Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.06.2000

OVG NRW: politische verfolgung, widerruf, tatsachenfeststellung, erlass, irak, datum

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 640/00.A
Datum:
02.06.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 A 640/00.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 18 K 4988/99.A
Tenor:
1. Dem Kläger wird für das Verfahren zweiter Instanz Prozesskostenhilfe
gewährt und Rechtsanwalt Grüner, Köln, beigeordnet.
2. Die Anträge der Beklagten und des Beteiligten werden abgelehnt.
Die Beklagte und der Beteiligte tragen die Kosten des
Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, je
zur Hälfte.
G r ü n d e :
1
Dem Kläger ist die beantragte Prozesskostenhilfe für das Verfahren zweiter Instanz
unter Beiordnung des von ihm benannten Rechtsanwalts zu bewilligen, weil er die
Voraussetzungen hierfür (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 119, 121 ZPO) glaubhaft gemacht hat.
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Die Anträge der Beklagten und des Beteiligten auf Zulassung der Berufung haben
keinen Erfolg.
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Die Berufung ist nicht wegen der von beiden Beteiligten allein geltend gemachten
Abweichung (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) zuzulassen, weil die
Begründung beider Zulassungsanträge nicht dem Darlegungserfordernis nach § 78 Abs.
4 Satz 4 AsylVfG genügt.
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Wird, wie hier, die Abweichungsrüge nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG erhoben, erfordert
die Darlegung nicht nur Ausführungen dazu, das Verwaltungsgericht sei von einem
inhaltlich bestimmten entscheidungserheblichen Rechtssatz oder einer entsprechenden
verallgemeinerungsfähigen Tatsachenfeststellung abgewichen und habe einen
abstrakten anderen Rechtssatz aufgestellt oder eine verallgemeinerungsfähige
anderweitige Tatsachenfeststellung getroffen, sondern auch Ausführungen dazu, dass
die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf dieser Abweichung beruhe. An
Letzterem fehlt es. Sowohl die Beklagte als auch der Beteiligte beschränken sich in
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ihren Zulassungsschriften auf den näher erläuterten Einwand, das Verwaltungsgericht
habe in Abweichung von der in dem Urteil des Senats vom 5. Mai 1999 - 9 A 4671/98.A
- ausgesprochenen Auffassung dem autonomen Kurdengebiet im Nordosten des Irak
den Charakter einer inländischen Fluchtalternative abgesprochen. Dieser Umstand, der
der Sache nach zutrifft, besagt für sich allein jedoch noch nichts über Erfolg oder
Misserfolg der Klage, denn dieser hängt nicht nur von der Bewertung der Lage im
Nordirak ab. Der Beteiligte berücksichtigt insoweit nicht, dass es im vorliegenden Fall
nicht - wie in der von ihm zitierten Entscheidung des Senats - um die Feststellung des
Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG geht, sondern um
den Widerruf der entsprechenden Feststellung. Darlegungen dazu, dass die
besonderen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für den Widerruf gegeben
sind, fehlen völlig. Diese waren auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil ihr Vorliegen
offensichtlich gegeben ist.
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG setzt der Widerruf der Feststellung, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, voraus, dass die Voraussetzungen
für die Feststellung nicht mehr vorliegen. Angesichts der Auslegung, die diese Vorschrift
durch verschiedene Gerichte gefunden hat,
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vgl. OVG S.-A., Urteil vom 26. Januar 2000 - A 1 S 174/99 -; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 29.
März 2000 - 7 A 10030/00 -; VG Gießen, Urteil vom 21. September 1999 - 2 E 2269/99 -,
NVwZ-Beilage I 2000, 29,
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hätte es zusätzlicher Ausführungen dazu bedurft, dass diese speziellen
Voraussetzungen erfüllt sind. Wie der Beteiligte zutreffend wiedergibt, droht nach der
Rechtsprechung des Senats Kurden in den kurdischen Autonomiegebieten in den
Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniya spätestens seit Oktober 1991 keine staatliche
politische Verfolgung (mehr) und besteht für Kurden aus den genannten Gebieten
spätestens ab diesem Zeitpunkt dort grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative.
Die von dem Widerruf betroffene Feststellung zu Gunsten des Klägers ist jedoch erst im
April 1997 lange nach dem vom Senat festgestellten Zeitpunkt getroffen worden. Das
bedeutet, dass die Voraussetzungen für die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG bereits
bei Erlass des entsprechenden Bescheides nicht vorgelegen haben, also nicht ohne
Weiteres davon gesprochen werden kann, die Voraussetzungen lägen nicht mehr vor.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, § 100 ZPO, § 83 b
AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 80 AsylVfG).
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