Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.05.2006

OVG NRW: härte, eltern, ermessen, verfahrenskosten, trennung, aufenthaltserlaubnis, hausgemeinschaft, lebensgemeinschaft, erfüllung, familiennachzug

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 A 2463/05
Datum:
19.05.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 A 2463/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 8 K 804/01
Schlagworte:
außergewöhnliche Härte Aufenthaltserlaubnis Lebenshilfe
Familienmitglied
Normen:
AufenthG § 36; GG Art. 6 Abs. 1
Leitsätze:
Eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 AufenthG setzt voraus,
dass ein aufenthaltsberechtigtes Familienmitglied auf die Lebenshilfe
eines anderen Familienmitgliedes angewiesen ist und sich diese Hilfe
nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt.
Tenor:
Das Verfahren der Kläger zu 1. und 3. wird getrennt und unter dem
Aktenzeichen 18 A 2121/06 fortgeführt.
Das verbliebene Verfahren des Klägers zu 2. wird eingestellt.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 1. Juni 2005 ist
hinsichtlich des Klägers zu 2. wirkungslos.
Der Kläger zu 2. trägt vier Zwanzigstel der erstinstanzlichen Kosten
sowie ein Drittel der bis zur Trennung des Verfahrens und die für die Zeit
danach entstandenen Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 15.000, EUR bis zu
Trennung und auf 5.000,-- EUR für die Zeit danach festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Nachdem der Kläger zu 2. und der Beklagte die Hauptsache übereinstimmend für
erledigt erklärt haben, ist das Verfahren des Klägers zu 2. einzustellen und das
angefochten Urteil insoweit für wirkungslos zu erklären.
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Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung
des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. In der
Regel entspricht es billigem Ermessen, entsprechend dem Grundsatz des § 154 Abs. 1
VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne den Eintritt des
Ereignisses, das zur Erledigung des Rechtsstreits geführt hat, voraussichtlich
unterlegen wäre. Danach hat der Kläger zu 2. die Verfahrenskosten zu tragen, weil er
die Erledigung dadurch herbeigeführt hat, dass er sich erstmals im Zulassungsverfahren
auf einen Sachverhalt berufen konnte (die Geburt seines Kindes M. am 8. März
2006), der den Beklagten veranlasste, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
3
Der Umstand, dass der Beklagte nunmehr letztlich dem Begehren des Klägers zu 2.
entsprochen hat, fällt demgegenüber vorliegend nicht als maßgeblich ins Gewicht. Denn
eine derartige Tatsache ist als solche nicht etwa abstrakt zu werten. Entscheidend sind
vielmehr die Gründe, die zur Klaglosstellung geführt haben.
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- Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 1988 - 3 C 62.86 -, Buchholz 427.6
§ 4 BFG Nr. 45 = BayVBl. 1989, 316 = NVwZ-RR 1989, 218 (nur LS);
Senatsbeschluss vom 21. Juli 2005 – 18 B 2228/04 -.
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Danach ist hier von entscheidender Bedeutung, dass der Antrag auf Zulassung der
Berufung keinen Erfolg gehabt hätte. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) lag nicht vor. Insofern bedarf es einer auf schlüssige
Gegenargumente gestützten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden
Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substanziierter Weise darzustellen,
dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Entscheidungsergebnis
ernstlich zweifelhaft sein soll. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn das
Gericht schon allein auf Grund des Antragsvorbringens in die Lage versetzt wird zu
beurteilen, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses
bestehen.
6
Vgl. hierzu nur die Senatsbeschlüsse vom 15. März 2002 - 18 B 906/01 -
und vom 17. Mai 2002 - 18 A 781/01 -, jeweils m.w.N.
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Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger nicht. Er wendet sich unter Berufung auf § 36
AufenthG vergeblich gegen die vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung, dass
zwischen ihm und seinen Eltern keine ausländerrechtlich schützenswerte
Beistandsgemeinschaft bestehe. Dazu weist er im Wesentlichen darauf hin, dass seine
Eltern auf seine Unterstützung und ständige Anwesenheit sowie diejenige der Kläger
des abgetrennten Verfahrens dringend angewiesen seien und es einer sittlichen Pflicht
entspreche, seinen Eltern beizustehen. Damit werden die Anspruchsvoraussetzungen
für einen Familiennachzug nicht annähernd erfüllt.
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Für einen hier letztlich angestrebten - dauerhaften Aufenthalt kommt ein von einem
Elternteil abgeleitetes Aufenthaltsrecht für erwachsene Kinder grundsätzlich nur dann in
Betracht, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist
(§ 36 AufenthG). Eine solche setzt voraus, dass ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe
eines anderen Familienmitgliedes angewiesen ist und sich diese Hilfe nur in der
Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine
Hausgemeinschaft besteht und ob die Hilfe auch von anderen Personen als einem
Familienangehörigen erbracht werden kann.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 1996 – 2 BvR 1119/96 -, juris; OVG
NRW, Urteil vom 24. Februar 1999 17 A 139/97 , InfAuslR 1999, 345, 346,
mit zahlreichen Hinweisen, sowie Beschlüsse vom 11. April 2000 – 18 B
1319/99 – und vom 8. Mai 2006 – 18 B 1915/05 -.
10
Allerdings ist die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit einem im
Bundesgebiet lebenden Angehörigen im Allgemeinen nicht zur Vermeidung einer
außergewöhnlichen Härte erforderlich, wenn hier andere Familienangehörige leben, die
zur Betreuung in der Lage sind.
11
So auch Nr. 36.1.2.4
Bundesministeriums des Inneren zum AufenthG.
12
Diese auf Art. 6 Abs. 1 GG zurückzuführenden und zu § 22 AuslG entwickelten
Anforderungen haben angesichts der inhaltsgleichen Regelung in § 36 AufenthG
weiterhin unverändert Bestand.
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Soweit das Verwaltungsgericht diese Voraussetzungen verneint hat, fehlt es bereits an
einer konkreten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen im
angefochtenen Urteil. Darüber hinaus hat der Kläger auch eine derartige
Beistandsgemeinschaft mit seinen pauschalen Hinweisen nicht ansatzweise dargelegt.
Zudem wäre neben den konkret erforderlichen Hilfe- und Unterstützungsmaßnahme
beispielsweise auch aufzuzeigen gewesen, warum keines der anderen im
Bundesgebiet lebenden Kinder die Betreuung zu leisten vermag, sondern hierfür der
Aufenthalt aller bisherigen Kläger zu 1. bis 3 erforderlich ist.
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Soweit sich der Kläger ferner erstmals im Zulassungsverfahren darauf beruft, er sei in
der Bundesrepublik zu einem "faktischen Inländer" geworden, macht er zwar einen
Umstand geltend, der grundsätzlich zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des §
25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG geeignet ist.
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Vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 27. März 2006 18 B 787/05 -.
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Dieser Sachvortrag, der für sich genommen völlig eigenständig und unabhängig von
dem im Übrigen hier vom Kläger zu Recht als einschlägig bezeichneten § 36 AufenthG
zu prüfen ist, ist jedoch nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung gewesen
und vermag schon deshalb nicht ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils zu begründen.
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Vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 3. Februar 2005 18 A 1229/03 -.
18
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2, 72 Nr. 1 GKG.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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