner
nämlich eine Ermessensentscheidung im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu
Lasten der Antragstellerin getroffen und diese in nach summarischer Prüfung nicht zu
beanstandender Weise – wenn auch nur knapp – damit begründet, dass sie bei ihrer
Anhörung lediglich auf die Zeitdauer des Visumsverfahrens hingewiesen habe und ihr
die mit der Nachholung des Visumsverfahrens stets verbundenen Unannehmlichkeiten
und die Zeitdauer zur Erfüllung der Einreisebestimmungen zuzumuten seien. Das
Ermessen des Antragsgegners war entgegen der Ansicht der Antragstellerin
keineswegs dahingehend reduziert, dass er von dem Visumserfordernis hätte absehen
müssen.
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Der Antragstellerin ist es nämlich - wie grundsätzlich jedem Ausländer - zuzumuten,
vom Ausland aus für den endgültig von ihm beabsichtigten Aufenthaltszweck das
erforderliche Visumsverfahren zu betreiben. Nach der dem Aufenthaltsgesetz zugrunde
liegenden Konzeption, wie sie insbesondere in § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zum
Ausdruck kommt, wird auf diese Weise sicher gestellt, dass die
Steuerungsmechanismen des Aufenthaltsgesetzes nicht lahmgelegt und die dort
vorgesehenen Zugangskontrollen hinsichtlich eines Aufenthalts in der Bundesrepublik
nicht unterlaufen werden.
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Vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 26. Oktober 2006 - 18 B 783/06 -, vom
14. November 2006 – 18 B 2260/06 – und vom 10. April 2007 – 18 B 303/07
-.
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Die Antragstellerin hat auch keinen Anordnungsanspruch aus § 60a Abs. 2 AufenthG
wegen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung für die Dauer des Vorliegens
einer solchen Unmöglichkeit unabhängig von der Dauer des auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verfahrens glaubhaft gemacht.
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Sie beruft sich nämlich lediglich auf überwiegende Interessen an einem Verbleib in
Deutschland, da sie einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe und
die von ihr verlangte Nachholung des Visumsverfahrens eine leere Förmlichkeit sei.
Damit ist aber – wie vorstehend ausgeführt - eine rechtliche Unmöglichkeit ihrer
Abschiebung nicht dargelegt.
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Sonstige besondere Gründe für eine rechtliche Unmöglichkeit ihrer Abschiebung- etwa
eine Unzumutbarkeit der Trennung von ihrem Ehemann – macht die Antragstellerin mit
ihrer Beschwerde nicht geltend. Insoweit wird auch darauf hingewiesen, dass eine
bestehende Ehe für sich genommen die Unmöglichkeit der Ausreise bzw. Abschiebung
nicht begründet,
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vgl. Senatsbeschluss vom 2. September 2008 – 18 B 691/08 -,
18
und dass es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6
GG grundsätzlich vereinbar ist, den Ausländer auf die Einholung des erforderlichen
Visums zu verweisen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2007 – 2 BvR 2341/06 – m.w.N.,
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InfAuslR 2008, 239.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 iVm §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
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